Dienstag, 14. Oktober 1997
14. Oktober
"Gibst du mir noch weiter ein paar Nachhilfestunden?"
"Wieso?"
"Ich dachte. Ich will besser werden. Ich will nicht mehr jeden Kampf verlieren."
"Leon, Mensch..." Ich wußte nicht was ich sagen sollte. Ich sah ihn vor mir. So überhaupt kein Ringer, klein, zerbrechlich, schüchtern. Immer still in der Ecke sitzend, nie dabei, wenn wir rumblödeln, Party machen oder irgendwas. Und er tut mir leid. Und weil er mir leid tut sage ich ja. Obwohl ich es nicht will. Ich lege auf und rufe Nils an. Sage ihm, daß ich heute nicht zum Krafttraining gehe, daß ich morgen eine Stunde früher komme um mit Leon zu trainieren.
"Warum kommst du heute nicht zum Krafttraining? Was ist los?"
"Nichts, ich habe nur einfach keinen Bock."
"Daß mir das nicht einreißt."
Ich lege auf. Die Sonne scheint und ich weiß nicht, ob es mir gut geht oder nicht. Ich gehe in meinem Kopf jeden Augenblick mit Heiko durch, jedes Wort, was er gesagt hat, jeden Blick. Habe ich irgendwas Falsches gemacht, getan, gesagt? Nein, was denn? Das ist Heiko, diese verdammte Coolheit. Ich wünsche mir, daß es ihm irgendwann mal so geht wie mir. Nur ein einziges Mal, damit er weiß, wie ich leide. Was für ein Unsinn? Was habe ich geschrieben? Die große Verliebtheit ist vorbei? Und was ist das jetzt? Wann werde ich ihn wiedersehen? Das ist es. Verdammte Scheiße! Ich weiß nicht, was jetzt kommt. Was passiert jetzt? Ich gehe nicht zum Krafttraining und ich überlege, ob ich überhaupt noch zu irgendeinem Training gehen soll. Das ist doch nicht mehr normal. Warum soll ich für irgendwas noch trainieren? Worum kämpfen? Heiko ist in Köln, ich bin in Bergbach. Matthes ist in Köln, Nils ist in Bergbach. Wir sind alle da, wo wir hingehören. Alles ist so, wie es sein muß. Wo ist also das Problem? Warum fühle ich mich auf einmal so beschissen? Ich gehe laufen. Muß raus hier.
"Wieso?"
"Ich dachte. Ich will besser werden. Ich will nicht mehr jeden Kampf verlieren."
"Leon, Mensch..." Ich wußte nicht was ich sagen sollte. Ich sah ihn vor mir. So überhaupt kein Ringer, klein, zerbrechlich, schüchtern. Immer still in der Ecke sitzend, nie dabei, wenn wir rumblödeln, Party machen oder irgendwas. Und er tut mir leid. Und weil er mir leid tut sage ich ja. Obwohl ich es nicht will. Ich lege auf und rufe Nils an. Sage ihm, daß ich heute nicht zum Krafttraining gehe, daß ich morgen eine Stunde früher komme um mit Leon zu trainieren.
"Warum kommst du heute nicht zum Krafttraining? Was ist los?"
"Nichts, ich habe nur einfach keinen Bock."
"Daß mir das nicht einreißt."
Ich lege auf. Die Sonne scheint und ich weiß nicht, ob es mir gut geht oder nicht. Ich gehe in meinem Kopf jeden Augenblick mit Heiko durch, jedes Wort, was er gesagt hat, jeden Blick. Habe ich irgendwas Falsches gemacht, getan, gesagt? Nein, was denn? Das ist Heiko, diese verdammte Coolheit. Ich wünsche mir, daß es ihm irgendwann mal so geht wie mir. Nur ein einziges Mal, damit er weiß, wie ich leide. Was für ein Unsinn? Was habe ich geschrieben? Die große Verliebtheit ist vorbei? Und was ist das jetzt? Wann werde ich ihn wiedersehen? Das ist es. Verdammte Scheiße! Ich weiß nicht, was jetzt kommt. Was passiert jetzt? Ich gehe nicht zum Krafttraining und ich überlege, ob ich überhaupt noch zu irgendeinem Training gehen soll. Das ist doch nicht mehr normal. Warum soll ich für irgendwas noch trainieren? Worum kämpfen? Heiko ist in Köln, ich bin in Bergbach. Matthes ist in Köln, Nils ist in Bergbach. Wir sind alle da, wo wir hingehören. Alles ist so, wie es sein muß. Wo ist also das Problem? Warum fühle ich mich auf einmal so beschissen? Ich gehe laufen. Muß raus hier.
Montag, 13. Oktober 1997
13. Oktober
"Du hast Sex mit Heiko gehabt."
Das war keine Frage, das war eine Feststellung. Doris blickte mich mit zusammengekniffenem Auge an und legte den Kopf zur Seite.
"Woher willst du das wissen?"
"Du strahlst so. Du strahlst von innen. Du siehst nicht gerade so aus, als wenn du einen tierisch anstrengenden Wettkampf hinter dir hast."
"Aha."
"Sei nicht so wortkarg. Sprich!"
"Nein."
"Wie? Nein?"
"Nein, das ist ein Ding zwischen Heiko und mir. Ich will nicht darüber reden."
Für mich ist diese Sache tatsächlich etwas zwischen ihm und mir. Nicht mal Nils hatte ich davon erzählt, was und vor allem wo wir es gemacht hatten. Nein, das ist eine Sache, die nur Heiko und mich etwas angeht. Ich habe das komische Gefühl, ich würde diese Nacht irgendwie entwerten, wenn ich es jemandem erzähle.
"Sage mir nur eines: War Nils dabei?"
"Nein, natürlich nicht."
"Nein, natürlich nicht", äffte sie mich nach. "Ist das eigentlich bei allen Schwulen so?"
"Was soll bei allen Schwulen SO sein?"
"Daß da munter in der Gegend rumgevögelt wird. Egal, ob der Freund nebenan schläft oder nicht."
Ich blickte sie lange an. Ich wollte es ihr erklären, doch ich wußte nicht wie. Heiko war immer noch da und sogar in meinem Herzen. Aber es tat nicht mehr so weh. Denn ich weiß nun, daß auch er mich will. Und das ist ein sehr angenehmes Gefühl.
Das Turnier war natürlich DAS Gesprächsthema beim Training. Alle waren seltsamerweise tierisch stolz darauf, daß ich den vierten Platz belegt hatte. Na toll, vierter Platz, keine Medaille, nichts. Aber immerhin.
"Beim nächsten Mal", sagte Nils auf dem Heimweg, "gibt es mindestens Silber."
"Es wird kein nächstes Mal geben", meinte ich.
Er blieb stehen und schaute mich verwirrt an: "Wieso?"
"Es gibt für mich keinen Grund mehr, so hart zu trainieren. Ich habe erreicht, was ich wollte. Ich habe gegen Heiko gewonnen."
"War das alles? IST das alles? Natürlich hast du gegen Heiko gewonnen. Und ich bin bestimmt gebauso stolz darauf wie du. Aber das ist doch nicht alles. Es gibt mehr Gegner als Heiko."
"Natürlich gibt es mehr Gegner als Heiko. Aber du weiß ganz genau, was das für mich bedeutet hat. Daß das für mich persönlich wichtig war. Nicht der sportliche Sieg. Ich glaube, das weißt du."
"Das weiß ich. Und was glaubst du denn? Glaubst du, ich habe nicht mitgekriegt, WIE ihr beide euch angeguckt habt? Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, daß ihr euch schon seit Jahren kennt. Aber soll denn das ganze Training bis jetzt umsonst gewesen sein? War das wirklich nur dafür da, gegen diesen Typen zu gewinnen?"
Wenn er mich gefragt hätte, ob es das alles wert gewesen wäre, hätte ich glatt ja gesagt. Diese eine Nacht mit Heiko war diese ganzen elendigen Trainingssessions wert, die Schmerzen, die Nerverei, die Tränen. Und wenn es nur für diese eine Nacht gewesen wäre. Doch das konnte ich Nils so nicht sagen.
"Ich hatte ein Ziel. Und das habe ich erreicht. Und im Moment weiß ich nicht, wie es jetzt mit dem Ringen weitergeht. Ich werde aber ganz bestimmt nicht mehr so extrem trainieren."
Ich sah eine Spur Enttäuschung in Nils' Gesicht bevor er mich in den Arm nahm: "Paß auf mein kleiner Tim. Paß nur auf, daß du jetzt nicht in ein großes, großes Loch fällst. Jetzt wo alles vorbei ist, worauf du hin gearbeitet hast."
Nachdenklich ging ich nach Hause. Und nachdenklich schreibe ich das jetzt. Ich habe Angst.
Das war keine Frage, das war eine Feststellung. Doris blickte mich mit zusammengekniffenem Auge an und legte den Kopf zur Seite.
"Woher willst du das wissen?"
"Du strahlst so. Du strahlst von innen. Du siehst nicht gerade so aus, als wenn du einen tierisch anstrengenden Wettkampf hinter dir hast."
"Aha."
"Sei nicht so wortkarg. Sprich!"
"Nein."
"Wie? Nein?"
"Nein, das ist ein Ding zwischen Heiko und mir. Ich will nicht darüber reden."
Für mich ist diese Sache tatsächlich etwas zwischen ihm und mir. Nicht mal Nils hatte ich davon erzählt, was und vor allem wo wir es gemacht hatten. Nein, das ist eine Sache, die nur Heiko und mich etwas angeht. Ich habe das komische Gefühl, ich würde diese Nacht irgendwie entwerten, wenn ich es jemandem erzähle.
"Sage mir nur eines: War Nils dabei?"
"Nein, natürlich nicht."
"Nein, natürlich nicht", äffte sie mich nach. "Ist das eigentlich bei allen Schwulen so?"
"Was soll bei allen Schwulen SO sein?"
"Daß da munter in der Gegend rumgevögelt wird. Egal, ob der Freund nebenan schläft oder nicht."
Ich blickte sie lange an. Ich wollte es ihr erklären, doch ich wußte nicht wie. Heiko war immer noch da und sogar in meinem Herzen. Aber es tat nicht mehr so weh. Denn ich weiß nun, daß auch er mich will. Und das ist ein sehr angenehmes Gefühl.
Das Turnier war natürlich DAS Gesprächsthema beim Training. Alle waren seltsamerweise tierisch stolz darauf, daß ich den vierten Platz belegt hatte. Na toll, vierter Platz, keine Medaille, nichts. Aber immerhin.
"Beim nächsten Mal", sagte Nils auf dem Heimweg, "gibt es mindestens Silber."
"Es wird kein nächstes Mal geben", meinte ich.
Er blieb stehen und schaute mich verwirrt an: "Wieso?"
"Es gibt für mich keinen Grund mehr, so hart zu trainieren. Ich habe erreicht, was ich wollte. Ich habe gegen Heiko gewonnen."
"War das alles? IST das alles? Natürlich hast du gegen Heiko gewonnen. Und ich bin bestimmt gebauso stolz darauf wie du. Aber das ist doch nicht alles. Es gibt mehr Gegner als Heiko."
"Natürlich gibt es mehr Gegner als Heiko. Aber du weiß ganz genau, was das für mich bedeutet hat. Daß das für mich persönlich wichtig war. Nicht der sportliche Sieg. Ich glaube, das weißt du."
"Das weiß ich. Und was glaubst du denn? Glaubst du, ich habe nicht mitgekriegt, WIE ihr beide euch angeguckt habt? Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, daß ihr euch schon seit Jahren kennt. Aber soll denn das ganze Training bis jetzt umsonst gewesen sein? War das wirklich nur dafür da, gegen diesen Typen zu gewinnen?"
Wenn er mich gefragt hätte, ob es das alles wert gewesen wäre, hätte ich glatt ja gesagt. Diese eine Nacht mit Heiko war diese ganzen elendigen Trainingssessions wert, die Schmerzen, die Nerverei, die Tränen. Und wenn es nur für diese eine Nacht gewesen wäre. Doch das konnte ich Nils so nicht sagen.
"Ich hatte ein Ziel. Und das habe ich erreicht. Und im Moment weiß ich nicht, wie es jetzt mit dem Ringen weitergeht. Ich werde aber ganz bestimmt nicht mehr so extrem trainieren."
Ich sah eine Spur Enttäuschung in Nils' Gesicht bevor er mich in den Arm nahm: "Paß auf mein kleiner Tim. Paß nur auf, daß du jetzt nicht in ein großes, großes Loch fällst. Jetzt wo alles vorbei ist, worauf du hin gearbeitet hast."
Nachdenklich ging ich nach Hause. Und nachdenklich schreibe ich das jetzt. Ich habe Angst.
Sonntag, 12. Oktober 1997
12. Oktober
Mir geht so viel durch den Kopf. Irgendwann bin ich doch eingeschlafen
und aufgewacht, als Nils mich sanft auf die Stirn küßte und so etwas wie
"Aufstehen" flüsterte. Wir waren allein im Zimmer, Leon wahrscheinlich
unter der Dusche.
"Du bist wohl ziemlich spät zurückgekommen?"
Kein Vorwurf, einfach nur ein Feststellung.
Ich nickte. Konnte ihm nicht in die Augen sehen.
"Na, ich hoffe ihr habt Spaß gehabt."
Da schaute ich hoch, blickte in seine Augen und wollte etwas sagen. Doch es ging nicht. Noch eine Frage. Frag' bitte, flehte ich ihn stumm an. Ich hätte es ihm gesagt. Ich WOLLTE es ihm sagen, doch er fragte nicht. Ich weiß nicht, ob es ihm egal war, oder ob er das Thema absichtlich nicht ansprach. Jedenfalls war er den ganzen Morgen, den ganzen Tag über so wie immer. Einfach nur Nils. Ich sah Heiko noch einmal beim Frühstück. Wir lächelten uns über die endlosen Tischreihen an. Ich wäre am liebsten zu ihm rübergerannt, hätte ihn in den Arm genommen und einfach mitgeschleift.
Der Abschied war auch wieder typisch Heiko-like: "Na dann, vielleicht sehen wir uns ja mal." Dann drehte er sich um und war verschwunden, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Und ich, ich mußte tatsächlich mit den Tränen kämpfen.
Die Fahrt zurück war nicht sonderlich spannend. Nils und Leon redeten die meiste Zeit, während ich ab und zu wegnickte. Mein kleines verrücktes Leben. Ich habe einen Freund und ich habe irgendwo jemanden, der etwas ist, für den ich kein Wort finden kann. Ich hatte Heiko besiegt, aber komischerweise war es mehr der sportliche Erfolg, der mir etwas bedeutete. Es war nicht mehr dieses Besiegenwollen der eigenen Hilflosigkeit. Heiko und ich hatten eine der schönsten und geilsten Nächte zusammen verbracht und ich freue mich, daß ich es "geschafft" hatte. Ich freue mich, daß Heiko, diese Nacht mit MIR verbringen wollte. Ich freue mich, daß ich vielleicht doch irgendeine Rolle in seinem Leben spiele.
Dad holte uns in Stuttgart vom Zug ab. Hier war ich also wieder und während wir in Richtung Bergbach düsten, wunderte ich mich, daß die Landschaft, daß alles wieder so aussah wie vorher. Wir setzen Leon ab und Dad bringt Nils nach Hause. Ich steige mit aus, sage Dad, er soll schon vorfahren, ich komme zu Fuß nach. Das Schöne an Dad ist, daß er nie dumme Fragen stellt. Nils und ich stehen uns schweigend gegenüber. Dann plötzlich: "Du hast mir die Frage von vorhin noch nicht beantwortet. Hast du deinen Spaß gehabt?"
Ich nicke und versuche, meine Tränen runterzuschlucken. Er nimmt mich in den Arm und drückt mich ganz fest: "Es ist ok, mein kleiner Tim. Es ist doch ok."
Mein kleines verrücktes Leben.
"Du bist wohl ziemlich spät zurückgekommen?"
Kein Vorwurf, einfach nur ein Feststellung.
Ich nickte. Konnte ihm nicht in die Augen sehen.
"Na, ich hoffe ihr habt Spaß gehabt."
Da schaute ich hoch, blickte in seine Augen und wollte etwas sagen. Doch es ging nicht. Noch eine Frage. Frag' bitte, flehte ich ihn stumm an. Ich hätte es ihm gesagt. Ich WOLLTE es ihm sagen, doch er fragte nicht. Ich weiß nicht, ob es ihm egal war, oder ob er das Thema absichtlich nicht ansprach. Jedenfalls war er den ganzen Morgen, den ganzen Tag über so wie immer. Einfach nur Nils. Ich sah Heiko noch einmal beim Frühstück. Wir lächelten uns über die endlosen Tischreihen an. Ich wäre am liebsten zu ihm rübergerannt, hätte ihn in den Arm genommen und einfach mitgeschleift.
Der Abschied war auch wieder typisch Heiko-like: "Na dann, vielleicht sehen wir uns ja mal." Dann drehte er sich um und war verschwunden, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Und ich, ich mußte tatsächlich mit den Tränen kämpfen.
Die Fahrt zurück war nicht sonderlich spannend. Nils und Leon redeten die meiste Zeit, während ich ab und zu wegnickte. Mein kleines verrücktes Leben. Ich habe einen Freund und ich habe irgendwo jemanden, der etwas ist, für den ich kein Wort finden kann. Ich hatte Heiko besiegt, aber komischerweise war es mehr der sportliche Erfolg, der mir etwas bedeutete. Es war nicht mehr dieses Besiegenwollen der eigenen Hilflosigkeit. Heiko und ich hatten eine der schönsten und geilsten Nächte zusammen verbracht und ich freue mich, daß ich es "geschafft" hatte. Ich freue mich, daß Heiko, diese Nacht mit MIR verbringen wollte. Ich freue mich, daß ich vielleicht doch irgendeine Rolle in seinem Leben spiele.
Dad holte uns in Stuttgart vom Zug ab. Hier war ich also wieder und während wir in Richtung Bergbach düsten, wunderte ich mich, daß die Landschaft, daß alles wieder so aussah wie vorher. Wir setzen Leon ab und Dad bringt Nils nach Hause. Ich steige mit aus, sage Dad, er soll schon vorfahren, ich komme zu Fuß nach. Das Schöne an Dad ist, daß er nie dumme Fragen stellt. Nils und ich stehen uns schweigend gegenüber. Dann plötzlich: "Du hast mir die Frage von vorhin noch nicht beantwortet. Hast du deinen Spaß gehabt?"
Ich nicke und versuche, meine Tränen runterzuschlucken. Er nimmt mich in den Arm und drückt mich ganz fest: "Es ist ok, mein kleiner Tim. Es ist doch ok."
Mein kleines verrücktes Leben.
"Wo hast du denn bisher schon überall Sex gehabt?"
Wir saßen beim Chinesen und ich hatte gerade die zweite Portion gebackene Ente in mich reingeschaufelt, da traf mich Heikos Frage völlig unvorbereitet. Für eine Zehntelsekunde wollte ich sagen 'Was geht dich denn das an?' aber das wäre natürlich Unsinn. Das war wieder Heiko pur. Einfach so locker, easy und selbstverständlich. Und ich erzählte es ihm. Ich weiß nicht, ob es an dem Bier, an dem Pflaumenwein oder an meiner allgemeinen Stimmung lag. Ich war rundum glücklich und zufrieden. Da saß ich also mit Heiko und wir redeten, redeten über Sex und alles andere mögliche und unmögliche.
"Läufst du eigentlich noch immer vor den unangenehmen Sachen weg?"
"Was meinst du damit?"
"Das weißt du."
"Ich will eigentlich nur eines wissen."
"Und was? Mein Gott, nun laß dir doch nicht alles aus der Nase ziehen."
"Warum hast du mich damals, als ich dich angerufen habe, nicht die Sache zu Ende bringen lassen? Warum wolltest du nicht, daß ich den Kontakt abbreche? Wäre das nicht einfacher gewesen?"
"Siehst du, das habe ich dir damals schon gesagt. Natürlich wäre es einfacher gewesen. Aber WOLLTEST du das wirklich? Ich meine, willst du das immer noch?"
"Nein."
"Na siehst du. Außerdem wollte ICH es auch nicht. Und das zählt schließlich auch."
Ich gebe mich geschlagen.
"So, und was machen wir jetzt, wo wir richtig schön vollgefressen sind?"
"Keine Ahnung, ich kenne mich hier nicht aus."
"Wir könnten noch die Reste der Turnier-Party mitnehmen."
Ach ja, das stand auf den Plakaten in der Halle. Es gab ja tatsächlich eine große Party für alle Turnierteilnehmer. Ich weiß auch nicht, warum ich nicht eine Sekunde daran gedacht hatte, dorthin zu gehen.
"Ich glaube aber nicht", meinte Heiko, "daß da etwas Nettes rumläuft. Ringer sind meist sowieso ziemlich häßlich."
"Wie bitte?!"
"Ok, es gibt einige Ausnahmen. Aber im Allgemeinen mußt du doch zugeben, daß die meisten nicht besonders geil aussehen."
"Ich gehe nicht zum Ringen, weil da so viele geile Jungs rumlaufen."
"Und Nils?"
"Halt Nils da raus. Bitte!"
"Ok, ok. Womit wir noch immer nicht die Frage geklärt haben, was wir jetzt machen."
"Ich weiß es doch auch nicht."
Ich guckte ihn an, blickte ihm in die Augen. Mindestens fünf Minuten saßen wir dort und ich bekam alleine von diesem Blick einen Ständer. Wir brauchten nichts zu sagen. Wir wußten beide ganz genau, was wir wollten.
"Nein Heiko. Das geht nicht. Und überhaupt...wo denn?"
"Laß mich machen."
Ich sagte nichts. Ich trottete wie ein kleines Hündchen neben ihm her. Wieso, wieso nur. Er sagt, laß uns Sex haben und ich springe darauf an. Warum klappt das bei ihm? Woher nimmt er diese Sicherheit, diese Selbstverständlichkeit? Ich bin mir 1000%ig sicher, daß wenn es umgekehrt gekommen wäre, er irgendwas von wegen 'dich hatte ich schon mal' gesagt hätte und das wäre es dann gewesen. Und ich? Ich mache es mit. "Wie Wachs in deiner Hand." Und ich hasse mich dafür. Ich hasse mich dafür, daß ich so leicht zu durchschauen bin, was ich will und dafür, daß es Heiko so einfach bekommen kann. Wir landen im JGH.
"Wir können nicht in mein Zimmer gehen. Wenn Nils zurück kommt. Und Leon ist auch noch da."
Heiko legt seinen Finger auf meinen Mund: "Ganz ruhig, mein Kleiner. Wir gehen nicht in dein Zimmer. Und in meines auch nicht."
Er verschwand für einen Augenblick und kam dann mit seinem Rucksack wieder. Ich merkte, wie mich der Pflaumenwein immer wuschiger im Kopf machte.
"Wo gehen wir hin?" fragte ich ihn noch mal.
"Warte einfach ab und rede nicht so viel."
Er zog mich wieder raus auf die Straße. Und ich, ich trottete wie ein kleines Hündchen mehr hinter als neben ihm her. Mir wurde immer mulmiger. Was mache ich hier, ging mir durch den Kopf. Irgendwie scheinen sich alle Beteiligten darüber einig zu sein, daß Heiko und ich jetzt Sex haben werden. Alle wissen genau Bescheid: Heiko, Matthes, Nils und ich. Was geht hier ab? Für einen Moment kam mir der Gedanke, daß das alles eine abgesprochene Sache ist. Aber das war natürlich Unsinn. Ich weiß den Weg nicht mehr, den wir gelaufen sind. Ich weiß nur, daß wir auf einmal vor der Halle standen.
"Und jetzt?"
Heiko zog mich auf die Rückseite und zeigte mir ein offenes Fenster: "Dann mal rein."
"Wieso is dieses Fenster offen?"
"Du sollst da rein klettern und nicht so viel reden."
Für einen winzigen Moment wurde ich wieder nüchtern: "Wieso ist das Fenster offen?" fragte ich ihn scharf.
"Mein Gott, ich habe es vorhin ausgehakt, bevor ich gegangen bin."
Ich fragte nicht weiter. Ich fragte ihn nicht, WIESO er bereits heute Nachmittag gewußt hat, daß wir am Abend hier landen werden. Ich fragte nicht sondern kletterte durch das Fenster und sprang hinunter. Wir waren in der Umkleide und Heiko zog mich in die Halle. Es war eine total eigenartige Stimmung. Es war dunkel und von draußen schien nur ganz wenig Licht von den Straßenlaternen durch die Glasbausteine. Es war still, die Matten dämpften jeden unserer Schritte. Mein Herz klopfte, ich zitterte und ich weiß nicht, ob es meine Geilheit oder die Angst war, daß wir entdeckt werden. Das war alles so unwirklich, daß war wie in irgendeinem Film. Ich wußte nicht, ob das alles wahr ist oder nur geträumt. Doch es mußte stimmen. Da war Heiko, vor mir. Heiko auf den ich so geil war und für den ich meine Beziehung zu Nils auf's Spiel gesetzt hatte. Heiko griff meinen Arm, zog mich nach unten und setzte zu einem Kopfschwung an. Ich landete schmerzhaft auf der Matte, versuchte mich zu drehen, schaffte es sogar in die Bank doch da war Heiko wieder auf mir drauf. Er fegte meinen Arm weg und nun lag ich ganz unten. Über mir Heiko, ich spürte seinen Atem in meinem Nacken und ich spürte, wie seine Hand langsam unter mein Sweatshirt glitt. Ich weiß nicht wieso, doch ich wehrte mich. Ich wand mich unter ihm. Es war nicht so, als wenn ich ihn nicht wollte in dem Moment. Aber da war es plötzlich wieder dieses Gefühl von Hilflosigkeit ihm gegenüber. Er durfte alles, er konnte alles, er bekam alles. Er bekam mich und das wollte ich so nicht akzeptieren. Ich bockte, versuchte aufzustehen, warf mich auf ihn. Jetzt hatte ich ihn, doch sein verfluchtes Grinsen machte ihn wieder zum Sieger. Ich glaube in dem Moment wäre ich am liebsten aufgestanden und weggerannt. Ich bin nicht weggerannt. Heiko griff um meine Hüfte und drehte mich durch, so daß ich wieder auf dem Rücken landete.
