Freitag, 28. Februar 1997

28. Februar

"Weißt du was? Wir können deinen Geburtstag reinfeiern! Meine Eltern fahren heute über's Wochenende nach Ulm."
Mein Nils. Mein kleiner großer Nils. Ich finde es total lieb. Dabei kann ich gar nicht verstehen, was die Leute alle für ein TamTam um meinen Geburtstag machen. Meine Güte, wenn ich jetzt 18 werden würde. Ok, das wäre was anderes, aber so. Selbst Markus hat mich auf meinen Geburtstag angesprochen. Aber ich glaube eher, weil er geglaubt hat, daß ich eine Party mache. Mache ich aber nicht, ätsch. Das fehlte mir noch, so eine Kiff-und-Sauf-Orgie bei mir. Und dann noch Markus und Nils zusammen. Das würde ja sowieso Zoff geben.
Jetzt sitze ich am Fenster und gucke raus. Der Himmel ist klar und ich kann die einzelnen Sternbilder erkennen. Da draußen sind Millionen von Sternen, Millionen von Planeten, und bestimmt ist da jede Menge Leben. Und wir hier unten spielen unsere kleinen Spielchen. Verstecken uns, weil wir schwul sind, während die anderen ihre dummen Sprüche machen. Während da oben, vielleicht in dem Augenblick, eine Sonne explodiert und Milliarden Leben auslöscht. Oh meine Güte, was habe ich denn für wirre Gedanken? Aber ich mache mir immer öfter Gedanken darüber, daß man, oder ich, eigentlich gar nichts ist, wenn man sich dieses riesige Universum anguckt. Aber auf der anderen Seite....ich weiß ja auch nicht.
Ich muß mich so langsam fertig machen. Um neun Uhr will ich bei Nils sein. Mom und Dad habe ich gesagt, daß ich mit einigen Freunden meinen Geburtstag reinfeiere. Ich habe ihnen aber versprochen, morgen zum Frühstück wieder da zu sein.

Donnerstag, 27. Februar 1997

27. Februar

"Kommt denn jemand von deinen Leuten zu deinem Geburtstag?" Langsam kann ich dieses Thema schon nicht mehr hören. Aber Mom meinte es gut. Sie wollte wissen, was und wieviel sie für den Abend einkaufen muß.
"Ich weiß nicht", antwortete ich, "eigentlich habe ich niemanden eingeladen." Nicht mal Nils, dachte ich, aber was sollte ich denn auch machen? Shit, mir fiel etwas ein. Ich guckte auf den Wettkampfplan und atmete auf. Uff, noch ein Wochenende wettkampffrei.
"Zu Geburtstagen lädt man auch nicht ein", hörte ich Mom aus der Küche, da kommt man einfach." Ach ja? Ich würde nie auf die Idee kommen beim Geburtstag von irgendjemandem einfach so reinzuplatzen. Ich überlegte und entschied, daß ich Doris und Nils einladen werde. Mehr möchte ich eigentlich nicht um mich haben an meinem Geburtstag. Und wenn ich ehrlich bin, finde ich die Idee, beide zusammen mit meinen Eltern an einem Tisch zu haben auch nicht so spannend. Aber es ist ja nur für's Abendessen. Also sagte ich Mom, daß zwei Leute dazu kommen. Ich rief bei Doris an. Die schlief natürlich noch. Beneidenswert. Naja oder auch nicht. Sie meinte, sie würde auf jeden Fall kommen. Ihr Dad bringt sie sogar und holt sie ab. Wow, was für ein Aufwand.
Nils war weniger begeistert. Er runzelte die Stirn: "Meinst du, daß das so eine gute Idee ist?"
"Hey, was soll's. Haben wir nicht neulich auch mit DEINEN Eltern zusammen gesessen und Fondue gemacht?"
Dagegen konnte er nichts sagen. Ich verstehe ihn manchmal nicht. Ich meine das bei ihm zu Hause hätte doch noch viel eher schief gehen können als bei mir. Weil, wenn ich mich daneben benommen hätte, hätte er den Stretch mit seinen Parents gehabt. So wäre es umgekehrt. Und überhaupt, was soll denn das alles. Wir werden doch nicht knutschend am Eßtisch sitzen.
"Doris kommt auch, du kannst beruhigt sein. Wir werden nicht schweigend mit meinen Eltern am Tisch sitzen und Suppe löffeln."
Er grinste: "Na DANN, komme ich natürlich sofort."

Training. Diesmal ein anderer Griff. Aber auch diesmal zwei Stunden lang. Ich merke, wie er mir in Fleisch und Blut übergeht. Es ist, als wenn ich nie etwas anderes gemacht habe. Dann schickte mich Werner auf die Matte. Mit Jonas. Jonas ist zwei Gewichtsklassen über mir. Ich verstehe das nicht, was das immer soll. Wahrscheinlich meint er, ich werde dadurch besser, wenn ich mit schwereren Leuten ringe. Ich merke aber etwas ganz seltsames: Ich bringe auf einmal das, was man vielleicht vollen Einsatz nennt. Ich setze meine GESAMTE Kraft ein, meine GESAMTE Energie, meine GESAMTE Aggressivität. Nein, nicht daß ich plötzlich brutal bin. Aber ich merke, daß es durch mich durch geht, wie ein warmer Energiestrahl, der mir Kraft verleiht. Ich halte mich wacker. Ok, unterm Strich habe ich verloren. Aber ich war nicht schlecht. Glaube ich jedenfalls. Und zum ersten Mal glaube ich, habe ich das gespürt, was man tatsächlich mit "Energie" beschriebt. Oder ist es das, was bei den Jedis "Die Kraft" heißt? Ich weiß es nicht. Aber zum ersten Mal (vielleicht überhaupt, aber auf jeden Fall nach langer Zeit) habe ich ALLES gegeben was in mir drin ist und ich habe bemerkt, daß das eine ganze Menge ist. Shit, ich kann das nicht besser beschreiben. Aber es ist halt so. Und das ist ein tolles Gefühl!

Mittwoch, 26. Februar 1997

26. Februar

"Ab sofort ist das Tragen von Kleidungsstücken der Marke Lonsdale an unsere Schule verboten!"
Der Lautsprecher knackte und es war Stille in der Klasse. Eigentlich wollten alle zu Silvio gucken, aber irgendwie traute sich keiner. "Tja, hätten wir das also auch hinter uns gebracht", war Alfingers Kommentar, eher er weitermachte.
"Ich finde das ok", sagte Nils in der Pause.
"Ich finde es ja eigentlich auch ok..."
"Aber?"
"Naja, aber ob man damit die Faschos von der Schule wegkriegt? Das ist doch Unsinn, so was an Klamotten festzumachen."
Nils guckte mich verständnislos an: "Ich dachte, du findest die genauso zum Kotzen."
"Finde ich ja auch. Ich weiß nur nicht, ob man durch das Verbieten von Klamotten von einer Marke die Faschos zurückdrängen kann. Dann tragen sie halt andere Klamotten. Solche Typen müßten gleich ganz von der Schule fliegen."
Nils nickte, während Max sich die nächste Zigarette anzündete. "Geht doch sowieso alles den Bach runter", meinte Max. Nils und ich guckten uns an. Wir wußten nicht, was er meinte. Aber das weiß bei Max sowieso seit einiger Zeit kaum jemand.

Training: ein Griff, zwei Stunden lang. Nichts anderes, ein einziger Griff. Jede Bewegung, jeder Muskel in Zeitlupe. Werner nennt das "Einschleifen" und erzählt uns etwas über Kleinhirn-Großhirn-Koordination. Ich weiß nur, daß ich an nichts anderes mehr denken kann. Ich weiß nicht, ob ich bei meinem nächsten Kampf noch überhaupt einen anderen Griff zustande bringen werde.

