Samstag, 31. August 1996

31. August

"Am 1. November ist es soweit", sagte Phil. So eine Scheiße. Er geht also tatsächlich zum Bund. Und dann noch nicht mal hier in der Nähe. Nein, nach Lüneburg. Als wenn es nicht wesentlich spannendere Orte geben könnte. Naja, er läßt sich sowieso nicht mehr auf irgendwelche Diskussionen zu dem Thema ein und ich habe es mir darum auch abgewöhnt, ihn darauf anzusprechen. Doris meint immer noch, man kann da sowieso nichts mehr ändern. Man soll die Leute so nehmen wie sie sind. Ich verstehe sie wirklich nicht. Ich meine, sie vertritt doch sonst so energisch ihre Standpunkte: Bio hier, Öko da, keinen Atomstrom usw. Und dann immer dieses: "Laß ihn doch machen, er wird schon wissen, ist schließlich alt genug." Na toll. Ach was soll's. Ich will mir eigentlich im Moment gar keine Gedanken mehr darum machen. Es war aber ein schöner Abend bei Doris. Wir haben mit ihren Eltern zusammengesessen, gequatscht, gelacht. War richtig schön. Auf der Rückfahrt hat es leider angefangen zu regnen, so daß ich jetzt pitschnaß wieder zuhause angekommen bin. Naja, was soll's. Auf meinem Schreibtisch ein Zettel: Nils hat angerufen, ob ich mitkomme ins X1. Naja, jetzt ist zu spät. Bißchen Fernsehen noch und dann schlafen.

Freitag, 30. August 1996

30. August

"Uhuhu!"
Yeah, Doris ist wieder da. Von Mücken und wer weiß sonst noch was zerstochen, aber fröhlich wie immer ist sie zurück. Sie meint, es war ein total witziger Urlaub. Aber ich weiß nicht, ob das so mein Ding gewesen wäre, so mit Fahrrad, Rucksack und Zelt quer durch Dänemark (Cooler Spruch des Tages: "Hier gilt meene Mark, nicht deene Mark." Hahaha!). Ich freue mich auf jeden Fall, daß sie wieder da ist. Wir haben eine halbe Egwigkeit am Telefon gequatscht. Ich habe ihr von Matteo und dem Typ in der Umkleide erzählt. Sie meint, ich soll Matteo auf jeden Fall zurück schreiben. Jaja, mache ich ja auch. Na mal schauen, ich treffe mich morgen abend wieder mit ihr.

23:30
War gerade mit Nils, Max und Florian im Sparks. War ganz lustig. Ich glaube etwas zu viel Weizen getrunken, aber ansonsten witzig. Jetzt ab ins Bett.

Donnerstag, 29. August 1996

29. August

"Na, was hast du bisher für Fortschritte gemacht?"
Mir fiel keine Antwort ein. Training heute mit Werner. Offensichtlich konnte er sich noch genau an mich erinnern. Naja, das Training war wieder der absolute Hammer. Und als wenn das Ganze nicht schon genug war, sollte ich zum Ende auch noch gegen Silvio antreten. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Aber Werner meinte es wirklich ernst. Am liebsten wäre ich wirklich im Boden versunken. Shit, ich wußte echt nicht, was ich machen sollte. Ich guckte zu Nils, aber der zuckte auch nur mit den Schultern. Mein Einwand, daß Silvio ja schließlich viel schwerer als ich sei, ließ Werner nicht gelten. Er meinte, nur wenn man gegen Leute ringt, die schwerer und besser sind, kommt man überhaupt voran. Naja, aber ausgerechnet gegen Silvio, das war schon der Hammer.

Ich ging auf die Matte und hätte mich am liebsten gleich auf den Rücken gelegt. Das einzige, was mir einfiel, war mich so tief wie möglich zu ducken. 'Aus einem Nachteil einen Vorteil machen', nannte das Nils immer. Naja, ich schaffte es irgendwie an Silvios Bein heranzukommen, aber das war's dann auch, ich konnte ihn nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Abpfiff, zweiter Versuch. Silvio packte mich am Arm, wirbelte mich herum und hob mich von hinten hoch und schleuderte mich zu Boden. Als er auf mir landete, dachte ich, ich würde sterben, weil ich keine Luft mehr bekam. Er versuchte, einen von meinen Armen zu greifen, aber ich schaffte es, sie unter mir zu behalten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Werner abpfiff. "Passiv", meinte er. Ach ja? Na toll, mir auch egal. Lieber passiv aber am Leben. Aus der Bank schaffte ich es blitzschnell raus und landete auf Silvio. Doch damit war ich auch am Ende. Ich wußte nicht mehr weiter. Wo auch immer ich versuchte anzugreifen, kam ich nicht weiter. Arme, Beine, alles schien wie fest am Boden betoniert. Apfiff. Auf ein neues. Und dann ging alles sehr schnell, Silvio hatte mich wieder am Arm gepackt und mit einer schnellen Drehung zu Boden auf die Schultern geworfen. In diesem Moment hatte ich echt Panik. Ich konnte mich nicht rühren, und dieser Koloß drücke mich mit seiner ganzen Gewalt zu Boden. Werner pfiff ab. Silvio ließ nicht los, jedenfalls nicht sofort. "Ich habe dir doch gesagt, ich kriege dich immer", zischte er. Werner pfiff wieder: "Schluß jetzt, das reicht!" Endlich ließ Silvio los. Ich biß die Zähne zusammen, um nicht zu heulen. Es waren nicht so sehr die Schmerzen, es war diese Demütigung, gegen diesen Penner verloren zu haben. Aber ich hatte ja nun auch überhaupt keine Chance. "Na immerhin", sagte Werner, "ein bißchen was, hast du ja dazugelernt." Ja, ich weiß genau was er meint, dieses Ding mit der Angst. Na toll. Wenigstens von Nils hätte ich ein 'Nicht schlecht' erwartet, aber er sagte gar nichts. Na gut, wenn nicht dann nicht.

Mittwoch, 28. August 1996

28. August

"Kaum aus Italien zurück, schon hast du Post aus Rom."
"Schon mal was von Postgeheimnis gehört?"
"Nun hab ich mal nicht so, ich habe ja nur das Bild gesehen, als ich die Karte aus dem Kasten geholt habe. Wer schreibt dir denn?" Ich hätte nicht gedacht, daß Brüder so neugierig sind.
"Ein Typ aus Italien, aus dem Feriendorf."
"Aha und was schreibt er?" Das weiß ich selber nicht ganz genau. Matteo hat alles auf italienisch geschrieben. Mit Mühe und Not habe ich es mit dem Wörterbuch zumindest dem Sinn nach übesetzen können. Nun ja, es steht nicht viel drin. Irgendwas hat er von einem Foto geschrieben, aber ausgerechnet das habe ich nicht verstanden. Mist, ich könnte die Karte natürlich Mom zum Übersetzen geben, aber nein, dann gibt es wieder elendig lange Fragereien, wer das ist, warum er mir schreibt usw. Die Fragen von Phil reichen mir schon. Ich habe mich jedenfalls gleich an eine Antwort gemacht, auf Englisch. Wobei ich gar nicht weiß, was ich ihm eigentlich schreiben soll. Aber trotzdem, jetzt wo die Karte da ist, geht er mir wieder nicht aus dem Kopf. Eigentlich hatte ich ihn schon vergessen, aber nun spukt er wieder herum. So ein Mist. Ich weiß gar nicht, ob ich ihm erzählt habe, daß ich ringe. Hmm, naja, ich schreibe es ihm jetzt einfach mal.

