Dienstag, 18. Februar 1997

18. Februar

"Wer sollte dich denn verfolgen?"
Nils blickte mich ungläubig an, während er die Hantel mit einem lauten Krachen in die Halterung zurückfallen ließ. "Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat er oder sie ja UNS verfolgt." "Mach keine Witze. Das finde ich gar nicht komisch." Ich sah auf einmal so etwas wie Angst in seinen Augen. Na toll, jetzt mußte ICH ihn auch noch beruhigen. Ich, der ihm das eigentlich erzählt hatte, damit er mich beruhigt. "Ich nehme nicht an", begann ich oberlehrerhaft, "daß jemand tatsächlich UNS beobachtet hat. Denn dann wäre es heute schon in der ganzen Schule rum."
"Tim, mach darüber keine Witze, bitte." Nils wurde richtig blaß. Er kam mir auf einmal so hilflos und zerbrechlich vor, daß ich ihn am liebsten in den Arm genommen hätte, um ihn zu beruhigen. Immerhin schaffte ich es, ihn während des Rests des Krafttrainings zu beruhigen.
"Wir können uns nicht immer verstecken", sagte ich zu ihm auf dem Heimweg und kam mir auf einmal so erwachsen vor. "Was willst du denn machen? Willst du zu deinen Eltern gehen, willst du zu MEINEN Eltern gehen und es ihnen sagen? 'Guten Tag Frau Siebert, was ich ihnen schon immer mal erzählen wollte, ihr Sohn ist, er ist...'" Nils stockte. "Ihr Sohn ist schwul", führte ich den Satz zu Ende und ich bemerkte, wie er bei dem Wort zuckte. "Glaubst du denn, das würde ich machen?"
"Nein, natürlich nicht. Aber ich weiß nur einfach nicht, wie es weitergehen soll. Müssen wir uns jetzt für den Rest unseres Lebens verstecken?" Ich blickte ihm in die Augen. Wo war der coole und selbstbewußte Nils geblieben, der immer alles total locker nahm und durch nichts zu erschüttern schien? Ich muß zugeben, daß ich auch keine Antwort auf sein Frage hatte. Aber ich habe mir, wenn ich ehrlich bin, auch noch nie ernsthaft darüber Gedanken gemacht. "Warten wir einfach ab", sagte ich. Ok, ich gebe zu, diese Möglichkeit ist nicht besonders einfallsreich, aber eine bessere Idee hatte ich auch nicht. Nils seufzte und ich nahm ihn in den Arm: "Wir haben doch uns. Das ist doch das Wichtigste. Wir brauchen die anderen nicht, was hat sie das anzugehen. Sie werden es nie erfahren." Er drückte mich: "Laß mich bitte nicht allein. Laß mich bitte niemals allein." Er hatte Tränen in den Augen. Ich drückte seine Hand. Ich brauchte nichts zu sagen. Wir verstanden uns auch so.

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