Dienstag, 25. Februar 1997

25. Februar

"Das ist eindeutig zu viel!"
"Nix da, das schaffe ich", meinte ich und stemmte die Hantel hoch.
Es war tierisch. Aber ich schaffte es. 15 mal! Nils' Augen verengten sich für eine Sekunde. Ich sah ihm an, daß er es nicht so toll fand, daß ich mehr Gewicht schaffte als er. Aber eigentlich ist es doch völlig wurscht. Er ist in der Technik meilenweit besser als ich. Also hat das doch nicht viel zu bedeuten, daß ich bei einer Übung mehr Gewicht schaffe als er. Manchmal habe ich den Eindruck, wir spielen ein Spiel. Ist es das Spiel, wer ist cooler, wer ist besser als der Andere? Aber das ist doch Unsinn. Es ist doch eindeutig klar, daß Nils der bessere Ringer ist. Nie werde ich auch im Traum an ihn herankommen. Also was soll's? Wobei ich nicht verstehe, daß er auf der einen Seite mich permanent anfeuert und erwartet, daß ich besser werde, daß er aber auf der anderen Seite ganz seltsam reagiert, wenn ich bei irgendwas besser bin als er. Vielleicht denke ich ja auch zu viel da rein.

Montag, 24. Februar 1997

24. Februar

"Feierst du eigentlich deinen Geburtstag?" fragte Doris. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich schaltete: "Keine Ahnung, das ist doch noch 'ne Weile hin."
"Fünf Tage, mein Lieber, fünf Tage...dann bist du 17."
"Na und? 18 wäre mir lieber."
"Und dann, was würdest du dann machen?"
"Wie machen?"
"Na WAS würdest du machen, wenn du 18 bist?"
Ich gebe zu, ich habe darauf keine wirklich passende Antwort. Meinen Führerschein möchte ich machen, wenn ich 18 bin. Aber was sonst? Ich bin dann noch immer in der Schule. Ok, ich kann dann weggehen, so lange wie ich will. Aber das kann ich eigentlich jetzt schon. Eine eigene Wohnung? Wie soll das gehen? Ich habe doch kein eigenes Geld, jedenfalls keines, was ausreicht, für eine eigene Wohnung. Und ich bin mir sicher, daß Mom und Dad mir garantiert keine eigene Wohnung finanzieren. Sie haben sich ja schon tierisch darüber aufgeregt, als Phil neulich nur andeutete, daß er vielleicht nach der Bundeswehr wieder nach Hamburg ziehen will. So nach dem Motto: "Dafür haben wir hier nicht das Haus gekauft." Wobei, Shit, wenn ich konkret darüber nachdenke, bedeutet das jetzt, daß ich für den Rest meines Lebens in Bergbach bleiben muß? Das kann es doch auch nicht sein! Nils! Ich sehe immer wieder Nils vor mir, wenn ich in die Zukunft gucke. Ob wir zusammen eine Wohnung haben werden? Jeden Tag zusammen sein? Ihn jeden Tag spüren, seinen Geruch auf meiner Haut beim Aufstehen? Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Also was wird mit 18? Ich glaube ich warte es einfach ab!

Zurück zu heute. Das Training mit Werner war gar nicht so wild. Ich meine, es war gut, aber nicht so dramatisch, wie ich befürchtet hatte. Und er hat es wirklich drauf, die Griffe einfach und verständlich zu erklären. Das Ringen macht mir wieder Spaß.

Sonntag, 23. Februar 1997

23. Februar

"Wie geht's dir?"
Normalerweise bin ich total knatschig, wenn mich jemand am frühen Morgen mit dem Telefon weckt. Aber heute war es anders. Es war Nils, der sich nach mir erkundigte. Und sogleich fiel mir wieder die Szene gestern im Zug ein. Es ist schon verrückt! Den ganzen Tag schwebe ich irgendwo: ICH LIEBE IHN!

Samstag, 22. Februar 1997

22. Februar

"Warum willst du denn hier rein?"
"Weil es regnet und ich mich irgendwo einfach nur mal hinsetzen will."
Das stimmte zwar auch, aber der eigentliche Grund, warum ich ausgerechnet in diesen Laden wollte, war ein anderer. Wir waren eine halbe Ewigkeit durch die Innenstadt von Stuttgart getapert, haben ein paar Klamotten gekauft und waren irgendwann zufällig an diesem Café vorbeigekommen. Schon von weitem war mir die Regenbogenfahne aufgefallen, die draußen hing. Ich glaube Boris hat mir irgendwann mal erzählt, daß das das Erkennungszeichen von schwulen Läden ist. Ich war neugierig. Von draußen sah er genau so aus, wie jeder andere Laden und so weit wie man hineingucken konnte auch. Ich weiß nicht, wieso ich plötzlich so übermütig wurde und unbedingt rein wollte. Mein Herz klopfte wie wild, doch meine Neugier war größer.
Wir traten ein. Spontan fiel mir mein erster Besuch in dem schwulen Pornoladen ein. Doch zum Glück war das hier etwas ganz anderes: Ein Café, das sehr ähnlich aussah, wie vorne in der Tofa, ein ganz normaler Laden. Wir steuerten einen Tisch im hinteren Drittel an und setzten uns. So weit so gut. Dann rauschte der Kellner an und ich wäre am liebsten unter den Tisch verkrochen. Eine blondgefärbter Typ der so tuntig sprach als wäre er die absolute Witznummer. Ich glaube ich wurde knallrot als er "uns zwei Hübsche" fragte, was wir denn trinken wollen. Nils rollte mit den Augen und blickte sich um. "Hier sind ja nur Typen drin", flüsterte er mir zu, als hätte er Angst, uns würde jemand hören.
"Ja", war meine einsilbige Antwort. Ich wußte nicht so recht, wohin ich gucken sollte.
"Und die da hinten, küssen sich sogar!" Nils starrte mit offenem Mund zu einem Pärchen, das am anderen Ende des Raumes saß. "Sag mal, sind das hier alles, alles - Schwule?"
"Sieht so aus. Das scheint ein schwules Café zu sein."
"Ein schwules Café? So was gibt es?" Er flüsterte immer noch, so als würden wir einen Bankraub planen. Dann kam wieder der Kellner angewackelt und brachte uns unseren Kaffee. Mit einem "Zum Wohl und viel Spaß", rauschte er von dannen. Kaum war er weg, brach Nils in einen Lachanfall aus und ich konnte nicht anders und mußte mitlachen. Wir bekicherten uns so, daß alle anderen Leute in dem Laden zu uns rüberguckten. Wahrscheinlich hielten sie uns einfach nur für zwei bekloppte Hetero-Jungs. Plötzlich hielt er inne: "Mein Gott, wenn wir auch so werden."
"Das glaube ich nicht. So was ist bestimmt angeboren."
"Du kennst, den Laden." Das war mehr eine Feststellung als eine Frage.
"Nein, ich war noch nie hier. Wirklich nicht. Ich, ich, nun ja, ich habe halt nur die Regenbogen-Fahne draußen gesehen."
"Und was hat das zu bedeuten?"
"Daß das ein schwuler Laden ist."
"Echt?"
Ich nickte.
"Du hättest es mir vorher sagen können."
Ich nickte wieder. Er hatte recht. Ich hatte ihn ziemlich überrumpelt. Aber ich war doch irgendwie froh, daß alles bisher so glimpflich abgegangen war. Wir quatschten eine halbe Ewigkeit und nach einer Weile hörten wir auch auf zu flüstern und sprachen ganz normal. Es schien alle ganz normal, als würden wir in der Tofa oder sonstwo sitzen. Der tuntige Kellner war unwichtig geworden und ich fühlte mich so sicher, daß ich Nils irgendwann einfach küßte. Wir küßten uns. In einem öffentlichen Kaffee, wo es alle sehen konnten. Ok, das ist vielleicht nicht so eine tolle Leistung, weil wahrscheinlich alle Leute um uns herum auch schwul waren. Aber in dem Moment kribbelte es schon ganz doll in meinem Bauch. Und Nils, vor allem Nils schien es nichts auszumachen. Irgendwann gingen wir. Es hatte aufgehört zu regnen und wir sogen die frische Abendluft ein.
"Hat gar nicht wehgetan, oder?"
Nils grinste. Wir taperten in Richtung X1. Doch dann die große Enttäuschung. "Geschlossen bis auf Weiteres", verkündete ein durchnäßter Zettel am Eingang. Wir guckten uns an. "Keine Ahnung", zuckte Nils mit den Schultern. Da standen wir nun und wußten nicht, was wir machen sollten. Schließlich entschlossen wir uns dazu, zurück nach Bergbach zu fahren. Obwohl nicht viel passiert war an diesem Tag, waren wir doch seltsamerweise müde. Wir hatten Glück, daß wir am Bahnhof gleich einen Zug erwischten. Wir ließen uns auf die Sitze fallen. Kaum war der Schaffner vorbei, fiel mir wieder das "Na ihr zwei Hübschen" ein und ich mußte losgackern. Nils gackerte mit und irgendwie lagen wir uns plötzlich in den Armen. Wir saßen ganz allein in dem Wagen und Nils küßte mich. Diesmal hatte ich schon Angst, daß jemand kommen könnte, doch Nils schien es nichts auszumachen. Nicht genug damit, daß er mich küßte, nein irgendwann griff er mir tatsächlich an die Hose und begann meinen Schwanz zu reiben. Ich bekam einen Heidenschreck und wollte etwas sagen. Doch er küßte mich und es war gleichzeitig so toll, daß ich ihn machen ließ. In den Momenten dachte ich an gar nichts mehr, ich schwebte einfach davon. Nils küßte mein Stöhnen weg. Ganz außer Atem sah ich ihn an, sein Gesicht glühte wie meines. "Du bist verrückt", sagte ich kopfschüttelnd und lächelte doch dabei
"Nicht mehr verrückt als du."