"So leicht mein Kleiner, mache ich dir das nicht", flüsterte er mir zu. Ich versuchte mich zu wehen, doch ich wehrte mich nicht mehr richtig. Ich war einfach viel zu geil auf ihn und mein Sichwehren war entweder nur ein Spiel oder mein Versuch, mir selbst das nicht zuzugeben.
Als wir schließlich fertig waren, unsere Klamotten in der halben Halle verteilt waren und wir atemlos nebeneinander lagen, war mir, als wenn ich schwebte. Heiko stand vorsichtig auf und holte ein Handtuch aus seinem Rucksack. Es war alles geplant, es war alles von Anfang an so geplant schoß es mir durch den Kopf. Doch dann war es mir egal und es machte mich ein klein wenig stolz, daß sich Heiko so viel Mühe mit mir gegeben hatte. Das Fenster auszuhaken, an alles mögliche zu denken. Und jetzt lag ich in dieser Halle, in der ich noch vor ein paar Stunden Heiko besiegt hatte. Ich lag da und Heiko lag neben mir.
"Und?"
"Was und?"
"Wie war es?"
"Geil."
"Schön. Ich fand es auch geil." Er kuschelte sich in meinen Arm. Ich genoß den Augenblick und ich war glücklich. Und ich merkte, wie ich schon wieder Lust auf ihn bekam.
"Ich glaube", sagte Heiko, "wir werden noch viel Spaß zusammen haben."
Der Weg zurück zum JGH. Schweigend. Glücklich nicht. Aber auch nicht unglücklich. Es ist kalt. Und es wird langsam hell. Ich möchte so gerne seine Hand nehmen, doch das geht nicht. Ich kann es nicht und er würde es nicht wollen. Es war ein Wahnsinn, was wir da gemacht haben. Wir sind sogar so verrückt gewesen, daß wir dort hinterher unter die Dusche gegangen sind. Ein komischer Abschied auf dem Weg zu meinem Zimmer.
"Alles klar?" fragte Heiko. Ich nicke. Er tapert davon, ohne sich nur einmal umzudrehen. Ich glaube, wenn es irgendwann mal etwas gibt, wofür ich ihn hasse, ist es das. Ich schleiche mich in mein Zimmer. Nils schläft, Leon schläft. Krieche mit Klamotten ins Bett und kann nicht einschlafen. Greife mein Tagebuch und beginne zu schreiben. Mein Leben, mein verrücktes kleines Leben. Wie soll das weitergehen? Ich merke, daß diese ganz große Verliebheit weg ist. Aber da ist immer noch dieses Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins. Und dann ist da diese Geilheit. Diese Lust auf ihn. Ich weiß auch nicht wieso. Wenn ich mit Nils Sex habe ist es schön und bestimmt ebenso geil. Aber mit Heiko ist es etwas anderes. Vielleicht gerade deshalb weil wir nicht zusammen sind.
Wir saßen beim Chinesen und ich hatte gerade die zweite Portion gebackene Ente in mich reingeschaufelt, da traf mich Heikos Frage völlig unvorbereitet. Für eine Zehntelsekunde wollte ich sagen 'Was geht dich denn das an?' aber das wäre natürlich Unsinn. Das war wieder Heiko pur. Einfach so locker, easy und selbstverständlich. Und ich erzählte es ihm. Ich weiß nicht, ob es an dem Bier, an dem Pflaumenwein oder an meiner allgemeinen Stimmung lag. Ich war rundum glücklich und zufrieden. Da saß ich also mit Heiko und wir redeten, redeten über Sex und alles andere mögliche und unmögliche.
"Läufst du eigentlich noch immer vor den unangenehmen Sachen weg?"
"Was meinst du damit?"
"Das weißt du."
"Ich will eigentlich nur eines wissen."
"Und was? Mein Gott, nun laß dir doch nicht alles aus der Nase ziehen."
"Warum hast du mich damals, als ich dich angerufen habe, nicht die Sache zu Ende bringen lassen? Warum wolltest du nicht, daß ich den Kontakt abbreche? Wäre das nicht einfacher gewesen?"
"Siehst du, das habe ich dir damals schon gesagt. Natürlich wäre es einfacher gewesen. Aber WOLLTEST du das wirklich? Ich meine, willst du das immer noch?"
"Nein."
"Na siehst du. Außerdem wollte ICH es auch nicht. Und das zählt schließlich auch."
Ich gebe mich geschlagen.
"So, und was machen wir jetzt, wo wir richtig schön vollgefressen sind?"
"Keine Ahnung, ich kenne mich hier nicht aus."
"Wir könnten noch die Reste der Turnier-Party mitnehmen."
Ach ja, das stand auf den Plakaten in der Halle. Es gab ja tatsächlich eine große Party für alle Turnierteilnehmer. Ich weiß auch nicht, warum ich nicht eine Sekunde daran gedacht hatte, dorthin zu gehen.
"Ich glaube aber nicht", meinte Heiko, "daß da etwas Nettes rumläuft. Ringer sind meist sowieso ziemlich häßlich."
"Wie bitte?!"
"Ok, es gibt einige Ausnahmen. Aber im Allgemeinen mußt du doch zugeben, daß die meisten nicht besonders geil aussehen."
"Ich gehe nicht zum Ringen, weil da so viele geile Jungs rumlaufen."
"Und Nils?"
"Halt Nils da raus. Bitte!"
"Ok, ok. Womit wir noch immer nicht die Frage geklärt haben, was wir jetzt machen."
"Ich weiß es doch auch nicht."
Ich guckte ihn an, blickte ihm in die Augen. Mindestens fünf Minuten saßen wir dort und ich bekam alleine von diesem Blick einen Ständer. Wir brauchten nichts zu sagen. Wir wußten beide ganz genau, was wir wollten.
"Nein Heiko. Das geht nicht. Und überhaupt...wo denn?"
"Laß mich machen."
Ich sagte nichts. Ich trottete wie ein kleines Hündchen neben ihm her. Wieso, wieso nur. Er sagt, laß uns Sex haben und ich springe darauf an. Warum klappt das bei ihm? Woher nimmt er diese Sicherheit, diese Selbstverständlichkeit? Ich bin mir 1000%ig sicher, daß wenn es umgekehrt gekommen wäre, er irgendwas von wegen 'dich hatte ich schon mal' gesagt hätte und das wäre es dann gewesen. Und ich? Ich mache es mit. "Wie Wachs in deiner Hand." Und ich hasse mich dafür. Ich hasse mich dafür, daß ich so leicht zu durchschauen bin, was ich will und dafür, daß es Heiko so einfach bekommen kann. Wir landen im JGH.
"Wir können nicht in mein Zimmer gehen. Wenn Nils zurück kommt. Und Leon ist auch noch da."
Heiko legt seinen Finger auf meinen Mund: "Ganz ruhig, mein Kleiner. Wir gehen nicht in dein Zimmer. Und in meines auch nicht."
Er verschwand für einen Augenblick und kam dann mit seinem Rucksack wieder. Ich merkte, wie mich der Pflaumenwein immer wuschiger im Kopf machte.
"Wo gehen wir hin?" fragte ich ihn noch mal.
"Warte einfach ab und rede nicht so viel."
Er zog mich wieder raus auf die Straße. Und ich, ich trottete wie ein kleines Hündchen mehr hinter als neben ihm her. Mir wurde immer mulmiger. Was mache ich hier, ging mir durch den Kopf. Irgendwie scheinen sich alle Beteiligten darüber einig zu sein, daß Heiko und ich jetzt Sex haben werden. Alle wissen genau Bescheid: Heiko, Matthes, Nils und ich. Was geht hier ab? Für einen Moment kam mir der Gedanke, daß das alles eine abgesprochene Sache ist. Aber das war natürlich Unsinn. Ich weiß den Weg nicht mehr, den wir gelaufen sind. Ich weiß nur, daß wir auf einmal vor der Halle standen.
"Und jetzt?"
Heiko zog mich auf die Rückseite und zeigte mir ein offenes Fenster: "Dann mal rein."
"Wieso is dieses Fenster offen?"
"Du sollst da rein klettern und nicht so viel reden."
Für einen winzigen Moment wurde ich wieder nüchtern: "Wieso ist das Fenster offen?" fragte ich ihn scharf.
"Mein Gott, ich habe es vorhin ausgehakt, bevor ich gegangen bin."
Ich fragte nicht weiter. Ich fragte ihn nicht, WIESO er bereits heute Nachmittag gewußt hat, daß wir am Abend hier landen werden. Ich fragte nicht sondern kletterte durch das Fenster und sprang hinunter. Wir waren in der Umkleide und Heiko zog mich in die Halle. Es war eine total eigenartige Stimmung. Es war dunkel und von draußen schien nur ganz wenig Licht von den Straßenlaternen durch die Glasbausteine. Es war still, die Matten dämpften jeden unserer Schritte. Mein Herz klopfte, ich zitterte und ich weiß nicht, ob es meine Geilheit oder die Angst war, daß wir entdeckt werden. Das war alles so unwirklich, daß war wie in irgendeinem Film. Ich wußte nicht, ob das alles wahr ist oder nur geträumt. Doch es mußte stimmen. Da war Heiko, vor mir. Heiko auf den ich so geil war und für den ich meine Beziehung zu Nils auf's Spiel gesetzt hatte. Heiko griff meinen Arm, zog mich nach unten und setzte zu einem Kopfschwung an. Ich landete schmerzhaft auf der Matte, versuchte mich zu drehen, schaffte es sogar in die Bank doch da war Heiko wieder auf mir drauf. Er fegte meinen Arm weg und nun lag ich ganz unten. Über mir Heiko, ich spürte seinen Atem in meinem Nacken und ich spürte, wie seine Hand langsam unter mein Sweatshirt glitt. Ich weiß nicht wieso, doch ich wehrte mich. Ich wand mich unter ihm. Es war nicht so, als wenn ich ihn nicht wollte in dem Moment. Aber da war es plötzlich wieder dieses Gefühl von Hilflosigkeit ihm gegenüber. Er durfte alles, er konnte alles, er bekam alles. Er bekam mich und das wollte ich so nicht akzeptieren. Ich bockte, versuchte aufzustehen, warf mich auf ihn. Jetzt hatte ich ihn, doch sein verfluchtes Grinsen machte ihn wieder zum Sieger. Ich glaube in dem Moment wäre ich am liebsten aufgestanden und weggerannt. Ich bin nicht weggerannt. Heiko griff um meine Hüfte und drehte mich durch, so daß ich wieder auf dem Rücken landete.
"So leicht mein Kleiner, mache ich dir das nicht", flüsterte er mir zu. Ich versuchte mich zu wehen, doch ich wehrte mich nicht mehr richtig. Ich war einfach viel zu geil auf ihn und mein Sichwehren war entweder nur ein Spiel oder mein Versuch, mir selbst das nicht zuzugeben.
Als wir schließlich fertig waren, unsere Klamotten in der halben Halle verteilt waren und wir atemlos nebeneinander lagen, war mir, als wenn ich schwebte. Heiko stand vorsichtig auf und holte ein Handtuch aus seinem Rucksack. Es war alles geplant, es war alles von Anfang an so geplant schoß es mir durch den Kopf. Doch dann war es mir egal und es machte mich ein klein wenig stolz, daß sich Heiko so viel Mühe mit mir gegeben hatte. Das Fenster auszuhaken, an alles mögliche zu denken. Und jetzt lag ich in dieser Halle, in der ich noch vor ein paar Stunden Heiko besiegt hatte. Ich lag da und Heiko lag neben mir.
"Und?"
"Was und?"
"Wie war es?"
"Geil."
"Schön. Ich fand es auch geil." Er kuschelte sich in meinen Arm. Ich genoß den Augenblick und ich war glücklich. Und ich merkte, wie ich schon wieder Lust auf ihn bekam.
"Ich glaube", sagte Heiko, "wir werden noch viel Spaß zusammen haben."
Der Weg zurück zum JGH. Schweigend. Glücklich nicht. Aber auch nicht unglücklich. Es ist kalt. Und es wird langsam hell. Ich möchte so gerne seine Hand nehmen, doch das geht nicht. Ich kann es nicht und er würde es nicht wollen. Es war ein Wahnsinn, was wir da gemacht haben. Wir sind sogar so verrückt gewesen, daß wir dort hinterher unter die Dusche gegangen sind. Ein komischer Abschied auf dem Weg zu meinem Zimmer.
"Alles klar?" fragte Heiko. Ich nicke. Er tapert davon, ohne sich nur einmal umzudrehen. Ich glaube, wenn es irgendwann mal etwas gibt, wofür ich ihn hasse, ist es das. Ich schleiche mich in mein Zimmer. Nils schläft, Leon schläft. Krieche mit Klamotten ins Bett und kann nicht einschlafen. Greife mein Tagebuch und beginne zu schreiben. Mein Leben, mein verrücktes kleines Leben. Wie soll das weitergehen? Ich merke, daß diese ganz große Verliebheit weg ist. Aber da ist immer noch dieses Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins. Und dann ist da diese Geilheit. Diese Lust auf ihn. Ich weiß auch nicht wieso. Wenn ich mit Nils Sex habe ist es schön und bestimmt ebenso geil. Aber mit Heiko ist es etwas anderes. Vielleicht gerade deshalb weil wir nicht zusammen sind.
Samstag, 11. Oktober 1997
11. Oktober
"Hi! Wie geht's dir?"
Da stand er vor mir. Heiko in voller Lebensgröße. Ich war gerade auf dem Weg zum Wiegen als er mir entgegenkam. Ein winzigen Augenblick zögerten wir beide und dann umarmten wir uns. So wie sich eben zwei Jungs umarmen. Ich blickte ihm in die Augen: er grinste oder lächelte, wie man es eben nennen will. Mein Herz schlug Purzelbäume und ich mußte mich losreißen, ihn nur anschauen zu wollen. Ich versuchte irgendwas zu sagen, irgendwas halbwegs intelligentes. Mir fiel nichts anderes ein als die Frage nach dem Gewicht. "59 Kilo und du?"
"Ich denke mal auch so. also, gleiche Klasse."
"Gib's zu, das ist der einzige Grund, warum du hier bist."
Was sollte ich ihn anlügen. Mein Gedanken, meine Gefühle, alle an mir schien ein offenes Buch für ihn zu sein. "Stimmt, du hast recht."
"Dachte ich mir doch. Dein Freund kommt."
Nils kam auf uns zu. Für ein paar Sekunden gab es ein total peinliches Schweigen. Ich glaube uns allen ging in dem Augenblick durch den Kopf, was zwischen Heiko und mir abgegangen war. Ich glaube, ich wurde rot.
"Und du bist Tims persönlicher Coach, oder machst du auch mit?"
"Nein, ich bin nur zur moralischen und körperlichen Erbauung hier. Ich kämpfe nicht."
"Na dann...bis später."
Heiko beendete die Szene, bevor sie unerträglich wurde, indem er zu Matthes taperte. Zum Glück war es doch gar nicht so schlimm gewesen.
"Man KÖNNTE sagen, daß er ganz attraktiv ist. Wenn man auf so jemanden wie ihn stehen würde."
"Was soll DAS denn bedeuten? Attraktiv, was ist denn das überhaupt für ein Wort? Und was meinst du damit, wenn du sagst 'wenn man auf so jemanden wie ihn stehen würde'?"
"Die, die immer so unschuldig aussehen, aber es gar nicht sind."
"Was weißt DU denn, auf was für einen Typ ich stehe? Siehst DU etwa unschuldig aus?"
Nils grinste: "Ich kriege doch mit, welchen Jungs du immer hinterher guckst."
Anscheinend bin ich für alle auf der Welt ein offenes Buch. Nur für mich nicht.
"Gleiche Klasse wie Heiko, na dann kann's ja losgehen", murmelte Nils. Nach dem Wiegen folgte der Einmarsch und dann ging es auch schon los. Nils und ich setzten uns an die Stirnseite der Halle und schauten uns die Kämpfe auf der vorderen Matte an. Leon hatte sich seinen Walkman übergestülpt und sich die Kapuze von seinem Sweatshirt tief über den Kopf gezogen.
Heiko saß mit Matthes schräg gegenüber in der Mitte der Halle an Matte 2. Ein paar Male trafen sich unsere Blicke und Heiko lächelte. Es war kein Grinsen, es war ein Lächeln. Mir wurde jedesmal heiß und kalt. Shit, was passiert denn wieder mit mir? Matthes lächelte nicht. Matthes schien gelangweilt, während Heiko ihm etwas erzählte. Vermutlich erklärte er ihm die Griffe oder die Punkte. Für einen Fußballer bestimmt nicht sonderlich spannend.
Es kam Leons erster Kampf. Er schlug sich wacker und ich schrie mir fast die Kehle aus dem Hals, aber schließlich verlor er; sogar auf Schulter. Nils machte ein hilflose Handbewegung als er zu mir zurückkam: "Kann man machen nichts", äffte er Dimitri nach.
Dann kam der erste Aufruf zu meinem ersten Kampf. Natürlich kannte ich meinen Gegner nicht. Jemand von Luftfahrt Berlin. Und als ich ihn sah, rutschte mir wieder mal das Herz sonstwohin. Warum sehen eigentlich alle meine Gegner immer viel größer und muskulöser aus als ich? Bin ich in der falschen Gewichtsklasse. Na toll. Was habe ich mir hier eigentlich vorgenommen? Nach welchem Schema läuft das hier? Poolsystem, Nordisches Turnier? Shit, wenn ich Pech habe, dann fliege ich gleich in der ersten Runde raus, oder doch nicht? Warum hatte ich nicht Nils vorher gefragt? Ich mußte gewinnen, ich WOLLTE gewinnen. Und ich gewann. Mein Single Leg klappte auf Anhieb und der Typ landete auf der Seite. Dadurch, daß er so groß war, war ich schneller. Ich schaffte es, auf seinen Rücken zu kommen und griff nach seinen Beinen. Das klappte zwar nicht ganz so toll aber immerhin war ich in der Pause mit 5:2 in Führung. Ich saß in meiner Ecke und Nils fächerte mir Luft zu. "Mach einfach weiter so. Du bist schneller, das mußt du ausnutzen."
Heiko saß jetzt an meiner Matte und schaute zu. Kurz trafen sich unsere Blicke. Ich weiß nicht, ob er lächelte. Ich schaffte es und gewann mit 8:3. Als der Schiedsrichter meinen Arm hob trafen sich Heikos und mein Blick. 'Für dich', dachte ich, 'diesen Sieg habe ich nur für dich errungen.'
Nils klopfte mir auf die Schulter und Leon nickte anerkennend. "Für den Anfang schon nicht schlecht. Eher mehr ganz gut, würde ich sagen."
Der nächste Kampf stand an. Heiko gegen jemanden aus Goldbach. Ich weiß nicht wieso. Ich konnte es nicht sehen. Ich ging in die Kabine. Nils kam hinterher: "Was ist denn los? Willst du nicht sehen, wie dein nächster Gegner kämpft?"
"Nein. Ich will es nicht sehen. Ich kann da jetzt nicht zusehen."
Nils ging kopfschüttelnd raus und kam rein, als der Kampf vorbei war. "Falls es dich interessiert: dein Schnuckel hat gewonnen."
"Mein Schnuckel", begann ich zu protestieren, doch ich wollte mich nicht streiten. Ich ging mit Nils zusammen zurück in die Halle. Jetzt kamen die anderen Gewichtsklassen dran. Ich wollte so gerne zu Heiko rübergehen. Mit ihm reden. Und ihm eigentlich sagen, laß uns diesen ganzen Scheiß hier vergessen und ein bißchen zusammen durch die Gegend gehen. Aber das ging natürlich nicht. Also lief ich total nervös auf und ab. Wie ein Tiger im Käfig. Shit, warum hatte ich nicht meinen Walkman eingepackt? Irgendwann wurde es Nils zu bunt und er packte mich und schob mich zu einer Gruppe, die am anderen Ende der Halle saß. Ein großes Gejohle, offenbar kannten sie Nils, SAV, also Heimmannschaft. Nils schien sowieso alle Welt zu kennen. Als nächstes ging es zu einer Gruppe aus Hessen.
"Woher kennst du die denn alle?" wollte ich wissen.
"Wenn man so lange im Geschäft ist..."
Das klang echt so, als wäre er ein Hollywood-Agent.
Dann kam Leons zweiter Kampf. Der war zwar schon besser als der erste, aber mit 6:4 immer noch verloren. "Dann bist du wohl Bergbachs einzige Medaillenhoffnung", seufzte Nils.
Dann kam ich. Ich trat tatsächlich gegen jemanden aus Hamburg an. Irgendwie cool. Am liebsten hätte ich ihm gesagt: Hey, ich komme auch aus Hamburg. Das habe ich dann aber doch lieber gelassen. Der Kampf war einfach. Jetzt sage ICH sogar schon, daß er einfach war. Aber er ging schnell. Kurz vor Ende der ersten Runde schaffte ich sogar einen Schultersieg. Ich war selber ganz übergerascht. Wieder hob der Schiedsrichter meinen Arm hoch. Wieder suchte ich Heikos Blick, doch der unterhielt sich mit irgendwem anderes und hatte offenbar nichts von meinem Kampf mitbekommen. Na toll. Ich trottete zu meinem Platz. "Was hörst du da eigentlich?" fragte ich Leon. Er reichte mir die Kopfhörer. Schrecklich: Jazz! Ich gab sie ihm mit spitzen Fingern wieder zurück. Ich glaube er und Tobias würden sich prächtig verstehen.
Das übliche Gewusel bei solchen Veranstaltungen. So diszipliniert am Anfang beim Einmarsch noch alles ist, desto mehr sieht die Halle nach einer Weile aus wie ein Heerlager zu altrömischer Zeit. Taschen, Handtücher, Rucksäcke, Plastikflaschen, Klamotten. Alles lag kreuz und quer in der Gegend rum. Viele machten es so wie Leon und zogen sich mit ihrem Walkman zurück. Einige hüpften permanent umher und taten so als würden sie sich aufwärmen. Und dann war da noch Tim. Tim, der auch am liebsten vor Aufregung hin und hergehüpft wäre. Der kribbelte und vor Aufregung zitterte. Und trotzdem äußerlich ganz ruhig sitzen blieb. Aber in ihm kochte und brodelte alles. Heiß und kalt wechselten sich ab. Jetzt würde es also gleich passieren. Das, worauf ich ein halbes Jahr lang hingearbeitet hatte, wofür ich trainiert hatte. Nachts aufgewacht, nicht mehr einschlafen können. Verflucht, geheult und geschrieben. All das würde jetzt passieren. Heiko und ich zusammen auf der Matte. Der Aufruf kommt. Ich drückte noch einmal ganz fest den Bären von Doris und Nils' Eisbär. Meine beiden Glücksbringer. Dann gucke ich zu Nils. Ich habe Angst. So viel Angst hatte ich noch vor keinem Kampf. Und trotzdem will ich es. Ich will es wissen. Ich will es hinter mich bringen und ich will es schaffen. Nils schaut mich ernst an, dann drückt er mich kurz. Ich weiß, daß ihm das jetzt mindestens ebenso viel bedeutet wie mir. Ich gehe in die Mitte der Matte. Auf Heikos Gesicht ein Lächeln: "Na dann wollen wir mal", murmelt er. Ganz so, als würden wir zu einem Spaziergang aufbrechen. Wir geben uns die Hand. Das Lächeln verschwindet. Der Schiedsrichter tritt zurück. Ich bin allein, allein mit Heiko. Und doch um uns herum eine ganze Welt, die zuschaut. Ein Pfiff, der Kampf beginnt.
Wie automatisch mache ich wieder meinen Single Leg. Und auch diesmal klappt er. Jedenfalls fast. Heiko ist schnell, verdammt schnell. Noch ehe ich es schaffe, mich nach oben zu arbeiten, hat er sich schon auf den Bauch gedreht. Immerhin kriege ich Punkte. Ich versuche es mit einer Beinschraube, verhaspele mich selber dabei und Heiko schafft es, aufzustehen und hinter mich zu kommen. Er wirbelt mich herum und nun lande ich plötzlich schmerzhaft auf dem Bauch. Arme breit, zehn Uhr, zwei Uhr. Du mußt eins werden mit der Matte. Ich merke, daß er mindestens ebenso nervös ist wie ich. Er versucht irgendwelche Griffe anzusetzen und läßt es gleich wieder. Bis der Kampfrichter schließlich abpfeift und der Kampf im Stand weitergeht. Ich vermeide es, Heiko anzugucken. Ich will ihn nicht anschauen, nicht in seine Augen sehen. Diesmal war er schneller. Ich konnte gar nicht so schnell denken, da hatte er schon meinen Arm gegriffen und mich zu Boden gezogen. Ich spüre, wie er auf mir landet, spüre sein Gesicht ganz dicht an meinem Nacken. Was ist das nur für eine bekloppte Sache, die ich hier mache? Anstatt mit ihm irgendwo im Bett zu liegen, wälzen wir uns beide auf dieser Matte, vor einem grölenden Publikum. Unsere beiden Freunde stehen irgendwo am Mattenrand und Heiko und ich veranstalten hier so was wie eine Art mittelalterliches Duell. Total daneben. Das alles schoß mir durch den Kopf und dadurch paßte ich eine Sekunde lang nicht auf. Zeit genug für ihn, meinen Brustkorb zu umfassen, mit dem Griff nach unten an die Hüfte zu gehen und eine Rolle anzusetzen. Gerade als er mich halb herumgedreht hatte, machte ich meine Arme und Beine breit und versuchte, mich mit aller Kraft auf ihn fallen zu lassen. Und es klappte: er bekam mich nicht mit der Rolle herum, während er selbst fast auf der Schulter landete, ich auf ihm drauf. Ich schaffte es, seinen Griff zu lösen und versuchte mich umzudrehen, doch da war er auch schon wieder auf dem Bauch. Noch bevor ich etwas machen konnte, kam der Halbzeitpfiff.