So, Schreibpause, mir fällt im Moment nichts mehr Spannendes zum Schreiben ein. Ich habe gerade mal wieder mit dem Gedanken gespielt, was wohl passieren würde, wenn die Leute wüßten, daß ich schwul bin. Wie würden zum Beispiel Mom und Dad reagieren? Ich bin mir ziemlich sicher, daß sie ausrasten würden. Auf jeden Fall Mom, so abfällig wie sie redet, wenn mal jemand im Fernsehen oder sonstwo schwul ist. Phil, nun ja, ich weiß nicht. Manchmal denke ich, er ahnt was. Aber ich bin mir nicht sicher. Naja, und die anderen. Ich glaube, das würde bestimmt den totalen Terror in der Schule geben. Nils mit seinen Mädchen-Stories würde wahrscheinlich als Erster ausrasten. Und nur noch mit Doris Umgang zu haben, ist auch nicht so eine tolle Aussicht. Also, was bleibt mir anderes übrig? Shit, wenn die anderen nur nicht ständig nachfragen würden, was denn mit den Mädels ist.

Dienstag, 27. August 1996

27. August

"Ob das der richtige Zeitpunkt ist?"
"Der Zeitpunkt ist immer schlecht", meinte Dad. Sie müssen jetzt wohl mit der ersten Entlassungswelle anfangen. Shit, hoffentlich gibt es nicht wieder Stress mit Silvio.
Bis eben war Max da und wir haben am Computer gespielt. Er hat immer die neuesten Games, aber er meint, mein Rechner ist dafür zu langsam. Naja, was soll's, so richtig vom Hocker reißt mich das ehrlich gesagt sowieso nicht. Jetzt muß ich mich fertig machen für's Krafttraining.


22:10
"Ich bin ziemlich sicher, daß du in dieser Saison antrittst."
"Woher willst du das wissen?"
"Dimitri hat so ein paar Andeutungen gemacht. Außerdem ist es an der Zeit."
"Halt dich da einfach raus. Ich will nicht, daß du da irgendwelche Fäden ziehst"
"Hey, ich habe nichts gemacht", Nils hob die Hände wie zur Entschuldigung hoch. "Nächste Woche ist er wieder da, mal sehen, was da kommt." Ich finde den Gedanken, tatsächlich bei einem Turnier auf der Matte zu stehen, nicht sonderlich toll. Auf der anderen Seite, wenn ich es mir recht überlege, ist es schon komisch, immer nur am Rand oder auf der Tribüne zu sitzen und nie richtig mitzumachen.
"Mitte September ist der Sparkassen-Cup. Ich denke mal, Dimitri schickt da die zweite Mannschaft hin, und wer weiß, vielleicht dich auch." Ich schwieg und zuckte mit den Schultern. "Wenn es so weit kommt", Nils kam ganz geheimnisvoll näher, "dann machen wir ein Crashtraining bis dahin. Ich mache dich absolut fit, so daß du jeden auf die Matte legst." Ich mußte grinsen. Aber ich finde es wirklich seltsam. Ich meine, warum macht er das? Welches Interesse hat er daran?

Montag, 26. August 1996

26. August

"Hey, gut siehst du aus", meinte Nils. Oha, ich glaube ich bin richtig rot geworden. Naja, ich weiß natürlich WIE er das gemeint hat, so von wegen sonnengebräunt und so. Tat aber trotzdem gut. Wie erwartet waren eigentlich alle wieder da beim Training. Nur Dimitri nicht. Wir haben mit Ralf, dem Trainer der Kindermannschaft trainiert. Der hatte aber wohl überhaupt keine richtige Lust. Es war ziemlich öde. Habe dann hinterher noch ewig mit Nils gequatscht. Er hat von seinem Urlaub erzählt und wieviel Mädels er abgeschleppt hat. Schon komisch, wenn ich mir überlege, daß er vor ein paar Monaten noch meinte einfach nur so rummachen wäre nichts für ihn und jetzt kommen die tollen Stories, schon frustrierend. Er fragte mich, wie mein Urlaub war. Ich habe ihm ein bißchen was erzählt. Naja, auch das wieder voll daneben, hätte ich ihm von Matteo oder von dem Typen in der Umkleide erzählen sollen? Das ist doch schon krass. Während die anderen berichten, wie sie reihenweise die Mädels flachgelegt haben, kann ich nicht mal das Wenige erzählen, was bei mir passiert ist.

Sonntag, 25. August 1996

25. August

"Was wird denn das?"
Daß Eltern aber auch immer solche Fragen stellen müssen. Ich habe heute aus lauter Langeweile damit begonnen, mein Zimmer umzuräumen. Aber nichts hat mir gefallen. Und am Ende bin ich wieder da gelandet, wo ich angefangen habe.


21:30
War gerade bei Max. Er ist noch immer in der Wohngruppe, naja, wo soll er auch hin. Inzwischen ist wohl seiner Mutter aufgetaucht. Das Ganze ist eine ziemliche wirre Geschichte, die ich nicht ganz verstehe. Sie meint wohl, das wäre ihr alles zu viel, und sie kann sich nur um Paul kümmern aber nicht um Max und daß es wohl besser ist, wenn Max zunächst dort bleibt. Max scheint das auch ganz ok zu finden, aber ich weiß nicht. Naja, er meint, sie hätte sich in der letzten Zeit sowieso kaum um alles gekümmert. Ziemlich strange die ganze Sache. Auf jeden Fall hat er gesagt, daß morgen Training ist. Na mal sehen, wer kommt.

Samstag, 24. August 1996

24. August

"Ach Hallo, auch wieder da?"
Naja, offensichtlich doch wohl. Nachbarn können manchmal einfach nur blöd sein. Irgendwie genauso blöd wie das Wetter. Kaum wieder zurück regnet es. Aber irgendwie ist es dann doch ganz ok, wieder retour zu sein, mein eigenes Zimmer und das alles.

Doris hat mir geschrieben: Eine total abgedrehte Karte ohne viel Text. Nun ja, jetzt weiß ich nicht mal, wie es da aussieht wo sie ist.

Jetzt in den Ferien scheint es hier sowieso total ausgestorben zu sein. Keiner von den Leuten, die ich angerufen habe ist da. Na toll. Hoffentlich sind wenigstens ein paar Leute am Montag wieder da.

Freitag, 23. August 1996

23. August

"Ciao Rosolina Mare."
Wir sitzen im Auto und düsen in Richtung Heimat. Mir geht immer noch die Sache mit der ertrunkenen Frau im Kopf herum. Kurzer Halt an der Grenze. Shit, mein Buch ist zu Ende. Wo kriege ich jetzt Nachschub her? Ich schreibe einfach mal am Rand weiter. Andererseits bin ich auch tierisch müde. Vielleicht schlafe ich einfach, bis wir zu Hause sind.

Donnerstag, 22. August 1996

22. August

"Nicht zu viel Luft."
Dad und ich haben den Wagen für die Rückfahrt fit gemacht. Ich glaube ich habe mich ziemlich dusselig angestellt beim Nachfüllen von Luft. Dad meint, es wäre schon erstaunlich, daß wir den ganzen Urlaub über Glück gehabt haben und nicht irgendwo beklaut wurden. Ich weiß auch gar nicht, ob das nun wirklich so schlimm ist, mit der Klauerei. Jetzt wo die Abfahrt immer näher rückt, möchte ich eigentlich gar nicht mehr zurück. Hier kann ich irgendwie alles viel leichter vergessen oder beiseite schieben als zu Hause.