Der Zug bremste. Ein letzter Kuß, ein Händedrücken und wir standen auf dem Bahnsteig in Bergbach. Den ganzen Weg bis zu unserer Kreuzung sagten wir nichts, wahrscheinlich schwebte jeder von uns auf seiner eigenen Wolke. Dann der Abschied. Mein Herz ist so voll von Liebe, ich möchte ihn für immer festhalten und nie mehr loslassen. Wenn ich daran denke, was wir gemacht haben, dann wird mir ganz komisch. Wenn jemand in den Wagen gekommen wäre...nein, nicht daran denken, nur daran denken, wie schön es war. Wie schön es immer ist mit Nils.

Freitag, 21. Februar 1997

21. Februar

"Was machen wir denn morgen? Wir haben keinen Wettkampf."
Verwundert guckte ich auf den Plan. Nils hatte recht. Ein Samstag ohne Wettkampf, fast wie ein Wunder. "Ich weiß nicht, wir könnten zum Beispiel irgendwohin fahren. Nach Stuttgart oder Ulm oder sonstsowhin. Ich kenne mich ja hier noch nicht so toll aus." "Stuttgart ist doch ok, wir können ja dann am Abend noch ins X1 gehen." "Aber nur unter der Bedingung, daß weder Silvio noch sein debiler Bruder mitkommt." Nils grinste "Schon klar, von DEN Autofahrten bin ich auch kuriert."

Wir verabredeten uns also für morgen vormittag, um nach Stuttgart zu fahren. Ich weiß eigentlich noch gar nicht so genau, was wir machen wollen, außer eben X1 am Abend. Aber es wird sich ja was ergeben.

Ansonsten habe ich noch eine Weile mit Doris telefoniert und CorelDraw installiert. Aber irgendwie scheint der Rechner zu schwach für das Programm zu sein, denn es geht echt quälend langsam. Jetzt ist es inzwischen auch zu spät, um Max anzurufen und zu fragen. Aber ganz so wild und dringend ist es ja zum Glück nicht.

Donnerstag, 20. Februar 1997

20. Februar

"Jetzt wird er völlig zum Fascho", sagte Max und deutete auf Silvio. Ich finde, das ist eigentlich nur die logische Fortsetzung von seinem bisherigen Verhalten. Jetzt trägt er halt auch noch eine Bomberjacke und Springerstiefel. Ich meine, daß er ein Nazi ist, das war mir sowieso schon von Anfang an klar. Jetzt sieht es jeder. Was mich wundert ist, daß keiner der Lehrer etwas gesagt hat. Wahrscheinlich traut sich keiner.

Max ist in den Pausen nur noch am Rauchen. Es ist tatsächlich so, daß er eine Zigarette ausmacht und gleich die nächste wieder an. Wahrscheinlich tankt er vor, weil er in den Stunden nicht qualmen kann. Aber es ist schon ganz schön strange.

Mittwoch, 19. Februar 1997

19. Februar

"Vielleicht ist ja was dabei, was du gebrauchen kannst." Max schob drückte mir einen Stapel CDs in die Hand. Jetzt habe ich jede Menge neuer Software, wovon ich gar nicht so genau weiß, was ich damit ales machen kann. Wenn ich Zeit habe, werde ich mal gucken und die Sachen installieren.

Dimitri kündigte uns an, daß er ab Montag für zwei Wochen im Urlaub wäre und daß Werner ihn vertritt. Ich weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Auf der einen Seite bin ich ja ganz froh, mal für eine Zeit nicht Dimitris mürrisches Gesicht sehen zu müssen. Auf der anderen Seite weiß ich, daß das Training mit Werner wieder total anstrengend wird.

Dienstag, 18. Februar 1997

18. Februar

"Wer sollte dich denn verfolgen?"
Nils blickte mich ungläubig an, während er die Hantel mit einem lauten Krachen in die Halterung zurückfallen ließ. "Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat er oder sie ja UNS verfolgt." "Mach keine Witze. Das finde ich gar nicht komisch." Ich sah auf einmal so etwas wie Angst in seinen Augen. Na toll, jetzt mußte ICH ihn auch noch beruhigen. Ich, der ihm das eigentlich erzählt hatte, damit er mich beruhigt. "Ich nehme nicht an", begann ich oberlehrerhaft, "daß jemand tatsächlich UNS beobachtet hat. Denn dann wäre es heute schon in der ganzen Schule rum."
"Tim, mach darüber keine Witze, bitte." Nils wurde richtig blaß. Er kam mir auf einmal so hilflos und zerbrechlich vor, daß ich ihn am liebsten in den Arm genommen hätte, um ihn zu beruhigen. Immerhin schaffte ich es, ihn während des Rests des Krafttrainings zu beruhigen.
"Wir können uns nicht immer verstecken", sagte ich zu ihm auf dem Heimweg und kam mir auf einmal so erwachsen vor. "Was willst du denn machen? Willst du zu deinen Eltern gehen, willst du zu MEINEN Eltern gehen und es ihnen sagen? 'Guten Tag Frau Siebert, was ich ihnen schon immer mal erzählen wollte, ihr Sohn ist, er ist...'" Nils stockte. "Ihr Sohn ist schwul", führte ich den Satz zu Ende und ich bemerkte, wie er bei dem Wort zuckte. "Glaubst du denn, das würde ich machen?"
"Nein, natürlich nicht. Aber ich weiß nur einfach nicht, wie es weitergehen soll. Müssen wir uns jetzt für den Rest unseres Lebens verstecken?" Ich blickte ihm in die Augen. Wo war der coole und selbstbewußte Nils geblieben, der immer alles total locker nahm und durch nichts zu erschüttern schien? Ich muß zugeben, daß ich auch keine Antwort auf sein Frage hatte. Aber ich habe mir, wenn ich ehrlich bin, auch noch nie ernsthaft darüber Gedanken gemacht. "Warten wir einfach ab", sagte ich. Ok, ich gebe zu, diese Möglichkeit ist nicht besonders einfallsreich, aber eine bessere Idee hatte ich auch nicht. Nils seufzte und ich nahm ihn in den Arm: "Wir haben doch uns. Das ist doch das Wichtigste. Wir brauchen die anderen nicht, was hat sie das anzugehen. Sie werden es nie erfahren." Er drückte mich: "Laß mich bitte nicht allein. Laß mich bitte niemals allein." Er hatte Tränen in den Augen. Ich drückte seine Hand. Ich brauchte nichts zu sagen. Wir verstanden uns auch so.