"Hast du alles vergessen, was wir in den letzten Monaten trainiert haben?", blaffte Nils mich an. "Du hast so viele Chancen gehabt. Und nichts hast du da draus gemacht. Also, verdammt noch mal reiß dich zusammen. Ich will, daß du gewinnst. Ist das klar?"
Ich konnte nichts sagen. Ich war zu sehr außer Atem. Jede einzelne meiner Rippen tat weh und jetzt kam noch eine zweite Runde. Wieder zurück in die Mitte. Pfiff. Ich versuchte noch mal meinen Single Leg und er klappte wieder. Fast jedenfalls. Diesmal schien Heiko darauf vorbereitet gewesen zu sein. Denn kaum hatte ich sein Bein gepackt, beugte er sich vornüber, griff um meinen Brustkorb, ließ sich nach hinten fallen und warf mich dabei über seinen Kopf. Ich landete schmerzhaft auf der Matte, doch ich hatte nicht einmal Zeit noch Luft zu holen, da warf er sich auf mich. Ich wollte schreien, so sehr taten meine Rippen weh, doch ich biß mir lieber auf die Zunge. Nur noch weg, nur noch raus hier, dachte ich. Heiko setze einen Nackenhebel an. Mit einer Gewalt, daß ich Angst bekam. Er begann, mich herumzudrehen, langsam, ganz langsam. Er drückte mich immer weiter nach unten. Eine meiner Schultern war bereits auf der Matte, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich völlig geschultert war. Er drückte und stieß mit all seiner Kraft, mit seinem gesamten Gewicht in meine Seite. Ich bekam keine Luft mehr, vor meinen Augen tanzten kleine Leuchtpunkte und Blitze, in meinen Ohren nur noch Rauschen. Ich war kurz davor zu heulen. Aber irgendwas in mir sträubte sich dagegen aufzugeben. Nein, nicht du. Nicht Heiko. Und wenn es der letzte Kampf ist, den ich mache. Ich will gewinnen! Scheiß drauf, was Nils sagt, was Werner oder Mahmout sagen. Es ist mir alles scheißegal. ICH, nur ICH will gewinnen. Ich kriegte mit, wie der Kampfrichter neben mir am Boden war, die Pfeife schon im Mund und die Handfläche schwebend über der Matte. Ich schrie ein NEIN in mich hinein, streckte meinen Kopf nach hinten und drehte mich über meine eigene Schulter zur Gegenseite und nahm Heiko dabei mit. Auf einmal kam ich mir vor wie in einem dieser Ami-Sportfilme, in denen der Held ganz plötzlich DIE Superaktion in Zeitlupe macht. Stille, absolute Stille. Der Gegner landet krachend auf der Matte und plötzlich setzen die Fanfaren ein. Ok, hier waren es keine Fanfaren, hier hörte ich plötzlich wieder alles um mich in der Halle, das Jubeln der Zuschauer, ich hörte sogar Nils rufen, auch wenn ich nichts verstand. 11:7, ich lag trotz dieser Aktion immer noch vier Punkte im Rückstand und nur noch eine halbe Minute Kampfzeit. Wenn das ganze Krafttraining in den letzten Monaten für irgend etwas gut war, dann jetzt. Ich griff nach Heikos Arm, nach seinem Kopf. Nun versuchte ich ihn auf die Schulter zu drücken. Er wand sich unter mir, strampelte und bäumte sich auf. Ich zog den Griff enger. Schweiß tropfte von meiner Stirn, lief mir in die Augen. Ich brauchte nichts mehr zu sehen. Ich fühlte wie Heikos Widerstand schwächer wurde, aber würde ich es in den letzten Sekunden noch schaffen. Ich hörte wie er fast ein bißchen jammerte, seufzte und ich fühlte genau, wie sehr er sich in dieser Sekunde ärgerte, daß ich die Oberhand hatte.
"Tiiiiiiim!" Das war Nils. Nein Nils, das ist nicht dein Sieg. Das ist MEIN Sieg. Mit meiner letzten noch verbliebenen Kraft rammte ich meine Schulter gegen seine. Der Kampfrichter schlug mit der Hand auf die Matte. Einen Moment später ertönte der Gong. Jubel in der Halle. Es war, als wenn alle nur noch unseren Kampf verfolgt hätten.
"Du kannst ihn jetzt loslassen", sagte der Kampfrichter. Ich stand auf. Ein stechender Schmerz in meinem Knie. Aber ich ignorierte ihn, humpelte zur Mitte. Mein Arm wurde hochgehoben. Alles drehte sich um mich. Jetzt, jetzt schaute ich zum ersten Mal Heiko an, zum ersten Mal blickte ich wieder in seine Augen. Aber ich weiß nicht mehr, was ich sah. Ein ganz klein wenig Lächeln. Wir umarmten uns. "Na siehst du", flüsterte er mir ins Ohr. Ja, ich habe es geschafft. Ich taperte zurück in meine Ecke. Da stand ein breit grinsender Nils, die Arme in die Seite gestemmt. Er schlang mir das Handtuch um den Hals und zog mich zu Boden: "Ich bin tausendmal gestorben. Noch spannender konntest du es wohl nicht machen was?" Er umarmte mich: "Gut gemacht, mein Schatz" flüsterte er mir ins Ohr. Leon kam und klopfte mir auf die Schulter.
"Warum hinkst du denn?"
"Ich glaube irgendwas ist wieder mit meinem Knie."
Ich humpelte in die Kabine, während Nils mich stütze. Kaum war die Tür hinter uns zugefallen, umarmte er mich und gab mir einen langen Kuß.
"Du hast es geschafft."
Ich lächelte. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich konnte nur nicht sagen, wie es mir nun ging. Ich bat Nils, erst mal einen Eisbeutel oder so was zu organisieren. Er kam gleich mit den beiden Maltesern zurück, die mein Knie von allen Seiten begutachteten, bewegten ehe sie schließlich ein Coldpack raufbeppten.
"Du solltest das lieber Röntgen lassen", meinte der Ältere von den beiden.
"Kommst ja überhaupt nicht in Frage", plärrte ich. Ich habe mindestens noch zwei Wettkämpfe. Da tapere ich doch nicht ins Krankenhaus."
"Du willst doch nicht mit dem Knie noch einmal auf die Matte."
"Aber sicher doch."
"Nix da."
"Ich gehe da wieder raus, verdammt noch mal!" schrie ich. "Ich habe in der nächsten Runde ein Freilos. In einer halben Stunde ist das wieder ok mit dem Knie. Ich kenne das schon", log ich.
Die beiden zuckten mit den Schultern und trotteten davon. Ich legte mich auf die Bank und beppte meinen Fuß auf eine Sporttasche. "Das wird schon", beruhigte ich Nils, der ganz besorgt guckte.
Und es wurde tatsächlich besser. Nach zehn Minuten tat es schon fast nicht mehr weh und ich ging vorsichtig zurück in die Halle.
Gewonnen. Ich hatte gegen Heiko gewonnen und ich konnte noch immer nicht sagen, wie ich mich fühlte. Nils strahlte und ich sah ihm an, wie stolz er war. Mein Sieg, sein Sieg. So sei es. Gerade als Nils lostaperte, um die Wasserflaschen zu füllen, kam Heiko an: "Du warst ja so lange in der Kabine mit Nils? Habt ihr rasch einen Quickie geschoben?"
Jedem anderen hätte ich auf der Stelle eine reingehauen. Heiko brauchte ich nur anzugucken, sein Grinsen und ich konnte ihm nicht mehr böse sein.
"Wir haben es nicht miteinander getrieben sondern ich habe mir mein Knie verarzten lassen, daß DU mir halb zertrümmert hast." Leider klappte das mit dem schlechten Gewissen einreden nicht.
"Ich soll dir das Knie zertrümmert haben? Soll ich dir mal erzählen, was DU so alles angerichtet hast? Mein Oberarm wird garantiert für die nächsten Wochen vor lauter blauen Flecken nicht mehr zu sehen sein, mit deinen komischen Beinangriffen hast du mir fast die Hüfte ausgekugelt und mein Handgelenk ist in deinem Schraubstockgriff auch nicht gerade besser geworden.
"Ich wußte gar nicht, daß du so ein Weichei bist."
Heiko buffte mich in die Seite und traf natürlich genau die Rippen, die sowieso schon wehtaten. Doch ich ließ mir nichts anmerken. "Wir sind noch nicht fertig miteinander", sagte er.
"Wie meinst du das?"
Doch er antwortete nicht. Nils kam.
"Du hast einen guten Trainer", sagte Heiko.
Nils grinste. Ich sah, wie sich ihre beiden Blicke trafen. Aber ich konnte nicht erkennen, was jeder von ihnen dachte.
"Guter Ringer, guter Trainer, alte chinesische Weisheit."
Dann wieder Schweigen. Jetzt kam zu allem auch noch Matthes und meinte, er würde etwas rausgehen, er fände das alles langweilig.
"Dann geh doch. Denk nur daran, rechtzeitig wieder hier zu sein, ich habe nämlich den Schlüssel für unser Zimmer." Das alles sagte Heiko ohne sich überhaupt zu ihm umzudrehen. Kaum war Matthes weg, meinte Heiko: "Er nörgelt schon den ganzen Tag rum. Ich frage mich echt, warum er überhaupt mitgekommen ist."
Es war mir peinlich, daß Heiko so über ihn redete.
Leon verlor auch seinen nächsten Kampf. Er tat mir richtig leid. Und dann kam mein nächster Kampf. Ich ging mit richtig guter Stimmung auf die Matte. Ich hatte Heiko besiegt. Aber vielleicht war mir das zu Kopf gestiegen. Vielleicht war ich dadurch so unkonzentriert geworden. Jedenfalls war der Kampf nach 30 Sekunden vorbei, ein Wurf und ich landete auf dem Rücken, keine Chance. Nils runzelte die Stirn als ich zurück in meine Ecke kam: "Was war das denn jetzt? Dein Knie? Oder hast du jetzt nach Heiko keine Lust mehr, dich überhaupt noch anzustrengen?"
"Ich weiß es nicht, keine Ahnung. Es ging alles so schnell."
Ein lange Blick von Nils. Ob als Ermahnung oder Strafe, ich weiß es nicht.
Heiko dagegen gewann seinen Kampf durch technische Überlegenheit. Es war seltsam. Plötzlich hatte ich Angst um ihn, als ich ihn so kämpfen sah. Natürlich Quatsch, denn was sollte ihm passieren. Aber trotzdem.
Eigentlich hatte ich auch gar keine Lust mehr dazubleiben. Weswegen ich hergekommen war, hatte ich geschafft. Also, wozu noch hier rumsitzen? Natürlich ging das nicht, ich hatte noch einen Kampf. Da konnte ich nicht abhauen. Immerhin gewann Leon seinen nächsten Kampf. Zwar knapp mit 7:6, aber immerhin. Er strahlte als er von der Matte kam. Ich freute mich echt für ihn.
Ja und dann kam mein letzter Kampf. Und wieder habe ich meinen typischen Fehler gemacht und meinen Gegner unterschätzt. Er war kleiner und auch dünner als ich. Und ich dachte schon, daß ich ein leichtes Spiel hätte. Aber nichts da. Was ich auch versuchte, er wand und zappelte sich aus allen Griffen heraus und konterte. Schließlich verlor ich mit 9:6 ziemlich schwach und schlich mich in meine Ecke. Nils verzog das Gesicht und mußte eigentlich gar nichts sagen. Doch er sagte was: "Minimalringer."
"Du bist echt ungerecht. Immerhin habe ich die ersten drei Kämpfe gewonnen.
"Ja und die letzten beiden verloren. So sauschlecht hast du ja noch nicht mal bei deinem ersten Wettkampf gerungen."
"Du weiß genau, warum ich hierher gekommen bin. Das weiß du ganz genau."
"Denkst du denn, jetzt ist alles vorbei? Nur weil du einmal gegen Heiko gewonnen hast, brauchst du dich nie wieder anzustrengen? Heiko, das einzige Ziel von Tim, dem Möchtegern-Ringer."
"Was ist denn auf einmal mit dir los? Drehst du jetzt komplett ab?"
Nils wurde ruhiger: "Ich will nur nicht, daß du glaubst, jetzt ist alles vorbei. Nur weil du ein Ziel erreicht hast, ist noch lange nicht Schluß."
"Das ist mir doch klar. Und ich weiß auch nicht, warum ich die beiden letzten Kämpfe verloren habe. Aber vielleicht brauche ich einfach einen Moment Auszeit."
Nils nickte. Ich hatte alles in den letzten Monaten in dieses eine Ziel gesteckt. Und ich hatte es erreicht. Vielleicht hatte Nils ja recht. Vielleicht ist ja jetzt wirklich die Gefahr, daß ich jetzt alles schleifen lasse. Vielleicht aber auch nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß es jetzt noch nicht. Und ich will mir jetzt auch keine Gedanken darüber machen. Mein Knie fängt wieder an wehzutun. Ich gucke mich in der Halle um, treffe auf Heikos Blick. Ein Lächeln. Es ist schon merkwürdig. Wenn Heiko lächelt, ist die Welt für mich in Ordnung.
Vierter Platz. Keine Medaille, kein Platz auf dem Treppchen. Nils ist ein bißchen enttäuscht. Auch wenn er sich natürlich heimlich und auch nicht heimlich über meinen Sieg gegen Heiko freut. Heiko hat tatsächlich den dritten Platz gemacht. Ich war der Einzige, gegen den er verloren hat. Alle anderen Kämpfe hatte er gewonnen. Na toll, die Medaillen überreichte irgendso eine weibliche Regional-Tralala-Meisterin. Ein Mädel das ringt ist ja nun schon abartig genug, daß sie Medaillen überreicht macht die Sache nur noch schlimmer. Daß sie die Jungs auf dem Siegerpodest aber dann noch mit einem Kuß beglückt, ist aber total daneben. Ich sah wie Heiko rot wurde. Heiko wurde ROT!!! Yeah. Allein das war es schon wert. In der allgemeinen Auflösung kam er zu mir: "Und? Was macht ihr heute Abend noch? Fahrt ihr gleich wieder zurück?"
"Nein, dafür ist es zu spät. Wir pennen noch hier und fahren dann morgen nach dem Frühstück zurück."
"Ja und? Was macht ihr denn dann heute Abend? Oder was machst DU heute Abend?"
Ich guckte ihn an und wußte genau, was er dachte, was er wollte. Und ich, ich verdammt noch mal ich wollte es auch. Doch ich sagte nur: "Keine Ahnung, wir haben uns noch nichts überlegt."
"Vielleicht können wir ja noch irgendwo was trinken gehen. Nils kann ja mitkommen, wenn er mag."
"Oh, wie großzügig."
Das war wieder typisch Heiko. 'Nils kann ja mitkommen.' Mit welcher Selbstsicherheit kommt er auf die Idee, ich würde ohne Nils am Abend weggehen? Jetzt, wo ich das schreibe, fällt mir natürlich ein, daß ich auch hätte sagen können, daß Matthes ja auch mitkommen kann. Shit, daß einem so was immer erst hinterher einfällt. Ich möchte ihm so gerne böse sein. Ich möchte mich über ihn ärgern können. Doch es geht nicht. Irgendwo habe ich mal den Satz gelesen: "Ich bin wie Wachs in deinen Händen." Jetzt weiß ich, was damit gemeint ist.
Nils kam von seiner Quatsch-und-Tratsch-Tour mit dem Jungs vom SAV zurück. "Was machen wir denn heute Abend? Schon eine Idee?"
"Das gleiche hat Heiko gerade auch schon gefragt. Er hat gefragt, ob wir nicht zusammen was trinken gehen wollen."
"Na das paßt doch. Dann gehe ich in aller Ruhe mit den Jungs vom SAV was trinken und du mit deinem Heiko."
Nils hatte mich gründlich mißverstanden. "Er meinte, daß wir, also wir alle zusammen was trinken gehen."
"Ach nein, Tim, bitte nicht. Was soll ich denn mit Heiko an einem Tisch sitzen und mir angucken wie du ihn anschmachtest? Ich kann ihn nun mal nicht ausstehen, aber wenn du dich mit ihm treffen willst, ist das ok. Wirklich."
"Nils ich, ich dachte wir beide machen was zusammen heute."
Er zog mich in eine Ecke der Halle und setzte sich auf den Boden. Ich hockte mich gegenüber hin.
"Tim, paß mal auf. Ich weiß genau, was er für dich bedeutet. Und ich weiß ganz genau, was da zwischen euch läuft. Auch wenn es keiner von euch beiden sagt. Wenn du mit ihm weggehen willst, dann mache es doch. Quatscht, redet, macht, was weiß ich. Was soll ich denn dabei? Und ich bin nicht böse, oder sauer. Oder eifersüchtig. Wirklich nicht. Verdammt noch mal, Tim. Ich liebe dich und ich will, daß es dir gut geht. Und wenn du mit Heiko weggehen willst, dann mache es."
Ich blicke ihn lange an. Nils, meinen Nils. Es ist eine komische Sache. Ich überlege mir, wie es umgekehrt wäre. Ich weiß es nicht.
Wir tapern schweigend zum JGH zurück. Ich weiß nicht, ob wir schweigen, weil uns so viele Dinge durch den Kopf gehen oder weil Leon dabei ist. Leon. Der Ärmste. Ich möchte ihm so gerne irgendwas zum Trösten sagen. Daß er gar nicht so schlecht war, daß das bestimmt noch was wird. Irgend so was in dieser Richtung. Aber ich komme mir blöd vor. Wer bin ich denn? Ein Trainer? Der große Crack, der das beurteilen kann? Also halte ich lieber meinen Mund und sage gar nichts.
Als Leon im JGH unter der Dusche verschwindet liegen Nils und ich uns endlich in den Armen. Ein unendlich langer und schöner Kuß. "Es tut mir leid, daß ich dich vorhin so angemotzt habe", meinte er. "Ich freue mich, daß du gewonnen hast. Dreimal hast du gewonnen. Das ist wirklich echt eine Leistung."
Er vergräbt sein Kopf in meinem Arm. Ich streiche sanft über seinen Nacken, merke wie er zittert. Wir tapern zusammen unter die Dusche, aber es kommt immer jemand rein, so daß wir nichts miteinander machen können. Und Nils zieht tatsächlich los, zu seinem Treffen mit den Leipzigern. Leon ist irgendwo und ich, ich Idiot, ich bleibe hier, schreibe Tagebuch und warte darauf, mit Heiko durch das nächtliche Leipzig zu ziehen.
Ich habe gewonnen. Ich habe gegen Heiko gewonnen. Ist dieses Phantom weg? Ich weiß es nicht. Es ist ein wenig von diesem Gefühl weg, daß Heiko unfehlbar ist, unangreifbar. Er ist besiegbar, und wenn es nur auf der Matte ist. Vielleicht ein Anfang. Heiko ist nicht immer der Sieger. Trotz seiner andauernden Selbstsicherheit, seiner Selbstverständlichkeit. Ein ganz klein wenig habe ich mich zurück. Es klopft. Ich habe Hunger.
Da stand er vor mir. Heiko in voller Lebensgröße. Ich war gerade auf dem Weg zum Wiegen als er mir entgegenkam. Ein winzigen Augenblick zögerten wir beide und dann umarmten wir uns. So wie sich eben zwei Jungs umarmen. Ich blickte ihm in die Augen: er grinste oder lächelte, wie man es eben nennen will. Mein Herz schlug Purzelbäume und ich mußte mich losreißen, ihn nur anschauen zu wollen. Ich versuchte irgendwas zu sagen, irgendwas halbwegs intelligentes. Mir fiel nichts anderes ein als die Frage nach dem Gewicht. "59 Kilo und du?"
"Ich denke mal auch so. also, gleiche Klasse."
"Gib's zu, das ist der einzige Grund, warum du hier bist."
Was sollte ich ihn anlügen. Mein Gedanken, meine Gefühle, alle an mir schien ein offenes Buch für ihn zu sein. "Stimmt, du hast recht."
"Dachte ich mir doch. Dein Freund kommt."
Nils kam auf uns zu. Für ein paar Sekunden gab es ein total peinliches Schweigen. Ich glaube uns allen ging in dem Augenblick durch den Kopf, was zwischen Heiko und mir abgegangen war. Ich glaube, ich wurde rot.
"Und du bist Tims persönlicher Coach, oder machst du auch mit?"
"Nein, ich bin nur zur moralischen und körperlichen Erbauung hier. Ich kämpfe nicht."
"Na dann...bis später."
Heiko beendete die Szene, bevor sie unerträglich wurde, indem er zu Matthes taperte. Zum Glück war es doch gar nicht so schlimm gewesen.
"Man KÖNNTE sagen, daß er ganz attraktiv ist. Wenn man auf so jemanden wie ihn stehen würde."
"Was soll DAS denn bedeuten? Attraktiv, was ist denn das überhaupt für ein Wort? Und was meinst du damit, wenn du sagst 'wenn man auf so jemanden wie ihn stehen würde'?"
"Die, die immer so unschuldig aussehen, aber es gar nicht sind."
"Was weißt DU denn, auf was für einen Typ ich stehe? Siehst DU etwa unschuldig aus?"
Nils grinste: "Ich kriege doch mit, welchen Jungs du immer hinterher guckst."
Anscheinend bin ich für alle auf der Welt ein offenes Buch. Nur für mich nicht.
"Gleiche Klasse wie Heiko, na dann kann's ja losgehen", murmelte Nils. Nach dem Wiegen folgte der Einmarsch und dann ging es auch schon los. Nils und ich setzten uns an die Stirnseite der Halle und schauten uns die Kämpfe auf der vorderen Matte an. Leon hatte sich seinen Walkman übergestülpt und sich die Kapuze von seinem Sweatshirt tief über den Kopf gezogen.
Heiko saß mit Matthes schräg gegenüber in der Mitte der Halle an Matte 2. Ein paar Male trafen sich unsere Blicke und Heiko lächelte. Es war kein Grinsen, es war ein Lächeln. Mir wurde jedesmal heiß und kalt. Shit, was passiert denn wieder mit mir? Matthes lächelte nicht. Matthes schien gelangweilt, während Heiko ihm etwas erzählte. Vermutlich erklärte er ihm die Griffe oder die Punkte. Für einen Fußballer bestimmt nicht sonderlich spannend.
Es kam Leons erster Kampf. Er schlug sich wacker und ich schrie mir fast die Kehle aus dem Hals, aber schließlich verlor er; sogar auf Schulter. Nils machte ein hilflose Handbewegung als er zu mir zurückkam: "Kann man machen nichts", äffte er Dimitri nach.
Dann kam der erste Aufruf zu meinem ersten Kampf. Natürlich kannte ich meinen Gegner nicht. Jemand von Luftfahrt Berlin. Und als ich ihn sah, rutschte mir wieder mal das Herz sonstwohin. Warum sehen eigentlich alle meine Gegner immer viel größer und muskulöser aus als ich? Bin ich in der falschen Gewichtsklasse. Na toll. Was habe ich mir hier eigentlich vorgenommen? Nach welchem Schema läuft das hier? Poolsystem, Nordisches Turnier? Shit, wenn ich Pech habe, dann fliege ich gleich in der ersten Runde raus, oder doch nicht? Warum hatte ich nicht Nils vorher gefragt? Ich mußte gewinnen, ich WOLLTE gewinnen. Und ich gewann. Mein Single Leg klappte auf Anhieb und der Typ landete auf der Seite. Dadurch, daß er so groß war, war ich schneller. Ich schaffte es, auf seinen Rücken zu kommen und griff nach seinen Beinen. Das klappte zwar nicht ganz so toll aber immerhin war ich in der Pause mit 5:2 in Führung. Ich saß in meiner Ecke und Nils fächerte mir Luft zu. "Mach einfach weiter so. Du bist schneller, das mußt du ausnutzen."
Heiko saß jetzt an meiner Matte und schaute zu. Kurz trafen sich unsere Blicke. Ich weiß nicht, ob er lächelte. Ich schaffte es und gewann mit 8:3. Als der Schiedsrichter meinen Arm hob trafen sich Heikos und mein Blick. 'Für dich', dachte ich, 'diesen Sieg habe ich nur für dich errungen.'
Nils klopfte mir auf die Schulter und Leon nickte anerkennend. "Für den Anfang schon nicht schlecht. Eher mehr ganz gut, würde ich sagen."
Der nächste Kampf stand an. Heiko gegen jemanden aus Goldbach. Ich weiß nicht wieso. Ich konnte es nicht sehen. Ich ging in die Kabine. Nils kam hinterher: "Was ist denn los? Willst du nicht sehen, wie dein nächster Gegner kämpft?"
"Nein. Ich will es nicht sehen. Ich kann da jetzt nicht zusehen."
Nils ging kopfschüttelnd raus und kam rein, als der Kampf vorbei war. "Falls es dich interessiert: dein Schnuckel hat gewonnen."
"Mein Schnuckel", begann ich zu protestieren, doch ich wollte mich nicht streiten. Ich ging mit Nils zusammen zurück in die Halle. Jetzt kamen die anderen Gewichtsklassen dran. Ich wollte so gerne zu Heiko rübergehen. Mit ihm reden. Und ihm eigentlich sagen, laß uns diesen ganzen Scheiß hier vergessen und ein bißchen zusammen durch die Gegend gehen. Aber das ging natürlich nicht. Also lief ich total nervös auf und ab. Wie ein Tiger im Käfig. Shit, warum hatte ich nicht meinen Walkman eingepackt? Irgendwann wurde es Nils zu bunt und er packte mich und schob mich zu einer Gruppe, die am anderen Ende der Halle saß. Ein großes Gejohle, offenbar kannten sie Nils, SAV, also Heimmannschaft. Nils schien sowieso alle Welt zu kennen. Als nächstes ging es zu einer Gruppe aus Hessen.
"Woher kennst du die denn alle?" wollte ich wissen.
"Wenn man so lange im Geschäft ist..."
Das klang echt so, als wäre er ein Hollywood-Agent.
Dann kam Leons zweiter Kampf. Der war zwar schon besser als der erste, aber mit 6:4 immer noch verloren. "Dann bist du wohl Bergbachs einzige Medaillenhoffnung", seufzte Nils.