16:30
Komme gerade vom Strand. Eine Engländerin ist ertrunken. Ich habe noch mitbekommen, wie sie sie an Land getragen haben und versucht haben, sie wiederzubeleben. Irgendwann kamm dann die Ambulanz. Aber sie haben es nicht mehr geschafft. So sah es jedenfalls aus, als sie sie abtransportiert haben. Mir geht es gar nicht gut.


23:50
Ich kann nicht schlafen. Mir geht diese Szene nicht mehr aus dem Kopf, wie sie die Frau an Land getragen haben und versucht haben, sie wiederzubeleben. Das ist das erste Mal, daß ich einen toten Menschen gesehen habe. Scheiße. Ich meine, warum muß das so sein? Warum kann man die Leute nicht immer irgendwie wiederbeleben? Shit, plötzlich bekomme ich tierische Panik, daß irgend jemandem aus meiner Family etwas passieren könnte.

Mittwoch, 21. August 1996

21. August

"Wir sollten langsam mal wieder ans Packen denken."
Hmm, der Urlaub geht nun wirklich zu Ende. Schade eigentlich. Am Freitag geht es zurück. Das ist ja schon übermorgen. Irgendwie doch blöd. Das Meer wird mir fehlen, das Joggen am Strand.


18:20
Habe gerade den Typ von gestern wieder mit seinem Kumpel gesehen. Als er mich bemerkte, stieß er ihn an und sie tuschelten und grinsten. Na toll, ich habe natürlich nicht mitbekommen, was sie getuschelt haben, aber das ist natürlich eine voll bekloppte Situation. Ich habe zugesehen, daß ich ganz schnell in eine andere Richtung komme. Ob die beiden ein schwules Pärchen sind? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, weil sie nicht so aussehen. Und überhaupt, so was kann es doch eigentlich nicht geben, ich meine der Typ ist doch bestimmt gerade mal genauso alt wie ich, wie soll er einen schwulen Freund haben? Shit, ich will nicht mehr darüber nachdenken.

Dienstag, 20. August 1996

20. August

"Ciao!"
Das war tatsächlich das Einzige was er gesagt hat. Ich habe heute im Feriendorf einen Jungen gesehen, der immer wieder zu mir rüber geguckt hat. Eigentlich war er überhaupt nicht mein Typ, weil er viel zu dürre war. Erst hing er mit seinem Freund, Kumpel, Bruder oder was weiß ich was herum. Da guckte er schon immer so komisch zu mir rüber. Naja, als ich dann irgendwann mal wieder aus dem Wasser kam, lag er ganz alleine auf einem Handtuch in meiner Nähe und glotzte und glotze. Ich dachte, ich spiele das Ganze mal mit und bin in Richtung Pool vom Feriendorf getapert. Er ist mir tatsächlich hinterher gekommen und tatsächlich auch in eine Umkleidekabine. Ok, es war wirklich nicht so doll. Die Sache war in einer Minute vorbei und jetzt überlege ich mir tatsächlich, ob das nun sein mußte. Shit, was für eine blöde Überlegung. Was soll denn das eigentlich heißen? Ob das sein mußte? Ja, es mußte sein, weil ich es so wollte! Meine Güte, ja und, was ist denn schon dabei? War halt nicht so doll. Aber es funktioniert tatsächlich noch. Auch wenn es immer nur für eine kurze Sache ist und nie etwas Richtiges.

Montag, 19. August 1996

19. August

"Huch, was ist denn in dich gefahren?"
Ich bin heute mal wieder mit auf Kulturtrip gefahren. War gar nicht so schlecht. Eine ganz weite Landschaft, die ganz toll nach irgendwelchen Kräutern gerochen hat und einige alte Burgen und Klöster. Essen gab es auf einem urigen Bauernhof. Ich wundere mich, wie Mom das alles immer aufgetrieben hatte. Dummerweise ist Lisa von der Biene oder Wespe gestochen worden und wir hatten die ganze Rückfahrt damit zu tun, sie zu trösten. Aber ich glaube inzwischen ist alles wieder gut.


23:10
Gerade wieder ewig gelaufen, jede Menge Liegestütze gemacht. Ha, Nils wird sich wundern. Ich glaube nicht, daß die anderen aus dem Verein in ihrem Urlaub so trainiert haben.

Sonntag, 18. August 1996

18. August

"Ich glaube wirklich, daß das der letzte gemeinsame Urlaub ist."
Moms Stimme klang enttäuscht. Aber was um alles in der Welt hat sie denn erwartet? Ich habe ihr ja schon von Anfang an gesagt, daß ich keine Lust habe mitzukommmen. Ok, es ist ja gar nicht so schlimm. Ich will bloß einfach nicht immer den ganzen Tag mit der ganzen Family zusammen verbringen. Es nervt einfach. Ich kann gar nicht sagen was oder wieso. Also habe ich mich eine Ecke weiter weg an den Strand gelegt. Ich merke, daß ich immer mehr wegdrifte. Ich meine, ich sitze da und träume vor mich hin. Die verrücktesten Sachen. Ich habe manchmal wirklich Schwierigkeiten wieder richtig zurück in das wirkliche Leben zu kommen. Dann fange ich an zu laufen. Beim Laufen wird mein Kopf leer, ganz leer, es sind sogar die Träume weg und ich sehe nur noch den langen Strand vor mir.


22:10
Gerade hat Phil mit mir geredet. Das heißt, er hat mich gefragt, was denn mit mir los wäre. Ich habe ihm gesagt, daß ich das selber gerne wüßte und daß ich glaube, daß das nur so eine allgemeine Depriphase ist. Er meint, ich kann jederzeit mit ihm reden, wenn ich was habe, was ich loswerden will. Das hat mir richtig gut getan. Eiegntlich hätte ich es ihm auch gerne gesagt. Aber vielleicht ist wirklich noch nicht die Zeit. Und außerdem, weiß ich nicht, wem ich damit vielleicht die letzte Woche Urlaub verderbe. Aber trotzdem geht es mir irgendwie etwas besser. Vielleicht auch, weil ich mekre, daß ich nicht ganz allein bin. Auch wenn er mir gar nicht so viel weiterhelfen kann.

Samstag, 17. August 1996

17. August

6:20
"Wo kommst du denn her?"
"Ich war am Strand."
"So früh am Morgen?"
"Ich konnte nicht schlafen."
Und das stimmte auch. Ich weiß nicht wieso. Ob es an der Hitze lag oder weil mir mal wieder so viel im Kopf rumgegangen ist. Jedenfalls habe ich irgendwie die halbe Nacht wachgelegen und konnte nicht einschlafen. Dann bin ich zum Strand runtergegangen. Ok, da konnte ich natürlich auch nicht schlafen, aber wenigstens war es schön kühl und ich konnte in Ruhe nachdenken. Ich weiß auch nicht. Warum geht mir immer so viel durch den Kopf. Es ist wirklich abartig, ich glaube 90% vom ganzen Tag bin ich nur am Nachdenken. Am Nachdenken über mich, wie es ist mit dem Schwulsein, warum ich keinen anderen schwulen Jungen finde, wie das alles weitergehen soll usw. Eigentlich möchte ich aber vielmehr über die ganzen anderen Sachen nachdenken, über die die anderen sich Gedanken machen. Es ist wirklich blöd, daß Doris nicht hier ist, da hätte ich wenigstens eine Person, mit der ich reden könnte. Ich weiß gar nicht, wie es überhaupt wäre, wenn die anderen in der Schule oder im Verein mitbekommen würden, daß ich schwul bin. Wie würden sie reagieren? Nils, Tobias, Florian? Wenn ich so höre, was da immer für dumme Sprüche abgehen, kann es ja eigentlich gar nicht gut gehen. Vielleicht hat ja Doris auch deshalb gesagt, daß ich mir damit Zeit lassen soll. Aber andererseits habe ich irgendwie überhaupt keine Lust mehr auf dieses dauernde Versteckspielen. Weder in der Schule, noch im Verein oder zu Hause. Es ist schon alles reichlich daneben.


