Freitag, 31. Januar 1997

31. Januar

"Tobias ist wieder einmal auf Platz eins." Wow, ich bin wirklich erstaunt. Er hat tatsächlich das beste Zeugnis. Aber ich bin eigentlich auch ganz froh. So schlecht sehen meine Noten gar nicht aus. Im Grunde kann ich ganz zufrieden sein, mit dem Ergebnis. Nils ist wieder total der Alte. Als hätten wir uns gestern nie gestritten, redeten wir heute auf dem Hof ganz normal miteinander. Manchmal komme ich auf die verrückte Idee, daß er vielleicht einen Doppelgänger oder einen Zwillingsbruder hat. Aber das ist natürlich Unsinn, weil, das würde ich ja merken. Nach der Schule sind wir zusammen noch zu Doris getapert. Und diesmal ist Nils sogar mit hoch gekommen. Sie wird heute entlassen. Aber sie muß eben noch permanent liegen zu Hause und darf sich nicht anstrengen. Sie hat mir ein Bild von ihrem Baby gezeigt. Das heißt, eigentlich habe ich gar nix gesehen, es sah mehr aus wie eine unscharfe Wetterkarte des letzten Tiefdruckgebietes über Island. "Es wird ein Junge", meint sie. Den Rest der Zeit verbrachten wir damit, einen Namen für ihn auszudenken. Doris findet ja "Paul" ganz toll, was ich nun total abartig finde. Am Abend waren wir bei Max in der WG. Es war ganz gemütlich. Hat Max eigentlich schon immer geraucht? Ok, daß er ab und zu ne Tüte gedreht hat ja, aber jetzt raucht er eine Zigarette nach der nächsten, was ziemlich nervig ist. Jedenfalls stinke ich jetzt total nach Rauch. Aber sonst scheint es ihm ganz gut da zu gehen. Sogar Bier dürfen sie da trinken. Ok, nicht offiziell, aber Nils und ich haben es einfach mitgebracht und niemand hat irgendwas gesagt. Wäre ja auch ziemlich daneben gewesen. Max meint jedenfalls, daß er mit Ende der Elften abgehen will. Nils und ich finden, daß das ziemlicher Unsinn ist, weil er doch wenigstens bis zum Abi durchmachen könnte. Aber er meint, daß er endlich raus will, aus dem Irrenhaus. Irgendwie beneide ich ihn ja. Eigentlich kann er jetzt tun und lassen was er will. Es ist niemand da, der sagt, sei vernünftig. tue dies, mache das. Auf der anderen Seite? Hm, ich weiß nicht.

Donnerstag, 30. Januar 1997

30. Januar

"Du verstehst absolut nicht worum es geht!" Ich hatte Streit mit Nils. Irgendwie habe ich keine Lust gehabt zum Training zu gehen. Das hat Nils tierisch aufgeregt und er hat den totalen Tanz auf dem Nachhaueseweg aufgeführt. Er meint, daß man dabei bleiben muß, wenn man etwas werden will. Das Dumme ist nur, daß ich nicht unbedingt der gefeierte Ringerstar aus Bergbach werden will. Aber in diesem Punkt läßt er wirklich keine andere Meinung zu. Er ist da total engstirnig. Es ist, als wenn er ein anderer Mensch ist, wenn es ums Ringen geht. Naja, jedenfalls bin ich natürlich zum Training gegangen, wenn auch ohne Lust. Das war dann auch deutlich, weil ich nur rumgehangen habe und alles ziemlich schlaff und lostlus gemacht habe. Das war dann der Anlaß für Nils, ein zweites Mal auszurasten. Diesmal vor der versammelten Mannschaft. Er schrie mich an, daß ich mich gefälligst zusammenreissen sollte und daß ich ansonsten ja gleich austreten könnte usw. Das Dumme war nur, daß niemand dabei war, der das genauso daneben fand wie ich. Nein, alle waren auch noch der Meinung, daß er Recht hat. Ich kam mir ziemlich blöd vor. Nach Hause ging ich alleine, weil Nils unbedingt noch was mit Werner besprechen mußte. Na toll. Jetzt sitze ich hier und möchte ihn am liebsten anrufen. Aber auf der anderen Seite sage ich mir, daß er sich ja total daneben benommen hat. So sehe ich das jedenfalls. Also, warum sollte ich dann anrufen?

29. Januar

"Die Ärzte meinen, das sind irgendwelche Blutungen. Aber mit dem Baby ist alles ok." Ich saß auf dem Rand von Doris' Bett und drückte ihre Hand. Gleich nach der Schule war ich zur Ostalb-Klinik gefahren, um sie zu besuchen. Doris meint, daß sie noch ein paar Tage dort zur Beobachtung bleiben soll und daß sie dann nach Hause kann. Aber sie muß sich schonen. Das heißt wohl Aussetzen mit der Schule. Sie sagte, ich soll den anderen in der Klasse nichts sagen, weil die sowieso nichts verstehen würden. Naja, wenn sie meint. Sie hat aber wahrscheinlich sogar Recht. Auf jeden Fall geht es mir jetzt besser, wo ich weiß, daß es nichts Schlimmes mit dem Baby ist. Am Ausgang wartete Nils auf mich. Er wollte lieber unten bleiben, hatte er gesagt. Manchmal ist er komisch, naja, was soll's. "Irgendwie ist das ganz schön unpraktisch geregelt, das mit dem Kinderkriegen", sagte er. Ich mußte grinsen. "Mit Eiern wäre das doch viel praktischer." "Meinst du? Stell dir doch mal vor, statt Babies in den Kinderwagen nur noch Eier. Ach Frau Schulze, sie haben aber ein niedliches Ei in ihrem Wagen." Wir prusteten beide gleichzeitig los und beschlossen, unsere Vorschläge für den Fortbestand der Menschheit noch ein wenig reifen zu lassen. Beim Training erzählte Silvio die Story von dem Unfall vom Samstag weiter. Heute Mittag standen nämlich die Bullen bei ihnen vor der Tür, wegen des umgenieteten Leitpfahls. Da haben sie wohl Lackspuren von Enricos Wagen gefunden. Aber da er nicht da war, konnten sie wohl erst mal nichts machen. Wenn ich daran denke, wird mir jetzt noch ganz komisch. Wir haben wirklich tierisches Glück gehabt, daß uns nichts passiert ist. Wenn ich mir überlege, daß wir uns hätten überschlagen können.

Dienstag, 28. Januar 1997

28. Januar

"Du brauchst wirklich nicht mitkommen, aber bitte, rufe Clemens an." Doris ist heute in der zweiten Stunde umgekippt. Einfach so, neben mir vom Stuhl gerutscht. Ich dachte im ersten Moment, sie macht einen Jux, aber dann war mir klar, daß das ernst war. Scheffner war sofort da und meinte, wir sollten zurücktreten. Tobias half ihm, ihre Beine hochzulegen. Daß er bei den Johannitern mitmacht hat ja auch seine Vorteile. So langsam kam Doris wieder. Aber eben nicht so richtig. Melanie rannte ins Sekretariat, damit jemand den Rettungswagen ruft. Die kamen dann auch ganz schnell und legte sie auf die Trage. Sie drückte mir noch die Hand zum Abschied und meinte, ich sollte Clemens sagen, daß es schon nicht so schlimm ist. Ich glaube sie wollte sich aber nichts anmerken lassen, denn erstens war sie total blaß und zweitens hätte sie sich bestimmt nicht so widerstandslos abtransportieren lassen, wenn es nicht schlimm wäre. Es dauerte eine Weile, bis ich die Nummer von der Tischlerei hatte, wo Clemenes arbeitet. Ich hatte kaum meinen ersten Satz zu Ende gesprochen, da hatte er schon aufgelegt. Bestimmt war er sofort losgerast. "Hoffentlich ist es nichts Schlimmes", sagte ich zu Nils beim Krafttraining. Er nickte. "Vielleicht ist das ja alles zu viel für sie, mit dem Baby und so." "Na hoffentlich ist mit dem nichts." "Du hast sie wohl sehr gerne, was?" "Ja, allerdings. Es gibt eigentlich für mich nur drei Arten von Leuten. Leute, die nett und ok sind, totale Idioten und die Unsichtbaren. Und sie ist eben eine von den Netten." "Und wozu gehöre ich?" Ich antwortete nicht. Eigentlich hättte ich irgendeine Blödelantwort geben können, doch mir war nach der Sache mit Doris nicht danach. Nils buffte mich auf den Arm und meinte, daß wohl schon alles in Ordnung gehen würde mit ihr. Ich hoffe er hat recht.