Dann kam ich. Ich trat tatsächlich gegen jemanden aus Hamburg an. Irgendwie cool. Am liebsten hätte ich ihm gesagt: Hey, ich komme auch aus Hamburg. Das habe ich dann aber doch lieber gelassen. Der Kampf war einfach. Jetzt sage ICH sogar schon, daß er einfach war. Aber er ging schnell. Kurz vor Ende der ersten Runde schaffte ich sogar einen Schultersieg. Ich war selber ganz übergerascht. Wieder hob der Schiedsrichter meinen Arm hoch. Wieder suchte ich Heikos Blick, doch der unterhielt sich mit irgendwem anderes und hatte offenbar nichts von meinem Kampf mitbekommen. Na toll. Ich trottete zu meinem Platz. "Was hörst du da eigentlich?" fragte ich Leon. Er reichte mir die Kopfhörer. Schrecklich: Jazz! Ich gab sie ihm mit spitzen Fingern wieder zurück. Ich glaube er und Tobias würden sich prächtig verstehen.
Das übliche Gewusel bei solchen Veranstaltungen. So diszipliniert am Anfang beim Einmarsch noch alles ist, desto mehr sieht die Halle nach einer Weile aus wie ein Heerlager zu altrömischer Zeit. Taschen, Handtücher, Rucksäcke, Plastikflaschen, Klamotten. Alles lag kreuz und quer in der Gegend rum. Viele machten es so wie Leon und zogen sich mit ihrem Walkman zurück. Einige hüpften permanent umher und taten so als würden sie sich aufwärmen. Und dann war da noch Tim. Tim, der auch am liebsten vor Aufregung hin und hergehüpft wäre. Der kribbelte und vor Aufregung zitterte. Und trotzdem äußerlich ganz ruhig sitzen blieb. Aber in ihm kochte und brodelte alles. Heiß und kalt wechselten sich ab. Jetzt würde es also gleich passieren. Das, worauf ich ein halbes Jahr lang hingearbeitet hatte, wofür ich trainiert hatte. Nachts aufgewacht, nicht mehr einschlafen können. Verflucht, geheult und geschrieben. All das würde jetzt passieren. Heiko und ich zusammen auf der Matte. Der Aufruf kommt. Ich drückte noch einmal ganz fest den Bären von Doris und Nils' Eisbär. Meine beiden Glücksbringer. Dann gucke ich zu Nils. Ich habe Angst. So viel Angst hatte ich noch vor keinem Kampf. Und trotzdem will ich es. Ich will es wissen. Ich will es hinter mich bringen und ich will es schaffen. Nils schaut mich ernst an, dann drückt er mich kurz. Ich weiß, daß ihm das jetzt mindestens ebenso viel bedeutet wie mir. Ich gehe in die Mitte der Matte. Auf Heikos Gesicht ein Lächeln: "Na dann wollen wir mal", murmelt er. Ganz so, als würden wir zu einem Spaziergang aufbrechen. Wir geben uns die Hand. Das Lächeln verschwindet. Der Schiedsrichter tritt zurück. Ich bin allein, allein mit Heiko. Und doch um uns herum eine ganze Welt, die zuschaut. Ein Pfiff, der Kampf beginnt.
Wie automatisch mache ich wieder meinen Single Leg. Und auch diesmal klappt er. Jedenfalls fast. Heiko ist schnell, verdammt schnell. Noch ehe ich es schaffe, mich nach oben zu arbeiten, hat er sich schon auf den Bauch gedreht. Immerhin kriege ich Punkte. Ich versuche es mit einer Beinschraube, verhaspele mich selber dabei und Heiko schafft es, aufzustehen und hinter mich zu kommen. Er wirbelt mich herum und nun lande ich plötzlich schmerzhaft auf dem Bauch. Arme breit, zehn Uhr, zwei Uhr. Du mußt eins werden mit der Matte. Ich merke, daß er mindestens ebenso nervös ist wie ich. Er versucht irgendwelche Griffe anzusetzen und läßt es gleich wieder. Bis der Kampfrichter schließlich abpfeift und der Kampf im Stand weitergeht. Ich vermeide es, Heiko anzugucken. Ich will ihn nicht anschauen, nicht in seine Augen sehen. Diesmal war er schneller. Ich konnte gar nicht so schnell denken, da hatte er schon meinen Arm gegriffen und mich zu Boden gezogen. Ich spüre, wie er auf mir landet, spüre sein Gesicht ganz dicht an meinem Nacken. Was ist das nur für eine bekloppte Sache, die ich hier mache? Anstatt mit ihm irgendwo im Bett zu liegen, wälzen wir uns beide auf dieser Matte, vor einem grölenden Publikum. Unsere beiden Freunde stehen irgendwo am Mattenrand und Heiko und ich veranstalten hier so was wie eine Art mittelalterliches Duell. Total daneben. Das alles schoß mir durch den Kopf und dadurch paßte ich eine Sekunde lang nicht auf. Zeit genug für ihn, meinen Brustkorb zu umfassen, mit dem Griff nach unten an die Hüfte zu gehen und eine Rolle anzusetzen. Gerade als er mich halb herumgedreht hatte, machte ich meine Arme und Beine breit und versuchte, mich mit aller Kraft auf ihn fallen zu lassen. Und es klappte: er bekam mich nicht mit der Rolle herum, während er selbst fast auf der Schulter landete, ich auf ihm drauf. Ich schaffte es, seinen Griff zu lösen und versuchte mich umzudrehen, doch da war er auch schon wieder auf dem Bauch. Noch bevor ich etwas machen konnte, kam der Halbzeitpfiff.
"Hast du alles vergessen, was wir in den letzten Monaten trainiert haben?", blaffte Nils mich an. "Du hast so viele Chancen gehabt. Und nichts hast du da draus gemacht. Also, verdammt noch mal reiß dich zusammen. Ich will, daß du gewinnst. Ist das klar?"
Ich konnte nichts sagen. Ich war zu sehr außer Atem. Jede einzelne meiner Rippen tat weh und jetzt kam noch eine zweite Runde. Wieder zurück in die Mitte. Pfiff. Ich versuchte noch mal meinen Single Leg und er klappte wieder. Fast jedenfalls. Diesmal schien Heiko darauf vorbereitet gewesen zu sein. Denn kaum hatte ich sein Bein gepackt, beugte er sich vornüber, griff um meinen Brustkorb, ließ sich nach hinten fallen und warf mich dabei über seinen Kopf. Ich landete schmerzhaft auf der Matte, doch ich hatte nicht einmal Zeit noch Luft zu holen, da warf er sich auf mich. Ich wollte schreien, so sehr taten meine Rippen weh, doch ich biß mir lieber auf die Zunge. Nur noch weg, nur noch raus hier, dachte ich. Heiko setze einen Nackenhebel an. Mit einer Gewalt, daß ich Angst bekam. Er begann, mich herumzudrehen, langsam, ganz langsam. Er drückte mich immer weiter nach unten. Eine meiner Schultern war bereits auf der Matte, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich völlig geschultert war. Er drückte und stieß mit all seiner Kraft, mit seinem gesamten Gewicht in meine Seite. Ich bekam keine Luft mehr, vor meinen Augen tanzten kleine Leuchtpunkte und Blitze, in meinen Ohren nur noch Rauschen. Ich war kurz davor zu heulen. Aber irgendwas in mir sträubte sich dagegen aufzugeben. Nein, nicht du. Nicht Heiko. Und wenn es der letzte Kampf ist, den ich mache. Ich will gewinnen! Scheiß drauf, was Nils sagt, was Werner oder Mahmout sagen. Es ist mir alles scheißegal. ICH, nur ICH will gewinnen. Ich kriegte mit, wie der Kampfrichter neben mir am Boden war, die Pfeife schon im Mund und die Handfläche schwebend über der Matte. Ich schrie ein NEIN in mich hinein, streckte meinen Kopf nach hinten und drehte mich über meine eigene Schulter zur Gegenseite und nahm Heiko dabei mit. Auf einmal kam ich mir vor wie in einem dieser Ami-Sportfilme, in denen der Held ganz plötzlich DIE Superaktion in Zeitlupe macht. Stille, absolute Stille. Der Gegner landet krachend auf der Matte und plötzlich setzen die Fanfaren ein. Ok, hier waren es keine Fanfaren, hier hörte ich plötzlich wieder alles um mich in der Halle, das Jubeln der Zuschauer, ich hörte sogar Nils rufen, auch wenn ich nichts verstand. 11:7, ich lag trotz dieser Aktion immer noch vier Punkte im Rückstand und nur noch eine halbe Minute Kampfzeit. Wenn das ganze Krafttraining in den letzten Monaten für irgend etwas gut war, dann jetzt. Ich griff nach Heikos Arm, nach seinem Kopf. Nun versuchte ich ihn auf die Schulter zu drücken. Er wand sich unter mir, strampelte und bäumte sich auf. Ich zog den Griff enger. Schweiß tropfte von meiner Stirn, lief mir in die Augen. Ich brauchte nichts mehr zu sehen. Ich fühlte wie Heikos Widerstand schwächer wurde, aber würde ich es in den letzten Sekunden noch schaffen. Ich hörte wie er fast ein bißchen jammerte, seufzte und ich fühlte genau, wie sehr er sich in dieser Sekunde ärgerte, daß ich die Oberhand hatte.
"Tiiiiiiim!" Das war Nils. Nein Nils, das ist nicht dein Sieg. Das ist MEIN Sieg. Mit meiner letzten noch verbliebenen Kraft rammte ich meine Schulter gegen seine. Der Kampfrichter schlug mit der Hand auf die Matte. Einen Moment später ertönte der Gong. Jubel in der Halle. Es war, als wenn alle nur noch unseren Kampf verfolgt hätten.
"Du kannst ihn jetzt loslassen", sagte der Kampfrichter. Ich stand auf. Ein stechender Schmerz in meinem Knie. Aber ich ignorierte ihn, humpelte zur Mitte. Mein Arm wurde hochgehoben. Alles drehte sich um mich. Jetzt, jetzt schaute ich zum ersten Mal Heiko an, zum ersten Mal blickte ich wieder in seine Augen. Aber ich weiß nicht mehr, was ich sah. Ein ganz klein wenig Lächeln. Wir umarmten uns. "Na siehst du", flüsterte er mir ins Ohr. Ja, ich habe es geschafft. Ich taperte zurück in meine Ecke. Da stand ein breit grinsender Nils, die Arme in die Seite gestemmt. Er schlang mir das Handtuch um den Hals und zog mich zu Boden: "Ich bin tausendmal gestorben. Noch spannender konntest du es wohl nicht machen was?" Er umarmte mich: "Gut gemacht, mein Schatz" flüsterte er mir ins Ohr. Leon kam und klopfte mir auf die Schulter.
"Warum hinkst du denn?"
"Ich glaube irgendwas ist wieder mit meinem Knie."
Ich humpelte in die Kabine, während Nils mich stütze. Kaum war die Tür hinter uns zugefallen, umarmte er mich und gab mir einen langen Kuß.
"Du hast es geschafft."
Ich lächelte. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich konnte nur nicht sagen, wie es mir nun ging. Ich bat Nils, erst mal einen Eisbeutel oder so was zu organisieren. Er kam gleich mit den beiden Maltesern zurück, die mein Knie von allen Seiten begutachteten, bewegten ehe sie schließlich ein Coldpack raufbeppten.
"Du solltest das lieber Röntgen lassen", meinte der Ältere von den beiden.
"Kommst ja überhaupt nicht in Frage", plärrte ich. Ich habe mindestens noch zwei Wettkämpfe. Da tapere ich doch nicht ins Krankenhaus."
"Du willst doch nicht mit dem Knie noch einmal auf die Matte."
"Aber sicher doch."
"Nix da."
"Ich gehe da wieder raus, verdammt noch mal!" schrie ich. "Ich habe in der nächsten Runde ein Freilos. In einer halben Stunde ist das wieder ok mit dem Knie. Ich kenne das schon", log ich.
Die beiden zuckten mit den Schultern und trotteten davon. Ich legte mich auf die Bank und beppte meinen Fuß auf eine Sporttasche. "Das wird schon", beruhigte ich Nils, der ganz besorgt guckte.
Und es wurde tatsächlich besser. Nach zehn Minuten tat es schon fast nicht mehr weh und ich ging vorsichtig zurück in die Halle.
Gewonnen. Ich hatte gegen Heiko gewonnen und ich konnte noch immer nicht sagen, wie ich mich fühlte. Nils strahlte und ich sah ihm an, wie stolz er war. Mein Sieg, sein Sieg. So sei es. Gerade als Nils lostaperte, um die Wasserflaschen zu füllen, kam Heiko an: "Du warst ja so lange in der Kabine mit Nils? Habt ihr rasch einen Quickie geschoben?"
Jedem anderen hätte ich auf der Stelle eine reingehauen. Heiko brauchte ich nur anzugucken, sein Grinsen und ich konnte ihm nicht mehr böse sein.
"Wir haben es nicht miteinander getrieben sondern ich habe mir mein Knie verarzten lassen, daß DU mir halb zertrümmert hast." Leider klappte das mit dem schlechten Gewissen einreden nicht.
"Ich soll dir das Knie zertrümmert haben? Soll ich dir mal erzählen, was DU so alles angerichtet hast? Mein Oberarm wird garantiert für die nächsten Wochen vor lauter blauen Flecken nicht mehr zu sehen sein, mit deinen komischen Beinangriffen hast du mir fast die Hüfte ausgekugelt und mein Handgelenk ist in deinem Schraubstockgriff auch nicht gerade besser geworden.
"Ich wußte gar nicht, daß du so ein Weichei bist."
Heiko buffte mich in die Seite und traf natürlich genau die Rippen, die sowieso schon wehtaten. Doch ich ließ mir nichts anmerken. "Wir sind noch nicht fertig miteinander", sagte er.
"Wie meinst du das?"
Doch er antwortete nicht. Nils kam.
"Du hast einen guten Trainer", sagte Heiko.
Nils grinste. Ich sah, wie sich ihre beiden Blicke trafen. Aber ich konnte nicht erkennen, was jeder von ihnen dachte.
"Guter Ringer, guter Trainer, alte chinesische Weisheit."
Dann wieder Schweigen. Jetzt kam zu allem auch noch Matthes und meinte, er würde etwas rausgehen, er fände das alles langweilig.
"Dann geh doch. Denk nur daran, rechtzeitig wieder hier zu sein, ich habe nämlich den Schlüssel für unser Zimmer." Das alles sagte Heiko ohne sich überhaupt zu ihm umzudrehen. Kaum war Matthes weg, meinte Heiko: "Er nörgelt schon den ganzen Tag rum. Ich frage mich echt, warum er überhaupt mitgekommen ist."
Es war mir peinlich, daß Heiko so über ihn redete.
Leon verlor auch seinen nächsten Kampf. Er tat mir richtig leid. Und dann kam mein nächster Kampf. Ich ging mit richtig guter Stimmung auf die Matte. Ich hatte Heiko besiegt. Aber vielleicht war mir das zu Kopf gestiegen. Vielleicht war ich dadurch so unkonzentriert geworden. Jedenfalls war der Kampf nach 30 Sekunden vorbei, ein Wurf und ich landete auf dem Rücken, keine Chance. Nils runzelte die Stirn als ich zurück in meine Ecke kam: "Was war das denn jetzt? Dein Knie? Oder hast du jetzt nach Heiko keine Lust mehr, dich überhaupt noch anzustrengen?"
"Ich weiß es nicht, keine Ahnung. Es ging alles so schnell."
Ein lange Blick von Nils. Ob als Ermahnung oder Strafe, ich weiß es nicht.
Heiko dagegen gewann seinen Kampf durch technische Überlegenheit. Es war seltsam. Plötzlich hatte ich Angst um ihn, als ich ihn so kämpfen sah. Natürlich Quatsch, denn was sollte ihm passieren. Aber trotzdem.
Eigentlich hatte ich auch gar keine Lust mehr dazubleiben. Weswegen ich hergekommen war, hatte ich geschafft. Also, wozu noch hier rumsitzen? Natürlich ging das nicht, ich hatte noch einen Kampf. Da konnte ich nicht abhauen. Immerhin gewann Leon seinen nächsten Kampf. Zwar knapp mit 7:6, aber immerhin. Er strahlte als er von der Matte kam. Ich freute mich echt für ihn.
Ja und dann kam mein letzter Kampf. Und wieder habe ich meinen typischen Fehler gemacht und meinen Gegner unterschätzt. Er war kleiner und auch dünner als ich. Und ich dachte schon, daß ich ein leichtes Spiel hätte. Aber nichts da. Was ich auch versuchte, er wand und zappelte sich aus allen Griffen heraus und konterte. Schließlich verlor ich mit 9:6 ziemlich schwach und schlich mich in meine Ecke. Nils verzog das Gesicht und mußte eigentlich gar nichts sagen. Doch er sagte was: "Minimalringer."
"Du bist echt ungerecht. Immerhin habe ich die ersten drei Kämpfe gewonnen.
"Ja und die letzten beiden verloren. So sauschlecht hast du ja noch nicht mal bei deinem ersten Wettkampf gerungen."
"Du weiß genau, warum ich hierher gekommen bin. Das weiß du ganz genau."
"Denkst du denn, jetzt ist alles vorbei? Nur weil du einmal gegen Heiko gewonnen hast, brauchst du dich nie wieder anzustrengen? Heiko, das einzige Ziel von Tim, dem Möchtegern-Ringer."
"Was ist denn auf einmal mit dir los? Drehst du jetzt komplett ab?"
Nils wurde ruhiger: "Ich will nur nicht, daß du glaubst, jetzt ist alles vorbei. Nur weil du ein Ziel erreicht hast, ist noch lange nicht Schluß."
"Das ist mir doch klar. Und ich weiß auch nicht, warum ich die beiden letzten Kämpfe verloren habe. Aber vielleicht brauche ich einfach einen Moment Auszeit."
Nils nickte. Ich hatte alles in den letzten Monaten in dieses eine Ziel gesteckt. Und ich hatte es erreicht. Vielleicht hatte Nils ja recht. Vielleicht ist ja jetzt wirklich die Gefahr, daß ich jetzt alles schleifen lasse. Vielleicht aber auch nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß es jetzt noch nicht. Und ich will mir jetzt auch keine Gedanken darüber machen. Mein Knie fängt wieder an wehzutun. Ich gucke mich in der Halle um, treffe auf Heikos Blick. Ein Lächeln. Es ist schon merkwürdig. Wenn Heiko lächelt, ist die Welt für mich in Ordnung.
Vierter Platz. Keine Medaille, kein Platz auf dem Treppchen. Nils ist ein bißchen enttäuscht. Auch wenn er sich natürlich heimlich und auch nicht heimlich über meinen Sieg gegen Heiko freut. Heiko hat tatsächlich den dritten Platz gemacht. Ich war der Einzige, gegen den er verloren hat. Alle anderen Kämpfe hatte er gewonnen. Na toll, die Medaillen überreichte irgendso eine weibliche Regional-Tralala-Meisterin. Ein Mädel das ringt ist ja nun schon abartig genug, daß sie Medaillen überreicht macht die Sache nur noch schlimmer. Daß sie die Jungs auf dem Siegerpodest aber dann noch mit einem Kuß beglückt, ist aber total daneben. Ich sah wie Heiko rot wurde. Heiko wurde ROT!!! Yeah. Allein das war es schon wert. In der allgemeinen Auflösung kam er zu mir: "Und? Was macht ihr heute Abend noch? Fahrt ihr gleich wieder zurück?"
"Nein, dafür ist es zu spät. Wir pennen noch hier und fahren dann morgen nach dem Frühstück zurück."
"Ja und? Was macht ihr denn dann heute Abend? Oder was machst DU heute Abend?"
Ich guckte ihn an und wußte genau, was er dachte, was er wollte. Und ich, ich verdammt noch mal ich wollte es auch. Doch ich sagte nur: "Keine Ahnung, wir haben uns noch nichts überlegt."
"Vielleicht können wir ja noch irgendwo was trinken gehen. Nils kann ja mitkommen, wenn er mag."
"Oh, wie großzügig."
Das war wieder typisch Heiko. 'Nils kann ja mitkommen.' Mit welcher Selbstsicherheit kommt er auf die Idee, ich würde ohne Nils am Abend weggehen? Jetzt, wo ich das schreibe, fällt mir natürlich ein, daß ich auch hätte sagen können, daß Matthes ja auch mitkommen kann. Shit, daß einem so was immer erst hinterher einfällt. Ich möchte ihm so gerne böse sein. Ich möchte mich über ihn ärgern können. Doch es geht nicht. Irgendwo habe ich mal den Satz gelesen: "Ich bin wie Wachs in deinen Händen." Jetzt weiß ich, was damit gemeint ist.
Nils kam von seiner Quatsch-und-Tratsch-Tour mit dem Jungs vom SAV zurück. "Was machen wir denn heute Abend? Schon eine Idee?"
"Das gleiche hat Heiko gerade auch schon gefragt. Er hat gefragt, ob wir nicht zusammen was trinken gehen wollen."
"Na das paßt doch. Dann gehe ich in aller Ruhe mit den Jungs vom SAV was trinken und du mit deinem Heiko."
Nils hatte mich gründlich mißverstanden. "Er meinte, daß wir, also wir alle zusammen was trinken gehen."
"Ach nein, Tim, bitte nicht. Was soll ich denn mit Heiko an einem Tisch sitzen und mir angucken wie du ihn anschmachtest? Ich kann ihn nun mal nicht ausstehen, aber wenn du dich mit ihm treffen willst, ist das ok. Wirklich."
"Nils ich, ich dachte wir beide machen was zusammen heute."
Er zog mich in eine Ecke der Halle und setzte sich auf den Boden. Ich hockte mich gegenüber hin.
"Tim, paß mal auf. Ich weiß genau, was er für dich bedeutet. Und ich weiß ganz genau, was da zwischen euch läuft. Auch wenn es keiner von euch beiden sagt. Wenn du mit ihm weggehen willst, dann mache es doch. Quatscht, redet, macht, was weiß ich. Was soll ich denn dabei? Und ich bin nicht böse, oder sauer. Oder eifersüchtig. Wirklich nicht. Verdammt noch mal, Tim. Ich liebe dich und ich will, daß es dir gut geht. Und wenn du mit Heiko weggehen willst, dann mache es."
Ich blicke ihn lange an. Nils, meinen Nils. Es ist eine komische Sache. Ich überlege mir, wie es umgekehrt wäre. Ich weiß es nicht.
Wir tapern schweigend zum JGH zurück. Ich weiß nicht, ob wir schweigen, weil uns so viele Dinge durch den Kopf gehen oder weil Leon dabei ist. Leon. Der Ärmste. Ich möchte ihm so gerne irgendwas zum Trösten sagen. Daß er gar nicht so schlecht war, daß das bestimmt noch was wird. Irgend so was in dieser Richtung. Aber ich komme mir blöd vor. Wer bin ich denn? Ein Trainer? Der große Crack, der das beurteilen kann? Also halte ich lieber meinen Mund und sage gar nichts.
Als Leon im JGH unter der Dusche verschwindet liegen Nils und ich uns endlich in den Armen. Ein unendlich langer und schöner Kuß. "Es tut mir leid, daß ich dich vorhin so angemotzt habe", meinte er. "Ich freue mich, daß du gewonnen hast. Dreimal hast du gewonnen. Das ist wirklich echt eine Leistung."
Er vergräbt sein Kopf in meinem Arm. Ich streiche sanft über seinen Nacken, merke wie er zittert. Wir tapern zusammen unter die Dusche, aber es kommt immer jemand rein, so daß wir nichts miteinander machen können. Und Nils zieht tatsächlich los, zu seinem Treffen mit den Leipzigern. Leon ist irgendwo und ich, ich Idiot, ich bleibe hier, schreibe Tagebuch und warte darauf, mit Heiko durch das nächtliche Leipzig zu ziehen.
Ich habe gewonnen. Ich habe gegen Heiko gewonnen. Ist dieses Phantom weg? Ich weiß es nicht. Es ist ein wenig von diesem Gefühl weg, daß Heiko unfehlbar ist, unangreifbar. Er ist besiegbar, und wenn es nur auf der Matte ist. Vielleicht ein Anfang. Heiko ist nicht immer der Sieger. Trotz seiner andauernden Selbstsicherheit, seiner Selbstverständlichkeit. Ein ganz klein wenig habe ich mich zurück. Es klopft. Ich habe Hunger.
Freitag, 10. Oktober 1997
10. Oktober
Heiko und Matthes sind uns bisher nicht über den Weg gelaufen und wir
gehen jetzt eh pennen. Nils und ich sind mit Leon in einem
Vierbettzimmer gelandet. Aber nur wir drei sind drin. Schade, der
Gedanke ein Zimmer allein mit Nils zu haben, hat mir irgendwie gefallen.
Naja, er ist jetzt im Waschraum und ich werde versuchen, so schnell wie
möglich zu pennen, um fit zu sein für morgen.
"Und? Heute der große Tag?"
"Na morgen erst, aber wir fahren heute nach der Schule los."
"Ich wünsche dir auf jeden Fall ganz, ganz viel Glück und Erfolg. Und vor allem, daß du gesund wiederkommst. Bei euch Ringern weiß man ja nie, was da so alles passiert. Und damit du jemand hast, der auf dich aufpaßt, gibt es den als Talisman."
Doris gab mir einen kleinen, total niedlichen Bären und drückte mich heftig. Doris die Gute. Und dann fügte sie ernst hinzu: "Und bringe das da mit Heiko in Reine. Ins Reine für Dich und Nils. Hörst du? Lasse ihn hinter dich. Verabschiede dich von ihm und vergiß ihn."
Beinahe hätte ich geantwortet, daß ich ihn nicht vergessen will, daß ich ihn nie vergessen werde. Niemals. Aber ich sagte nichts.