Montag, 17. Februar 1997

17. Februar

"Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?" fragte mich Mom beim Frühstück. Ich guckte sie gequält an. "Keine Ahnung", meinte ich, "das ist ja noch so lange hin." "Lange? Noch nicht mal zwei Wochen." Ich habe echt keine Ahnung. Und überhaupt finde ich es ziemlich unspannend 17 zu werden. Ich meine 18 wäre ja was anderes, aber so. Naja und deshalb habe ich das natürlich aus meinem Kopf verdrängt.

Beim Training war heute Videoanalyse vom Wettkampf vom Samstag angesagt. Was eine ziemliche Blamage war, weil Dimitri überhaupt nichts zu meinem Kampf gesagt hat sondern nur einfach wortlos vorgespult hat. Als das Training zu Ende war, saß ich auf der Matte und war in Gedanken irgendwo. Ich kann gar nicht sagen, wo ich wirklich war, es ging mir eigentlich gar nichts durch den Kopf. Plötzlich sprach mich jemand von hinten an: "Na, wie ist es dir ergangen in den letzten Monaten?" "Nicht sonderlich gut. Ich verliere." "Was hast du erwartet?" "Gar nichts. Ich wollte schließlich nicht in die Mannschaft. Anscheinend sind aber alle anderen Leute der Meinung, daß ich da reingehöre." "Und warum gehst du dann nicht einfach? Ich meine, warum bist du noch hier, warum ringst du überhaupt noch?" Ich guckte ihn verblüfft an. Ich konnte nichts in seinem Gesicht lesen. War das ein Scherz? War das eine Aufforderung, tatsächlich zu gehen? "Ich habe keine Ahnung." "Warum?" fragte er mit unbewegten Gesichtsausdruck. "Ich weiß es echt nicht. Ich meine, es macht Spaß, ja, es macht Spaß, mehr aber auch nicht", ich redete mich richtig in Wut, "es kann doch verdammt nochmal nicht jeder ein Olympiaringer werden!" "Sicherlich nicht. Aber wenn man so eine Sportart wie Ringen betreibt, dann sollte man sie auch mit Leib und Seele machen. Oder willst du vielleicht nur jemanden damit beeindrucken, daß du ringst?" Na toll, wie auf Stichwort kam Nils aus der Umkleide: "Tim, wo bleibst du denn?" Dann sah er Werner, grinste und verschwand. "Wen soll ich den bitteschön beeindrucken? Meine Familie findet diesen Sport total abartig." "Ich weiß nicht, vielleicht gibt es ja ein Mädchen bei dir in der Schule." "Es gibt verdammt nochmal kein Mädchen, das ich beeindrucken will, damit das klar ist!" Ich schrie und Werner grinste nur: "Schon gut, schon gut." Ich kam mir so albern vor. Wie ein kleiner Schuljunge, der wegen irgendeiner Sache verhört wurde. Warum muß ich mich denn überhaupt rechtfertigen? "Zeige mir mal, was du gelernt hast", mit diesem Worten kam er auf mich zu. Nein, nicht schon wieder. Das hatten wir doch schon mal. Er griff an und ich hatte natürlich nicht die Spur einer Chance. Aber ich kämpfte. So ganz ohne Gegenwehr wollte ich nicht aufgeben. Ich blockte, klemmte ab, duckte mich, machte mich so flach wie es ging. Ich weiß nicht wie sehr er mit mir spielte, aber es dauerte eine ganze Weile, bis er mich schließlich geschultert hatte. Ich war völlig fertig und außer Atem, er war frisch als käme er gerade von sonstwo. "Nun ja, immerhin besser als noch vor einem halben Jahr. Aber was dir fehlt ist der Wille, zu gewinnen. Du kannst doch so toll explodieren und rumschreien. Warum kannst du diese Energie nicht zum Kämpfen einsetzen? Ich denke mal, du hast immer noch Angst." Was wußte dieser Typ schon von meiner Angst? Ich habe keine Angst mehr, ich habe allen möglichen Leuten erzählt, daß ich schwul bin, ich habe einen Freund. Ich habe keine Angst. Vor gar nichts. Mit einem "Denke mal darüber nach", entließ er mich und ich taperte zur Umkleide. Dort saß Nils und fummelte an seinem Walkman rum, die anderen waren alle schon weg. "Na? Einzelstunde bekommen?" "Ach vergiß es. Eine Runde Psychotraining für den armen, kleinen, dummen Tim." "Manchmal braucht man so was." Ich finde es ja irgendwie ganz toll, daß anscheinend alle Welt so um mein Wohlergehen besorgt ist, aber ich bin sicher, ich schaffe es ganz alleine. So wie ich bisher auch alles ganz alleine geschafft habe. "Gehen wir noch zu McDonald's?" fragte ich, um das Thema zu wechseln. "Oh, du weißt doch, das ist ein absolutes No-No", antworte Nils grinsend, "wenn das Dimitri mitkriegt." "Das ist mir so was schon scheißegal!" Und das war noch nicht mal gelogen. Also stopften wir uns mit Cheeseburger, Pommes und Milchshakes zu, bis wir pappsatt waren. Der Weg nach Hause war eine einzige Schneeballschlacht bis wir uns schließlich an unsere Kreuzung in den Armen lagen. Nils' Gesicht glühte. "Bis morgen, mein Schatz", ich küßte ihn auf die Stirn und sah ihm nach, bis er um die Ecke gebogen war. Ich ging ein paar Schritte, als mir plötzlich so war, als hätte ich was gehört. Ich drehte mich um. War das ein Schatten, der hinter mir im Torbogen verschwand? Ich ging zurück aber ich sah niemanden. Ich beschloß, daß ich wahrscheinlich unter Verfolgungswahn leide. Der Schatten tauchte jedenfalls nicht mehr auf.

Sonntag, 16. Februar 1997

16. Februar

"Bist du denn völlig irre?" Doris schüttelte den Kopf. Ich war zu ihr gelaufen oder besser gejoggt. Einfach so. Mir war so danach. Ich wollte sehen, wie weit ich gehen konnte und als ich den Hof erreichte ging es mir noch erstaunlich gut. "Du siehst total erforen aus", meinte sie und goß mir heißen Tee ein. Erst allmählich merkte ich, wie kalt es tatsächlich gewesen sein mußte. Dafür sah Doris gut aus. Aber sie erzählte mir, daß sie auf jeden Fall noch bis zur Geburt krankgeschrieben sei. "Dann kannst du das Semester wohl völlig vergessen, was?" Sie nickte: "Wahrscheinlich."

Ich guckte sie an. In dem Augenblick ging mir im Kopf herum, was alles in dem letzten Jahr passiert war. Wieviele neue Leute ich kennengelernt hatte, was für neue Situationen und Erfahrungen ich mitgemacht habe. Tatsächlich, noch vor einem Jahr saß ich in Hamburg in meinem Zimmer und packte mit Tassi zusammen Umzugskisten. "Da ist doch bestimmt total tote Hose", hatte er gelästert und meinte Bergbach. Er hatte recht und irgendwie doch nicht. Wenn ich mir überlege, was alles passiert ist. Es ist kaum etwas so geblieben, wie es vorher war. Kunststück, es sind ja auch alles neue Leute, eine neue Schule, eine neue Stadt. Bin ich auch neu? Ich weiß es nicht. Und ich will auch gar nicht darüber nachdenken.