Montag, 27. Januar 1997

27. Januar

"Und dann volle Kanne noch vorbei und ab in den Graben!" Silvio machte aus der Story die ultracoole Sensation der Schule. Ganz so, als wäre er selber gefahren und vor allem ganz so, als wenn überhaupt nichts passiert wäre. "Nur unsere zwei Weichmacher hier", er deutete auf Nils und mich, "die hatten den totalen Schiß!" Ich war drauf und dran, den anderen zu erzählen, wie Silvios Bruder über seinen kaputten Frontspoiler gejammert hatte. Aber ich ließ es lieber. Naja, ich hatte eh den Eindruck, daß die anderen seine Geschichte letztlich sowieso ziemlich abartig fanden. Was aber wirklich erstaunlich ist, ist, daß ich mich anscheinend doch nicht erkältet habe. Jedenfalls ging es mir den ganzen Tag über gut und auch beim Training war ich richtig gut drauf. Nils scheint seine Zerrung jedenfalls schon richtig gut auskuriert zu haben, es war jedenfalls überhaupt kein Thema mehr heute. Wirklich erstaunlich.

Sonntag, 26. Januar 1997

26. Januar

"Halt bloß den Mund", zischte Nils mir zu, nachdem ich ihm zugeflüstert hatte, daß ich genau SO eine Karre befürchtet habe. Ein tiefgelegter GTI. Und zu allem Unglück ist Silvios Bruder garantiert der totale Skin. Naja, wir saßen jedenfalls hinten und der Typ ist genauso gefahren, wie ich befürchtet habe: wie eine gesengte Sau. Silvio und er fanden es bestimmt total cool, aber ich dachte ich würde sterben. Irgendwann schrie ich, ob er nicht wenigstens etwas vernünftig fahren könnte. "Halt's Maul du alte Schwuchtel", war alles was er sagte, bevor er eine Bierbüchse aufmachte. Und zum Überholen ansetzte. Ich guckte Nils an. Der zuckte nur mit den Schultern. Als ich wieder nach vorne sah, sah ich die zwei Scheinwerfer auf uns zukommen. Ich schrie irgendwas während Silvio grölte: "Das schaffen wir!" Ich sah die Scheinwerfer immer näher kommen und schloß die Augen. Dann hörte ich Silvio rufen:"Shit!" Kurz danach drehte sich der Wagen um seine eigene Achse und wir wurden hin und hergeschleudert. Und plötzlich war es still. Während ich vorher noch Hupen, quietschende Reifen und Schreien gehört hatte war es auf einmal nur noch totenstill. Oh Gott, du bist tot, dachte ich. Doch ich lebte noch. Ich bewegte meinen Kopf, meine Arme, meine Beine - alles schien in Ordnung zu sein. Ich öffnete die Augen. Es war dunkel, nur das schimmerige Licht vom Armaturenbrett leuchtete schwach. Ich blickte zu Nils. Der starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. "Bist du ok?" fragte ich. Er nickte: "Ich glaube schon." Langsam konnte ich mich wieder orientieren. Ich hörte Enrico fluchen. Wir waren tatsächlich im Graben neben der Straße gelandet, deswegen standen wir so schräg nach vorne über. Von dem anderen Auto, was uns entgegengekommen war, keine Spur. "So eine Scheiße, wie komme ich denn da wieder raus?" Silvio krabbelte aus dem Wagen, Nils und ich hinterher. Es war eiskalt und ich begann zu zittern. Enrico war nur am Fluchen und jammerte, wegen seines kaputten Frontspoilers. Ich fand das ziemlich affig. Ich meine, wir sind gerade mal mit dem Leben davongekommen und er jammert, daß sein Spoiler zerdetscht ist. "Wir sollten die Polizei rufen", meinte ich. "Bist du völlig bekloppt?!" fuhr Silvio mich an. Nils machte eine Handbewegung und ich verstand. Na klar, so viel Bier, wie Enrico intus hatte war das wirklich keine tolle Idee. Wir versuchten den Wagen wieder auf die Straße zu schieben, aber es klappte nicht, er war viel zu verkeilt im Graben. komischerweise war außer dem Frontspoiler wohl nichts kaputt oder zerbeult. Naja wir sind ja auch (zum Glück) nirgendwo gegen gefahren. Dann fing es auch noch an zu schneien. Es war arschkalt, ich hatte ja auch nur Klamotten für das X1 an und nichts Warmes. Jedenfalls hätte ich mich am liebsten irgendwo an den Straßenrand gesetzt und geheult. Das ging natürlich nicht. "Ich muß den Wagen da raus kriegen", schrie Enrico. Meine Güte ja, aber wenn ich ehrlich bin interessierte mich alles andere viel mehr als dieses dumme Auto. Wir beschlossen, daß es das beste wäre, wenn wir in das nächste Dorf laufen würden und von da irgendjemanden zum Abschleppen anrufen würden. Also taperten Silvio, Nils und ich die Landstraße lang. Ich dachte ich würde sterben, so fror ich. Silvio war permanent am Fluchen und Nils schwieg beharrlich vor sich hin. Nach einer halben Ewigkeit kamen wir in ein Kaff namens Lautern. Total ausgestorben. Aber wenigstens eine Telefonzelle. Silvio telefonierte. Ich bekam nicht mit, mit wem, das war mir eigentlich auch völlig egal. Als er aus der Zelle kam, sah er wenigstens ganz zufrieden aus. Ein Kumpel von Enrico würde mit seinem Jeep vorbeikommen. Als Silvio sich auf den Weg machte, zurück zum Auto zu laufen streikte ich. "Ich gehe keinen Schritt mehr weiter", schrie ich. "Ach nee, und was willst du dann machen?" "Ich habe keine Ahnung, aber ich laufe nicht noch mal eine Ewigkeit durch diese Kälte. Hier gibt's bestimmt irgendein Gasthaus oder so." Silvio drehte sich um und murmelte so was wie 'Ach verpißt euch doch' und taperte davon. Da standen wir, Nils und ich wie zwei begossene Pudel an einer spärlich erleuchteten Kreuzung in irgendeinem schwäbischen Kuhkaff, es schneite und war bitterkalt und wir wußten nicht, wie wir nach Hause kommen sollten. Es dauerte ein paar Minuten, bis wir beide die situation völlig überzuckert hatten. Dann plötzlich lagen wir uns in den Armen. Wir brauchten nichts zu sagen. Wir fühlten einfach wie schön es war, daß der Andere da war. Und wir hatten sogar Glück, wir machten auf Anhalter und das dritte Auto hielt tatsächlich an und brachte uns nach Bergbach. Wir taperten zu Nils. Zu mir konnten wir nicht, jedenfalls nicht so früh. Mum hätte garantiert gefragt, warum ich denn schon wieder zurück bin und dann hätte ich wieder irgendeine Geschichte erfinden müssen. Nils Eltern waren zwar auch da, aber sie fragten nicht. Ich beneidete ihn darum. Nicht immer alles und jeden Schritt erklären und rechtfertigen zu müssen. Die Tür fiel hinter uns ins Schloß. Ich stürzte auf die Heizung zu und setzte mich direkt davor. Obwohl es im Auto auf der Rückfahrt schon etwas wäremer war, fror ich immer noch. Nils warf mir ein Sweatshirt zu. Es roch nach Nils, nach meinem Nils. Langsam kehrte die Wärme wieder in meinen Körper zurück. Ich kriege garantiert eine Erkältung, aber ich merkte, wie es mir wieder besser ging. Nils setze sich neben mich, mit dem Rücken an der Heizung. Seine Hand in meiner. Wir saßen nur so da, den ganzen Rest des Abends, bis ich ging. Ein langer Kuß zum Abschied. Nils, es ist schön, daß es dich gibt!