Mom brachte mich mit dem Wagen zum Bahnhof. Lisa und Phil waren auch dabei. Es war seltsam. Ich fahre doch nicht zur Weltmeisterschaft oder zur Olympiade. Alle wünschten mir Glück und Lisa drückte mich mit ihren kleinen Armen ganz fest zum Abschied. Dann kam Nils angetapert, grinsend wie immer. Leon im Schlepptau. Ach ja, den hatte ich ja völlig ausgespart. Natürlich, der fährt ja auch mit unserem Zug. Und dann tauchten tatsächlich noch Flo und Kevin mit einem selbstgemalten Transparent auf: "Bergbach verabschiedet seine Champs" und "Go For Gold" stand darauf. Eigentlich voll peinlich, aber auch irgendwie total lieb.
Nils schläft, Leon schläft und Tim schreibt Tagebuch. Vor einer Stunde sind wir umgestiegen und nun rauschen wir mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Leipzig. Und ich habe Angst und freue mich gleichzeitig. Ich freue mich darauf, Heiko wiederzusehen, sein freches, unverschämtes Grinsen, seine selbstverständliche Art mit allem so umzugehen. Und ich habe Angst. Angst, was mit mir wieder passieren kann, wenn ich ihn sehe, wenn ich mit ihm zusammen bin. Angst, was mit Nils passiert, wenn er auf Heiko trifft. Angst, wie ich mit Nils umgehe, wenn Heiko dabei ist. Der Kampf scheint mir gar nicht mehr so wichtig zu sein. Natürlich möchte ich gegen Heiko gewinnen. Aber ich glaube, es ist gar nicht mehr so sehr, dieses Gefühl, ihn besiegen zu wollen, um mich ein ganz klein wenig an ihm zu rächen. Ich glaube ich möchte ihn ebenso gerne beeindrucken, mit dem, was ich da mache. Nils schläft und er sieht total süß aus, wenn er schläft. Nein, er sieht nicht nur süß aus, wenn er schläft. Wie kann es denn sein, daß man zwei Menschen gleichzeitig liebt? Kann das überhaupt sein? Ist das überhaupt Liebe, was ich für Heiko empfinde? Ich weiß es nicht. Ich bin gespannt, ob ich ihn heute Abend schon im JGH treffen werde.
"Na morgen erst, aber wir fahren heute nach der Schule los."
"Ich wünsche dir auf jeden Fall ganz, ganz viel Glück und Erfolg. Und vor allem, daß du gesund wiederkommst. Bei euch Ringern weiß man ja nie, was da so alles passiert. Und damit du jemand hast, der auf dich aufpaßt, gibt es den als Talisman."
Doris gab mir einen kleinen, total niedlichen Bären und drückte mich heftig. Doris die Gute. Und dann fügte sie ernst hinzu: "Und bringe das da mit Heiko in Reine. Ins Reine für Dich und Nils. Hörst du? Lasse ihn hinter dich. Verabschiede dich von ihm und vergiß ihn."
Beinahe hätte ich geantwortet, daß ich ihn nicht vergessen will, daß ich ihn nie vergessen werde. Niemals. Aber ich sagte nichts.
Mom brachte mich mit dem Wagen zum Bahnhof. Lisa und Phil waren auch dabei. Es war seltsam. Ich fahre doch nicht zur Weltmeisterschaft oder zur Olympiade. Alle wünschten mir Glück und Lisa drückte mich mit ihren kleinen Armen ganz fest zum Abschied. Dann kam Nils angetapert, grinsend wie immer. Leon im Schlepptau. Ach ja, den hatte ich ja völlig ausgespart. Natürlich, der fährt ja auch mit unserem Zug. Und dann tauchten tatsächlich noch Flo und Kevin mit einem selbstgemalten Transparent auf: "Bergbach verabschiedet seine Champs" und "Go For Gold" stand darauf. Eigentlich voll peinlich, aber auch irgendwie total lieb.
Nils schläft, Leon schläft und Tim schreibt Tagebuch. Vor einer Stunde sind wir umgestiegen und nun rauschen wir mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Leipzig. Und ich habe Angst und freue mich gleichzeitig. Ich freue mich darauf, Heiko wiederzusehen, sein freches, unverschämtes Grinsen, seine selbstverständliche Art mit allem so umzugehen. Und ich habe Angst. Angst, was mit mir wieder passieren kann, wenn ich ihn sehe, wenn ich mit ihm zusammen bin. Angst, was mit Nils passiert, wenn er auf Heiko trifft. Angst, wie ich mit Nils umgehe, wenn Heiko dabei ist. Der Kampf scheint mir gar nicht mehr so wichtig zu sein. Natürlich möchte ich gegen Heiko gewinnen. Aber ich glaube, es ist gar nicht mehr so sehr, dieses Gefühl, ihn besiegen zu wollen, um mich ein ganz klein wenig an ihm zu rächen. Ich glaube ich möchte ihn ebenso gerne beeindrucken, mit dem, was ich da mache. Nils schläft und er sieht total süß aus, wenn er schläft. Nein, er sieht nicht nur süß aus, wenn er schläft. Wie kann es denn sein, daß man zwei Menschen gleichzeitig liebt? Kann das überhaupt sein? Ist das überhaupt Liebe, was ich für Heiko empfinde? Ich weiß es nicht. Ich bin gespannt, ob ich ihn heute Abend schon im JGH treffen werde.
Donnerstag, 9. Oktober 1997
9. Oktober
"Schon gehört? Sie haben Max beim Sprayen erwischt."
"Ja und?"
"Jetzt wird überlegt, ob er vielleicht von der Schule fliegt."
"Wie? Nur weil er gesprayt hat? Das ist doch beknackt. Ich habe in Hamburg die halbe Köhlbrandbrücke zugetagged und bin auch nicht von der Schule geflogen."
"Erzähl doch keinen Scheiß, als wenn DU irgendwas in Hamburg getagged hättest. Außerdem ist das was anderes. HIER ist es anders."
"Den Eindruck habe ich auch. Wo hat er denn überhaupt gesprayt?"
"Unten, die Rampe am Bahnhof."
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Daß sich das überhaupt jemand in diesem kleinen Kaff traut.
Ich weiß nicht, warum alle Leute so einen Schiß vor der Oberstufe hatten. Ich finde das eigentlich ganz erträglich und nicht schlimmer als vorher. Mathe geht, Physik und Franze gehen, sogar Deutsch ist ganz erträglich. Na und den Rest kann man ja eh vergessen. Aber ich bin jetzt in der Oberstufe. Ich bin einer von den großen. Ich stehe auf dem Schulhof mit den anderen "Erwachsenen". Ich weiß noch genau, wie das auf dem GySue war, die Leute in der Oberstufe waren unerreichbar weit weg, schwebten über allem, waren so cool, so erwachsen. Und jetzt gehöre ich selber dazu und fühle mich gar nicht so cool oder erwachsen. Eigentlich habe ich nur noch mehr Probleme, die mir durch den Kopf gehen als früher. Ich denke über viel mehr Dinge nach, drehe alles zigmal herum, bevor ich überhaupt eine Entscheidung treffe und dann glaube ich hinterher auch noch, daß sie falsch ist. Ständig habe ich Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun und damit Nils oder Heiko zu verärgern. Und bei anderen bin ich wieder total unverschämt und rotzig.
Das letzte Training vor Leipzig. Nur noch ganz leichte und lockere Sachen. "Damit du dich nicht verletzt", meinte Mahmout. Er ließ sich meine Lieblingsgriffe zeigen, gab hier und da ein paar Verbesserungsvorschläge aber meinte, ich wäre gar nicht schlecht. Er macht ein total anderes Training als Dimitri. Es ist nicht leichter oder weniger anstrengend, aber es ist meilenweit angenehmer. Ein komisches Gefühl, aus der Halle heute zu gehen. Wenn ich zurückkomme, am Montag, wird alles vorbei sein. Egal, wie es ausgeht, es wird vorbei sein und ich werde Heiko wiedergesehen haben.
"Schlaf schön", meinte Nils, "ist schließlich deine letzte Nacht vor Leipzig hier. Morgen schlafen wir schon dort."
"Ja, in einem entsetzlich stinkigen Jugendgästehaus mit irgendwelchen Prolls im Zimmer."
"Wer weiß? Vielleicht haben wir ja auch ein nettes schnuckeliges Doppelzimmer?"
"Träum weiter, mein Schatz." Ich küßte ihn zum Abschied.
"Das werde ich. Ich werde von dir träumen."
"Ja und?"
"Jetzt wird überlegt, ob er vielleicht von der Schule fliegt."
"Wie? Nur weil er gesprayt hat? Das ist doch beknackt. Ich habe in Hamburg die halbe Köhlbrandbrücke zugetagged und bin auch nicht von der Schule geflogen."
"Erzähl doch keinen Scheiß, als wenn DU irgendwas in Hamburg getagged hättest. Außerdem ist das was anderes. HIER ist es anders."
"Den Eindruck habe ich auch. Wo hat er denn überhaupt gesprayt?"
"Unten, die Rampe am Bahnhof."
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Daß sich das überhaupt jemand in diesem kleinen Kaff traut.
Ich weiß nicht, warum alle Leute so einen Schiß vor der Oberstufe hatten. Ich finde das eigentlich ganz erträglich und nicht schlimmer als vorher. Mathe geht, Physik und Franze gehen, sogar Deutsch ist ganz erträglich. Na und den Rest kann man ja eh vergessen. Aber ich bin jetzt in der Oberstufe. Ich bin einer von den großen. Ich stehe auf dem Schulhof mit den anderen "Erwachsenen". Ich weiß noch genau, wie das auf dem GySue war, die Leute in der Oberstufe waren unerreichbar weit weg, schwebten über allem, waren so cool, so erwachsen. Und jetzt gehöre ich selber dazu und fühle mich gar nicht so cool oder erwachsen. Eigentlich habe ich nur noch mehr Probleme, die mir durch den Kopf gehen als früher. Ich denke über viel mehr Dinge nach, drehe alles zigmal herum, bevor ich überhaupt eine Entscheidung treffe und dann glaube ich hinterher auch noch, daß sie falsch ist. Ständig habe ich Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun und damit Nils oder Heiko zu verärgern. Und bei anderen bin ich wieder total unverschämt und rotzig.
Das letzte Training vor Leipzig. Nur noch ganz leichte und lockere Sachen. "Damit du dich nicht verletzt", meinte Mahmout. Er ließ sich meine Lieblingsgriffe zeigen, gab hier und da ein paar Verbesserungsvorschläge aber meinte, ich wäre gar nicht schlecht. Er macht ein total anderes Training als Dimitri. Es ist nicht leichter oder weniger anstrengend, aber es ist meilenweit angenehmer. Ein komisches Gefühl, aus der Halle heute zu gehen. Wenn ich zurückkomme, am Montag, wird alles vorbei sein. Egal, wie es ausgeht, es wird vorbei sein und ich werde Heiko wiedergesehen haben.
"Schlaf schön", meinte Nils, "ist schließlich deine letzte Nacht vor Leipzig hier. Morgen schlafen wir schon dort."
"Ja, in einem entsetzlich stinkigen Jugendgästehaus mit irgendwelchen Prolls im Zimmer."
"Wer weiß? Vielleicht haben wir ja auch ein nettes schnuckeliges Doppelzimmer?"
"Träum weiter, mein Schatz." Ich küßte ihn zum Abschied.
"Das werde ich. Ich werde von dir träumen."
Mittwoch, 8. Oktober 1997
8. Oktober
"Soll ich dich vom Bahnhof in Leipzig abholen?"
"Wie? Hast du ein Auto?"
"Nein, natürlich nicht. Aber ich könnte dich abholen und wir gehen zusammen zum Hotel."
"Nils ist dabei. Ich weiß nicht, wie er es findet, wenn du uns am Bahnhof abholst."
"Ach ja, Nils. Aber irgendwann werden wir schon zusammentreffen. Spätestens am Samstag."
"Ja doch, aber da müssen wir ja nicht gleich am Freitag eine unangenehme Szene am Bahnhof hinlegen."
"Meinst du, daß er eine Szene machen wird? Du meine Güte, ich dachte, du hast mit ihm geredet."
"Natürlich habe ich mit ihm geredet. Aber trotzdem. Ich glaube einfach nicht, daß das so eine gute Idee ist, wenn du uns oder mich am Bahnhof abholst. Wir sehen uns am Freitagabend im Hotel oder spätestens am Samstag beim Wiegen."
"Und? Schon aufgeregt?"
"Ziemlich, und du?"
"Nö, ist ja nicht mein erstes Turnier. Aber ich freue mich echt drauf, dich wiederzusehen."
"Ich freue mich auch", stotterte ich hölzern. Heiko hat gesagt, daß er sich darauf freut, mich wiederzusehen. Heiko. Warum bedeutet mir dieser Satz so viel? Als wir aufgelegt hatten, fragte ich mich, wieso er das mit dem Abholen vorgeschlagen hatte. Was war denn mit Matthes? Schon seltsam das alles.
Leon stellte sich gar nicht so schlecht an heute beim Training. Er lernt schnell. Ich habe natürlich den Vorteil, daß ich schwerer bin als er, aber er ist schnell und von der Technik her gar nicht übel. Ich glaube, wen er noch mehr auf Kraft trainieren würde, dann hätte ich ziemliche Probleme. Als Nils kam, erzählte er uns etwas über Punktetaktik. Das hatte Dimitri schon einige Male versucht, aber ich habe nie zugehört. Aber jetzt sog ich alles auf wie ein Schwamm. Alles, was mir nützlich sein konnte. Oder von dem ich wenigstens glaube, daß es mir nützlich ist. Punkte machen. Aus der Unterlage in die Oberlage kommen, paralleles Beherrschen. Nicht den Schultersieg im Auge haben sondern die Punkte.
Ich habe Nils nichts von Heikos Anruf erzählt. Wahrscheinlich hätte er gesagt, daß ihm das nichts ausmacht, aber das glaube ich nicht.
"Wie? Hast du ein Auto?"
"Nein, natürlich nicht. Aber ich könnte dich abholen und wir gehen zusammen zum Hotel."
"Nils ist dabei. Ich weiß nicht, wie er es findet, wenn du uns am Bahnhof abholst."
"Ach ja, Nils. Aber irgendwann werden wir schon zusammentreffen. Spätestens am Samstag."
"Ja doch, aber da müssen wir ja nicht gleich am Freitag eine unangenehme Szene am Bahnhof hinlegen."
"Meinst du, daß er eine Szene machen wird? Du meine Güte, ich dachte, du hast mit ihm geredet."
"Natürlich habe ich mit ihm geredet. Aber trotzdem. Ich glaube einfach nicht, daß das so eine gute Idee ist, wenn du uns oder mich am Bahnhof abholst. Wir sehen uns am Freitagabend im Hotel oder spätestens am Samstag beim Wiegen."
"Und? Schon aufgeregt?"
"Ziemlich, und du?"
"Nö, ist ja nicht mein erstes Turnier. Aber ich freue mich echt drauf, dich wiederzusehen."
"Ich freue mich auch", stotterte ich hölzern. Heiko hat gesagt, daß er sich darauf freut, mich wiederzusehen. Heiko. Warum bedeutet mir dieser Satz so viel? Als wir aufgelegt hatten, fragte ich mich, wieso er das mit dem Abholen vorgeschlagen hatte. Was war denn mit Matthes? Schon seltsam das alles.
Leon stellte sich gar nicht so schlecht an heute beim Training. Er lernt schnell. Ich habe natürlich den Vorteil, daß ich schwerer bin als er, aber er ist schnell und von der Technik her gar nicht übel. Ich glaube, wen er noch mehr auf Kraft trainieren würde, dann hätte ich ziemliche Probleme. Als Nils kam, erzählte er uns etwas über Punktetaktik. Das hatte Dimitri schon einige Male versucht, aber ich habe nie zugehört. Aber jetzt sog ich alles auf wie ein Schwamm. Alles, was mir nützlich sein konnte. Oder von dem ich wenigstens glaube, daß es mir nützlich ist. Punkte machen. Aus der Unterlage in die Oberlage kommen, paralleles Beherrschen. Nicht den Schultersieg im Auge haben sondern die Punkte.
Ich habe Nils nichts von Heikos Anruf erzählt. Wahrscheinlich hätte er gesagt, daß ihm das nichts ausmacht, aber das glaube ich nicht.
Dienstag, 7. Oktober 1997
7. Oktober
"Probiere es halt aus, dann weißt du es."
"Du bist wirklich eine große Hilfe."
"Was soll ich denn dazu sagen? Ich kenne Florian doch gar nicht richtig. Wie soll ich denn wissen, wie er reagiert. Jungs in der Pubertät sind unberechenbar."
Ich blickte Doris an und schüttelte den Kopf. "Na toll. Ich glaube, ich werde ihm nichts sagen."
"Natürlich nicht. Schon allein deshalb nicht, weil Nils sonst ausrasten würde. Somit wäre das Problem auch geklärt."
Toll, wie wenig ernst Doris manche Dinge sieht. Was habe ich noch vor ein paar Tagen gedacht? Was soll mir passieren? Mir kann doch nichts wirklich passieren. Und was habe ich gemacht? Ich habe gekniffen. Statt Flo zu sagen, was Sache ist, bin ich ausgewichen. War wieder einmal feige. Und das ärgert mich am meisten. Daß ich mir auf der einen Seite einrede, daß mir nichts passieren kann, und daß ich dann nicht danach handele. Aber ich kann mich ja damit trösten, daß ich sage, daß ich das aus Rücksicht auf Nils nicht gesagt habe. Denn er wäre tatsächlich ausgerastet, so wie Doris das gesagt hat.
Leon hat wieder angerufen und gefragt, ob wir heute noch mal trainieren. Ich habe ihm gesagt, daß es heute nicht klappt, weil ich zum Krafttraining gehe. Aber morgen machen wir noch eine Session.
Beim Krafttraining hat Nils heute die Gewichte um eine Stufe runtergesetzt. Er meint, keine Maximalbelastungen mehr vor Leipzig, nur noch Erhaltung. Na gut, wenn er meint.
59 Kilo zeigt die Waage. Genauso schwer wie Heiko. In der gleichen Klasse. Und trotzdem war ich gerade noch mal joggen. Eine Stunde einfach mal wieder nur laufen. Es tut gut, den kalten Herbstwind zu spüren. Den Kopf leer, ohne Gedanken. Und jetzt bin ich müde, kaputt und genau richtig für's Bett.
"Du bist wirklich eine große Hilfe."
"Was soll ich denn dazu sagen? Ich kenne Florian doch gar nicht richtig. Wie soll ich denn wissen, wie er reagiert. Jungs in der Pubertät sind unberechenbar."
Ich blickte Doris an und schüttelte den Kopf. "Na toll. Ich glaube, ich werde ihm nichts sagen."
"Natürlich nicht. Schon allein deshalb nicht, weil Nils sonst ausrasten würde. Somit wäre das Problem auch geklärt."
Toll, wie wenig ernst Doris manche Dinge sieht. Was habe ich noch vor ein paar Tagen gedacht? Was soll mir passieren? Mir kann doch nichts wirklich passieren. Und was habe ich gemacht? Ich habe gekniffen. Statt Flo zu sagen, was Sache ist, bin ich ausgewichen. War wieder einmal feige. Und das ärgert mich am meisten. Daß ich mir auf der einen Seite einrede, daß mir nichts passieren kann, und daß ich dann nicht danach handele. Aber ich kann mich ja damit trösten, daß ich sage, daß ich das aus Rücksicht auf Nils nicht gesagt habe. Denn er wäre tatsächlich ausgerastet, so wie Doris das gesagt hat.
Leon hat wieder angerufen und gefragt, ob wir heute noch mal trainieren. Ich habe ihm gesagt, daß es heute nicht klappt, weil ich zum Krafttraining gehe. Aber morgen machen wir noch eine Session.
Beim Krafttraining hat Nils heute die Gewichte um eine Stufe runtergesetzt. Er meint, keine Maximalbelastungen mehr vor Leipzig, nur noch Erhaltung. Na gut, wenn er meint.
59 Kilo zeigt die Waage. Genauso schwer wie Heiko. In der gleichen Klasse. Und trotzdem war ich gerade noch mal joggen. Eine Stunde einfach mal wieder nur laufen. Es tut gut, den kalten Herbstwind zu spüren. Den Kopf leer, ohne Gedanken. Und jetzt bin ich müde, kaputt und genau richtig für's Bett.
Montag, 6. Oktober 1997
6. Oktober
"Und das ist alles?"
"Ja, mehr ist das nicht."
"Du sollst aber nicht absichtlich umfallen."
"Ich MUSS absichtlich umfallen, sonst kannst du den Griff ja nicht durchziehen. Im normalen Kampf ist der Gegner natürlich total übergerascht."
Ich bemühte mich, ihm den Single Leg möglichst genau zu erklären. Jedenfalls so gut wie ich es konnte. Es war schon eine komische Situation, daß ICH mal jemandem einen Griff zeige. Aber wir nutzen die Stunde vor dem eigentlichen Training wirklich voll aus und Leon war eifrig damit beschäftigt, mir wahlweise mein Knie, mein Schienbein oder meine Ferse zu demolieren. Naja nicht wirklich, aber ein paar Mal tat es schon ziemlich weh, weil er sich mit dem Abstand beim Rangehen verschätzt hatte. Nils kam irgendwann und saß grinsend am Mattenrand. Was Leon ziemlich irritierte. Als wir fertig waren, meinte Nils zu mir: "Du machst dich gar nicht schlecht als Trainer. Du bist vielleicht noch nicht ganz energisch genug, aber das kommt schon noch."
"Das kommt schon noch. Vielleicht will ich ja gar kein Trainer sein."
"Sag mal, bis du eigentlich mit Doris zusammen?"
Flo und ich räumten die Sprungkästen in den Geräteraum als er mich plötzlich und aus heiterem Himmel heraus fragte.
"Jeez, nein. Wir sind gute Freunde. Das ist alles. Wie kommst du denn da drauf?"
"Man sieht dich ja sonst nicht mit einem anderen Mädchen zusammen."
"Da gibt es auch kein anderes Mädel."
"Also seid ihr doch zusammen."
"Nein, sag ich doch."
"Du bist jetzt über ein Jahr hier und hast keine Freundin."
"Stimmt." Das kam ganz trocken. Was hätte ich auch anderes antworten sollen?
Flo guckte mich mindestens eine Minute lang schweigend an. Dann sagte er plötzlich: "Gibt es da was, was ich wissen sollte?"
"Keine Ahnung. Sag du es mir." Na toll, gleich ist es raus, dachte ich. Aber Flo schüttelte nur den Kopf und meinte: "Was soll's."
In dem Augenblick kam Nils, schon fertig angezogen: "Was macht ihr denn hier für ein Kaffeeklatsch? Gibt es jetzt auch noch ein Privattraining im Geräteraum?"
Ich habe Nils auf dem Heimweg von dem Gespräch mit Flo erzählt. Ich wollte wissen, was er davon hält. Nils schien aber wieder mal mehr daran interessiert zu sein, ob ich irgendwas gesagt hatte. Ich konnte ihn beruhigen. Aber ich überlege mir schon, ob Flo tatsächlich was weiß. Na gut, er weiß vielleicht nichts aber vielleicht ahnt er ja was, oder hat eine Vermutung. Die Frage ist nur, wie er reagieren würde, wenn er es erfährt? Wäre das ok für ihn oder nicht?
"Ja, mehr ist das nicht."
"Du sollst aber nicht absichtlich umfallen."
"Ich MUSS absichtlich umfallen, sonst kannst du den Griff ja nicht durchziehen. Im normalen Kampf ist der Gegner natürlich total übergerascht."
Ich bemühte mich, ihm den Single Leg möglichst genau zu erklären. Jedenfalls so gut wie ich es konnte. Es war schon eine komische Situation, daß ICH mal jemandem einen Griff zeige. Aber wir nutzen die Stunde vor dem eigentlichen Training wirklich voll aus und Leon war eifrig damit beschäftigt, mir wahlweise mein Knie, mein Schienbein oder meine Ferse zu demolieren. Naja nicht wirklich, aber ein paar Mal tat es schon ziemlich weh, weil er sich mit dem Abstand beim Rangehen verschätzt hatte. Nils kam irgendwann und saß grinsend am Mattenrand. Was Leon ziemlich irritierte. Als wir fertig waren, meinte Nils zu mir: "Du machst dich gar nicht schlecht als Trainer. Du bist vielleicht noch nicht ganz energisch genug, aber das kommt schon noch."
"Das kommt schon noch. Vielleicht will ich ja gar kein Trainer sein."
"Sag mal, bis du eigentlich mit Doris zusammen?"
Flo und ich räumten die Sprungkästen in den Geräteraum als er mich plötzlich und aus heiterem Himmel heraus fragte.
"Jeez, nein. Wir sind gute Freunde. Das ist alles. Wie kommst du denn da drauf?"
"Man sieht dich ja sonst nicht mit einem anderen Mädchen zusammen."
"Da gibt es auch kein anderes Mädel."
"Also seid ihr doch zusammen."
"Nein, sag ich doch."
"Du bist jetzt über ein Jahr hier und hast keine Freundin."
"Stimmt." Das kam ganz trocken. Was hätte ich auch anderes antworten sollen?
Flo guckte mich mindestens eine Minute lang schweigend an. Dann sagte er plötzlich: "Gibt es da was, was ich wissen sollte?"
"Keine Ahnung. Sag du es mir." Na toll, gleich ist es raus, dachte ich. Aber Flo schüttelte nur den Kopf und meinte: "Was soll's."
In dem Augenblick kam Nils, schon fertig angezogen: "Was macht ihr denn hier für ein Kaffeeklatsch? Gibt es jetzt auch noch ein Privattraining im Geräteraum?"
Ich habe Nils auf dem Heimweg von dem Gespräch mit Flo erzählt. Ich wollte wissen, was er davon hält. Nils schien aber wieder mal mehr daran interessiert zu sein, ob ich irgendwas gesagt hatte. Ich konnte ihn beruhigen. Aber ich überlege mir schon, ob Flo tatsächlich was weiß. Na gut, er weiß vielleicht nichts aber vielleicht ahnt er ja was, oder hat eine Vermutung. Die Frage ist nur, wie er reagieren würde, wenn er es erfährt? Wäre das ok für ihn oder nicht?
Sonntag, 5. Oktober 1997
5. Oktober
"Sag mal..."