Doris' Vater brachte mich nach Hause. Es war dunkel geworden und sie war kurz davor einen Schreikrampf zu kriegen, als ich ihr erklärte, ich würde jetzt nach Hause joggen. Und da ich die Schwangere nicht unnötig aufregen wollte, stimmte ich zu, daß mich ihr Vater mit dem Auto nach Hause bringt. Während der Fahrt redete er unablässig über Doris und das Baby. Ich glaube er ist mächtig stolz darauf, mit 40 schon Opa zu werden.

Samstag, 15. Februar 1997

15. Februar

"Es geht mir schon wieder ganz gut. Ich darf sogar schon frei rumlaufen", kicherte Doris am Telefon. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hatte ein richtig schlechtes Gewissen, aber sie scheint es nicht so eng zu sehen. Ich erzählte ihr vom Bogy und sie lachte wenigstens nicht.

Am Abend wieder Wettkampf. Und Tim Berger war wieder der Depp. Haushoch verloren. Mein Gegner war der absolute Crack, so daß ich überhaupt keine Chance hatte. Null Punkte, Niederlage wegen technischer Überlegenheit. Ich sah Nils an. Der war nicht mal mehr traurig sondern nur noch sauer, das erkannte ich an seinem Gesicht. Verdammt nochmal, was soll ich denn machen? Ich glaube ich werde Dimitri bitten, mich aus der Mannschaft zu nehmen. Das bringt doch sowieso nichts, wenn ich immer nur verliere.

Auf dem Heimweg gingen Nils und ich schweigend nebeneinander her. Was sollte ich nur sagen? Sollte ich mich entschuldigen? Aber wofür? Ich hatte mein Bestes gegeben, was kann ich dafür, daß alle anderen seit Jahren nichts anderes machen als zu ringen und nur ich der totale Anfänger bin. Warum bin ich auch in der Mannschaft? Plötzlich, aus heiterem Himmel murmelte Nils: "Vielleicht war es ein Fehler." "Was meinst du?" "Dich schon so früh in die Mannschaft zu nehmen." "Ich glaube auch." Er blieb abrupt stehen und guckte mir in die Augen. "Ich dachte, es bringt dich weiter." "Vielleicht bringt es mich ja weiter, aber ganz bestimmt nicht die Mannschaft. Wie soll ich denn so gut sein, wie jemand, der seit fünf oder zehn Jahren ringt?" "Du hast ja recht, aber...", ihm schien nichts Gescheites einzufallen, was er hätte sagen können. Wir guckten uns lange an. Schließlich lagen wir uns in den Armen und hielten uns ganz fest. "Ich hab dich lieb", flüsterte er in mein Ohr. Und als Antwort gab ich ihm einen langen Kuß.

Freitag, 14. Februar 1997

14. Februar

"Ich sehe schon, das ist nichts für dich."
Heute war Plänefalten angesagt und ich habe mich selten dusselig angestellt. Wobei ich auch nicht verstehe, warum man Grundrisse falten muß, wenn es doch praktischer ist, sie einfach nur zu rollen. Nun ja, weil ich nichts falsch machen wollte, war ich entsprechend langsam. So langsam, daß die anderen es dann schließlich selber gemacht haben. Den Rest des Tages habe ich neben Jürgen am PC verbracht und ihm Maße angesagt und er hat mir ein paar Sachen zum Thema Statik erklärt. Das war zwar ziemlich interessant, aber ich habe das Wenigste davon behalten. Aber trotzdem fand ich die ganze Woche schon recht spannend und Jürgen meinte, wenn ich mal wieder ein Praktikum machen will, kann ich jederzeit wiederkommen.

Am Abend war ich dann noch mit Nils im Kino und hinterher noch in der Tofa. Erst jetzt, wo ich wieder zu Hause bin, fällt mir siedendheiß ein, daß ich mich ja die ganze Woche nicht bei Doris gemeldet habe. Shit, jetzt ist es sicherlich zu spät dafür, aber ich mache es morgen.

Donnerstag, 13. Februar 1997

13. Februar

"So, und jetzt du!"
Jürgen hatte mich vor einen freien PC gesetzt und mir mit ein paar Sätzen erklärt, wie das Programm funktioniert. "Und nun", meinte er "zeichne mal ein kleines Wohnhaus." Da saß ich nun und wußte nicht so recht, was ich machen sollte. Ein Wohnhaus zeichnen. Was denn für eines? Und überhaupt, wer sollte da drin wohnen? Ich fing an und kämpfte erst mal mit dem Programm. Nach einer Stunde hatte ich wenigstens ein paar Funktionen kapiert und geschnallt, wie man Wände, Fenster und Türen einbaut und wieder abreißt. Dann fing ich mit dem Entwurf an. Das Badezimmer wurde riesig, genauso wie das Schlafzimmer. Dafür gab es nur eine Winzküche. Nach einigem Hin und Her war ich ganz zufrieden mit meinem Entwurf. Jürgen schaute herein und grinste: "Abgesehen davon, daß wir das so nie durch das Bauamt bekommen ist es eine recht nette Idee." Das fand ich auch, vor allem meine 5-Meter-Fensterfront im Bad. Mit ein paar raschen Clicks veränderte er diversen Wandstärken und Türanschläge ("Sonst bricht das Haus beim nächsten Sturm zusammen") und fügte die Bemaßungen ein. Schließlich ließ er es plotten und jetzt hängt über meinem Bett mein erster richtig professioneller Grundriß.
Ich stelle mir vor, wie ich mit Nils darin wohne. Irgendwann einmal, in ein paar Jahren.

Mittwoch, 12. Februar 1997

12. Februar

"Und jetzt noch das letzte Stockwerk", sagte Jürgen und wir kraxelten über eine rohe Betontreppe ohne Geländer eine Etage höher. Heute waren wir auf einer Baustelle und haben alle möglichen Räume vermessen. Das heißt Jürgen hat gemessen, während ich notierte. Ich finde es schon irgendwie spannend, was man alles messen kann. Also nicht nur Breite, Länge und Höhe. Nein jeder Winkel, jede Ecke, die Dicke der Wände. Er meint, daß muß alles kontrolliert werden, ob es denn auch mit den Plänen übereinstimmt. Eigentlich hat es sogar Spaß gemacht, wenn es nur nicht so kalt gewesen wäre in dem Rohbau. So war ich denn doch ganz glücklich, als wir fertig waren und wieder im warmen Auto saßen.

Nils lacht nicht mehr über meinen "Job" sondern ist nur noch am Abkotzen über seine Stelle. Ich bin ein bißchen schadenfroh.

Statt mit den Anderen mitzutrainieren, durfte oder besser mußte ich heute eine der Kindergruppen trainieren, weil deren Trainer ausgefallen war. Mir wurde sehr schnell klar, warum sich dafür niemand freiwillig meldete, als Dimitri fragte. Daraufhin bestimmte er mich. Bevor ich anfing dachte ich, daß das gar nicht so schlimm wäre. Na toll. Jetzt verstehe ich endlich, was man mit dem Sprichwort von dem Sack Flöhe meint. Ich war wirklich so verzweifelt, daß ich am Schluß nur noch rumgeschrieen habe. Anders waren die aber auch nicht zu bändigen. Ich überlege, ob ich auch so schlimm in dem Alter war, aber seltsamerweise kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Jedenfalls habe ich für mich beschlossen, daß ich das nie wieder machen werde!

Dienstag, 11. Februar 1997

11. Februar

"Ich schmeiß mich weg!"
Nils bekam einen Lachanfall und das nur weil ich ihm gesagt habe, daß ich ja vielleicht irgendwas mit Architektur machen will nach dem Abi. "Was gibt's denn da zu lachen?" wollte ich wissen. Ich war ziemlich verärgert über seine Reaktion. "Was willst du machen? Abgedrehte Hochhäuser entwerfen, oder doch lieber kleine Reihenhäuser?" Mir lag eine boshafte Bemerkung auf der Zunge, die ich aber dann doch runterschluckte. Ich schwieg und schmollte, bis er mir einen freundschaftlichen Buff auf den Oberarm gab. Shit, ich konnte ihm einfach nicht böse sein. Es entwickelte sich eine kleine Rangelei, was einen der anwesenden Trainer schleunigst zum Eingreifen veranlaßte. "Geht rüber in die Halle", schrie er uns an. Aber dazu hatten wir nun auch keine Lust.