Samstag, 25. Januar 1997

25. Januar

"Na, kleines Leistungstief, was?" Ich suchte nach einer Spur von Ironie in Nils' Gesicht. Aber nein, er meinte es tatsächlich so, wie er es gesagt hatte. Ok, ich hatte verloren und zwar auch noch ziemlich hoch. Aber ich hatte einfach keine Chance. Mein Gegner war meilenweit besser als ich. Letztlich ist es mir eigentlich auch egal gewesen. Habe ich halt verloren, na und? Aber Nils habe ich das lieber so nicht gesagt, weil er da bestimmt wieder ausgerastet wäre. Aber ich freue mich schon auf das X1 heute Abend!

Freitag, 24. Januar 1997

24. Januar

"Laß uns doch morgen mal wieder nach Stuttgart ins X1 fahren." "Du willst nach Stuttgart?" Ich bin total verwundert, daß Nils von sich aus vorgeschlagen hat, morgen ins X1 zu fahren. "Aber wir haben morgen Wettkampf. Wie kommen wir denn danach nach Stuttgart?" "Silvios Bruder bringt uns hin." "Wie? hast du das schon festgemacht?" "Ja, warum denn nicht?" Eigentlich ist die Idee ja gar nicht so schlecht. Dann brauchen wir wenigstens nicht mit dem Zug zu fahren. Aber ich bin ein bissele sauer, daß Nils das alles schon so geregelt hat, ohne mich zu fragen. Und außerdem finde ich das nicht so toll ausgerechnet mit Silvio und seinem bekloppten Bruder zusammen zu fahren. Das habe ich Nils auch gesagt. "Was soll's. Immerhin hat er ein Auto. Wer sollte uns denn sonst runter nach Stuttgart fahren?" Ich gab auf. Wahrscheinlich hat er ja eh recht. Außerdem habe ich ja auch Lust, mal wieder richtig wegzugehen und nicht nur in die piefige Tofa.

Donnerstag, 23. Januar 1997

23. Januar

"Das klappt schon." Nils konnte es einfach nicht abwarten, wieder beim Training mitzumachen. Ich habe genau gesehen, wie es ihm wehgetan hat, aber er hat sich nichts anmerken lassen. Shit, warum macht er denn so was? Ich kann das einfach nicht verstehen. Es war so wie erwartet. Ich habe Deutsch mit einer Vier total in den Sand gesetzt. So eine Scheiße. Vielleicht muß ich wirklich beim nächsten Mal aufpassen, daß ich die Tage vorher nicht so viel Alk trinke, damit ich wenigstens klar im Kopf bin. Jetzt liege ich wieder mal zu Hause und träume wie es wäre, wenn mein Nils jetzt bei mir wäre. Eigentlich müßte ich doch glücklich sein, ihn zu haben. Aber es ist eben so schwierig, mit ihm alleine zusammen zu sein.

Mittwoch, 22. Januar 1997

22. Januar

"Es ist wirklich eine Zerrung. Der Arzt meint sogar ganz übel." Nils kam erst zur zweiten Stunde zur Schule, weil er vorher beim Arzt war. So richtig mit Verband und so kam er wieder. Und ich glaube, daß das für ihn ziemlich schlimm ist, daß er nicht mittrainieren konnte heute. Er saß nur auf der Bank und guckte total muffelig drein. Am liebsten wäre ich zu ihm hingegangen, hätte ihn in den Arm genommen und getröstet. Aber das ging natürlich nicht. Und so habe ich nur ab und zu zu ihm rübergeguckt und zugezwinkert. "Wie lange dauert denn so was?" wollte ich von ihm auf dem Heimweg wissen. "Keine Ahnung, ist mir bisher noch nicht passiert." "Wie? Du hast bisher noch nie eine Verletzung vom Ringen gehabt?" "Nein, wirklich nicht." Das wundert mich. Nicht daß ich glaube, daß das tatsächlich ein brutaler Sport ist. Aber wenn ich sehe, wie man mit blauen Flecken und Prellungen übersät ist. Aber vielleicht hat er bisher ja auch einfach nur Glück gehabt.

Dienstag, 21. Januar 1997

21. Januar

"Shit!" Nils ließ die Hantel mit einem lauten Knall auf den Boden fallen und hielt sich den Arm. "Was ist denn passiert?" "Ich weiß nicht, es tut tierisch weh." Er versuchte seinen Unterarm zu bewegen doch sein Gesicht war schmerzverzerrt. "Ich glaube das ist so was wie eine Zerrung." Wir haben das Krafttraining abgebrochen. Ich mußte ihm sogar helfen, sein Sweatshirt anzuziehen. Er hat zwar versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich habe ganz genau mitgekriegt, wie es ihm wehgetan hat. Aber er meinte, daß es bestimmt morgen besser sein wird.

Montag, 20. Januar 1997

20. Januar

"War doch total easy." Ich verstand Doris nicht. Ich habe das Ding bestimmt total verhauen. Deutsch ist echt so öde, vor allem, wenn ich gar nicht weiß, was die Fragen überhaupt bedeuten. Naja, was soll's. Irgendwie ist heute sowieso nicht mein Tag. Vielleicht liegt es ja noch an dem Bier. Und selbst beim Training war ich total schlapp. Aber es wird bestimmt wieder besser.

Sonntag, 19. Januar 1997

19. Januar

"Mir dröhnt der Kopf, ich glaube ich lege mich noch mal eine Runde schlafen." Das war Nils. Wir hatten meinen kleinen Sieg ausgiebig gefeiert. Das heißt, Nils wollte, daß wir ihn feiern. Na ja, und das haben wir dann auch getan. Ich weiß gar nicht mehr, wieviel Bier wir hatten. Ich weiß nur noch, daß wir hinterher, als es in der Tofa öde wurde, noch zum Jet gegangen sind und ein paar Büchsen geholt haben. Dann haben wird uns in einen Hauseingang gestellt und geknutscht, eine halbe Ewigkeit. Wir waren so geil auf- einanderl, so daß wir total vergessen haben, wo wir waren. Aber ich glaube, oder hoffe, daß das niemand mitbekommen hat. Aber es war kalt, verflucht kalt. Aber auch toll. Ich möchte endlich mal wieder mit ihm im Bett liegen und ihn in aller Ruhe spüren und fühlen. Im Moment allerdings fühle ich nur meinen Kopf und das ist gar nicht so gut, weil wir morgen Deutsch schreiben und ich noch nichts, aber auch noch gar nichts dafür gemacht habe. Vielleicht ist es ja am einfachsten, wenn ich morgen krank bin. Nein, ein Berger wird nicht krank. Ein Berger erfüllt seine Pflicht. Und wer saufen kann, kann auch lernen. Na ja, wenigstens halbwegs ist mein Kopf nach zwei Stunden Jogging wieder frei. Nein wirklich, ich fühle mich erstaunlich gut und werde jetzt tatsächlich mal ein bißchen versuchen zu lernen.