Pause
"Ja was denn?"
Leon hatte mich angerufen. Ich kann mich nicht erinnern, daß mich Leon jemals angerufen hatte.
"Du machst doch immer diese Beinangriffe. Kannst du mir das nicht mal zeigen?"
Ich war ziemlich übergerascht. Es dauerte einige Sekunden, bis ich mich berappelt hatte: "Na klar, kann ich dir das zeigen. Aber ich weiß nicht, ob ich der richtige dafür bin. Vielleicht solltest du lieber Nils oder Mahmout fragen, oder Werner. Ich bin doch kein Trainer. Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt richtig erklären kann."
"Mahmout wird sich mit so was doch nicht abgeben. Und Nils ist doch DEIN persönlicher Coach. Außerdem ist der mir zu abgedreht."
Ich mußte grinsen.
"Willst du das etwa noch vor Leipzig lernen?"
"Wenn es geht ja."
"Und wie machen wir das?"
"Keine Ahnung, kannst du vielleicht morgen eine Stunde früher oder länger?"
"Ja, klar, das paßt schon."
"Ok, dann sehen wir uns eine Stunde vor dem Training da."
Er legte auf. Ich finde das ja ziemlich eigenartig. Aber na gut. Auf der anderen Seite fühle ich mich schon etwas geschmeichelt. Leon fragt MICH, ob ich ihm einen Griff zeigen kann. Schon spannend. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich es Nils sagen sollte. Aber was sollte ich ihm das verheimlichen? Vor allem wenn ich vor dem eigentlichen Training in die Halle tapere.
"Strange", war Nils' Kommentar, als ich ihn anrief.
"Was soll ich denn machen? Hätte ich nein sagen sollen?"
"Nein, ist doch ok. Aber vor Leipzig lernt er das eh nicht. Das rettet ihn nicht mehr."
"Wieso retten?"
"Na er wird wohl keine Chance haben."
"Wenn man dich so reden hört, fragt man sich echt, warum DU nicht antrittst."
"Das sollte ich vielleicht machen. Ich würde deinen Heiko schon zusammenfalten."
"Ich rede jetzt über Leon und nicht über Heiko. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn er mal ein bißchen Turniererfahrung sammelt."
Am anderen Ende der Leitung bekam Nils einen Lachanfall: "Cooler Spruch. Aber daß DU den mal bringst, hätte ich ja nie gedacht."
Ich fand mich einfach nur gut.
Pause
"Ja was denn?"
Leon hatte mich angerufen. Ich kann mich nicht erinnern, daß mich Leon jemals angerufen hatte.
"Du machst doch immer diese Beinangriffe. Kannst du mir das nicht mal zeigen?"
Ich war ziemlich übergerascht. Es dauerte einige Sekunden, bis ich mich berappelt hatte: "Na klar, kann ich dir das zeigen. Aber ich weiß nicht, ob ich der richtige dafür bin. Vielleicht solltest du lieber Nils oder Mahmout fragen, oder Werner. Ich bin doch kein Trainer. Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt richtig erklären kann."
"Mahmout wird sich mit so was doch nicht abgeben. Und Nils ist doch DEIN persönlicher Coach. Außerdem ist der mir zu abgedreht."
Ich mußte grinsen.
"Willst du das etwa noch vor Leipzig lernen?"
"Wenn es geht ja."
"Und wie machen wir das?"
"Keine Ahnung, kannst du vielleicht morgen eine Stunde früher oder länger?"
"Ja, klar, das paßt schon."
"Ok, dann sehen wir uns eine Stunde vor dem Training da."
Er legte auf. Ich finde das ja ziemlich eigenartig. Aber na gut. Auf der anderen Seite fühle ich mich schon etwas geschmeichelt. Leon fragt MICH, ob ich ihm einen Griff zeigen kann. Schon spannend. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich es Nils sagen sollte. Aber was sollte ich ihm das verheimlichen? Vor allem wenn ich vor dem eigentlichen Training in die Halle tapere.
"Strange", war Nils' Kommentar, als ich ihn anrief.
"Was soll ich denn machen? Hätte ich nein sagen sollen?"
"Nein, ist doch ok. Aber vor Leipzig lernt er das eh nicht. Das rettet ihn nicht mehr."
"Wieso retten?"
"Na er wird wohl keine Chance haben."
"Wenn man dich so reden hört, fragt man sich echt, warum DU nicht antrittst."
"Das sollte ich vielleicht machen. Ich würde deinen Heiko schon zusammenfalten."
"Ich rede jetzt über Leon und nicht über Heiko. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn er mal ein bißchen Turniererfahrung sammelt."
Am anderen Ende der Leitung bekam Nils einen Lachanfall: "Cooler Spruch. Aber daß DU den mal bringst, hätte ich ja nie gedacht."
Ich fand mich einfach nur gut.
Samstag, 4. Oktober 1997
4. Oktober
"Und? Was sage ich immer? Du bist zu langsam."
"Ich bin nicht zu langsam", protestierte ich. "Mein Gegner war einfach besser als ich."
"Wenn du so nächste Woche in Leipzig ringst, dann gute Nacht."
Ok, er hatte ja recht, ich war wirklich nicht so dolle gewesen. Ich habe mich aber ehrlich gesagt auch gar nicht besonders angestrengt. Mein Gegner schien mir riesig groß und viel zu schwer für meine Gewichtsklasse. Aber angeblich stimmte alles. Aber ich hatte nun auch wirklich keine Lust, mich plattmachen zu lassen. Single Leg funktionierte auch nicht, der Typ blieb einfach stehen.
Eine Woche noch und eigentlich fühle ich mich ja fit. Da hätte ein Sieg natürlich echt gepaßt. Und ich werde immer aufgeregter. Schon bei dem Gedanken kriege ich Herzklopfen. Dabei weiß ich gar nicht, ob das jetzt nur wegen Heiko ist oder auch wegen dem Kampf. Ich weiß nicht, wie ich reagieren werde, wenn ich Heiko mit Matthes zusammen erlebe. Ich schiebe den Gedanken weg. Es ist nächste Woche noch Zeit genug, darüber nachzudenken. Vor allem merke ich ja inzwischen wirklich, wie ungerecht das alles Nils gegenüber ist. Wir haben gestern so ein tollen Tag wieder zusammen gehabt. Nachdem er aufgewacht war, haben wir lange gefrühstückt, sind mit dem Rad durch die Gegend gefahren. Dann haben wir den ganzen Nachmittag und Abend in der Halle verbracht. Aber es war total easy, wir haben einfach nur locker miteinander gerungen. Ohne viel Krafteinsatz. Wenn der eine unten lag, hat der andere nachgeben, so daß neimand überhaupt richtig gewonnen hat. Aber darum gin es ja auch gar nicht. Aber obwohl es so locker war, waren wir dann nach den Stunden doch fertig. Und dann noch eine Nacht mit Nils. Einfach nur kuscheln, in seinen Armen einschlafen. Das ist schon das Größte.
Es ist schon seltsam. Gestern noch war alles so locker beim Ringen und heute ist Nils wieder der strenge Coach, oder Möchtegern-Coach.
Wenigstens gab es auf der Heimfahrt den klassischen Pizza-Buffet-Halt. Irgendwie ist es ja schon cool, sich den Bauch mit den verschiedensten Sorten Pizza vollschlagen zu können.
Flo kam zu mir: "Na? Schon aufgeregt wegen Leipzig?"
"Hör bloß auf. Ich muß echt bekloppt gewesen sein, mich da anzumelden."
"Ach, wird bestimmt ganz lustig. Außerdem brauchst du Turnier-Erfahrung."
"Als wenn ich nicht jede Woche hier auf der Matte stehe."
"Turniere sind was anderes als Liga-Wettkämpfe."
"Ja, ja. Schon gut. Wofür brauche ich Turnier-Erfahrung?"
"Regioturnier im November, zum Beispiel."
"Bis dahin ist noch 'ne Ewigkeit hin. Wenn ich Leipzig lebend überstehe, werden wir weitersehen."
"So wie ihr zwei trainiert habt", er deutete auf Nils, "mußt du einfach gewinnen. Das ist besser als jedes Doping."
Ich grinste. Nils als Doping. Nette Vorstellung.
"Ich bin nicht zu langsam", protestierte ich. "Mein Gegner war einfach besser als ich."
"Wenn du so nächste Woche in Leipzig ringst, dann gute Nacht."
Ok, er hatte ja recht, ich war wirklich nicht so dolle gewesen. Ich habe mich aber ehrlich gesagt auch gar nicht besonders angestrengt. Mein Gegner schien mir riesig groß und viel zu schwer für meine Gewichtsklasse. Aber angeblich stimmte alles. Aber ich hatte nun auch wirklich keine Lust, mich plattmachen zu lassen. Single Leg funktionierte auch nicht, der Typ blieb einfach stehen.
Eine Woche noch und eigentlich fühle ich mich ja fit. Da hätte ein Sieg natürlich echt gepaßt. Und ich werde immer aufgeregter. Schon bei dem Gedanken kriege ich Herzklopfen. Dabei weiß ich gar nicht, ob das jetzt nur wegen Heiko ist oder auch wegen dem Kampf. Ich weiß nicht, wie ich reagieren werde, wenn ich Heiko mit Matthes zusammen erlebe. Ich schiebe den Gedanken weg. Es ist nächste Woche noch Zeit genug, darüber nachzudenken. Vor allem merke ich ja inzwischen wirklich, wie ungerecht das alles Nils gegenüber ist. Wir haben gestern so ein tollen Tag wieder zusammen gehabt. Nachdem er aufgewacht war, haben wir lange gefrühstückt, sind mit dem Rad durch die Gegend gefahren. Dann haben wir den ganzen Nachmittag und Abend in der Halle verbracht. Aber es war total easy, wir haben einfach nur locker miteinander gerungen. Ohne viel Krafteinsatz. Wenn der eine unten lag, hat der andere nachgeben, so daß neimand überhaupt richtig gewonnen hat. Aber darum gin es ja auch gar nicht. Aber obwohl es so locker war, waren wir dann nach den Stunden doch fertig. Und dann noch eine Nacht mit Nils. Einfach nur kuscheln, in seinen Armen einschlafen. Das ist schon das Größte.
Es ist schon seltsam. Gestern noch war alles so locker beim Ringen und heute ist Nils wieder der strenge Coach, oder Möchtegern-Coach.
Wenigstens gab es auf der Heimfahrt den klassischen Pizza-Buffet-Halt. Irgendwie ist es ja schon cool, sich den Bauch mit den verschiedensten Sorten Pizza vollschlagen zu können.
Flo kam zu mir: "Na? Schon aufgeregt wegen Leipzig?"
"Hör bloß auf. Ich muß echt bekloppt gewesen sein, mich da anzumelden."
"Ach, wird bestimmt ganz lustig. Außerdem brauchst du Turnier-Erfahrung."
"Als wenn ich nicht jede Woche hier auf der Matte stehe."
"Turniere sind was anderes als Liga-Wettkämpfe."
"Ja, ja. Schon gut. Wofür brauche ich Turnier-Erfahrung?"
"Regioturnier im November, zum Beispiel."
"Bis dahin ist noch 'ne Ewigkeit hin. Wenn ich Leipzig lebend überstehe, werden wir weitersehen."
"So wie ihr zwei trainiert habt", er deutete auf Nils, "mußt du einfach gewinnen. Das ist besser als jedes Doping."
Ich grinste. Nils als Doping. Nette Vorstellung.
Freitag, 3. Oktober 1997
3. Oktober
Bei Nils...unendlich glücklich...Nils schläft sanft...die CD in einer
Endlosschleife...und ich wünsche mir, dieser Augenblick würde auch in so
einer Endlosschleife bleiben...
For you, there'll be no more crying,
For you, the sun will be shining,
And I feel that when I'm with you,
It's alright, I know it's right
To you, I'll give the world
To you, I'll never be cold
'Cause I feel that when I'm with you,
It's alright, I know it's right.
And the songbirds are singing,
Like they know the score,
And I love you, I love you, I love you,
Like never before.
And I wish you all the love in the world,
But most of all, I wish it from myself.
And the songbirds keep singing,
Like they know the score,
And I love you, I love you, I love you,
Like never before, like never before.
For you, there'll be no more crying,
For you, the sun will be shining,
And I feel that when I'm with you,
It's alright, I know it's right
To you, I'll give the world
To you, I'll never be cold
'Cause I feel that when I'm with you,
It's alright, I know it's right.
And the songbirds are singing,
Like they know the score,
And I love you, I love you, I love you,
Like never before.
And I wish you all the love in the world,
But most of all, I wish it from myself.
And the songbirds keep singing,
Like they know the score,
And I love you, I love you, I love you,
Like never before, like never before.
Donnerstag, 2. Oktober 1997
2. Oktober
"Na ist doch witzig. Wird ja eine nette Viererrunde."
"Na jedenfalls brauchst du dir jetzt keine Gedanken mehr darüber machen, daß Heiko und ich in Leipzig was miteinander anstellen."
Nils guckte mich mit seinem "Ich-kneife-ein-Auge-zu-und-lege-den-Kopf-auf-die-Seite-Blick" an und dann grinste er. Er sagte nichts, er brauchte gar nichts zu sagen.
"Ringt sein Matthes eigentlich auch?"
"Meine Güte, hörst du eigentlich auch irgendwann mal zu, wenn ich was erzähle? Nein, der ringt nicht sondern spielt Fußball oder schiedsrichtert beim Fußball. Jedenfalls irgendwas Abartiges mit Fußball."
"Aber echt abartig. Naja, vielleicht sollten wir noch ein kleines privates Duell zwischen dir und Heiko arrangieren, so außerhalb vom Wettkampf."
"Wieso DAS denn? Der Wettkampf reicht doch wohl."
"Ich weiß nicht. Ich befürchte mal, man wird euch zwei gar nicht mehr von der Matte kriegen. Wenn ich so an die Session denke, als er hier war."
"Da war doch noch gar nichts."
"Vielleicht war da noch nichts, aber du warst doch da schon in ihn verknallt. Und warst die ganz Zeit nur noch mit ihm auf der Matte. Ihr zwei wart gar nicht mehr runterzukriegen."
"Das ist unfair."
Nils grinste: "Single Leg, los jetzt."
Keine Chance. Ich glaube, mein nächster Gegner wird keine Chance haben. Kein Gegner wird eine Chance mehr haben, wenigstens so lange ich einen Single Leg Takedown ansetzen kann.
Aber dafür gab es nach dem Training eine schöne Belohnung: Nils' Eltern sind weggefahren und ich kann heute Nacht bei ihm pennen. Ich fahre gleich los. Ich habe so sehr Lust auf ihn. Auf meinen Nils!
"Na jedenfalls brauchst du dir jetzt keine Gedanken mehr darüber machen, daß Heiko und ich in Leipzig was miteinander anstellen."
Nils guckte mich mit seinem "Ich-kneife-ein-Auge-zu-und-lege-den-Kopf-auf-die-Seite-Blick" an und dann grinste er. Er sagte nichts, er brauchte gar nichts zu sagen.
"Ringt sein Matthes eigentlich auch?"
"Meine Güte, hörst du eigentlich auch irgendwann mal zu, wenn ich was erzähle? Nein, der ringt nicht sondern spielt Fußball oder schiedsrichtert beim Fußball. Jedenfalls irgendwas Abartiges mit Fußball."
"Aber echt abartig. Naja, vielleicht sollten wir noch ein kleines privates Duell zwischen dir und Heiko arrangieren, so außerhalb vom Wettkampf."
"Wieso DAS denn? Der Wettkampf reicht doch wohl."
"Ich weiß nicht. Ich befürchte mal, man wird euch zwei gar nicht mehr von der Matte kriegen. Wenn ich so an die Session denke, als er hier war."
"Da war doch noch gar nichts."
"Vielleicht war da noch nichts, aber du warst doch da schon in ihn verknallt. Und warst die ganz Zeit nur noch mit ihm auf der Matte. Ihr zwei wart gar nicht mehr runterzukriegen."
"Das ist unfair."
Nils grinste: "Single Leg, los jetzt."
Keine Chance. Ich glaube, mein nächster Gegner wird keine Chance haben. Kein Gegner wird eine Chance mehr haben, wenigstens so lange ich einen Single Leg Takedown ansetzen kann.
Aber dafür gab es nach dem Training eine schöne Belohnung: Nils' Eltern sind weggefahren und ich kann heute Nacht bei ihm pennen. Ich fahre gleich los. Ich habe so sehr Lust auf ihn. Auf meinen Nils!
Mittwoch, 1. Oktober 1997
1. Oktober
"Wo pennt ihr denn?"
"Keine Ahnung, wir haben am Montag einen Zettel gekriegt, aber ich habe noch nicht raufgeguckt. Bleib' mal dran, ich gucke nach."
Heiko war am Telefon. Heiko wollte wissen, wo wir in Leipzig unterkommen. Ich kramte wie wild in meiner Sporttasche und fand den zerknüllen Zettel.
"Im Jugendgästehaus der Thälmann-Pioniere."
"WAAAS?"
"Kleiner Scherz, jedenfalls in diesem seltsamen Jugendgästehaus in der Nähe von der Halle."
"Bingo! Wir auch."
Na toll. Einerseits freue ich mich. Ich freute mich, daß Heiko tatsächlich in der gleichen Unterkunft war wie ich. Aber gleichzeitig hatte ich ein mulmiges Gefühl. Denn Nils war auch da und wir würden uns da ständig über den Weg laufen. Aber immerhin hat er sich entschieden, tatsächlich nach Leipzig zu kommen. Und wir sind in der gleichen Gewichtsklasse. Und beide so ziemlich genau in der Mitte, so daß da wohl auch nichts mehr passieren kann.
"Wieviele von eurem Verein kommen denn?"
"Keiner."
"Hast du nicht eben wir gesagt?"
"Matthes kommt mit."
Rumms, na toll. Ich merkte, wir mir das Blut in den Kopf stieg. Ich machte noch ein paar Sätze Smalltalk und dann beeilte ich mich, das Gespräch zu beenden. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte das Telefon aus dem Fenster geworfen. Matthes kommt mit. Matthes kommt mit Heiko nach Leipzig. Und warum, verdammt noch mal, rege ich mich jetzt auf? Warum werde ich jetzt wütend, sauer, warum würde ich am liebsten laut losschreien? Matthes ist Heikos Freund. Natürlich kann er mitfahren. Natürlich, das ist doch die natürlichste Sache der Welt. Warum verdammt noch mal, warum bin ich, bin ich eifersüchtig? Ja, ich bin eifersüchtig. Ich hatte gehofft, mit Heiko alleine zu sein. Aber warum eigentlich alleine? Nils kommt mit. Nils ist mein Freund. Wie soll ich denn reagieren, wenn ich plötzlich Matthes gegenüber stehe? Was und wieviel hat Heiko ihm erzählt?
Du bist noch nicht fertig mit Heiko. Und das stimmt. Doch wo die Reise hingeht, weiß ich nicht. Ich würde was geben, wenn ich ihn endlich aus meinem Kopf bekommen könnte. Doch selbst das stimmt nicht. Ich will ihn nicht aus meinem Kopf kriegen. Nie mehr. Und ich freue mich so sehr darauf, ihn wiederzusehen. Ob mit oder ohne Matthes. Es ist doch eigentlich egal. solange ich nur Heiko wiedersehe.
"Keine Ahnung, wir haben am Montag einen Zettel gekriegt, aber ich habe noch nicht raufgeguckt. Bleib' mal dran, ich gucke nach."
Heiko war am Telefon. Heiko wollte wissen, wo wir in Leipzig unterkommen. Ich kramte wie wild in meiner Sporttasche und fand den zerknüllen Zettel.
"Im Jugendgästehaus der Thälmann-Pioniere."
"WAAAS?"
"Kleiner Scherz, jedenfalls in diesem seltsamen Jugendgästehaus in der Nähe von der Halle."
"Bingo! Wir auch."
Na toll. Einerseits freue ich mich. Ich freute mich, daß Heiko tatsächlich in der gleichen Unterkunft war wie ich. Aber gleichzeitig hatte ich ein mulmiges Gefühl. Denn Nils war auch da und wir würden uns da ständig über den Weg laufen. Aber immerhin hat er sich entschieden, tatsächlich nach Leipzig zu kommen. Und wir sind in der gleichen Gewichtsklasse. Und beide so ziemlich genau in der Mitte, so daß da wohl auch nichts mehr passieren kann.
"Wieviele von eurem Verein kommen denn?"
"Keiner."
"Hast du nicht eben wir gesagt?"
"Matthes kommt mit."
Rumms, na toll. Ich merkte, wir mir das Blut in den Kopf stieg. Ich machte noch ein paar Sätze Smalltalk und dann beeilte ich mich, das Gespräch zu beenden. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte das Telefon aus dem Fenster geworfen. Matthes kommt mit. Matthes kommt mit Heiko nach Leipzig. Und warum, verdammt noch mal, rege ich mich jetzt auf? Warum werde ich jetzt wütend, sauer, warum würde ich am liebsten laut losschreien? Matthes ist Heikos Freund. Natürlich kann er mitfahren. Natürlich, das ist doch die natürlichste Sache der Welt. Warum verdammt noch mal, warum bin ich, bin ich eifersüchtig? Ja, ich bin eifersüchtig. Ich hatte gehofft, mit Heiko alleine zu sein. Aber warum eigentlich alleine? Nils kommt mit. Nils ist mein Freund. Wie soll ich denn reagieren, wenn ich plötzlich Matthes gegenüber stehe? Was und wieviel hat Heiko ihm erzählt?
Du bist noch nicht fertig mit Heiko. Und das stimmt. Doch wo die Reise hingeht, weiß ich nicht. Ich würde was geben, wenn ich ihn endlich aus meinem Kopf bekommen könnte. Doch selbst das stimmt nicht. Ich will ihn nicht aus meinem Kopf kriegen. Nie mehr. Und ich freue mich so sehr darauf, ihn wiederzusehen. Ob mit oder ohne Matthes. Es ist doch eigentlich egal. solange ich nur Heiko wiedersehe.
Dienstag, 30. September 1997
30. September
"Das ist doch nicht dein Ernst?"
"Natürlich nicht, es ist doch nur mal so ein Gedankenspiel."
"Ein reichlich beklopptes Gedankenspiel."
"Jetzt hör doch einfach mal zu. Was würde passieren, wenn es alle wüßten?"
"Ich könnte mich nicht mehr auf die Straße trauen. Nirgendwohin."
"Aber warum denn? Warum denn verdammt noch mal?"
"Bei jedem, den ich treffe, würde ich denken, der weiß es, der guckt mich so komisch an."
"Ja und?"
"Was 'ja und?'?"
"Ich meine, WAS soll dir denn tatsächlich passieren. Und wenn dich jemand komisch anguckt. Und? Du wirst schon nicht gleich eines auf die Fresse kriegen. Also dir KANN eigentlich gar nicht passieren."
"Kein Mensch würde mehr mit mir reden, mit UNS reden. Ganz abgesehen von meinen Eltern. Und meine Karriere im Verein könnte ich auch gleich vergessen."
"Deine Karriere im Verein. Mein Gott. Was denkst du denn? Willst du wirklich profimäßig ringen. Denkst du, du kommst in der nächsten Saison in die 1. Männer oder irgendein Talentsucher steht morgen vor der Tür?"
"Wieso nicht? Zwei waren schon da."
"Na toll, ganz toll, und du gehst dann irgendwohin, nach Goldbach, oder Schifferstadt, oder was? Und ich bleibe hier."
"Wenn du hier auf so komische Gedanken kommst und damit rumspinnst, es allen zu erzählen."
"Ich spinne nicht rum und ich will es doch niemandem erzählen." Ich setzte mich auf die Hantelbank und zog ihn zu mir herunter. "Ich habe doch gleich am Anfang gesagt, daß du einfach mal nachdenken sollst, daß einem doch eigentlich gar nichts passieren kann, wenn es alle wissen."
"Und ich sage dir, es kann eine ganze Menge passieren. Und es würde und es wird eine Menge passieren, wenn das irgendwelche Leute rauskriegen und weitertratschen."
Er hatte irgendwie recht, doch ich dachte den Gedanken einfach weiter: "Und wenn? Und wenn jede Menge passiert? Was kommt danach? Werden wir sterben, landen wir im Knast oder unter der Brücke? Müssen wir betteln gehen?"
Nils schwieg, dann schüttele er nach einer Weile den Kopf: "Ich will da nicht drüber nachdenken. Und ich will auch nicht, daß du darüber nachdenkst. Ich habe Angst, daß du auf irgendwelche dummen Ideen kommst."
Ich beruhigte ihn: "Ich komme nicht auf dumme Ideen. Bestimmt nicht."
Mir war klar, daß ich mit Nils nicht mehr über das Thema reden kann. Jedenfalls nicht im Moment. Ob es irgendwann mal anders wird, weiß ich nicht, ich hoffe es. Aber diese Idee oder diese Gedanke ist irgendwie ganz spannend, wenn ich ihn weiterdenke: Was soll mir passieren? Also was soll mir WIRKLICH richtig Schlimmes passieren? Es ist schon eine komische Sache, wenn man sie weiterdenkt.
"Natürlich nicht, es ist doch nur mal so ein Gedankenspiel."
"Ein reichlich beklopptes Gedankenspiel."
"Jetzt hör doch einfach mal zu. Was würde passieren, wenn es alle wüßten?"
"Ich könnte mich nicht mehr auf die Straße trauen. Nirgendwohin."
"Aber warum denn? Warum denn verdammt noch mal?"
"Bei jedem, den ich treffe, würde ich denken, der weiß es, der guckt mich so komisch an."
"Ja und?"
"Was 'ja und?'?"
"Ich meine, WAS soll dir denn tatsächlich passieren. Und wenn dich jemand komisch anguckt. Und? Du wirst schon nicht gleich eines auf die Fresse kriegen. Also dir KANN eigentlich gar nicht passieren."
"Kein Mensch würde mehr mit mir reden, mit UNS reden. Ganz abgesehen von meinen Eltern. Und meine Karriere im Verein könnte ich auch gleich vergessen."