Montag, 10. Februar 1997

10. Februar

"So früh legen wir noch nicht los."
Ich habe eine geschlagene Stunde vor der Tür gewartet, weil ich felsenfest davon überzeugt war, es würde um neun Uhr losgehen. War aber nicht, um kurz vor Zehn kam endlich jemand. Zu Anfang stand ich ziemlich blöde rum und wußte gar nicht, was ich machen sollte. Ich hatte das Gefühl, überall im Weg zu stehen, bis endlich der Chef kam, mit dem ich das alles vorher klargemacht hatte. Er nahm mich mit in sein Büro und meinte, ich soll erstmal zugucken, was er so macht. Das war nicht ganz so spannend. Er verkabelte sein Notebook mit dem Computer, dröselte etwas an einigen Zeichnungen rum und begann zu drucken. Oder zu plotten, wie er das nannte. Ein total cooles Teil, sieht aus wie eine Bügelmaschine mit einer Tapetenrolle drin und druckt riesige Grundrisse. Was ich ganz interessant fand. Der Rest des Tages bestand darin, daß ich jede Menge Grundrisse in Papprollen stecken durfte. Naja auch nicht so spannend. Aber was habe ich erwartet. Ich werde ja nun nicht gleich am ersten Tag ein Hochhaus entwerfen. Um Vier konnte ich dann gehen und hatte darum Mühe überhaupt noch rechtzeitig zum Training zu kommen.

Nils ist von seiner Bogy-Stelle wohl total gefrustet. Was ich ihm eigentlich auch vorher hätte sagen können. Was soll man auch bei der Bundesbahn Spannendes erfahren können? "Zum Glück", meinte er, ist es ja nur eine Woche." Aber ich finde es gar nicht schlecht, mal eine Woche lang etwas anderes als diesen ewigen gleichen Schultrott zu erleben.

Sonntag, 9. Februar 1997

9. Februar

"Du kriegst Haare am Bauchnabel", flüsterte Nils und kitzelte mich mit seiner Zunge. "Ich habe gehört, das ist so, wenn man erwachsen wird", gluckste ich. Es war eine traumhafte Nacht. Eine Nils-Nacht. Das klingt vielleicht komisch, aber wenn ich so mit ihm zusammen bin, vergesse ich alles. Ich schwebe nur noch und ich bin so voll von Liebe für ihn, daß ich platzen könnte. Ich möchte ihn einfach nur noch festhalten und nie mehr loslassen. Wir taperten in die Küche und veranstalteten ein Chaos-Frühstück. Wenn ich es mir recht überlege, geht es mir eigentlich doch wirklich total gut. Wir küßten uns lange zum Abschied und wollten gar nicht mehr aufhören. Auf dem Weg nach Hause, war es so, als schwebte ich durch die Gegend.

Zu Hause war niemand. "Sind in Stuttgart" stand auf einem Zettel der in der Diele lag. Auch gut, dachte ich und legte mich auf mein Bett. Wie wird es weitergehen? Werden wir es irgendwann jemandem sagen? Können wir immer Versteck spielen? Jeder für sich und eigentlich nur heimlich zusammen sein? Was passiert, wenn wir mit der Schule fertig sind? Können wir einfach so zusammenziehen? Eigentlich will ich mir im Augenblick darüber gar keine Gedanken machen. Ich weiß nur, daß ich ihn liebe, daß ich für immer bei ihm bleiben will.

Samstag, 8. Februar 1997

8. Februar

"Wo warst du denn gestern? Ich habe versucht, dich anzurufen." "Nicht da." "Ach was, das habe ich auch gemerkt." "Ich dachte du wolltest mit deinem Dad die Garage aufräumen." "Haben wir ja auch, aber das ist ja nun keine abendfüllende Session." "Aha. Und was wolltest du denn machen?" "Keine Ahnung, in die Tofa oder ins Kino oder irgendwas." "Na dann gehen wir heute", sagte ich und war ganz stolz darauf, so elegant das peinliche Thema abgebogen zu haben. "Heute, mein Schatz, heute gehen wir hinterher zu mir." "Oh, habe ich was verpaßt?" "Nö, meine Eltern sind nach Würzburg gefahren zu meiner Tante und kommen vor morgen nicht zurück." Ich hätte ihn dafür umarmen können, doch das ging in dem Moment nicht, denn wir waren vor der Halle angekommen.

Vielleicht war es die Vorfreude, vielleicht war es mein allgemeiner Durcheinanderzustand. Jedenfalls habe ich heute miserabel gekämpft und haushoch verloren. "Die einfachsten Sachen, die einfachsten Sachen", murmelte Dimitri vor sich hin, als ich die Matte verließ. Nils saß da, mit verschränkten Armen und heruntergezogenen Mundwinkeln. Na toll. Zum Glück besserte sich seine Laune. Shit, eigentlich, wäre es ja toll gewesen, direkt nach dem Wettkampf mit ihm mitzugehen, aber erstens wollte ich mir frische Sachen holen und zweitens mußte ich zu Hause erstmal Bescheid sagen, daß ich die Nacht über nicht da bin. "Du bist ja sowieso nur noch zum Wäschwechseln hier", meinte Mom säuerlich. Auf so eine Diskussion hatte ich ja nun gerade Lust. Verdammt noch mal, da wartet der Junge meiner Träume auf mich, mein Freund! Ich könnte so glücklich sein, wenn nicht diese ständigen Vorwürfe wären, diese fragenden Blicke, dieser blöden Rechtfertigungen. Ich ließ sie, ohne etwas zu sagen stehen. Ich wollte mir den Abend nicht verderben. Deshalb höre ich jetzt auch auf mit dem Schreiben und mache mich auf den Weg zu Nils.

Freitag, 7. Februar 1997

7. Februar

"Ich habe versprochen, meinem Vater heute beim Aufräumen der Garage zu helfen", sagte Nils ungefragt, ganz so, als wollte er sich entschuldigen, daß wir uns heute nicht sehen können. Wenn ich ehrlich bin, dann war ich sogar froh, daß er beschäftigt war, so brauchte ich ihn nicht anzulügen. So eine Scheiße aber auch, aber was wäre denn, wenn ich ihm sagen würde, daß ich mich mit Markus treffe? Er würde doch nur wieder ausrasten. Also besser, er weiß es gar nicht.