Samstag, 18. Januar 1997

18. Januar

"Yeah! Tim ist der Champion!" Nils hob mich hoch und wirbelte mich herum. Ich hatte gewonnen, zwar nur mit einem Punkt Vorsprung aber immerhin. Dabei war der Kampf alles andere als leicht. Am Anfang hatte ich drei Punkte gemacht durch einen schnellen Angriff. Aber dann war ich zwar in der Oberlage aber mir fiel nichts mehr ein, was ich machen konnte. Und mein Gegner schaffte es tatsächlich zu kontern, indem er mir den Arm abklemmte. Bis zur Pause hielt ich mich dann wenigstens. Dimitri gab mir in der Pause den Tip, es mit dem gleichen Angriff noch mal zu versuchen und tatsächlich, es klappte. Ich wäre ehrlich gesagt, selber nie auf die Idee gekommen, den gleichen Angriff im selben Kampf zu probieren, weil ich dachte, der Gegner kennt das jetzt schon, aber wahrscheinlich muß man ja zweimal um die Ecke denken. Ich schaffte es sogar noch hinterher eine Rolle anzuschließen. Naja und dann ging es ziemlich unspektakulär weiter. Aber immerhin: Ich habe gewonnen. Und Nils war glücklich. Ich glaube er freute sich mehr als ich. Und das, obwohl er den ganzen Nachmittag immer noch die beleidigte Leberwurst spielte und nur kurz angebunden war. Alles nur wegen der Verabredung von gestern. Naja, aber nun ist wieder alles in Ordnung.
Dieses Gefühl war auch ganz toll. Ich meine nicht das Gewinnen. Ok, das war auch gut. Aber dieses Gefühl, da ist jemand, der freut sich mit einem, der wartet am Rand der Matte und ist wirklich bei mir. Das ist das eigentlich tolle daran. Ich hätte ihn fast abgeknutscht, als er mich so im Arm hatte; ich mußte mich echt zurückhalten. Natürlich hatte Nils seinen Kampf auch gewonnen. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich ihn überhaupt in den letzten Monaten mal habe verlieren sehen. Aber sein Kampf schien ihn gar nicht zu interessieren; er redete pausenlos von MEINEM Match, was ich wo hätte wie anders machen können. Ich war total verwirrt, daß er sich anscheinend an jede einzelne Sekunde erinnern konnte. Das ist schon verrückt.
Jetzt sitze ich hier in meinem Zimmer, schreibe in mein Tagebuch. Was für ein komischer Sport. Was habe ich mir da eigentlich ausgesucht? Warum eigentlich? Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht. Ok, am Anfang war es vielleicht wirklich einfach nur, um Nils zu imponieren, oder um in seiner Nähe zu sein. Oder war s, um Tobias zu ärgern? Ich weiß es gar nicht mehr genau. Und dann war ich fasziniert davon, meinen Körper zu spüren. Tatsächlich meinen Körper zu spüren und zu spüren, was ich damit machen kann. Es war nicht wie beim Tennis, wo ich mit einem Schläger ein Ball über das Netz schlage. Nein, hier beim Ringen war ich es, nur ich mit meinem Körper! Es ist seltsam, all die Schmerzen die ich fühle, zeigen mir, daß es ihn gibt, meinen Körper, daß da etwas ist. Nicht daß mir die Schmerzen gefallen würden, aber ich fühle etwas, ich fühle MICH. Und das ist das wirklich Faszinierende am Ringen. Und dabei ist s mir eigentlich total egal, ob ich gewinne oder verliere. Ich weiß, daß ich nie so gut werde wie all deie anderen im Verein. Aber das ist mir auch wurscht.
So, jetzt muß ich mich aber auf den Weg machen. Nils und ich wollen jetzt noch in die Tofa gehen. Endlich wieder einen Abend mit Nils verbringen!

Freitag, 17. Januar 1997

17. Januar

"Ich dachte, wir verbringen den Abend heute zusammen." Nils war sauer. Ich habe ihm gesagt, daß ich heute mit Benji verabredet bin und daraufhin war er ziemlich stinking. Ich meinte, daß wir ja morgen den Abend zusammen verbringen können, aber das stimmte ihn auch nicht friedlich. Jedenfalls stapfte er ohne sich umzugucken eingeschnappt nach Hause. Ok, vielleicht ist es ja wirklich nicht ganz so toll gewesen, mich ausgerechnet heute mit Benji zu verabreden. Aber auf der anderen Seite fällt mir auch kaum ein anderer Tag ein, dadurch, daß ich dreimal in der Woche beim Training bin und dann noch einmal Krafttraining. Irgendwie beneide ich Max ein wenig, daß er jetzt so viel freie Zeit hat ohne das Ringen.
Naja der Abend mit Benji war ganz witzig. Er hat zwar eine halbe Ewigkeit über sein Lieblingsthema das Ringen gesprochen, und über irgendwelche Internetseiten, die er macht, machen will oder was weiß ich, aber als wir das Thema dann endlich hinter uns hatten, war es ganz lustig. Und das, ganz erstaunlich, total ohne Alk. Benji ist nämlich der totale Anti-Alk-Trinker inzwischen, naja und da habe ich eben auch alles möglich andere getrunken und es war ok. Ach ja, das hätte ich ja fast vergessen: er ist also ein Hetero. Denn er hat mir von einem Mädel erzählt, in das er wohl total verknallt ist. Aber an das kommt er nicht ran, weil das mit dem Schul-Casanova zusammen ist. Ich habe ihm gesagt, daß er sich den Typ Mädel aus dem Kopf schlagen soll. So was kenne ich aus Hamburg. Das sind immer diese angeblich unnahbaren Traum-Mädchen, denen alle Jungs hinterherlechzen, so was wie Melanie. Und alle blitzen immer reihenweise ab. Ha, das sind so Situationen, in denen ich total froh bin, daß ich schwul bin. Weil, das ist das Spannende, wenn man diese Mädel total ignoriert, fangen sie an, einem hinterherzulaufen. Obwohl, ich ignoriere sie ja nicht mal, es ist einfach so , als wenn sie gar nicht existieren für mich. Aber gerade das scheint ja das zu sein, was sie wurmt. Ich frage mich manchmal wirklich, warum das eigentlich alles so kompliziert sein muß. Dieses blöde Spiel von Coolheit und Anmache und so tun als ob.

Donnerstag, 16. Januar 1997

16. Januar

"Ich hasse Aldehyde", zischte Doris mir zu. Oh ja, wie Recht sie hat. Chemie-Arbeit. Einfach nur zum Abkotzen. Das Leben in der Schule geht wieder seinen alten Trott und ist echt öde. Max hat mir erzählt, daß er die nächsten Tage vorbeikommen will und seinen Kram abholt, weil er jetzt einen anderen Zugang zum Internet gefunden hat, der für ihn praktischer ist. Ist mir eigentlich auch ganz recht, so habe ich den PC wieder für mich alleine.
Nils und ich sind nach dem Training noch ein bißchen durch die Gegend getapert. Einfach so, obwohl das Wetter eigentlich voll daneben war. Aber es ist schön, ihn wieder ganz dicht bei mir zu haben.