23:40
Komme gerade von der Samstags-Disco-Fete im Feriendorf. Darf man ja eigentlich niemandem erzählen, daß man da hingeht. Aber ist eben die einzige Möglichkeit wenigstens ein bißchen auf andere Gedanken zu kommen. Die Gang um Stefan ist heute Mittag auch schon gefahren. Naja, kein Verlust. Ansonsten gab es gräßliche Musik, jede Menge gräßlicher Leute, aber billig Wein. Ich habe mich glaube ich ziemlich zugeschüttet. Jedenfalls bin ich ziemlich müde und gehe jetzt ins Bett.

Freitag, 16. August 1996

16. August

"Wenn du meinst."
Ja, meine ich. Ich habe erklärt, daß ich überhaupt keine Lust mehr aus Kultur habe. Eigentlich will ich nur meine Ruhe haben. Es ist schließlich die letzte Woche Urlaub hier. Mir ist gar nicht aufgefallen, wie schnell die Zeit vergangen ist. Matteo ist heute abgefahren, schade.

Ansonsten habe ich den Rest des Tages eigentlich nur am Strand verbracht, gelesen und nix weiter gemacht. Manchmal auch nicht schlecht. Am Abend großes Essen beim Chinesen. Irgendwie schon verrückt - da fährt man Tausend Kilometer durch Europa nach Italien, um da beim Chinesen zu essen. Aber was soll's, hat gut geschmeckt.

Donnerstag, 15. August 1996

15. August

1:20
"Laß das, da stehe ich absolut nicht drauf."
Shit, ich habe glaube ich absoluten Mist gebaut. Ich war am Abend noch eine Runde am Strand laufen. In Rosapineta saß Stefan am Strand, so dicht am Wasser, daß ich ihn einfach nicht ignorieren konnte. Also blieb ich stehen und wir finden an zu quatschen. Er hatte eine riesige Flasche Lambrusco dabei, wovon er bestimmt schon die Hälfte ausgetrunken hatte. Naja, so breit war er dann auch. Jedenfalls hab ich mich zu ihm gesetzt und er hat mich vollgejammert wegen seinem Mädel. Ich weiß gar nicht, warum ich mir das alles angehört habe. Irgendwann hat er mich gefragt, warum ich denn nachts am Strand rumjogge. "Ich muß im Training bleiben", meinte ich
"Was denn für'n Training?"
"Ich bin Ringer."
"Du? Glaub' ich nicht."
"Doch echt!" Ich verstand nicht, was es da nicht zu glauben gibt.
"Na dann zeig mir mal was", sagte er und stand auf. Ich hatte absolut keinen Bock auf irgendeine Show, aber mir blieb nichts anderes übrig, denn er kam auf mich zu. Entweder war ich auch schon zu breit oder einfach zu wenig auf ihn gefaßt, jedenfalls hatte er mich ganz schnell zu Boden geworfen. Es dauerte einen Augenblick, bis ich mich berappelte und konterte. Schließlich hatte ich ihn in einem festen Griff aus dem er nicht mehr rauskam. Und ich Idiot, was hab ich gemacht? Ich griff nach seinem Schwanz und fing an, an ihm rumzuspielen. Shit! Seine Stimme kam scharf: "Laß das, da stehe ich absolut nicht drauf." Ich erschreckte selbst vor mir und ließ ihn auf der Stelle los. Scheiße, Scheiße, was hatte ich nur gemacht? Welcher Teufel hat mich da geritten? Aber ich glaube zum Glück war die Sache für ihn damit erledigt. Ich hoffe es wenigstens. Wir haben danach noch ein paar Minuten gequatscht bis ich mich davon gemacht habe. Oh Gott, ich muß wirklich aufpassen, daß mir so was nicht wieder passiert. Aber es ist einfach über mich gekommen. Ich kann nur hoffen, daß er niemandem was davon erzählt.


16:30
"I'm leaving tomorrow", sagte Matteo. Shit, auch das noch. Wie kann denn jemand mitten in der Woche zurück nach Hause fahren? Ich bin wirklich traurig. Wir haben zwar unsere Adressen ausgetauscht und uns versprochen, daß wir schreiben, aber nun ja. Er wird mir fehlen und nun werde ich nie erfahren, ob er nun schwul ist oder nicht. Ach so ein Unsinn, das hätte ich sowieso nie. Was glaube ich eigentlich?


22:46
War gerade mit den anderen am Strand. Zum Glück ist Stefan wie immer und er scheint es auch niemandem erzählt zu haben. Noch mal Glück gehabt.

Mittwoch, 14. August 1996

14. August

"Meinst du nicht, daß du es mit dem Training etwas übertreibst?"
Finde ich nicht. Irgendwie macht es inzwischen richtig Spaß, zweimal am Tag zu laufen. Ich bekomme den Kopf frei und muß an nichts mehr denken. Außerdem muß ich bei dem Essen hier aufpassen. Ich esse mindestens doppelt so viel wie zu Hause.

Habe lange mit Phil gequatscht. Warum er doch zum Bund geht. Es ist wohl wirklich einfach so, daß er noch gar nicht weiß, was er nach dem Abi machen soll. Er meint, es wäre schon nicht so schlimm da. Andere haben es schließlich auch überlebt. Ich habe ihm gesagt, daß ich das absolut nicht verstehen kann. Er meinte darauf so etwas: "Jeder muß halt selber wissen, was er aus seinem Leben macht." Dabei hat er mich so seltsam angeguckt. Shit, wenn ich ihn gefragt hätte, was er damit meint, hätte ich mich wahrscheinlich verraten. Oder bin ich einfach bei vielen Sachen zu mißtrauisch?

Dienstag, 13. August 1996

13. August

"Hey, kommst du heute? Auf dem Dorfplatz ist große Party?"
Es ist einfach ungerecht. Warum läuft mir Diana eigentlich immer noch hinterher? Warum laufen mir eigentlich immer irgendwelche Mädels hinterher? Warum nie die Jungs? Vielleicht sollte ich doch einfach wie die anderen werden und mit Mädels rummachen. Ich meine, es ist so einfach, an die Mädels ranzukommen, ein bissel Quatschen und schon laufen sie einem hinterher. Shit, aber das ist es ja gar nicht was ich will. Auf jeden Fall machen sie heute auf dem Platz im Feriendorf eine riesige Party mit Animationsspielchen und dem ganzen Tralala. Ich glaube, ich werde mal hingehen, und wenn es nur zum Ablachen ist. Außerdem ist Matteo bestimmt auch da.


23:50
Das war wirklich der absolute Brüller. Die Leute haben sich voll zum Löffel gemacht. Ich frage mich echt, warum die so was mitmachen. Auf jeden Fall haben wir uns total amüsiert. Zum Glück war Matteo da und wir haben uns in eine Ecke gesetzt und abgelacht. So brauchte ich mich wenigstens nicht um Diana kümmern. Aber was ich geschrieben habe stimmt. Matteo ist zwar total niedlich und ich würde schon gerne mit ihm was machen, aber es macht einfach nicht Klick. Jedenfalls können wir uns jetzt schon besser mit unserem Gemisch aus Italienisch und Englisch unterhalten. Ich finde es wirklich erstaunlich, daß er so viel schlechter Englisch spricht als ich. Vielleicht lernen die hier in Italien das nicht so intensiv in der Schule.
Naja, auf jeden Fall gab es dann noch eine Riesen-Szene am Strand zwischen Stefan und Jennifer. Wir haben es eigentlich nur durch Zufall mitbekommen, weil wir gucken wollten, wer da so rumbrüllt. War schon ganz schön krass. Jetzt weiß ich erst mal, was hysterisch wirklich bedeutet, so wie sie rumgeschrien hat.