Den ganzen Weg zu Markus, spielte ich mit dem Gedanken wieder umzukehren. Einfach nicht hinzugehen. Peng, aus und fertig. Ich tat es nicht. Naja und da stand ich wieder in Markus' Zimmer. Und es sah noch genauso aus wie das letzte Mal. "Hast du eigentlich mal vor, die Kisten auszupacken?" fragte ich amüsiert. "Wieso denn, kommt doch voll cool so." Anscheinend gehen unsere Ideen darüber, was cool ist oder nicht, so ziemlich auseinander. Wir quatschten über allen möglichen Krempel und mir wurde ganz langsam klar, warum er tatsächlich versuchte, sich mit mir anzufreunden. Er war total alleine. Er hat zu niemandem hier sonst Kontakt. Weder in der Klasse oder sonstwie in die Schule oder anderswo. "Die sind hier alle so deppert", meinte er ein paarmal. Ich konnte ihm ja bei den meisten Leuten zustimmen, wenn auch nicht bei allen. "Und die Mädchen sind auch so langweilig, bis auf Melanie." "Die? Die springt doch mit jedem ins Bett", platzte es aus mir heraus. Ich weiß auch nicht wieso, aber vielleicht war ich so aufgedreht, weil ich merkte, daß er wohl doch nicht schwul ist. "Echt? Und wie ist sie?" "ICH hatte sie noch nicht." "Und wieso nicht?" "Ach komm, laß mich doch mit der in Ruhe." "Stimmt ja, du bist ja mit Miriam zusammen." Ich sagte gar nichts und studierte die Faltanleitung der Umzugskartons. Wenn er annehmen wollte, daß ich mit ihr zusammen bin, dann sollte er das von mir aus denken. Ich sah keinen Grund, die Sache richtigzustellen. Dann fragte er mich noch nach ein paar anderen Mädels aus. Ich gab recht bereitwillig Auskunft. Tim das wandelnde Auskunftsbüro für einsame Heterojungs, die Anschluß suchen. Er kramte in einem seiner Umzugskartons und holte eine kleine Alufolienkugel hervor. "Willst du auch?" Ich schüttelte den Kopf. "Kriegen deine Eltern das nicht mit?" "I wo, die kommen kaum in mein Zimmer", meinte er und machte das Fenster auf. Na toll, draußen sind Minusgrade und innerhalb von kürzester Zeit werden wir hier erfroren sein, nur weil Markus einen Joint rauchen will. Naja das Ganze gestaltete sich dann ziemlich umständlich mit seinem kaputten Arm. Der Geruch stieg mir in die Nase und mir wurde übel. Ich griff meine Jacke, zog sie mir über und stellte mich ans Fenster. Als ich ihn da so sitzen sah, tat er mir fast leid. Mr. Obercool, keine Freunde, keine Clique. Mir wurde kalt, trotz Jacke. Markus schnippte die Kippe aus dem Fenster. "Ich muß los", sagte ich. Er nickte. "Übrigens", ich drehte mich noch mal um, bevor ich sein Zimmer verließ, "Miriam ist zu haben. Ich bin nicht mehr mit ihr zusammen."

Erst auf der Straße fiel mir ein, was falsch war. Das Wörtchen 'mehr' stimmte nicht, aber ich beschloß, daß dieser kleine Versprecher nicht so schlimm war.

Donnerstag, 6. Februar 1997

6. Februar

"Willst du nicht mal wieder vorbeikommen?" Ich biß mir auf die Zunge, fast hätte ich nämlich 'wieso' gefragt. Ich guckte Markus an, aber da war nichts in seinen Augen, was ich deuten konnte. "Ich bin fast die ganze Woche beim Training." "Und was heißt 'fast'?" "Naja, bis auf Freitag", verplapperte ich mich. "Na super, das ist doch voll ok."
Da stand ich und kam mir so was von dusselig vor. Zack, über den Tisch gezogen, reingelegt. Was um alles in der Welt, will dieser Typ von mir? Plötzlich will er zu einem Wettkampf kommen, obwohl er noch vor ein paar Wochen gesagt hat, wie uncool er Ringen findet? Verdammt, was mache ich denn nur, wenn er tatsächlich auch schwul ist? Ich weiß es nicht. Ich versuche den Gedanken daran wegzuschieben, aber es klappt nicht. Verdammt noch mal, was mache ich mir eigentlich für Probleme? Ja und wenn er schwul ist, na und. Dann werde ich ihm sagen: 'Tut mir leid, aber ich habe schon einen Freund.' Das würde ich sagen? Ich bin doch nicht bekloppt, hier in der Schule? Vielleicht ist das ja auch nur eine Falle? Vielleicht sollte ich einfach sagen, daß ich gar nicht schwul bin? Oh Shit, das wäre schon wieder eine Lüge. Wie weit darf man denn beim Lügen gehen? Ich stelle mir gerade vor, wie es wäre, wenn die anderen in der Klasse, im Verein wüßten, daß ich schwul bin. Das heißt, eigentlich kann ich es mir nicht vorstellen. Kenne ich jemanden, von dem alle wissen, daß er schwul ist? Nein! Ok, dieser Maik, aber der zählt nicht. Ich meine hier in Bergbach oder am Gysue? Nein! Na also, das wird schon seinen Grund haben. Ich glaube, das wäre der totale Selbstmord, bei den abartigen Sprüchen, die die Leute über Schwule machen.

Mittwoch, 5. Februar 1997

5. Februar

"Habt ihr nicht auch mal Wettkämpfe beim Ringen?" Ich guckte Markus verdattert an: "Natürlich", stotterte ich. "Kann man sich das mal angucken?" Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen war. Ich weiß nur, daß meine Gedanken völlig durcheinander rasten und Markus irgendwann ziemlich laut "Tim!" rief. "Ja, natürlich kann man sich das angucken. Aber das findest du bestimmt langweilig, so als Außenstehender." Ich versuchte möglichst belanglos zu klingen, bloß nicht überheblich. "Na wenn du meinst." Mir fiel ein Stein vom Herzen. "Aber ich werde mir das trotzdem mal angucken." Rumms, der nächste Stein drückte mein Herz platt. Was wolte dieser niedliche aber obercoole Skater beim einem Ringkampf? Bei einem Ringkampf wo ICH auf der Matte stand. Halbnackt? "Wir haben Auswärtskämpfe, die ganzen nächsten Monate", log ich das Blaue vom Himmel. "Schade, naja, vielleicht sagst du mir einfach mal Bescheid, wenn ihr wieder mal einen Kampf hier habt." Ich nickte. Ich wurde nicht rot. Meine Nase wuchs nicht. Und das alles, obwohl ich log. Shit, ich bin in der letzten Zeit, seit ich weiß, daß ich schwul bin, so ein abgebrühter Lügner geworden und ich habe Angst, daß es immer schlimmer wird. Mein ganzes Leben ist ein einziges Theaterspielen, eine einzige Lüge, ein Doppelleben mit Kulissen. Seht her, der coole Tim, der immer alles im Griff hat. Dem die Mädels nachlaufen, der Tim, den nichts erschüttern kann. Der Tim, der heimlich in Hauseingängen Jungs küßt, der Tim, der sich nach jeder Minute mit seinem Schatz sehnt, nach jeder Berührung, nach jedem Blick. Der Tim, der die ganze Welt vergißt, wenn er in Nils' Armen liegt, keuchend und schwitzend von der Lust, die doch keiner außer ihnen zu verstehen scheint. Ich merke, daß ich eine Mauer errichtet habe. Eine Mauer zwischen meinen beiden Welten. Niemand darf von der einen Seite auf die andere schauen. Jede Welt lebt für sich. Allein. Isoliert.