Mittwoch, 15. Januar 1997

15. Januar

"Hoffentlich geht das gut da unten in Jugoslawien." "Die schicken da schon keine Wehrpflichtigen hin", sagte ich aber ich bin mir nicht sicher, ob das auch stimmt. Der Gedanke, daß Phil nach da unten geschickt wird, wäre für mich total unerträglich. "Das sind nur Berufssoldaten, die die schicken. Aber das ist schon schlimm genug", meinte Dad. Ich nicke. Wenn man sich das so recht überlegt ist das schon eine Riesen-Sauerei. Da nimmt sich der Staat tatsächlich das Recht raus, über das Leben von Leuten zu bestimmen und sie einfach so mir nichts dir nichts in die Weltgeschichte und vielleicht in den Tod zu schicken. Ich meine, daß mit der Wehrpflicht ist ja sowieso eine Schweinerei. Also ich werde das garantiert nicht mitmachen.
Am Nachmittag hat Benji angerufen und wir haben ein bißchen gequatscht. Aber allzu lange ging es nicht, weil ich ja Training hatte. Aber wir haben uns für Freitag verabredet. Beim Training gab es nichts besonderes.

Dienstag, 14. Januar 1997

14. Januar

"Vielleicht solltest du langsam mal auf dein Gewicht aufpassen." Ich guckte Nils mit großen Augen an. Aber da war kein Spott und keine Ironie in seinem Blick. Er meinte es total ernst. "Was meinst du? Wieso?" "Wenn du weiter in der Klasse ringen willst, mußt du halt aufpassen, sonst wirst du zu schwer." Aha, das war es also. Daraus entwickelte sich mal wieder eine nervige Diskussion über Sinn und Ernsthaftigkeit vom Training und Sport. Ich gab irgendwann auf, weil er sowieso in der Richtung nicht zu überzeugen ist und das alles total verbissen sieht. Also was soll's. Wenigstens haben wir uns nicht wirklich gestritten und es gab einen langen Kuß zum Abschied.

Montag, 13. Januar 1997

13. Januar

"Jetzt ist Schluß mit der Trödelei." Manchmal frage ich mich, warum ich das eigentlich mache. Sport soll doch irgendwie Spaß machen. Es ist ja ok, wenn man versucht, Leistung zu bringen, aber für Dimitri scheint die ganze Angelegenheit wirklich bierernst zu sein. Jedenfalls durften wir uns heute wieder mal eine halbe Stunde lang eine Standpauke anhören, von wegen Nichtkommen und Zuspätkommen. Naja, von Nils kann ich da sowieso kein Verständnis erwarten, denn der nimmt das sowieso alles total ernst. Jetzt wo Max nicht mehr dabei ist, bin ich endgültig in der Mannschaft drin, was mir gar nicht gefällt. Dimitri meint, wenn ich drinbleiben will, müßte ich noch eine Menge an mir arbeiten. Mir lag schon auf der Zunge, ihn zu fragen, was denn wäre, wenn ich nicht in der Mannschaft bleiben will. Der Schulanfang war ansonsten nicht besonders aufregend. Wie zu erwarten, sind natürlich noch diverse Klausuren angekündigt worden, weil ja die Zeugnisse kurz bevorstehen. Jaja, erstaunlicherweise fällt das den Lehrern immer in den letzten Wochen ein und dann kommt alles immer Schlag auf Schlag.

Sonntag, 12. Januar 1997

12. Januar

"Du hast mir so gefehlt", flüsterte mir Nils ins Ohr. Wir haben uns am Kochertalweg getroffen und lagen uns gleich in den Armen. "Du mir auch", flüsterte ich. Dann ein langer Kuß. Ich war noch ganz außer Atem von dem Laufen, aber es war so schön, meinen Nils wieder in den Armen zu halten, seine Wärme zu spüren. Gut sah er aus, braungebrannt, fast wie aus einer Boygroup entsprungen. Er erzählte mir jede Menge von seinen Skifahrten. Es war für mich alles total unverständlich, aber es ist so schön, wieder seine Stimme zu hören, einfach nur in seiner Nähe zu sein. Er hätte mir auch irgendwas über tibetanisches Flötenspiel erzählen können, ich hätte genauso gespannt zugehört.
"Und Jungs, da waren total viele niedliche Jungs." Ich zog die Stirn kraus. Er bemerkte wohl meine Reaktion, denn er beeilte sich lachend hinzuzufügen: "Hey, keine Angst, ich habe nicht alle vernascht." Ok, ich kann es mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen, daß er auch nur irgendwas mit einem anderen Jungen gemacht hat. Vor allem waren ja seine Eltern die ganze Zeit dabei.
"Und wie hast du die Zeit in Hamburg verbracht? Was hast du Sylvester gemacht?"
"Ich war auf einer Party von ein paar Leuten aus meiner alten Schule. Aber es war nicht so dolle, ich bin auch ziemlich schnell wieder abgehauen." Das war ja nun auch nicht mal gelogen.
"Und, hast du deine große alte Liebe wiedergesehen?" Shit, wen meinte er denn? Wahrscheinlich Jost. Irgendwann muß ich ihm tatsächlich mal von ihm erzählt haben. "Nee, der war gar nicht dabei. Außerdem war da nie was. Ich war irgendwann einfach nur mal tierisch in ihn verknallt. Aber er wollte und konnte ja davon nichts wissen. Also, vergessen und vorbei."
"Ja, ist ja schon gut, reg' dich doch nicht so auf."
Hatte ich mich aufgeregt? Ich muß wirklich nicht nur aufpassen was ich sage, sondern auch wie ich Sachen sage. Zum Glück bohrte er nicht mehr weiter.
"Den nächsten Urlaub", sagte ich, "machen wir zusammen."
Nils guckte mich mit großen Augen an. Ich weiß auch nicht, wie ich darauf gekommen bin. Ich hatte einfach spontan die Idee.
"Wohin denn, und wie?"
"Ach ich weiß auch noch nicht. Fiel mir nur mal so ein. Das wäre doch irgendwie ganz toll, nur wir beide, oder?" Je mehr ich darüber nachdachte, desto besser fand ich die Idee. Nils lächelte: "Naja, warum eigentlich nicht."

Dann liefen wir noch eine ganze Weile Hand in Hand durch die Gegend bis wir schließlich wieder umkehrten und 'bewohntes' Gebiet erreichten. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, wie es wohl wäre, wenn man einfach weiter Hand in Hand durch die Stadt marschieren würde. Ok, das würde Nils sowieso nie mitmachen und ich ja sicherlich auch nicht. Aber interessant finde ich diese Idee schon. Ob ich das je mal machen werde? Es wäre ja eigentlich total toll, wenn man sich nicht mehr nur heimlich treffen würde.

Nach unserem langen Spaziergang waren wir jedenfalls so durchgefroren und naß, daß wir noch ins Sirius gegangen sind und uns mit Glühwein zugeschüttet haben. Was ich jetzt noch ziemlich doll im Kopf merke, aber was soll's. Morgen früh ist ja nur wieder Schulanfang.

Samstag, 11. Januar 1997

11. Januar

23:30
"Hi, mein Schatz. Ich will mich nur zurückmelden!" Nils, Nils, mein Nils ist wieder da! Gerade eben hat er angerufen. Er konnte allerdings nur kurz telefonieren. weil sie erst jetzt wieder angekommen sind. Wir haben uns für morgen verabredet und ich freue mich schon so darauf, ihn wiederzusehen.