Montag, 12. August 1996

12. August

"Is' eben 'ne Schlampe", meinte Stefan lässig und zündete sich eine Zigarette an. Mit Schlampe meinte er Jennifer. Die war wohl gestern mit einem italienischen Typen abgezogen und hängt seitdem wohl nur noch mit ihm zusammen rum. Wenn ich ehrlich bin, tut mir Stefan kein bißchen leid. Im Gegenteil, vielleicht bin ich sogar etwas schadenfroh. Daß auch Heten Pech haben können. Und überhaupt. Was hatte er denn von ihr erwartet, schließlich ist sie ja auch mit ihm ohne lange Vorrede im Wald verschwunden. Das konnte ich ihm natürlich nicht alles sagen. Nur mit Phil habe ich vorhin darüber gesprochen. Aber er versteht mich nicht und meint, ich hätte komische Ansichten, was Beziehungen zwischen Mann und Frau angeht. Das klingt komisch: "Zwischen Mann und Frau." Am liebsten hätte ich ihn gefragt, was er denn erwartet, schließlich bin ich schwul. Habe ich dann natürlich nicht gemacht. Ansonsten keine Spur von Matteo. Warum habe ich ihn eigentlich nicht gefragt, wo genau er im Feriendorf wohnt?

Am Abend waren wir in einem richtig tollen Fischrestaurant im Nachbarort. Zwar hat die Live-Gitarren-Musik etwas genervt, oder war eher peinlich, aber irgendwie war es dann doch alles sehr gemütlich und hat tierisch gut geschmeckt. Jedenfalls bin ich jetzt pappsatt, mit jeder Menge Chianti abgefüllt (Mom: "Tim, um Gottes Willen, trinke doch nicht so viel." Dad: "Laß den Jungen doch, schließlich haben wir Urlaub" - naja Fortsetzung wie immer). Trotzdem ich werde noch eine Runde am Strand laufen. Ob die anderen aus dem Verein auch im Urlaub trainieren?

Sonntag, 11. August 1996

11. August

1:35
"Grazie della bella serata."
Ok, dieser Satz war nicht sonderlich cool. Aber was anderes gab mein Wörterbuch nicht her. Alles in allem war es eigentlich ein schöner Abend. Nee, das klingt komisch. Es war ein schöner Abend. Es ist halt nichts passiert. Aber was hatte ich denn erwartet? Daß wir uns in den Armen liegen? Na also. Wir sind zuerst durch den Ort gebummelt. Mit Hilfe des Wörterbuchs und mit Englisch haben wir es sogar geschafft, so etwas wie ein sinnvolles Gespräch zu führen. Jedenfalls weiß ich jetzt, daß er aus Rom kommt und hier mit seiner Familie im Feriendorf Urlaub macht. Ich finde den Gedanken, daß ein Italiener in Italien Urlaub macht schon seltsam. Danach sind wir zur Open-Air Disco gegangen. Aber das Ganze war irgendwie mehr zum Ablachen, weil da alles an Touris war, was sich in dem Feriendorf rumtrieb. Ich meine, es ist doch irgendwie lächerlich, wenn Leute, die so alt sind wie Mom und Dad auch noch nach Macarena tanzen. Was soll's. Stefan und die anderen waren auch da, aber ich hatte keine Lust, mit ihnen rumzuhängen und so bin ich dann mit Matteo eine halbe Ewgikeit am Strand spazieren gegangen. Es war richtig schön. Fast romantisch wenn, ja wenn er auch schwul wäre. Das heißt, ich weiß es nicht. Woher denn auch? Hätte ich ihn fragen sollen? Wohl kaum. Ok, ich war ein paar Mal kurz davor, ihn einfach ein den Arm zu nehmen, aber ich habe es mich dann doch nicht getraut. Jetzt hinterher frage ich mich natürlich, was ich schon zu verlieren gehabt hätte. Nein ehrlich, mal angenommen, ich hätte es probiert und es wäre daneben gegangen. Er wäre doch garantiert nicht laut schreiend durch die Gegend gerannt. Wir hätten uns nie wieder gesehen und das wäre es dann auch gewesen. Na toll, ja, jetzt wo ich das alles so lese ist es ja sooo klar und logisch. Shit. Aber so einfach ist es eben nicht. Und außerdem fehlte etwas. Es war wirklich schön und wir haben jede Menge gelacht (meine Güte, worüber eigentlich?), und ich habe ihm auch ein paar Mal tief in die Augen geguckt. Aber trotzdem fehlte da etwas, wie soll ich es beschreiben, es funkte nicht. Mein Herz bummerte nicht und mir war so, als wenn von ihm auch nichts zurück kam. Ach was schreibe ich denn für einen Mist. Vielleicht sollte ich einfach mal aufhören, jeden Jungen für schwul zu halten, mit dem ich näher zu tun habe.


22:30
Jetzt bin ich wirklich absolut fertig. Ein Tag Venedig reicht. Wenn ich wüßte, was die Leute an dieser stinkenden, vermoderten Stadt finden. Mom hat uns von Museum zu Museum und Platz zu Platz geschleift. Das alles bei dieser tierischen Hitze inmitten von Horden von anderen Touristen. Ich kann nicht mal sagen, was wir alles gesehen haben. Wobei eigentlich auch fast alles gleich aussah, also was soll's. Jedenfalls bin ich schon auf der Rückfahrt im Auto eingeschlafen. Naja, und jetzt gehe ich richtig ins Bett.

Samstag, 10. August 1996

10. August

"Ciao!"
Matteo, Matteo! Wir haben uns heute am Strand getroffen. Ich kam gerade aus dem Wasser, war noch am Prusten, weil Phil glaubte, mich unbedingt von hinten unterstuken zu müssen. Jedenfalls hätte ich Matteo fast umgerannt. Da stand er vor mir. Mit seinem strahlenden Lächeln. Ach und ich habe es sogar geschafft ihn auf italienisch zu fragen, wie es ihm geht. "Bene, grazie. E tu?"
"Si bene." Ach ja, Mom sei dank. Wir haben es tatsächlich geschafft uns für heute Abend um neun zu im Ort zu verabreden. Cool, ich bin gespannt, ob wir uns über irgendwas unterhalten können. Als ich zu unserem Platz zurückkam, wollte Phil natürlich wissen, wer das ist. Ich habe ihm nur gesagt, daß es halt ein Junge ist, den ich beim Joggen kennengelernt habe. Eigentlich geht mir dieses ewige Lügen und Ausreden erfinden tierisch auf den Geist. Es ist doch total ungerecht. Wenn er ein Mädel kennenlernt, kann er es jedem erzählen. Ach Shit, jetzt will ich mir aber nicht den Kopf zerbrechen. In einer Stunde bin ich mit Matteo verabredet und ich überlege mir jetzt erst mal, was ich anziehe. Vorher werde ich noch ein paar Postkarten schreiben, an Doris, Nils, Oma naja und Tassi kriegt auch eine. Und dann geht es zu Matteo.