"Deine Karriere im Verein. Mein Gott. Was denkst du denn? Willst du wirklich profimäßig ringen. Denkst du, du kommst in der nächsten Saison in die 1. Männer oder irgendein Talentsucher steht morgen vor der Tür?"
"Wieso nicht? Zwei waren schon da."
"Na toll, ganz toll, und du gehst dann irgendwohin, nach Goldbach, oder Schifferstadt, oder was? Und ich bleibe hier."
"Wenn du hier auf so komische Gedanken kommst und damit rumspinnst, es allen zu erzählen."
"Ich spinne nicht rum und ich will es doch niemandem erzählen." Ich setzte mich auf die Hantelbank und zog ihn zu mir herunter. "Ich habe doch gleich am Anfang gesagt, daß du einfach mal nachdenken sollst, daß einem doch eigentlich gar nichts passieren kann, wenn es alle wissen."
"Und ich sage dir, es kann eine ganze Menge passieren. Und es würde und es wird eine Menge passieren, wenn das irgendwelche Leute rauskriegen und weitertratschen."
Er hatte irgendwie recht, doch ich dachte den Gedanken einfach weiter: "Und wenn? Und wenn jede Menge passiert? Was kommt danach? Werden wir sterben, landen wir im Knast oder unter der Brücke? Müssen wir betteln gehen?"
Nils schwieg, dann schüttele er nach einer Weile den Kopf: "Ich will da nicht drüber nachdenken. Und ich will auch nicht, daß du darüber nachdenkst. Ich habe Angst, daß du auf irgendwelche dummen Ideen kommst."
Ich beruhigte ihn: "Ich komme nicht auf dumme Ideen. Bestimmt nicht."
Mir war klar, daß ich mit Nils nicht mehr über das Thema reden kann. Jedenfalls nicht im Moment. Ob es irgendwann mal anders wird, weiß ich nicht, ich hoffe es. Aber diese Idee oder diese Gedanke ist irgendwie ganz spannend, wenn ich ihn weiterdenke: Was soll mir passieren? Also was soll mir WIRKLICH richtig Schlimmes passieren? Es ist schon eine komische Sache, wenn man sie weiterdenkt.
Montag, 29. September 1997
29. September
"Ich hoffe wenigstens, daß das jetzt alles vorbei ist."
"Na deine Haare sehen jedenfalls wieder fast so aus wie vorher. Nimmst du denn noch Medikamente?"
"Nö, nicht mehr. Ich muß im Moment nur einmal im Monat zur Nachkontrolle, Röntgen, Ultraschall und so was."
Ich hatte zum ersten Mal richtig Zeit, mich wieder mit Tobias zu unterhalten. Wir hatten eine Freistunde und saßen auf der Glasbrücke.
"Und du? Du sollst ja inzwischen ein richtig toller Ringer geworden sein."
"Wer sagt das?"
"Max hat das erzählt. Du weißt ja, daß das hier alles schnell rum ist."
"Na 'toll' bin ich nicht unbedingt. Ich habe eben ein bißchen was gelernt."
Ich wunderte mich, daß Tobias mich überhaupt nach dem Ringen fragte, wo er das doch früher immer total abartig gefunden hat.
'Du weißt doch, wie hier alles schnell rum ist', hatte er gesagt. Ja, hier ist wirklich immer alles schnell rum. Und ich frage mich echt, ob nicht inzwischen schon die halbe Stadt weiß, daß Nils und ich zusammen sind. Aber auf der anderen Seite hätte ich das dann garantiert schon gehört. Aber wenn, wenn es irgend jemand dann tatsächlich mitbekommt, dann ist es doch in kürzester Zeit rum. Und dann? Ja verdammt noch mal und dann? Was passiert dann? Was kann den eigentlich passieren? Wenn ich überlege, kann so richtig gar nichts passieren. Ich werde nicht wirklich tot umfallen. Ich werde nicht in den Knast kommen und der Himmel wird nicht runterfallen. Also WAS kann den eigentlich passieren? Mom und Dad würden ausrasten. Bestimmt Mom viel mehr. Das wäre wirklich schlimm, ich weiß nicht, ob ich ausziehen müßte? Ich weiß nicht, ob ich diesen Zoff aushalten kann. Das weiß ich echt nicht. Aber was passiert sonst noch? In der Schule. Scheiß drauf, Doris weiß es und die anderen, die anderen sind mir eigentlich total egal. Ich weiß nicht, ob Flo und Max das kapieren werden, aber ich glaube fast ja. Und der Rest? Scheiß drauf. Der Verein? Was soll das, auch auf den kann ich verzichten. Solange ich nur Nils habe und wir zwei zusammen sind ist mir eigentlich alles egal. Nein, ich werde bestimmt nicht morgen losrennen und es allen erzählen. Aber ich will mir wirklich mal durch den Kopf gehen lassen, was passiert, wenn die anderen es wissen.
Jetzt gehe ich aber erst mal zum Training
"Na deine Haare sehen jedenfalls wieder fast so aus wie vorher. Nimmst du denn noch Medikamente?"
"Nö, nicht mehr. Ich muß im Moment nur einmal im Monat zur Nachkontrolle, Röntgen, Ultraschall und so was."
Ich hatte zum ersten Mal richtig Zeit, mich wieder mit Tobias zu unterhalten. Wir hatten eine Freistunde und saßen auf der Glasbrücke.
"Und du? Du sollst ja inzwischen ein richtig toller Ringer geworden sein."
"Wer sagt das?"
"Max hat das erzählt. Du weißt ja, daß das hier alles schnell rum ist."
"Na 'toll' bin ich nicht unbedingt. Ich habe eben ein bißchen was gelernt."
Ich wunderte mich, daß Tobias mich überhaupt nach dem Ringen fragte, wo er das doch früher immer total abartig gefunden hat.
'Du weißt doch, wie hier alles schnell rum ist', hatte er gesagt. Ja, hier ist wirklich immer alles schnell rum. Und ich frage mich echt, ob nicht inzwischen schon die halbe Stadt weiß, daß Nils und ich zusammen sind. Aber auf der anderen Seite hätte ich das dann garantiert schon gehört. Aber wenn, wenn es irgend jemand dann tatsächlich mitbekommt, dann ist es doch in kürzester Zeit rum. Und dann? Ja verdammt noch mal und dann? Was passiert dann? Was kann den eigentlich passieren? Wenn ich überlege, kann so richtig gar nichts passieren. Ich werde nicht wirklich tot umfallen. Ich werde nicht in den Knast kommen und der Himmel wird nicht runterfallen. Also WAS kann den eigentlich passieren? Mom und Dad würden ausrasten. Bestimmt Mom viel mehr. Das wäre wirklich schlimm, ich weiß nicht, ob ich ausziehen müßte? Ich weiß nicht, ob ich diesen Zoff aushalten kann. Das weiß ich echt nicht. Aber was passiert sonst noch? In der Schule. Scheiß drauf, Doris weiß es und die anderen, die anderen sind mir eigentlich total egal. Ich weiß nicht, ob Flo und Max das kapieren werden, aber ich glaube fast ja. Und der Rest? Scheiß drauf. Der Verein? Was soll das, auch auf den kann ich verzichten. Solange ich nur Nils habe und wir zwei zusammen sind ist mir eigentlich alles egal. Nein, ich werde bestimmt nicht morgen losrennen und es allen erzählen. Aber ich will mir wirklich mal durch den Kopf gehen lassen, was passiert, wenn die anderen es wissen.
Jetzt gehe ich aber erst mal zum Training
Sonntag, 28. September 1997
28. September
"Was ist denn los mit dir? Du rennst ja rum wie ein Tiger im Käfig."
"So komme ich mir auch vor. Ich bin total aufgeregt. So aufgeregt war ich noch nicht mal vor meinem ersten Kampf."
"Wieso das denn? Mensch, schau dir die Hilfsbremser doch mal an, die schaffen wir ohne Probleme."
"Mag ja sein, aber ich habe echt so was wie Lampenfieber."
Ich konnte es mir ja selber nicht erklären. Vielleicht war das alles schon irgendein Vorzeichen für Leipzig. Vielleicht habe ich jetzt auf einmal so viel Ehrgeiz, daß ich Angst davor habe zu verlieren.
Ich verlor nicht. Als ich auf der Matte stand lief eigentlich alles ganz automatisch an. Beinangriff, mein so oft geübter Beinangriff, total perfekt. Ich gewann sogar mit Schultersieg schon in der zweiten Minute. Als ich in meine Ecke kam, meinte Nils: "Na siehst du. Geht doch. Für alles andere hätte ich dich auch geprügelt."
Ich glaubte ihm aufs Wort.
Auch die anderen Jungs gewannen haushoch und sogar Leon schaffte einen Zu-Null-Punktsieg.
"Trainierst du heimlich?", wollte ich wissen.
"Ich?" Er guckte mich verwundert an, dann grinste er: "Ich heiße doch nicht Tim."
Na toll, anscheinend gelte ich jetzt hier so als der heimliche Special-Trainierer.
"Kennst du irgend jemand von deinen Gegnern in Leipzig?"
"Nein, ich weiß gar nicht, wer da so alles hinfährt in meiner Gewichtsklasse."
"Na, wird schon. Wenn du da auch so gut bist, holst du bestimmt einen Pokal für Bergbach."
Borrh, was erzählte ich denn da für einen Unsinn? Bin ich etwa der Trainer, der die Leute motivieren muß? Ich klinge ja fast schon so wie Nils. Das muß ich mir schnellstens wieder abgewöhnen.
Nach dem Wettkampf war allgemeines Besäufnis bei Silvio angesagt. Aber Nils, Flo, Leon und ich beschlossen, daß es spannender wäre, sich in der Tofa zu besaufen als bei Silvio und seinem grenzdebilen Bruder.
Wir waren dann auch in der Tofa, nur getrunken haben wir fast nichts. Irgendwie waren wir alle eher in der Stimmung zu tanzen, und so hüpften wir wie blöde auf der Tanzfläche herum bis wir irgendwann total fertig den Rückweg antraten.
Das ist auch gar nicht so schlecht, wenn man wenig trinkt und ziemlich früh zu Hause ist. Man ist am nächsten Morgen nicht so vermufft. Ich guckte mich intensiv im Spiegel an. Irgendwie habe ich mir einen riesigen blauen Fleck an der Schulter zugezogen. Komisch, ich weiß nicht mal mehr woher. Gestern beim Wettkampf? Oder schon vom Training? Es ist eine merkwürdige Sache. Ich bin fast ein wenig stolz darauf. Dieser blaue Fleck gehört zu diesem Sport, er ist ein Zeichen dafür, daß ich tatsächlich arbeite. Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Hat sich nicht Doris mal über ein blaues Auge von Nils lustig gemacht? Aber es ist vielleicht etwas dran: die Schmerzen, die Muskelkater, die blauen Flecken. Alle bei uns ertragen das nicht nur, sie tragen das alles wirklich so wie kleine Orden, so als Zeichen dafür, daß sie anders sind, daß sie etwas machen, daß sie und ihren Körper herausfordert und das ist der Preis, den man dafür zahlen muß. Und das zeigt man auch. Oh mein Gott, was schreibe ich denn für einen Schwulst hier. Ich glaube, wenn ich das in ein paar Jahren wieder lese, dann glaube ich, daß ich geistig umnachtet gewesen sein muß. Egal, wie auch immer. Ich schmiere da jedenfalls keine Heparin-Salbe rauf und basta.
Ein gemeinsamer Nachmittag mit Nils.
"Wir haben gestern gar nicht darüber reden können, weil immer jemand dabei war. Habe ich mich sehr daneben benommen am Freitag? Warst du sehr sauer auf mich?"
"Nö, nicht mehr als sonst", meinte ich lachend.
"Arsch. Ich hab' es echt nicht so gemeint. Ich wollte es einfach nur mal wissen."
"Ist schon ok."
"Weißt du, daß du dich ziemlich verändert hast in der letzten Zeit?"
"Verändert? Wieso?"
"Nicht 'wieso' sondern 'inwiefern'!"
"Bitte jetzt du nicht auch noch, man sollte dir den Umgang mit Flo verbieten! Also, inwiefern habe ich mich verändert?"
"Du tickst nicht mehr so schnell aus. Früher bist du bei jeder Kleinigkeit ausgerastet. Aber inzwischen glaube ich, daß dich kaum noch was aufregt."
"Ist mir noch gar nicht aufgefallen."
"Ist aber so."
"Hmm, und was ist dir lieber?"
"Lieber, lieber. Mir ist alles lieb, wenn nur Tim draufsteht und drinsteckt."
"Nur wo Tim draufsteht, ist auch Tim drin."
Wir mußten lachen, als uns klar wurde, WAS ich da eben gesagt hatte.
"Weißt du, daß du gestern richtig gut gerungen hast? Ich meine das ehrlich. Richtig konzentriert, schnell und richtig gut in der Technik."
"Danke. Und das, wo ich so aufgeregt war."
Ein Lob von Nils. Und das im Zusammenhang mit dem Ringen. Das baute mich auf. Das baut mich wirklich auf. Mehr als alle Schinderei beim Training, mehr als jeder Punkt beim Wettkampf.
Es wird zunehmend schneller dunkel und vor allem kalt. Wir saßen da an "unserer" Stelle, kuschelten uns aneinander und froren wie blöd. Aber wir wollten einfach nicht aufstehen. Es war zu schön, den anderen zu spüren, seine Nähe, seine Wärme, seinen Atem. Es ist schön so. Schön so, wie es ist.
"So komme ich mir auch vor. Ich bin total aufgeregt. So aufgeregt war ich noch nicht mal vor meinem ersten Kampf."
"Wieso das denn? Mensch, schau dir die Hilfsbremser doch mal an, die schaffen wir ohne Probleme."
"Mag ja sein, aber ich habe echt so was wie Lampenfieber."
Ich konnte es mir ja selber nicht erklären. Vielleicht war das alles schon irgendein Vorzeichen für Leipzig. Vielleicht habe ich jetzt auf einmal so viel Ehrgeiz, daß ich Angst davor habe zu verlieren.
Ich verlor nicht. Als ich auf der Matte stand lief eigentlich alles ganz automatisch an. Beinangriff, mein so oft geübter Beinangriff, total perfekt. Ich gewann sogar mit Schultersieg schon in der zweiten Minute. Als ich in meine Ecke kam, meinte Nils: "Na siehst du. Geht doch. Für alles andere hätte ich dich auch geprügelt."
Ich glaubte ihm aufs Wort.
Auch die anderen Jungs gewannen haushoch und sogar Leon schaffte einen Zu-Null-Punktsieg.
"Trainierst du heimlich?", wollte ich wissen.
"Ich?" Er guckte mich verwundert an, dann grinste er: "Ich heiße doch nicht Tim."
Na toll, anscheinend gelte ich jetzt hier so als der heimliche Special-Trainierer.
"Kennst du irgend jemand von deinen Gegnern in Leipzig?"
"Nein, ich weiß gar nicht, wer da so alles hinfährt in meiner Gewichtsklasse."
"Na, wird schon. Wenn du da auch so gut bist, holst du bestimmt einen Pokal für Bergbach."
Borrh, was erzählte ich denn da für einen Unsinn? Bin ich etwa der Trainer, der die Leute motivieren muß? Ich klinge ja fast schon so wie Nils. Das muß ich mir schnellstens wieder abgewöhnen.
Nach dem Wettkampf war allgemeines Besäufnis bei Silvio angesagt. Aber Nils, Flo, Leon und ich beschlossen, daß es spannender wäre, sich in der Tofa zu besaufen als bei Silvio und seinem grenzdebilen Bruder.
Wir waren dann auch in der Tofa, nur getrunken haben wir fast nichts. Irgendwie waren wir alle eher in der Stimmung zu tanzen, und so hüpften wir wie blöde auf der Tanzfläche herum bis wir irgendwann total fertig den Rückweg antraten.
Das ist auch gar nicht so schlecht, wenn man wenig trinkt und ziemlich früh zu Hause ist. Man ist am nächsten Morgen nicht so vermufft. Ich guckte mich intensiv im Spiegel an. Irgendwie habe ich mir einen riesigen blauen Fleck an der Schulter zugezogen. Komisch, ich weiß nicht mal mehr woher. Gestern beim Wettkampf? Oder schon vom Training? Es ist eine merkwürdige Sache. Ich bin fast ein wenig stolz darauf. Dieser blaue Fleck gehört zu diesem Sport, er ist ein Zeichen dafür, daß ich tatsächlich arbeite. Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Hat sich nicht Doris mal über ein blaues Auge von Nils lustig gemacht? Aber es ist vielleicht etwas dran: die Schmerzen, die Muskelkater, die blauen Flecken. Alle bei uns ertragen das nicht nur, sie tragen das alles wirklich so wie kleine Orden, so als Zeichen dafür, daß sie anders sind, daß sie etwas machen, daß sie und ihren Körper herausfordert und das ist der Preis, den man dafür zahlen muß. Und das zeigt man auch. Oh mein Gott, was schreibe ich denn für einen Schwulst hier. Ich glaube, wenn ich das in ein paar Jahren wieder lese, dann glaube ich, daß ich geistig umnachtet gewesen sein muß. Egal, wie auch immer. Ich schmiere da jedenfalls keine Heparin-Salbe rauf und basta.
Ein gemeinsamer Nachmittag mit Nils.
"Wir haben gestern gar nicht darüber reden können, weil immer jemand dabei war. Habe ich mich sehr daneben benommen am Freitag? Warst du sehr sauer auf mich?"
"Nö, nicht mehr als sonst", meinte ich lachend.
"Arsch. Ich hab' es echt nicht so gemeint. Ich wollte es einfach nur mal wissen."
"Ist schon ok."
"Weißt du, daß du dich ziemlich verändert hast in der letzten Zeit?"
"Verändert? Wieso?"
"Nicht 'wieso' sondern 'inwiefern'!"
"Bitte jetzt du nicht auch noch, man sollte dir den Umgang mit Flo verbieten! Also, inwiefern habe ich mich verändert?"
"Du tickst nicht mehr so schnell aus. Früher bist du bei jeder Kleinigkeit ausgerastet. Aber inzwischen glaube ich, daß dich kaum noch was aufregt."
"Ist mir noch gar nicht aufgefallen."
"Ist aber so."
"Hmm, und was ist dir lieber?"
"Lieber, lieber. Mir ist alles lieb, wenn nur Tim draufsteht und drinsteckt."
"Nur wo Tim draufsteht, ist auch Tim drin."
Wir mußten lachen, als uns klar wurde, WAS ich da eben gesagt hatte.
"Weißt du, daß du gestern richtig gut gerungen hast? Ich meine das ehrlich. Richtig konzentriert, schnell und richtig gut in der Technik."
"Danke. Und das, wo ich so aufgeregt war."
Ein Lob von Nils. Und das im Zusammenhang mit dem Ringen. Das baute mich auf. Das baut mich wirklich auf. Mehr als alle Schinderei beim Training, mehr als jeder Punkt beim Wettkampf.
Es wird zunehmend schneller dunkel und vor allem kalt. Wir saßen da an "unserer" Stelle, kuschelten uns aneinander und froren wie blöd. Aber wir wollten einfach nicht aufstehen. Es war zu schön, den anderen zu spüren, seine Nähe, seine Wärme, seinen Atem. Es ist schön so. Schön so, wie es ist.
Samstag, 27. September 1997
27. September
"Ich schmeiß mich weg. Wenn das wirklich so weit kommt, dann werfe ich mich echt in die Ecke."
"Ich würde das überhaupt nicht lustig finden."
Ich habe Nils gestern Abend natürlich von dem Telefonat mit Heiko erzählt und Nils findet den Gedanken, daß Heiko gar nicht mitmachen könnte, seltsamerweise sehr witzig.
"Obwohl es schon schade wäre. Ich würde dich doch so gerne gegen ihn gewinnen sehen."
"Ich weiß, wir haben ja oft genug darüber geredet. Ich wäre jedenfalls ziemlich sauer auf ihn."
Nils guckte mich an, kniff ein Auge zu und schüttelte dann den Kopf: "Du könntest gar nicht sauer auf ihn sein. Ich glaube, er könnte sonstwas machen, du wirst nie wirklich sauer auf ihn sein."
"Mensch, ich trainiere wie ein Irrer und dann das."
"Nun warte doch erst mal ab. Der macht schon mit. Ich glaube, daß er sich das nicht entgehen läßt, mit dir auf die Matte zu gehen. Wenn er schon nicht mit dir ins Bett hüpfen kann in Leipzig."
Nils hatte getrunken. Nils hatte zu viel getrunken. Mit dem Effekt, daß er die ganzen kleinen Boshaftigkeiten mit einem lustigen Lächeln rüberbrachte und wahrscheinlich auch gar nicht böse meinte. Und ich spielte mit: "Wer sagt denn, daß wir in Leipzig nicht was miteinander haben werden?"
"Stimmt, du läßt ja keine Gelegenheit aus."
"Ja und?"
"Was habt ihr eigentlich miteinander gemacht? Als du bei ihm warst?"
"Wie? Gemacht? Was meinst du?" Ich wußte genau, was er meinte. Ich glaube, im nüchternen Zustand hätte er es nie gebracht, mich das zu fragen.
"Du weißt genau, was ich meine. Habt ihr gefickt?"
Ich war in einer unschönen Lage. Auf der einen Seite wollte ich ihm nichts mehr verheimlichen und wenn es nicht ausgerechnet um Heiko gegangen wäre, dann hätte ich ihm schon längst alles erzählt. Aber Heiko und ich, das war etwas Besonderes, das war etwas, was niemanden anderes etwas anging. Wenigstens nicht das, was wir im Bett zusammen getrieben hatten. Doch auf der anderen Seite ist Nils mein Freund. Und ich will nicht mehr lügen müssen, also sagte ich: "Nein, wir haben nicht miteinander gefickt, wie du so schön sagst."
"Oh, wieso denn nicht?"
"Weil, mein Schatz, es sich nicht so ergeben hat. Vielleicht haben wir beide gemerkt, daß es noch nicht die Zeit dafür war, vielleicht waren wir beide noch nicht bereit dazu."
Nils schwieg. Er schwieg und mit jeder Sekunde Schweigen wurde mir klarer, was ich da gerade gesagt hatte. So betrunken, daß er das nicht mitgekriegt hatte, war er dann auch nicht. Schließlich begann er das zu wiederholen und er betonte genau die schlimmen Stellen: "Vielleicht haben wir beide gemerkt, daß es NOCH nicht die Zeit dafür war, vielleicht waren wir beide NOCH nicht bereit dazu."
Ich biß mir auf die Zunge. Ja, ich hatte es gesagt. Und ich kann nicht mal sagen, daß es mir einfach so rausgerutscht war.
Plötzlich fing Nils an zu kichern. Ich war mal wieder richtig überrascht.
"Irgendwie, irgendwie macht mich die Vorstellung, wie du Sex mit Heiko hast, geil", kicherte er.
"Nils, ist jetzt mal Schluß bitte!"
"Wieso? Wenn ich mir das vorstelle werde ich eben geil. Du nicht?"
Jetzt waren wir genau an der Stelle, wo ich nun garantiert nicht hin wollte.
"Ich lehne es ab, mit dir noch mal über Sex in Zusammenhang mit Heiko zu reden", meinte ich verärgert.
"Dann laß uns über deinen Sex mit mir reden."
"Nils, du bist betrunken."
"Vielleicht kann ich nur betrunken darüber reden."
"Na, MACHEN kannst du es auf jeden Fall nüchtern auch."
"Ist es langweilig mit mir? Willst du irgendwas anderes im Bett machen?"
Jetzt reichte es mir. Ich zog in raus und hinter den Parkplatz.
"Damit das klar ist: Ich habe mit Heiko nicht deshalb was gehabt, weil mir der Sex mit dir nicht mehr gefallen hat. Der Sex mit dir gefällt mir. Er hat mir das erste Mal gefallen und er gefällt mir immer wieder genauso toll wie beim ersten Mal. Kapierst du das?!"
Nils legte seinen Kopf auf meine Brust. Ich strich ihm langsam über seine Stoppeln. "Mach mir nicht meine Frisur kaputt", murmelte er undeutlich.
"Welche Frisur? Und überhaupt, wofür brauchst du die heute noch?"
Er brummte leise und wir beschlossen, Richtung Heimat zu tapern.
Wenn ich das jetzt so aufschreibe, dann ist es anscheinend wirklich so, als wenn er glaubt, daß er mich irgendwie langweilt im Bett. Aber das ist es verdammt noch mal nicht. Warum ist denn das alles nur so schwierig? Shit, ich muß jetzt mal ein bißchen mein Zimmer aufräumen, vielleicht schaffe ich ja dabei auch meinen Kopf aufzuräumen. Und heute Nachmittag ist Wettkampf. Das erste Mal wieder seit der Sommerpause. Oje, wie das wohl wird?
"Ich würde das überhaupt nicht lustig finden."
Ich habe Nils gestern Abend natürlich von dem Telefonat mit Heiko erzählt und Nils findet den Gedanken, daß Heiko gar nicht mitmachen könnte, seltsamerweise sehr witzig.
"Obwohl es schon schade wäre. Ich würde dich doch so gerne gegen ihn gewinnen sehen."
"Ich weiß, wir haben ja oft genug darüber geredet. Ich wäre jedenfalls ziemlich sauer auf ihn."
Nils guckte mich an, kniff ein Auge zu und schüttelte dann den Kopf: "Du könntest gar nicht sauer auf ihn sein. Ich glaube, er könnte sonstwas machen, du wirst nie wirklich sauer auf ihn sein."
"Mensch, ich trainiere wie ein Irrer und dann das."
"Nun warte doch erst mal ab. Der macht schon mit. Ich glaube, daß er sich das nicht entgehen läßt, mit dir auf die Matte zu gehen. Wenn er schon nicht mit dir ins Bett hüpfen kann in Leipzig."
Nils hatte getrunken. Nils hatte zu viel getrunken. Mit dem Effekt, daß er die ganzen kleinen Boshaftigkeiten mit einem lustigen Lächeln rüberbrachte und wahrscheinlich auch gar nicht böse meinte. Und ich spielte mit: "Wer sagt denn, daß wir in Leipzig nicht was miteinander haben werden?"