Also hat es sich doch "gelohnt" heute Abend nicht wegzugehen. Ich hatte auch einfach keine Lust auf andere Leute und vor allem auf Hetero-Pärchen. Also wurde es wieder der totale Gammeltag und Gammelabend vor dem TV. Aber wenigstens hat dann noch Nils angerufen. Ich stelle mir vor, wie er jetzt auf seinem Bett liegt.

Freitag, 10. Januar 1997

10. Januar

"Du bist so still, seit wir aus Hamburg zurück sind. Hast du was?"
Ich schüttelte den Kopf und wunderte mich, was Mom meinte. War ich tatsächlich stiller? Nee, ich glaube eigentlich nicht. Ich bin nur im Moment in so einer absoluten Muff-Phase, wo ich nicht so recht weiß, was ich machen soll und zu nix Lust habe. Wenigstens habe ich mich heute aufgerafft und bin ins Schwimmbad gegangen. Es war aber so gut wie nichts los, also ich meine, was andere Jungs betrifft. Also bin ich fast die ganze Zeit geschwommen.

Dann hinterher noch schnell Lisa vom Kindergarten abgeholt. Ich finde es toll, wie sie immer so viele Sachen zu erzählen hat, wenn sie zurück kommt. Wie begeistert und fasziniert sie von den kleinsten Dingen ist und wie einfach ihr Leben doch ist. Ich versuche mich an die Zeit zu erinnern, als ich so alt war, aber es fällt mir schwer. Das meiste scheine ich wirklich vergessen zu haben. Auf jeden Fall kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wie ich mich gefühlt habe.

Morgen kommt endlich Nils wieder. Und plötzlich fällt mir die Sache mit Maik wieder ein. Ich habe es tatsächlich geschafft, das Ganze für ein paar Tage zu vergessen. Und jetzt ist es so, als wenn es schon Ewigkeiten zurückliegt, schon fast nicht mehr wirklich ist. Auf jeden Fall werde ich Nils nichts davon erzählen, das habe ich mir fest vorgenommen!

Was mich aber immer noch wundert ist diese Dreistigkeit, diese Selbstverständlichkeit von diesem Maik. Ich würde mich doch nie trauen, einen anderen Jungen so anzubaggern wie er das gemacht hat. Was wäre denn passiert, wenn ich nun tatsächlich ein Hetero gewesen wäre? Obwohl, je mehr ich darüber nachdenke...was hatte Tassi gesagt? Es wäre ein Kumpel von Varis Schwester. Vielleicht weiß sie ja, daß er schwul ist. Und die anderen Leute auf der Paty kannten ihn wahrscheinlich eh nicht, weil er ja aus Berlin kommt. Also eigentlich war es dann ziemlich genial, weil ihm ja so gut wie nichts passieren konnte. Aber ich bewundere trotzdem seinen Mut, einfach so total easy jemanden anzubaggern und dann noch den wahrscheinlich einzigen Schwulen zu erwischen.

Donnerstag, 9. Januar 1997

9. Januar

"Sage einfach Bescheid, wann du anfangen willst und dann kannst du loslegen."
Wow, ich habe einen Platz für's Bogy. In einem Architekturbüro! Ich weiß gar nicht, wie ich eigentlich auf Architektur gekommen bin, aber ich stelle es mir irgendwie ganz spannend vor. Vor ein paar Wochen habe ich zum ersten Mal mit dem Gedanken gespielt, als wir in BG einen Grundriß zeichnen sollten. Ich bin ja mal gespannt, wie das wird, obwohl man in der kurzen Zeit sicher nicht so viel mitbekommt. Ich denke mal, daß das auf jeden Fall spannender ist, als das Ganze bei der Bundesbahn zu machen, wie etliche bei uns in der Schule. Naja und Moms neue Kontakte hier haben mir eben ein bißchen geholfen. Der Typ war auch echt nett und unkompliziert.

Beim Aufräumen (ICH habe aufgeräumt, ICH! FREIWILLIG! Naja, ich hatte tatsächlich Langeweile) ist mir Tobias' Telefonnummer untergekommen. Ich war kurz davor, ihn anzurufen, aber dann habe ich mich gefragt, was ich ihm eigentlich hätte sagen sollen. Also habe ich es lieber gelassen.

Beim Training war heute zum Glück kein Schulterwurf mehr dran. Das hätte ich bestimmt auch nicht ausgehalten, weil mir alles noch von gestern weh tut. Aber wenn ich mal so die letzte Zeit zurückblicke, dann finde ich es schon spannend, wie viele Sachen ich jetzt beim Training oder beim Kampf wegstecke, ohne daß es nennenswert wehtut.

Mittwoch, 8. Januar 1997

8. Januar

"Kann ich vorbeikommen und meine Mails abholen?"
Das war Max. Er war bei seiner Großmutter über Weihnachten und Neujahr und ist jetzt wieder zurück in Bergbach. Das Ganze war aber wohl eine ziemlich deprimierende Sache, weil sie auch keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter hat. Ich finde diese ganze Angelegenheit ja sowieso total daneben und mir fiel auch nichts besonderes ein, wie ich ihn aufheitern könnte. Naja auf jeden Fall haben wir ein bißchen am Computer gespielt und sind dann zum Training getapert. Dimitri hatte immer noch schlechte Laune aber inzwischen habe ich gelernt, es zu ignorieren. Zu allem Unglück waren heute Schulterwürfe dran und davor habe ich nun richtig Schiß. Ich habe krampfhaft versucht, meinen Kopf auf die Brust zu drücken, damit ich mir nicht das Genick verknackste. Aber es ist echt heftig, wenn man beim Fallen an so viele Sachen gleichzeitig denken muß. Und am Ende vom Training war ich echt froh, daß mir nichts passiert ist.

Ansonsten war heute nichts. Ein echt öder Winter-Ferientag.

Dienstag, 7. Januar 1997

7. Januar

"Und wie geht es dir so ohne ihn?"
Doris und ich saßen im Café und schütteten Glühwein in uns hinein. "Es geht so. Er fehlt mir, aber er hat gestern angerufen."
"Es is ja irgendwie süß."
"Was ist süß?"
"Na, zu sehen wie du so verliebt bist. So richtig wie ein kleines Mädchen." Ich hätte sie ohrfeigen können, aber ich wußte, daß sie es nicht böse oder gehässig meinte. "Warum erzählst du nie was von dir und Clemens?"
"Oh, das interessiert dich doch bestimmt nicht."
"Na klar interessiert mich das. Ich liebe Klatsch und Tratsch."
Sie lachte. "Es gibt aber nix zu tratschen über uns. Er ist wirklich großartig. Lieb und überhaupt." Ihr Augen strahlten als sie das sagte und ich glaube ihr auch. Sie hat mir auch erzählt, daß mit dem Baby alles in Ordnung ist. Inzwischen sieht man es auch schon total deutlich.

Das Krafttraining war heute nicht das gleiche wie wenn Nils dabei ist. Irgendwie fehlt tatsächlich jemand, der einen anfeuert und treibt. So habe ich einfach ziemlich lustlos ein paar Gewichte gestemmt und bin dann wieder abgedackelt. Ein Gemisch aus Schnee und Regen fällt vom Himmel. Es wird Zeit, daß es wieder Sommer wird.