Freitag, 9. August 1996

9. August

"Wir müssen nur zusehen, daß wir rechtzeitig von hier wegkommen."
Wir waren heute mit der Fähre auf einer Insel vor Venedig. Lido, das ist wohl der eigentliche Strand von Venedig. Auf der Fahrt, sind wir auch an Venedig vorbeigekommen aber wir haben nicht viel gesehen. Das Wasser in den Lagunen hier stink fürchterlich. Ich meine, in Hamburg war es in den Fleeten ja nun auch nicht so toll, aber das hier ist wahrscheinlich durch die Hitze noch total eklig. Jedenfalls war es nicht sonderlich spannend da. Wir sind ein bissel umhergelaufen. Nachdem wir festgestellt haben, daß wir für einen Strandplatz umgerechnet um die 80 Mark hätten bezahlen müssen, haben wir gemeinsam beschlossen zurück zu fahren. Zum Glück, die Schlange die auf die Fähre wollte, war schon ziemlich lang. Als wir rauffuhren, sah ich die Massen an Autos, die alle noch hinter uns waren. Ich frage mich, was eigentlich am Abend passiert, wenn die letzte Fähre abgelegt hat und immer noch Autos stehen und warten.

Allgemeine Überlegung, was oder wo zu Abend zu essen. Ich schlug die Pizzeria vor, alle einverstanden. Nur leider kein Matteo. Was ja nun auch völlig schwachsinnig gewesen wäre, weil was um alles in der Welt hätte ich da mit meinen und seinen Eltern daneben mit ihm reden sollen?

Nightjogging in der Brandung. Echt cool, macht bestimmt unheimlich fit. Natürlich kein Matteo zu sehen. Ich weiß auch gar nicht, wie und was das überhaupt soll. Wahrscheinlich ist er sowieso nicht schwul. Und selbst wenn, worüber soll ich mich bloß mit ihm unterhalten, wenn wir beide unterschiedliche Sprachen sprechen. Es ist schon ziemlich ungerecht. Da spricht mich ein süßer Junge an und ich kann mich nicht mal richtig mit ihm unterhalten. Naja und selbst wenn. Ich kann ihn ja schlecht mit nach Hause nehmen.

Ich kann nicht schlafen, mir geht wieder so viel durch den Kopf. Also bin ich runter zum Strand gegangen. Habe auf's Wasser hinausgeguckt, in die Sterne und geträumt. In meinem Kopf laufen komplette Filme ab. Ich drehe die perfekten Videos, zumindest für mich in meinem Kopf. Es hilft, einfach ein bißchen alles andere zu vergessen, wegzuschweben. Aber gleichzeitig ist es auch traurig, weil mir immer wieder in den Kopf kommt, wie schön es wäre, jetzt mit einem Jungen im Arm am Strand zu liegen und mit ihm zusammen in die Sterne zu gucken. Das sind dann immer die Augenblicke, wo ich heulen muß. Ich frage mich, wie lange das so weitergeht. Ich habe Angst davor, daß ich nie einen anderen Jungen kennenlerne, mit dem ich zusammen sein kann. Ich glaube, wenn da jemand wäre, wäre es mir auch egal, was die anderen Leute denken. Aber so, wenn ich niemanden habe, denke ich, daß es ewig so weitergehen wird. Was passiert, wenn ich alt werde und keinen Freund habe? Soll ich mir vielleicht doch ein Mädel suchen, heiraten, wie alle anderen um mich herum? Shit, und dann?

Donnerstag, 8. August 1996

8. August

"Buon gioro, come stai?"
Mom begrüßte mich gleich am Frühstück auf italienisch. Yeah, ich habe es tatsächlich geschafft, ihr richtig zu antworten. Ok, ich gebe zu, wesentlich weiter bin ich bisher nicht gekommen. Aber so sieht Matteo ja vielleicht, daß ich auf jeden Fall weiter mit ihm reden will. Wenn ich ihn denn treffen würde. Habe ihn nämlich den ganzen Tag nirgendwo gesehen. Ich war heute mit den anderen Tretboot fahren und habe auch am Strand immer wieder geguckt, aber er war nirgendwo zu entdecken. Phil fragte schon, wonach ich denn ständig Ausschau halten würde. Ich konnte das gerade noch so abbiegen, daß ich was erzählen mußte.

Gerade noch mit den anderen noch ewig am Strand gehockt, jede Menge Wein aus einer riesigen Flasche getrunken. Habe mir das Geplappere und Angebaggere von Diana gefallen lassen. Ich habe irgendwie keine Lust gehabt, mich dagegen zu wehren. Nur anfassen soll sie mich nicht. Stefan ist wirklich totendoof. Wenn er nur nicht so einen geilen Körper hätte. Ich muß mich zwingen, nicht die ganze Zeit hinzugucken. Statt dessen also lieber in den Himmel geguckt, Sternbilder gesucht und an Matteo und Nils gedacht.

Mittwoch, 7. August 1996

7. August

"Ciao, come stai?"
Außer 'ciao' habe ich kein Wort verstanden. Das schien ihn nicht besonders zu kümmern, denn er redete auch gleich weiter: "Come te chiami?" Ich lag allein am Strand, in der Nähe von Rosolina als ich plötzlich den Jungen aus der Pizzeria auf mich zukommen sah. Er setzte sich wie selbstverständlich neben mich und fing an zu reden. Wenn ich nur etwas verstanden hätte. Außerdem war ich natürlich total aufgeregt. Er wiederholte seinen letzten Satz ganz langsam: "C-o-m-e t-e c-h-i-a-m-i ?"
Ich stotterte irgendwas von "No capito" worauf er mich ganz erstaunt anguckte. Jetzt fing er an zu stottern, auf Englisch: "Where are you from?"
"I'm coming from Germany. You are Italian, I suppose?" Er schien mich nicht richtig zu verstehen, also wiederholte ich meinen englischen Satz genauso langsam wie er seinen italienischen. Schließlich nickte er. Wir schafften es, daß wir zumindest unsere Namen erfuhren. Es ist komisch. Ich meine, mein Englisch ist ja nun bestimmt nicht toll, aber das was er an Englisch kann ist ja nun völlig daneben. Jedenfalls heißt er Matteo (oder so ähnlich) und er sieht wirklich total süß aus. Shit nur, daß wir kaum miteinander reden können. Ich habe noch erfahren, daß er hier auch mit seiner Familie Ferien macht. Dann sagte er irgendwas von "Mi dispiace, ma devo andare", und verschwand mit einem "a domani". Das ist doch nun wirklich total ungerecht. Da spricht mich dieser Typ an und ich verstehe kein Wort von dem was er mir sagt. Und überhaupt. Er hat mich angesprochen, so was verrücktes.

Komme gerade vom Kiosk im Ort zurück. Ich hab mir da ein Reisewörterbuch geholt. Eigentlich schon erstaunlich, daß es in einem italienischen Ort ein deutsch-italienisches Wörterbuch gibt. Aber andererseits, bei den vielen Touristen hier. Man kriegt ja auch jede Menge deutsche Zeitungen. Na mal gucken, ob ich es schaffe, wenigstens ein paar Worte Italienisch zu reden. Mom hat mir ein paar Sachen zur Aussprache aufgeschrieben. Mal sehen, wie weit ich komme.

Dienstag, 6. August 1996

6. August

"Schon ziemlich ungewöhnlich für diese Jahreszeit."
Mom stand am Fenster und guckte raus. Es gießt in Strömen. In Italien, im Sommer! Das ist absolut ungerecht. Ich habe mich echt so auf einen Strandtag gefreut, aber daraus wird nun wahrscheinlich nichts, denn es regnet, regnet und will gar nicht aufhören. Was soll's, morgen ist auch noch ein Tag. Ich spiele einfach ein bissel mit Lisa.