Montag, 3. Februar 1997

3. Februar

"Kann ich mich neben dich setzen, so lange, wie Doris nicht hier ist?"
Ich guckte auf. Vor mir stand Markus und lächelte mich an. Er LÄCHELTE! Ich habe noch nie einen Skater lächeln gesehen. Ich war völlig verdattert und nickte nur. Es dauerte einen Moment, bis ich bemerkte, daß er seinen linken Arm im Gips hatte. "Berufsunfall", meinte er, "so was passiert halt mal." Ich konnte mir denken, woher er das hatte. Nils machte ein total komisches Gesicht als er in die Klasse kam und sah, daß Markus neben mir sitzt. Ich wollte es ihm eigentlich erklären, aber es ging den ganzen Tag nicht, weil ständig irgendwelche Leute um uns herum waren. Dafür hatte ich ihn heute als Trainingspartner. Und er war unerbittlich. Als er irgendwann auf mir drauflag und mich so fest im Griff hatte, daß ich kaum noch atmen konnte, fragte er: "Warum sitzt Markus jetzt neben dir?" Ich dachte ich höre nicht richtig. Ich meine, da liege ich auf der Matte, kann mich kaum bewegen und Nils hat nichts Besseres zu tun, als mich nach Markus zu fragen. "Er hat mich gefragt", war alles, was ich in dieser Situation hervorbringen konnte. Mehr ging nicht. Dimitri pfiff. Nächste Übung, nächster Griff. Ich hatte gegen Nils keine Chance. Jetzt befand ich mich kopfüber auf der Matte: "Und wie geht das jetzt weiter?" Er zog seinen Griff noch fester. Verdammt noch mal, was wollte er? Ich bekam in diesem Moment richtig Angst vor ihm. Zum Glück pfiff Dimitri ab. Ich blickte Nils in die Augen und wurde nicht schlau aus ihm. Zum Kuckuck noch mal, das konnte doch so nicht weitergehen. Ich zog ihn von den anderen weg in den Geräteraum. "Was verdammt noch mal soll denn das?" "Was soll was?" fragte er mit unschuldigem Gesicht. "Du weißt sehr gut, was ich meine. Die Sache eben. Da ist nichts mit Markus. Ist das so schwer so verstehen?" "Schrei nicht so." Er guckte sich ängstlich um. "Ich finde es nur seltsam." "Seltsam? Der Einzige, der sich hier seltsam benimmt, bist du." Ich war stinksauer. Und es passierte etwas, mit dem ich nie gerechnet hatte. Nils senkte seinen Kopf und brummelte irgendwas von "Entschuldigung". Dabei stubste er seinen Kopf an meine Brust. Ganz so wie ein kleines Kätzchen. Wie gerne hätte ich ihn in diesem Moment umarmt. Doch das ging natürlich nicht, denn genau in dem Moment kam einer von der E-Jugend vorbei und wollte den Dummy holen. "Verpiß dich", zischte ich ihm zu, doch das schien er nicht mitbekommen zu haben, denn er wühlte fröhlich im Geräteraum rum. Wir taperten zurück zu den anderen, wo und Dimitri schon erwartete: "Na, haben die Herren ihren Kriegsrat beendet?" "Ja, und Tim wird jetzt um drei Klassen besser ringen als zuvor, nicht wahr Tim?!" Ich nickte mechanisch und hätte ihm am liebsten sofort den Hals umgedreht.
Der Abschied von Nils fällt mir immer schwerer. Ich würde ihn am liebsten gar nicht mehr loslassen. Ich möchte für ewig seine Lippen spüren, seine Finger, wie sie sanft über meinen Nacken streichen. Einfach die Augenblick einfrieren. Für immer und ewig festhalten. Doch es geht nicht. Wann haben wir das letzte Mal miteinander geschlafen? Ich weiß es nicht, es muß eine halbe Ewigkeit her sein. Und ich habe solche Lust auf ihn.

Sonntag, 2. Februar 1997

2. Februar

"Meine Güte, du riechst aber nach Knoblauch." Doris verzog das Gesicht. Ich bin zu ihr gefahren, um sie zu besuchen. Sie sieht eigentlich ganz gut wiederhergestellt aus. Aber sie ist auf jeden Fall noch weiter krankgeschrieben und braucht nicht zur Schule. Beneidenswert. Auf dem Rückweg fing es an zu schneien. Und dann auch noch so doll, daß ich nicht mehr weiter fahren konnte und absteigen und schieben mußte. Trotz des Wetters machte ich einen Umweg zu Nils. Aber er war nicht da, alles war dunkel. Trotzdem klingelte ich, ich klopfte, dachte ich könnte ihn sop herbeizaubern, was natürlich der absolute Unsinn war. Wo er sich nur wieder rumtreibt? So wie ich ihn kenne, ist er im Kraftraum und trainiert vor sich hin.

Zu Hause die alte Leier: "Wie siehst du denn aus, du bist ja total naß". Als wenn ich das nicht selber merken würde. "Zieh deine Sachen aus!" "Ja." "Du machst ja sonst alles naß." "Ja."

Manchmal ist es einfach besser gar nichts weiter zu sagen. Man erspart sich eine Menge Diskussionen und nerviges Gerede. Ich habe ein bißchen am Computer gespielt aber letztlich war es eh nur langweilig. Eigentlich habe ich zu nichts Lust. Doch, eigentlich habe ich Lust auf Sex. Auf Sex mit Nils. Aber den Gedanken muß ich beiseite schieben, weil er erstens nicht da ist und zweitens, wo um alles in der Welt sollen wir es machen? Ständig hocken irgendwelche anderen Leute um uns herum. Shit, warum jammere ich eigentlich. Ich gucke raus wie die Schneeflocken langsam an meinem Fenster vorbeischweben. Eigentlich, denke ich, eigentlich geht es mir doch ganz gut. Ich habe einen Jungen, einen Freund, den ich liebe. Ich habe Nils. Daß wir uns nicht immer sehen können und nicht immer das machen können, was wir wollen wird auch irgendwann anders werden. Also, warum jammere ich?

Samstag, 1. Februar 1997

1. Februar

"Eine Rolle, eine Rolle!" Nils' Stimme drang wie durch Watte an mein Ohr. Dabei hatte alles doch so leicht begonnen. Ein Heimkampf. Kein nerviges Busgefahre, keine fremden Hallen mit muffigen Umkleiden. Nein, unsere große Halle, alles vertraut. Heimvorteil sicherer Boden. Und der Junge, gegen den ich kämpfte sollte doch auch kein Problem sein. Gut einen Kopf kleiner als ich, so daß ich mich wunderte, daß er überhaupt in der gleichen Gewichtsklasse antrat. Es ging auch alles ganz gut, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich irgendeinen dummen Fehler gemacht haben mußte, und er es schaffte, mich auszuheben und punktemäßig gleichzog. Auf einmal hatte ich überhaupt keine Lust mehr zu kämpfen. Alles kam mir so total albern und lächerlich vor. Ich war zwar wieder in der Oberlage aber wußte nicht, was ich machen sollte. Von irgendwoher hörte ich Nils' Stimme. Eine Rolle. Und sie klappte sogar. Punkte für mich. Sie klappte sogar ein zweites Mal. Keine Punkte mehr. Aber das hatte meinen Gegner offenbar demoralisiert. Ich schaffte es, ihn nach vorne überzukippen. Noch ein Punkt. Bis zum Schlußpfiff passierte dann nichts mehr, aber ich hate wenigstens knapp gewonnen. Handshake. Für einen kurzen Augenblick sah ich ihn die Augen des Jungen und stellte mit Erschrecken fest, daß er total niedlich aussah. Zum Glück hatte ich das vorher nicht bemerkt. Ich glaube, ich hätte haushoch verloren. Nils erwartete mich in meiner Ecke. Immer öfter saß er und nicht Dimitri da, wenn ich auf der Matte war. Ganz so, als wäre er mein persönlicher Coach. Ich finde das zwar etwas affig, aber was soll's. Wenn ich sehe, wie seine Augen strahlen, wenn ich gewonnen habe, bin ich auch glücklich. Es ist komisch. Ich freue mich gar nicht so sehr über meinen Sieg, oder daß wir Punkte gemacht haben. Ich freue mich viel mehr darüber, daß Nils sich freut. Es ist schon merkwürdig.
Nach dem Wettkampf gingen wir zu ihm nach Hause. Seine Eltern machten einen Fondue-Party mit zwei verschiedenen Arten von Fondues und hatten jede Menge Bekannte eingeladen. "Da kannst du ohne Probleme mit dazu kommen", hatte Nils gesagt. Und so war es dann auch. Es war ein total lustiger Abend. Ich beneide ihn fast ein bißchen, wie locker und easy drauf seine Eltern sind. Es ist alles nicht so verkopfert und vornehm wie bei uns. Einfach irgendwie uriger, direkter. Ach ja, ich weiß, wie es heißt, nicht so hanseatisch, wie bei uns zu Hause. Naja, aber letztlich wissen auch seine Eltern nicht, was mit ihrem Sohn ist. Ab und zu verschwanden wir in sein Zimmer und tauschten heiße Küssse aus. Es war, als würden wir auftanken für die nächste Runde. Für die nächste Runde Normalsein in dieser so verlogenen Welt.