Montag, 6. Januar 1997

6. Januar

"Das ist ja mal wieder typisch Ferien."
Ich war heute beim Training aber es war kaum jemand da. Nils ja sowieso nicht, Max und Florian auch nicht. Dementsprechend knurrig war Dimitri natürlich und hat uns Rest total heftig rangenommen. Dementsprechend fertig bin ich auch. Aber es tut auf der anderen Seite auch ganz gut, mal wieder seinen Körper nach dem Training zu spüren. Es ist schon merkwürdig aber das Training und das Ringen haben mir tatsächlich gefehlt. Hätte ich gar nicht geglaubt, daß es mal so weit kommt.
Oh, Telefon

Nils, Nils mein Nils hat angerufen. Es war so schön seine Stimme zu hören. Es geht ihm gut und er scheint eine Menge Spaß beim Skifahren zu haben. Wir wollten gar nicht aufhören zu telefonieren und keiner wollte auflegen, bis irgendwann seine Mutter von hinten rief er soll nicht so ewig lange machen. Ich küßte ihn durch den Hörer. Meinen Schatz. Mir geht es wieder gut!

Sonntag, 5. Januar 1997

5. Januar

"Du bist ja verrückt, bei dem Wetter durch die Gegend zu rennen."
Ich bin heute zwei Stunden lang gelaufen. Es hat mir richtig gut getan, wieder die Luft in meinen Lungen zu spüren. Meine Gedanken ordnen sich langsam. Ich habe beschlossen, Nils nichts von der Sache mit Maik zu erzählen. Ich glaube, es ist besser so. Es ist passiert und damit fertig, Schluß und vergessen. Es war geil aber eigentlich war es so wie die Sachen früher, passiert und vorbei. Vielleicht sollte ich die Sachen tatsächlich nicht alle so eng sehen und sie so nehmen wie sie kommen. Vielleicht geht das Leben dann sogar ein bißchen leichter.

Samstag, 4. Januar 1997

4. Januar

"Hey, wie war's in Hamburg?"
Wieder zurück in Bergbach. Eigentlich hatte ich ja Doris angerufen um ihr die Geschichte mit Maik zu erzählen. Aber irgendetwas hielt mich davon ab. Statt dessen unterhielten wir uns über alle möglichen uninteressanten Sachen. Eigentlich habe ich ja ein bißchen gehofft, daß Post von Nils angekommen ist. Aber es war nichts da. Vielleicht ist es ja auch ganz gut so.

Nach Hamburg kommt mir Bergbach wieder vor, wie ein Dorf von bekloppten Einödlern. Es ist Samstag Abend und ich sitze in meinem Zimmer und zappe mich durch TV-Programm und habe zu nichts Lust. Keine Lust, wegzugehen, keine Lust andere Leute zu sehen. Eigentlich habe ich nur Lust auf Nils. Ich will ihn in die Arme nehmen und festhalten. Ich will ihn spüren, seinen Duft in mir aufnehmen.

Freitag, 3. Januar 1997

3. Januar

"Ist etwas mit dir? Du bist so ruhig?" fragte Mom. Ich schüttelte den Kopf und guckte wieder aus dem Fenster in den Garten. Das kann doch irgendwie alles nicht wahr sein, daß ich diese Sache nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Ich sitze am Ufer und schaue hinaus auf die Elbe. In der Hand halte ich den kleinen Eisbär, den ich von Nils bekommen habe. Wie lange ist es her, daß ich hier saß und davon geträumt habe, daß ich endlich jemanden zum Lieben habe. Und nun? Nun habe ich tatsächlich jemanden, den ich liebe. Und ich setze das alles auf's Spiel. Wenn ich mir überlege, wie er schon bei den kleinsten Sachen ausrastet, dann kann ich mir genau vorstellen, was passiert, wenn ich ihm das erzähle. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich es ihm gar nicht erzähle. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich mir sicher, es ihm nicht zu erzählen.

Donnerstag, 2. Januar 1997

2. Januar

"Meine Güte, was ist denn schon dabei?"
Tassi scheint amüsiert zu sein. Ich dachte wenigstens, daß er mich verstehen würde, aber er meint das wäre doch gar nicht so schlimm: "Ich weiß ja nicht, wie das bei euch Schwulen ist, aber wenn sich was ergibt, warum denn nicht."
Ich fand dieses 'bei euch Schwulen' einen sehr merkwürdigen Ausdruck.
"Was macht ihr eigentlich da?"
"Wie?"
"Na also ich stelle mir das total eklig vor, wenn man sich gegenseitig den Schwanz hintenrein, naja du weißt was ich meine."
"Das mache ich doch gar nicht!" schrie ich. "Schon gut, schon gut, so genau will ich es ja auch gar nicht wissen."
Mir fiel auf, daß das tatsächlich der erste Hetero-Typ ist, mit dem ich darüber rede. Und eigentlich ist es total cool, daß er so ziemlich locker reagiert.

Ich habe gerade eben Phil gefragt, ob er eines von seinen Mädeln mal 'betrogen' hat (komisch, warum schreibe ich denn das automatisch in Anführungszeichen?). Er guckte mich erst ganz verwirrt an, dann grinste er: "Wieso willst du das denn wissen?"
"Naja, einfach so."
Er grinste noch breiter: "Also um ehrlich zu sein: Nein! Bisher noch nie. Ich glaube ich könnte das nicht. Und du?"
Shit, auf die Gegenfrage war ich ja nun gar nicht vorbereitet. "Nein, äh, es war halt nur so eine Frage, weil, naja, ach nichts." Phil fragte nicht weiter und das finde ich immer noch toll an ihm. Er weiß, wann er nicht weiterbohren soll.