Gegen Nachmittag hat es endlich aufgehört zu regnen. Aber es ist total schwüle Luft draußen, diesig und kein Wind. Das Meer sieht aus wie eine ebene Fläche aus Blei. Ich bin in Richtung Ort gejoggt, aber nach zehn Minuten war ich völlig fertig. Der Strand und der Ort sind wie ausgestorben. Alles sieht absolut deprimierend aus. Die anderen waren auch nicht da. Ich hätte natürlich zu ihren Bungalows gehen können aber irgendwie hatte ich keine Lust. Also wieder zurück zum Haus.

Dad hat inzwischen den Fernseher zum Laufen bekommen. Jetzt erst fällt mir auf, daß wir die ganzen Tage bisher gar nicht geguckt haben. Ich werde mal wieder runter gehen. Die glückliche Familie spielt Trivial Pursuit.

Montag, 5. August 1996

5. August

"Monselice", meinte Mom und tippte auf die Karte. Der Mann an der Abzweigung ließ einen wahren Wortschwall los und Mom nickte. "Wir müssen hier links und dann den Feldweg da vorne lang." Dad grinste. Ich finde es toll, wie er es schafft, den großen Wagen durch die kleinsten Straßen zu manöverieren. Ich weiß noch, welchen Terz Tassis Vater mal machte, als er einen nicht befestigten Waldweg an der Süderelbe lang fuhr, so nach dem Motto "Meine Stoßdämpfer, und überhaupt, die Steine, machen den ganzen Lack kaputt..." Dad dagegen fährt einfach überall lang, es ist ihm egal, ob hinter uns eine Riesenstaubwolke entsteht oder der Kies durch die Gegend fliegt. Phil meint, Dad wäre sicherlich in Wirklichkeit gerne Rallye-Fahrer geworden. Nun ja, kann ich mir nur schwer vorstellen.

Monselice. Wieder so ein Kuhkaff. Wenn im Reiseführer schon "malerisch" steht, weiß ich, was uns erwartet. Eine mittelalterliche Stadt mit Kastell, endlose Treppen zum Hochkraxeln. Wenigstens gab es eine nette Aussicht zur Belohnung. Ich überlege mir immer wieder, wieso Leute eigentlich so beknackt sind, und Orte an solche unmögliche Stellen in die Landschaft bauen. Ich meine, Hamburg ist doch einfach ideal für eine Stadt: eine Ebene, direkt am Fluß und direkt am Meer. Aber warum um alles in der Welt, bauen die Leute Dörfer auf Hügel? Wo nichts ist außer Gegend? Wo man alles, was man braucht erst mühsam von unten heraufschleppen muß? Mittagessen in einem restaurierten Bauernhof. Mom hat alles perfekt durchorganisiert. Oder Dad, jedenfalls meinte er, daß das Ristorante sogar von Wolfram Siebeck aus der Zeit empfohlen worden wäre. Na toll. Ok, ich gebe zu, es hat nicht schlecht geschmeckt, aber das hat die Pizza im Ort auch nicht.

Ich verliere hier völlig jedes Zeitgefühl. Wenn ich nicht Tagebuch schreiben würde, wüßte ich nicht einmal, welchen Tag wir heute haben. Aber auch mit der Uhrzeit komme ich kaum mehr klar. Was vielleicht auch daran liegt, daß ich meine Uhr permanent zu Hause liegen lasse. Aber es ist mir eiegentlich auch egal. Jetzt nehme ich sie aber mit, weil ich noch etwas am Strand laufen will.

Coool, ich habe den Jungen von gestern wiedergesehen. Er stand im Ort mit seinen Eltern an der Eisdiele. Er lächelte und nickte mir zu. Leider gingen sie dann weiter, naja und ich konnte ja nun schlecht einfach hinterher gehen. Aber jetzt weiß ich, daß er offensichtlich irgendwo im Ort wohnen muß. Mal gucken, ob ich ihn morgen am Strand sehe.

Sonntag, 4. August 1996

4. August

"Wo treibst du dich nachts eigentlich rum?" wollte Phil wissen. "Ich treibe mich nicht rum, ich war am Strand."
"In der Nacht?"
"Mein Gott, ich war noch joggen und bin danach noch am Strand geblieben."
"Mit wem denn?"
Ich wurde richtig sauer auf ihn. Was stellte er denn permanent solche Fragen? "Mit niemandem, kannst du dir nicht vorstellen, daß ich auch manchmal einfach nur alleine sein möchte?"
"Ich glaube du bist viel zu oft alleine."
"Der Meinung bin ich nicht. Ich will einfach manchmal nur meine Ruhe haben."
"Der kleine Tim und das Meer. Du hast schon als du klein warst, stundenlang am Wasser gesessen und rausgestarrt."
"Als ich klein war?" ich war kurz davor zu explodieren. "Du bist gerade mal drei Jahre älter als ich. Tu' doch nicht so verdammt erwachsen. Das klingt ja gerade so, als müßtest du ständig auf mich aufpassen."
Phil zuckte zusammen: "So habe ich das doch nicht gemeint. Ich wollte nur sagen", er fing an zu stottern, "ich meine, wenn du mit jemandem reden willst..."
Shit, es tat mir leid, daß ich ihn so angefahren hatte. Ich knuffte ihn und sagte, mit mir ist alles in Ordnung. Ich weiß nicht, ob er mir geglaubt hat. Aber ich hoffe.
Naja, im Ort war heute Katholensonntag, also nix los. Es scheint, als wenn selbst das Wasser Feiertag macht, denn die See ist total träge und bleiern. Ich bin eine halbe Stunde geschwommen, aber es waren so viele Quallen im Wasser, daß ich permanent damit zu tun hatte, ihnen auszuweichen und das nervte extrem.

Am Abend großes Pizzaessen. Es ist komisch. Eigentlich dachte ich, in Italien würden wir permanent Pizza essen, aber selbst im Dorf gibt es nur eine einzige Pizzeria. Am Nachbartisch saß ein total niedlicher Junge. Er sah fast so aus wie Tobias, nur noch viel niedlicher. Und das tollste ist, er guckte immer wieder zu mir rüber und lächelte. Jedesmal wenn ich hinguckte, guckte ich in seine Augen. Natürlich passiert so was immer, wenn die ganze Family dabei ist. Shit. Und da er wohl auch mit seiner kompletten Großfamilie da war, blieb mir nichts anderes übrig, als immer nur zu gucken und zurückzulächeln. Irgendwann gingen sie und beim Rausgehen drehte er sich noch mal um, winkte und rief 'Ciao'. Shit, ich glaube ich wurde knallrot. "Kennst du den Jungen?" wollte Mom wissen. Daß sie aber auch alles mitbekommen mußte. "Ich weiß nicht, ich glaube es ist einer von den Leuten aus Rosapineta." Das stimmte zwar nicht aber was hätte ich denn sagen sollen? Aus lauter Frust habe ich noch eine zweite Portion Eis zum Abschluß gegessen. Gottseidank sind wir zu Fuß in die Pizzeria gegangen, so daß ich auf dem Rückweg noch etwas verdauen konnte.

Bin gerade wieder vom Strand zurückgekommen. Ich dachte ich könnte noch etwas am Meer schreiben. Aber der Mond ist schon nicht mehr hell genug. Und außerdem geht mir viel zu viel im Kopf herum, wenn ich da unten sitze und rausgucke; da kann ich einfach nichts Klares mehr zusammenschreiben. Ich mußte an Nils denken, an Doris, an Tobias. Was sie jetzt wohl machen? Ich kam auf eine komische Idee: Sind sie eigentlich auch da, wenn ich nicht mit ihnen zusammen bin? Ich weiß, es ist eine totale schräge Idee. Aber was wäre, wenn alles um mich herum nur für den Augenblick existiert, wo ich da bin. Dann gäbe es jetzt in diesem Augenblick kein Bergbach, kein Hamburg. Jedenfalls nicht wenn ich nicht da bin? Eine absolut schräge Vorstellung. Und dabei habe ich noch nicht einmal Wein getrunken.

Samstag, 3. August 1996

3. August

"Paßt bloß auf, ihr wißt doch, daß die hier fahren wie die Idioten", jaja, Mom wieder. Es war aber ganz lustig. Eigentlich wollten wir ja nach Ravenna fahren, aber das war uns dann doch zu weit und wir sind nur bis Contarina gekommen. Es war total cool, obwohl es anfangs ziemlich anstrengend war, sich festzuhalten. Aber nach einer Weile hatte ich den Bogen raus und Phil fährt echt besser Vespa als Auto. Auf einem Feld haben wir dann ein Picknick gemacht.Eigentlich war alles perfekt, nur daß mich Diana fast die ganze Zeit vollplappern mußte. Aus Höflichkeit habe ich ja am Anfang immer noch geantwortet, aber das war wohl ein Fehler, denn sie hörte überhaupt nicht mehr mit dem Reden auf. Irgendwann fing sie dann auch noch an, mich auszufragen - naja, da stehe ich ja nun überhaupt nicht drauf. Ich guckte zu Phil, aber der zuckte nur mit den Schultern und grinste. Schließlich sagte ich ihr, daß ich Kopfschmerzen habe und daß ich jetzt mal einen Augenblick in den Schatten gehen würde und versuche zu schlafen. "Aaah....soll ich dir die Stirn massieren?" fragte sie. "Nein, nein, ich brauche einfach nur ein bißchen Ruhe" und ich trottete unter einen Baum. Zum Glück kam sie mir nicht hinterher und ich bin wohl tatsächlich eingeschlafen.

Irgendwann knuffte mich Phil in die Seite und meinte, ich soll nicht den ganzen Tag verschlafen. Naja, wir wollten ja eigentlich wieder losfahren, weil wie die Vespas noch vor sechs zurückbringen mußten, aber wir mußten noch eine halbe Ewigkeit auf Stefan und Jennifer warten, die sich in ein kleines Waldstück verzogen hatte. Ich kann mir schon denken, was sie da gemacht haben.

So, gleich ist wieder Grillparty angesagt. Mal gucken, eigentlich esse ich da immer so viel, aber vielleicht gehe ich hinterher doch noch eine Stunde am Strand joggen.

Ja, ich bin eine halbe Ewigkeit am Strand lang gejoggt. Diesmal in die andere Richtung, weil ich einfach mal wieder meine Ruhe haben wollte. Beim Laufen ist der Kopf ganz leer, das ist schön. Aber sobald ich aufhöre ist alles wieder da. Ich habe mich danach an den Strand gesetzt und einfach nur auf das Wasser rausgeguckt. Hier gibt es keinen kitschigen Sonnenuntergang am Meer, falsche Seite. Aber das ist vielleicht auch ganz gut so. Ich habe wieder mal über alles so nachgedacht. Eigentlich ist hier alles perfekt. Das Wetter, die Gegend, die Leute. Naja, die Leute fast. Wie schön wäre es, wenn ich hier mit einem anderen Jungen am Strand liegen könnte. Warum klappt bei den Heteros immer alles so reibungslos? Mir fiel die Szene von vorhin mit Stefan und Jennifer ein - als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt, machen sie miteinander im Wald rum. Shit, und ich sitze und renne alleine durch die Welt. Ja, ich habe wieder geheult. Vielleicht bin ich ungerecht. Wenn ich mir das alles angucke, dann geht es mir ja gut. Fast ganz gut, aber es fehlt diese eine Sache.

Freitag, 2. August 1996

2. August

"Mußt du eigentlich nicht auch im Urlaub trainieren, um fit zu bleiben?"
Es war ausgerechnet Phil, der mich beim Frühstück daran erinnern mußte.
"Ja, eigentlich schon."
Ok, er hat mich natürlich genau in meinem schlechten Gewissen getroffen. Wir sind fast eine Woche hier und ich habe nichts aber auch rein gar nichts gemacht. Naja und so hab ich mich nach dem Frühstück auf den Weg gemacht und bin am Strand langgejoggt. Ich habe festgestellt, daß es bestimmt viel effektiver ist, wenn man direkt an der Wasserkante läuft, weil da der Sand viel weicher ist und man heftiger arbeiten muß. Bin bis Rosapineta gejoggt, aber es war noch zu früh und die anderen waren noch nicht am Strand. Ok, ich gebe zu, am Strand joggen macht auf jeden Fall mehr Spaß als bei uns quer durch die Wiesen. Als ich zurück kam, war ich so fertig, daß ich mich erst mal für eine Weile wieder an den Strand packen mußte.

Am Abend haben wir mit den anderen aus Rosapineta Billard gespielt und jede Menge Rotwein getrunken. Stefan, dieser dumme Potsdamer mit dem Traumbody baggert wirklich jedes Mädel an, was ihn so über den Weg läuft. Meine Güte, der ist aber auch so strohdoof. Ok, er sieht wirklich geil aus, aber wenn er den Mund aufmacht, dann fällt man wirklich hintenüber. Nils hat irgendwann mal so einen Spruch zu Melanie gemacht: "Halt den Mund und sieh' gut aus!" Hehe, jetzt verstehe ist, was er damit gemeint hat. Ok, er meinte seinerzeit noch, sie sollte den Mund eigentlich nur aufmachen um einem einen zu blasen. Ich gebe zu, da hätte ich bei Stefan auch nichts dagegen, aber was soll's Hetero ist halt Hetero.

Auf jeden Fall haben wir uns alle zu morgen verabredet. Wir wollen uns ein paar Vespas ausleihen und durch die Gegend fahren. Jennifer hat mit dem Typen vom Verleih geflirtet und wir bekommen die Dinger billiger.

Donnerstag, 1. August 1996

1. August

"Heute ist mal wieder gemeinsamer Tag."
Na toll, ich habe überhaupt keine Lust, aber Mom besteht darauf. Sie meint, wenn wir schon zusammen in den Urlaub fahren, dann müssen wir auch gemeinsam Sachen unternehmen. Als wenn ich unbedingt scharf darauf gewesen wäre, daß wir alle zusammen in den Urlaub fahren. Naja, was soll's. Also sind wir nach Chioggia gefahren. Es war dann aber eigentlich ganz spannend. Chioggia ist in Wirklichkeit eine Insel, ein Damm mit Straße führt aber zum Festland. Und die Stadt sieht richtig so aus, wie man sich eine italienische Stadt immer vorstellt. Ich dachte eigentlich, nur Venedig hätte diese Kanäle, aber hier gibt es die auch. Was komisch ist, ist daß die Leute tatsächlich ihre Wäsche an der Leine quer über die Straße hängen. Mom findet es "malerisch", wie sie sagt. Naja, ich möchte mal das Gezeter hören, wenn unsere Nachbarn das auch machen würden. Es war aber insgesamt dann doch ganz nett. Auch hier wieder jede Menge Jungs, die Arm in Arm durch die Gegend laufen - naja ok, das scheint hier wirklich so üblich zu sein. Jedenfalls haben wir ganz lecker Fisch gegessen in einem witzigen Lokal direkt auf einem großen Platz. Gegen Abend kamen dann immer mehr Leute auf den Platz und es war richtig gute Stimmung. Was wirklich schön ist, ist daß es hier auch abends so warm ist, daß man auch wenn es dunkel ist noch ewig draußen sitzen kann. Das macht irgendwie die richtige Atmosphäre aus.