Mittwoch, 1. Januar 1997

1. Januar

"Hey, du hast Glück. Da ist sogar jemand für dich da", flüsterte Tassi und grinste spöttisch. Ich guckte ihn nur fragend an: "Was meinst du?"
"Siehst du den Typ da hinten mit den dunklen Haaren? Das ist irgendein Kumpel von Varis Schwester. Und der ist garantiert schwul!"
"Woher willst du denn das wissen? Hast du jetzt den Sechsten Sinn für Schwule entwickelt?"
"Bei DEM merkt man das sofort", Tassi lachte und machte sich davon. Als ich diesen Typ dann das erste Mal reden hörte, wurde mir klar, was Tassi gemeint hatte. Himmel, wie kann man nur so tuntig reden? Das Dumme war nur, daß ich aus welchen Gründen auch immer, permanent zu ihm rübergucken mußte. Das schien er bemerkt zu haben, denn irgendwann setzte er sich neben mich: "Hi, ich bin Maik."
"Und ich Tim."
"Wo gehörst du denn hin?"
"Ich war in einer Klasse mit Tassi, Dommes und Vari."
"Wieso warst? Jetzt nicht mehr?"
"Nein, ich bin nach Schwaben gezogen", maulte ich mit heruntergezogenen Mundwinkeln.
"Igitt", kreischte er, "das ist ja abartig." Da wäre ich zum ersten Mal am liebsten unter den Teppich gekrochen.
"Also ich komme ja aus Berlin." Während er das sagte, legte er mir seine Hand auf den Arm. "Naja, eigentlich aus Brandenburg, aber zum Weggehen ist Berlin ja optimal."
Ich nickte und wollte nur weg. Wie konnte man denn nur so tuntig sein? Ich meine der Typ ist genauso alt wie ich und benimmt sich total affig. Ich guckte mich um, ob ich irgendjemanden sah, der mich retten könnte. Doch in dem Gewühle entdeckte ich niemanden. Ich entschuldigte mich und sagte, ich würde mir noch ein Bier holen wollen. Das war ein ziemlicher Fehler, denn er fragte, ob ich ihm eins mitbringen könnte. Shit, also verbrachte ich die nächste halbe Stunde in seinem Redeschwall und hörte mir geduldig an, daß er ja DER begnadete Maler wäre und überhaupt und bla, bla. Endlich schaffte ich es, mich nach draußen abzusetzen. Der eiskalte Wind brachte mir ein bißchen meinen Verstand zurück. Tassi kam mir hinterher. "Na wie gefällt's dir?"
"Ganz nett, aber dieser Typ ist ja grauenhaft."
"Aber der ist doch auch schwul, oder?"
"Meine Güte, nur weil der zufällig auch schwul ist, heißt das doch noch lange nicht, daß ich ihn gut finden muß."
Tassi zuckte mit den Schultern und verschwand wieder nach drinnen. Ich blickte in das schwarze Wasser vom Fleet.
"Ach hier bist du!" Das war Maiks Stimme. Plötzlich fühlte ich seine Arme um meine Hüfte: "Ich habe dich schon gesucht."
Ich war so verblüfft, daß ich stocksteif dastand und mich nicht rührte. Dann drückte er sich an mich: "Ich finde dich süß."
Endlich kam ich wieder zur Besinnung und drehte mich um: "Hey, was soll denn das?"
"Oh, sorry, ich hätte wissen müssen, daß du einer von diesen verklemmten Heteros bist."
"Ich bin kein verklemmter Hetero. Ich bin, ich bin...", ich beganng zu stottern, "Ich bin, wenn du es genau wissen willst, wahrscheinlich genauso schwul wie du." Das war der erste Augenblick an diesem Abend, wo er schweigend und sprachlos war. Doch dieser Zustand dauerte nicht lange: "Und warum hast du dich dann so zickig?"
"Zickig?"
"Du tust ja gerade so, als würde ich dich vergewaltigen wollen."
"Das ist es nicht. Es ist nur, es ist, ach ich weiß nicht, ich war vielleicht einfach nur überrascht. Und außerdem habe ich einen Freund."
"Oh, wo ist er denn?"
"Nicht hier, er ist mit seinen Eltern zum Skifahren."
"Oh, und dann läßt er so ein Goldstück wie dich ganz alleine nach Hamburg fahren? Einfach unverantwortlich." Sein Spott war unüberhörbar. "Ach dir geht's gut, ich habe keinen Freund."
Kein Wunder, dachte ich, doch tatsächlich sagte ich: "Es hat auch lange gedauert, bis ich jemanden gefunden habe. Aber in Berlin ist es doch bestimmt leicht jemanden kennenzulernen."
"Oh, jemanden kennenzulernen ist total einfach. Ich lerne jedesmal jemanden kennen, wenn ich am Wochenende in der Busche bin."
"Wo?"
"In der Busche. Das ist die größte schwule Disco in Berlin."
"Eine schwule Disco?"
"Ja Mann, echt cool. Das Problem ist nur, die Typen, die du da kennenlernst, kannst du nach einer Nacht schon in die Tonne treten." Ich stellte mir vor, wie das wohl ist, eine ganze Disco nur mit schwulen Typen. Irgendwie total unvorstellbar. Mir wurde kalt und ich ging rein. Maik taperte mir hinter. "Habt ihr bei euch keine schwulen Läden?"
"Wie, was meinst du. Schwule Discos? Nein. Es gibt 'nen ganz guten Techno und House Laden in Stuttgart, da gibt es ein paar, aber das ist auch alles."
"Kein Wunder, daß du so verklemmt bist."
"Ich bin nicht verklemmt!" schrie ich ihn an. Die Party stieg eigentlich im ersten Stock des Speichers. Aber wir waren einfach einen Stock höher gegangen und hatten eine stillte Ecke gefunden und so hallte meine Stimme durch den Raum. "Dann beweise mir doch das Gegenteil", flüsterte er kaum hörbar und plötzlich spürte ich seine Lippen auf meinen. Und was dann passierte...Shit, es war so geil...aber ich wünschte, es wäre nie passiert. Wir küßten uns und er küßte wirklich so toll, daß ich ganz hin und weg war, vielleicht war es auch der Alk, ich weiß nicht. Und es blieb es nicht dabei, verdammte Scheiße, nein! Irgendwann ging er mir an die Hose und begann, mir einen runterzuholen und zu blasen. Ich wollte ihn wegstoßen, doch gleichzeitig war es so geil, war ich so geil, daß ich mich einfach fallenließ und mitmachte. Ja, auch ich fing an, ihn einen runterzuholen. Erst als ich gekommen war, kam ich wieder richtig zu mir. Shit, was hatte ich gemacht? Draußen flogen die Sylvesterraketen durch die Hamburger Nacht und ich, ich habe in einem stinkigen Speicher mit einem anderen Jungen rumgemacht. Ich wollte einfach nur aufspringen und losrennen. Doch irgendetwas hielt mich zurück. Maik grinste: "Na, wie war es?"
"Es war ok", log ich und am liebsten wäre ich im Boden versunken. Ich ekelte mich vor mir selber. Was hatte ich getan? Ich hatte Nils, meinen liebsten Nils betrogen. Endlich schaffte ich es, mich aufzuraffen. "Ich muß etwas an die frische Luft", sagte ich. Ich fand meine Jacke und ging nach unten wo die ganze Crowd stand. Ich sagte Tassi, daß ich ein bißchen spazieren gehen würde und setzte mich ab. Ich begann zu laufen. Einfach drauflos. Die Zöllner guckten mich ganz schön komisch an, aber das war mir egal. Überall Feuerwerk, fröhliche Menschen auf den Straßen. Ein neues Jahr. Und dazwischen ich. Mir war, als würde es mir jeder ansehen. Schaut her, dieser Junge hat gerade eben seinen Freund betrogen. Ich begann zu rennen, wollte die Gedanken loswerden, den Geschmack von Maiks Küssen vertreiben. An den Landungsbrücken hielt ich völlig außer Atem an. "Nils, mein liebster Nils, das wollte ich nicht! Ich wollte dich nicht betrügen!" Ich schrie, ich schrie es in die Nacht. Die Tränen schossen mir in die Augen. Verdammt nochmal, was würde er sagen, wenn er davon erfährt? Ich bin ein Idiot, Ich hasse mich dafür, daß ich für diesen Moment so schwach geworden bin. Irgendwie schaffte ich es, zurückzukommen. Das heißt zu Oma nach Hause. Alles schlief zum Glück schon. Meine Family war nie groß darin, Sylvester zu feiern. Nur Phil schien noch weg zu sein. Es ist kurz nach zwei. Ich sitze hier, heule und fühle mich so was von elend. Ich hasse mich, was habe ich getan?


16:00
"Deine Feier war wohl nicht so toll gestern, was?"
"Wieso?"
"Du bist ja schon so früh zurückgekommen."
"Ja, es war ziemlich öde."
Ich glaube, das war das Einzigste was ich den ganzen Tag gesagt habe. Meine Gedanken kreisten die ganze Zeit nur um die Szene mit Maik und wie wohl Nils darauf reagieren würde. Ich will ihn doch nicht verlieren. Was ist das nur für ein Leben?


18:30
Gerade hat Tassi angerufen und gefragt, warum ich verschwunden bin, Es war wohl noch eine ziemlich geile Party. Ich habe ihm gesagt, daß ich es nicht einfach so am Telefon erklären kann. Wir haben uns für morgen verabredet.


23:45
Ich kann nicht schlafen, ich bin schon zum zweiten Mal aufgestanden und unter die Dusche gesprungen. Ich fühle mich so dreckig, will alles abwaschen, was mich an diesen Maik erinnert. Doch die Gedanken kann ich nicht abwaschen. Sie bleiben in meinem Kopf eingebrannt.