"Stimmt, du läßt ja keine Gelegenheit aus."
"Ja und?"
"Was habt ihr eigentlich miteinander gemacht? Als du bei ihm warst?"
"Wie? Gemacht? Was meinst du?" Ich wußte genau, was er meinte. Ich glaube, im nüchternen Zustand hätte er es nie gebracht, mich das zu fragen.
"Du weißt genau, was ich meine. Habt ihr gefickt?"
Ich war in einer unschönen Lage. Auf der einen Seite wollte ich ihm nichts mehr verheimlichen und wenn es nicht ausgerechnet um Heiko gegangen wäre, dann hätte ich ihm schon längst alles erzählt. Aber Heiko und ich, das war etwas Besonderes, das war etwas, was niemanden anderes etwas anging. Wenigstens nicht das, was wir im Bett zusammen getrieben hatten. Doch auf der anderen Seite ist Nils mein Freund. Und ich will nicht mehr lügen müssen, also sagte ich: "Nein, wir haben nicht miteinander gefickt, wie du so schön sagst."
"Oh, wieso denn nicht?"
"Weil, mein Schatz, es sich nicht so ergeben hat. Vielleicht haben wir beide gemerkt, daß es noch nicht die Zeit dafür war, vielleicht waren wir beide noch nicht bereit dazu."
Nils schwieg. Er schwieg und mit jeder Sekunde Schweigen wurde mir klarer, was ich da gerade gesagt hatte. So betrunken, daß er das nicht mitgekriegt hatte, war er dann auch nicht. Schließlich begann er das zu wiederholen und er betonte genau die schlimmen Stellen: "Vielleicht haben wir beide gemerkt, daß es NOCH nicht die Zeit dafür war, vielleicht waren wir beide NOCH nicht bereit dazu."
Ich biß mir auf die Zunge. Ja, ich hatte es gesagt. Und ich kann nicht mal sagen, daß es mir einfach so rausgerutscht war.
Plötzlich fing Nils an zu kichern. Ich war mal wieder richtig überrascht.
"Irgendwie, irgendwie macht mich die Vorstellung, wie du Sex mit Heiko hast, geil", kicherte er.
"Nils, ist jetzt mal Schluß bitte!"
"Wieso? Wenn ich mir das vorstelle werde ich eben geil. Du nicht?"
Jetzt waren wir genau an der Stelle, wo ich nun garantiert nicht hin wollte.
"Ich lehne es ab, mit dir noch mal über Sex in Zusammenhang mit Heiko zu reden", meinte ich verärgert.
"Dann laß uns über deinen Sex mit mir reden."
"Nils, du bist betrunken."
"Vielleicht kann ich nur betrunken darüber reden."
"Na, MACHEN kannst du es auf jeden Fall nüchtern auch."
"Ist es langweilig mit mir? Willst du irgendwas anderes im Bett machen?"
Jetzt reichte es mir. Ich zog in raus und hinter den Parkplatz.
"Damit das klar ist: Ich habe mit Heiko nicht deshalb was gehabt, weil mir der Sex mit dir nicht mehr gefallen hat. Der Sex mit dir gefällt mir. Er hat mir das erste Mal gefallen und er gefällt mir immer wieder genauso toll wie beim ersten Mal. Kapierst du das?!"
Nils legte seinen Kopf auf meine Brust. Ich strich ihm langsam über seine Stoppeln. "Mach mir nicht meine Frisur kaputt", murmelte er undeutlich.
"Welche Frisur? Und überhaupt, wofür brauchst du die heute noch?"
Er brummte leise und wir beschlossen, Richtung Heimat zu tapern.
Wenn ich das jetzt so aufschreibe, dann ist es anscheinend wirklich so, als wenn er glaubt, daß er mich irgendwie langweilt im Bett. Aber das ist es verdammt noch mal nicht. Warum ist denn das alles nur so schwierig? Shit, ich muß jetzt mal ein bißchen mein Zimmer aufräumen, vielleicht schaffe ich ja dabei auch meinen Kopf aufzuräumen. Und heute Nachmittag ist Wettkampf. Das erste Mal wieder seit der Sommerpause. Oje, wie das wohl wird?
Freitag, 26. September 1997
26. September
"59 Kilo. Wieso fragst du?"
"Na, ich will wissen, ob wir für Leipzig in der gleichen Gewichtsklasse sind."
"Vielleicht trete ich ja gar nicht an."
"Was?" Ich dachte echt, ich höre nicht richtig. "Wieso willst du nicht antreten?" Das kann doch einfach nicht wahr sein. Ich trainiere hier wie ein Bekloppter und Heiko meint jetzt auf einmal so locker, er weiß nicht, ob er überhaupt antritt.
"Ich finde diese überregionalen Sonstwas-Turniere zu banal."
"Zu banal?"
"Die bringen eben nichts. Außer daß man jede Menge Leute sieht und kennenlernt."
"Was soll denn auch ein Wettkampf BRINGEN? Kein Wettkampf bringt wirklich was, egal ob in der Liga oder sonstwo."
"Na doch, in der Liga bringt es den Verein weiter. Wenn man gewinnt jedenfalls."
"Ja und? Was hat man dann davon? Ich meine, was habe ich ganz speziell davon, wenn mein Verein weiterkommt?"
"Du bist doch schließlich ein Teil vom Verein."
"Aber das ist doch genau das gleiche Ding wie mit dem Einzelturnieren. Ob nun der Verein gewinnt oder ich alleine, entweder ist es wichtig oder egal. Aber das zu unterscheiden finde ich daneben."
"Dir geht es doch sowieso nicht um den Verein. Dir geht es doch auch gar nicht um den Wettkampf."
Ich wollte nicht am Telefon darüber reden und das sagte ich ihm auch. Aber ich habe ihm auch gesagt, daß wir in Leipzig noch mal darüber sprechen. Es ist schon seltsam. Plötzlich überlegt er, ob er überhaupt antritt. Das hat vor ein paar Monaten noch ganz anders geklungen.
Heiko. Es geht mir doch immer wieder gut, wenn ich seine Stimme höre. Obwohl ich ja sonst diesen Kölner Dialekt total daneben finde, an ihm finde ich ihn einfach süß. Ich stelle mir vor, wie es sein wird, ihn wiederzusehen. Wie wird es mir gehen? Was passiert mit mir?
Ich glaube ihm nicht, daß er wirklich mit dem Gedanken spielt, gar nicht erst anzutreten. Ich glaube, das hat er gesagt, um mich zu testen, um zu sehen, wie ich reagiere. Und wenn er wirklich nicht mitmacht? Wofür habe ich das alles gemacht? Wofür diese vielen Trainings-Specials, diese Schindereien? Verdammt, er hat irgendwie recht. Ich habe das alles nicht für den Verein gemacht. Nicht für den Sport. Er, er war und ist der einzige Grund, warum ich nur noch darauf hingearbeitet habe. Er MUSS einfach antreten. Ich will mit ihm auf die Matte!
Jetzt mache ich mich erst mal fertig, um noch mit Nils in die Schmiede zu gehen. Einfach noch ein bißchen abhängen. Auf Tofa haben wir nicht so richtig Bock.
"Na, ich will wissen, ob wir für Leipzig in der gleichen Gewichtsklasse sind."
"Vielleicht trete ich ja gar nicht an."
"Was?" Ich dachte echt, ich höre nicht richtig. "Wieso willst du nicht antreten?" Das kann doch einfach nicht wahr sein. Ich trainiere hier wie ein Bekloppter und Heiko meint jetzt auf einmal so locker, er weiß nicht, ob er überhaupt antritt.
"Ich finde diese überregionalen Sonstwas-Turniere zu banal."
"Zu banal?"
"Die bringen eben nichts. Außer daß man jede Menge Leute sieht und kennenlernt."
"Was soll denn auch ein Wettkampf BRINGEN? Kein Wettkampf bringt wirklich was, egal ob in der Liga oder sonstwo."
"Na doch, in der Liga bringt es den Verein weiter. Wenn man gewinnt jedenfalls."
"Ja und? Was hat man dann davon? Ich meine, was habe ich ganz speziell davon, wenn mein Verein weiterkommt?"
"Du bist doch schließlich ein Teil vom Verein."
"Aber das ist doch genau das gleiche Ding wie mit dem Einzelturnieren. Ob nun der Verein gewinnt oder ich alleine, entweder ist es wichtig oder egal. Aber das zu unterscheiden finde ich daneben."
"Dir geht es doch sowieso nicht um den Verein. Dir geht es doch auch gar nicht um den Wettkampf."
Ich wollte nicht am Telefon darüber reden und das sagte ich ihm auch. Aber ich habe ihm auch gesagt, daß wir in Leipzig noch mal darüber sprechen. Es ist schon seltsam. Plötzlich überlegt er, ob er überhaupt antritt. Das hat vor ein paar Monaten noch ganz anders geklungen.
Heiko. Es geht mir doch immer wieder gut, wenn ich seine Stimme höre. Obwohl ich ja sonst diesen Kölner Dialekt total daneben finde, an ihm finde ich ihn einfach süß. Ich stelle mir vor, wie es sein wird, ihn wiederzusehen. Wie wird es mir gehen? Was passiert mit mir?
Ich glaube ihm nicht, daß er wirklich mit dem Gedanken spielt, gar nicht erst anzutreten. Ich glaube, das hat er gesagt, um mich zu testen, um zu sehen, wie ich reagiere. Und wenn er wirklich nicht mitmacht? Wofür habe ich das alles gemacht? Wofür diese vielen Trainings-Specials, diese Schindereien? Verdammt, er hat irgendwie recht. Ich habe das alles nicht für den Verein gemacht. Nicht für den Sport. Er, er war und ist der einzige Grund, warum ich nur noch darauf hingearbeitet habe. Er MUSS einfach antreten. Ich will mit ihm auf die Matte!
Jetzt mache ich mich erst mal fertig, um noch mit Nils in die Schmiede zu gehen. Einfach noch ein bißchen abhängen. Auf Tofa haben wir nicht so richtig Bock.
Donnerstag, 25. September 1997
25. September
"Also eine offene Beziehung. Wenn ihr nicht anders könnt, ist es ja vielleicht das beste."
Ich habe, statt Heiko anzurufen und ihn nach seinem Gewicht zu fragen, Robert angerufen und gefragt, was er von der Sache mit Nils und unserer "Vereinbarung" hält. Robert meint...ja, was meint Robert eigentlich? Robert meint eigentlich gar nichts. Na doch, er meint, daß es für uns vielleicht wirklich das beste ist.
"Irgendwann werdet ihr beide merken, daß dieses sinnlose in der Gegen rumvögeln auf Dauer nichts bringt."
"Wir vögeln nicht sinnlos in der Gegend rum." Ich finde das total daneben, wenn Robert so darüber redet.
"Na was ist denn das sonst? Du hast da dein Heiko-Mäuschen und Nils hat eben diesen anderen Typen, mit dem er nebenher rummacht. Wer weiß denn, wer im nächsten Moment um die Ecke kommt?"
"Bist du nie fremdgegangen?"
"Das ist doch hier nicht Thema."
"Dann ist es eben jetzt Thema."
"Natürlich bin ich auch fremdgegangen. Genau deshalb kann ich ja sagen, daß es auf die Dauer nichts bringt, sinnlos in der Gegend, ach so sorry, ja, du weißt schon, was ich sagen will. Ich spiele hier quasi nur den Advocatus diaboli."
"Den was?"
"Den Agent provocateur, ich meine so viel wie: Übertreibung veranschaulicht."
"Na toll."
"Gut, dann sage ich was anderes: Mache es, mache, worauf du Lust hast, so lange wie es geht, damit du nicht hinterher, so in dreißig, vierzig Jahren das Gefühl hast, du hast was versäumt."
Das klang schon irgendwie besser, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was ich in dreißig Jahren mache. Ich kann mir ja noch nicht mal die nächsten fünf Jahre vorstellen.
Beim Training gab es heute Videoanalyse. Was aber ganz toll gemacht worden ist von Mahmout. Ein Griff und dann jeder genau aufgenommen und wieder und wieder gezeigt, was jeder besser machen kann. So konnte sich jeder nach einer Weile auf dem Video schon selbst korrigieren. Ich finde es ja immer wieder komisch, wenn ich mich selbst auf einem Video oder auch nur auf einem Bild sehe. Aber ich finde, daß ich gar nicht schlecht aussehe. Irgendwie gefalle ich mir.
Als wir fertig waren, saßen Nils und ich noch eine ganze Weile in der Halle. Vielleicht wird das jetzt so ein Ritual. Aber es ist auch auf eine seltsame Art und Weise eine spannende Stimmung. Am anderen Ende trainiert die Männermannschaft, aber trotzdem haben wir unsere stille, gedämpfte und gemütliche Ecke für uns. Man kann sich einfach so auf die Matte legen, reden, träumen oder gar nichts machen.
"Was passiert eigentlich", fragte ich, "wenn wirklich was passiert? Ich meine, wenn jemand von uns tatsächlich Sex mit jemand anderes hat. Sagen wir uns das dann?"
Nils zuckte mit den Schultern: "Ich weiß es nicht, keine Ahnung. Das ist doch für mich genauso das erste Mal, so eine Sache."
Ich überlegte hin und her. Will ich es wissen, wenn Nils mit einem anderen Typen rummacht? Werde ich vielleicht tatsächlich eifersüchtig, wenn es jemand anderes als Sascha ist? Oder will ich es eben nicht wissen, um mir keine Gedanken darüber zu machen? Ich weiß es echt nicht.
"Ich denke mal, wir sollten es uns sagen. Vielleicht können wir ja so vermeiden, daß aus so einer Sache was ernsthaftes wird."
Ich überlegte einen Moment und dann nickte ich. Wahrscheinlich hat er recht, ziemlich sicher sogar.
Es ist merkwürdig. Jetzt haben wir diese seltsame Vereinbarung nach vorn und hinten abgeklopft und festgezurrt. Aber vielleicht muß es ja auch sein, aber es ist eben seltsam, wenn man so etwas abspricht oder bespricht.
Es klopft.
Phil hat seinen Gips ab. Endlich! Er hat gar nichts gesagt, daß er ihn heute abkriegt. Ich meine, das hat ja auch lange genug gedauert, auch wegen der Probleme, die er dann noch hatte. Der Arm sieht eigentlich ganz ok aus. Drei kleine Narben, aber sonst ganz ok. Er ist jetzt etwas dünner als der andere Arm, aber Phil meint, das wird schon wieder. Er fängt am Montag an mit Krankengymnastik, um die Bewegungen wieder zu lernen. "Es ist", meint er, "schon ein tolles Gefühl, wenn der Gips ab ist. Obwohl ich im Moment noch den Eindruck habe, daß mein Arm noch nicht so ganz zu mir gehört."
"Tut dir noch irgendwas weh?"
"Bei normalen Bewegungen nicht. Nur wenn ich fest zupacke und den Arm drehe."
"Also nichts mit Ringen als Sparringspartner."
"Ich bin ja nicht lebensmüde", lachte er.
Schön, daß alles wieder in Ordnung ist.
Ich habe, statt Heiko anzurufen und ihn nach seinem Gewicht zu fragen, Robert angerufen und gefragt, was er von der Sache mit Nils und unserer "Vereinbarung" hält. Robert meint...ja, was meint Robert eigentlich? Robert meint eigentlich gar nichts. Na doch, er meint, daß es für uns vielleicht wirklich das beste ist.
"Irgendwann werdet ihr beide merken, daß dieses sinnlose in der Gegen rumvögeln auf Dauer nichts bringt."
"Wir vögeln nicht sinnlos in der Gegend rum." Ich finde das total daneben, wenn Robert so darüber redet.
"Na was ist denn das sonst? Du hast da dein Heiko-Mäuschen und Nils hat eben diesen anderen Typen, mit dem er nebenher rummacht. Wer weiß denn, wer im nächsten Moment um die Ecke kommt?"
"Bist du nie fremdgegangen?"
"Das ist doch hier nicht Thema."
"Dann ist es eben jetzt Thema."
"Natürlich bin ich auch fremdgegangen. Genau deshalb kann ich ja sagen, daß es auf die Dauer nichts bringt, sinnlos in der Gegend, ach so sorry, ja, du weißt schon, was ich sagen will. Ich spiele hier quasi nur den Advocatus diaboli."
"Den was?"
"Den Agent provocateur, ich meine so viel wie: Übertreibung veranschaulicht."
"Na toll."
"Gut, dann sage ich was anderes: Mache es, mache, worauf du Lust hast, so lange wie es geht, damit du nicht hinterher, so in dreißig, vierzig Jahren das Gefühl hast, du hast was versäumt."
Das klang schon irgendwie besser, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was ich in dreißig Jahren mache. Ich kann mir ja noch nicht mal die nächsten fünf Jahre vorstellen.
Beim Training gab es heute Videoanalyse. Was aber ganz toll gemacht worden ist von Mahmout. Ein Griff und dann jeder genau aufgenommen und wieder und wieder gezeigt, was jeder besser machen kann. So konnte sich jeder nach einer Weile auf dem Video schon selbst korrigieren. Ich finde es ja immer wieder komisch, wenn ich mich selbst auf einem Video oder auch nur auf einem Bild sehe. Aber ich finde, daß ich gar nicht schlecht aussehe. Irgendwie gefalle ich mir.
Als wir fertig waren, saßen Nils und ich noch eine ganze Weile in der Halle. Vielleicht wird das jetzt so ein Ritual. Aber es ist auch auf eine seltsame Art und Weise eine spannende Stimmung. Am anderen Ende trainiert die Männermannschaft, aber trotzdem haben wir unsere stille, gedämpfte und gemütliche Ecke für uns. Man kann sich einfach so auf die Matte legen, reden, träumen oder gar nichts machen.
"Was passiert eigentlich", fragte ich, "wenn wirklich was passiert? Ich meine, wenn jemand von uns tatsächlich Sex mit jemand anderes hat. Sagen wir uns das dann?"
Nils zuckte mit den Schultern: "Ich weiß es nicht, keine Ahnung. Das ist doch für mich genauso das erste Mal, so eine Sache."
Ich überlegte hin und her. Will ich es wissen, wenn Nils mit einem anderen Typen rummacht? Werde ich vielleicht tatsächlich eifersüchtig, wenn es jemand anderes als Sascha ist? Oder will ich es eben nicht wissen, um mir keine Gedanken darüber zu machen? Ich weiß es echt nicht.
"Ich denke mal, wir sollten es uns sagen. Vielleicht können wir ja so vermeiden, daß aus so einer Sache was ernsthaftes wird."
Ich überlegte einen Moment und dann nickte ich. Wahrscheinlich hat er recht, ziemlich sicher sogar.
Es ist merkwürdig. Jetzt haben wir diese seltsame Vereinbarung nach vorn und hinten abgeklopft und festgezurrt. Aber vielleicht muß es ja auch sein, aber es ist eben seltsam, wenn man so etwas abspricht oder bespricht.
Es klopft.
Phil hat seinen Gips ab. Endlich! Er hat gar nichts gesagt, daß er ihn heute abkriegt. Ich meine, das hat ja auch lange genug gedauert, auch wegen der Probleme, die er dann noch hatte. Der Arm sieht eigentlich ganz ok aus. Drei kleine Narben, aber sonst ganz ok. Er ist jetzt etwas dünner als der andere Arm, aber Phil meint, das wird schon wieder. Er fängt am Montag an mit Krankengymnastik, um die Bewegungen wieder zu lernen. "Es ist", meint er, "schon ein tolles Gefühl, wenn der Gips ab ist. Obwohl ich im Moment noch den Eindruck habe, daß mein Arm noch nicht so ganz zu mir gehört."
"Tut dir noch irgendwas weh?"
"Bei normalen Bewegungen nicht. Nur wenn ich fest zupacke und den Arm drehe."
"Also nichts mit Ringen als Sparringspartner."
"Ich bin ja nicht lebensmüde", lachte er.
Schön, daß alles wieder in Ordnung ist.
Mittwoch, 24. September 1997
24. September
"Und jetzt den Arm durchziehen und festhalten."
Mahmout hat eine ganz spezielle Art, das Training zu machen. Es ist fast so, als wenn er einen hypnotisiert. Er zeigt, er erklärt und guckt einem die ganze Zeit dabei in die Augen. Ich wußte gar nicht, wohin ich zuerst gucken sollte, weil ich ja eigentlich dem Griff zugucken wollte. Ich weiß auch nicht, ob mir diese Art von Training besser gefällt oder mehr bringt, als das zum Beispiel mit Werner. Aber interessant ist es schon, auf wieviele unterschiedliche Arten man trainieren kann.
Im Trainingskampf habe ich heute gegen Florian gewonnen. Es geht total leicht. Ich weiß auch nicht wieso. Wenn ich ihn nicht kennen würde, würde ich sagen, daß er mich hat gewinnen lassen. Aber das hat er bestimmt nicht.
"Du kleine Ratte", zischte er mir scherzhaft zu, "ich werde dir deine Sondertrainings mit Nils verbieten. Du wirst zu gut."
"Zu gut kann man gar nicht werden. Außerdem gehen die Wettkämpfe ja bald wieder los."
"Und Leipzig."
"Ja, und Leipzig."
"Und? Was meinst du, wie du abschneidest?"
"Keine Ahnung, mal sehen."
"Tu doch nicht so unbeteiligt. Du trainierst ja schon wie ein Irrer dafür. Du willst doch garantiert gewinnen. Oder wenigstens auf dem Treppchen stehen."
"Wollen wir nicht alle gewinnen, beim Ringen?" Wieder mal so ein toller nichtssagender Satz. Aber Flo fiel nicht darauf rein: "Irgendwas muß doch da sein, daß du ausgerechnet für dieses Turnier so viel Ehrgeiz entwickelst. Was ist es? Warum trainierst du nicht so wild für unsere normalen Ligawettkämpfe? Das würde dem Verein mehr bringen."
"Vielleicht finde ich ja Ligakämpfe langweilig."
"Du bist ein ganz schlechter Lügner. Also was ist es?"
"Ach vergiß es, das ist viel zu kompliziert, um dir das zu erklären."
Ich wollte aufstehen, doch Flo beförderte mich mit einem Beinhaken wieder auf die Matte: "Stop, nicht abhauen! Also, was ist es? Hast du mit Nils gewettet, daß du gewinnst? Ist das so eine Art geheimer Vereinbarung? Wenn das Turnier hier stattfinden würde, würde ich ja fast sagen, daß du ein Mädchen beeindrucken willst. Aber in Leipzig? Kennst du da jemanden?"
Ich breitete die Arme aus und ließ mich nach hinten auf die Matte fallen. Ich schloß die Augen: "Was weiß denn ich. Und überhaupt bin ich nicht der Einzige, der nach Leipzig fährt. Leon macht auch mit. Fragst du den auch so aus?"
"Ich rede jetzt aber nicht über Leon, sondern über Tim."
"Aber Tim will nicht darüber reden."
Das war ein Fehler, das zu sagen, denn jetzt hakte er noch mehr nach.
"Also ist da was, über das du nicht reden willst."
Mir platzte der Kragen. Ich bekam echt zu viel. Ich stand auf, zog ihn am Arm und meinte: "Kommt mit nach draußen. Ich möchte dir was sagen."
Flo guckte mich verwundert an, aber er ließ sich widerstandslos mit nach draußen ziehen. Nils guckte mich fragend an, ich zwinkerte ihm zu, daß er sich keine Gedanken machen braucht.
In der Umkleide fiel die Tür hinter uns ins Schloß. Florians Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
"Paß auf", begann ich, "wenn ich sage, ich möchte nicht darüber reden, bedeutet das: Ich möchte nicht darüber reden. Und du kannst fragen oder spekulieren oder sonstwas machen. Ich werde dir nichts sagen. Vielleicht erkläre ich es dir irgendwann. Vielleicht aber auch nicht. Aber akzeptiere verdammt noch mal, wenn ich sage, daß ich nicht darüber reden will."
Florian guckte mich ernst an. Ich weiß gar nicht, wann mich das letzte Mal jemand außer Nils oder Doris so ernst und tief angeguckt hat.
"Denkst du denn wirklich, die Welt besteht nur aus Feinden? Denkst du denn, alle Leute wollen dir was Schlechtes antun? Vielleicht gibt es ja mehr Leute, die dir helfen wollen, als du glaubst."
Ich schluckte. Was sollte denn das nun wieder?
"Was meinst du denn mit 'helfen'? Habe ich Probleme, oder was?"
"Keine Ahnung, das mußt du doch wissen."
Ich kriegte die Kurve. Ich bekam mit, wie Flo mich mit allen Tricks versuchte auszuhorchen. Immer ein Stück weiter, immer ein bißchen provozieren und die Antworten weiterspinnen. Ich erinnerte mich an einen Film, in dem ein gefangener amerikanischer Soldat beim Verhör immer nur seine Dienstnummer und seiner Einheit wiederholte. Auch noch nach Stunden Verhör, sagte er nichts weiter als seine Dienstnummer und seine Einheit.
"Ich fahre nach Leipzig und ich will so viel wie möglich Wettkämpfe gewinnen."
Flo gab auf.
"Das nächste Mal", meinte er im Hinausgehen, "versuche mal, mir nicht unbedingt eine Rippe brechen zu wollen."
Ich grinste: "Dann wehre dich nicht so heftig das nächste Mal."
Kaum war er draußen, kam Nils herein: "Was war denn los?"
"Nichts besonderes. Er wollte wissen, warum ich unbedingt nach Leipzig will und warum ich dafür trainiere."
"Und was hast du ihm gesagt?"
"Ich habe ihm gesagt, daß ich so viele Wettkämpfe wie möglich gewinnen will."
"Und das hat er dir abgenommen?"
"Keine Ahnung. Ist mir aber auch egal. Die Wahrheit konnte ich ihm ja schlecht sagen."
"Wann hast du eigentlich das letzte Mal dein Gewicht kontrolliert?"
"Schon 'ne Weile her."
Wir taperten zur Waage.
"Dachte ich mir es doch. Du wirst zu leicht."
"Wie? Ich werde zu leicht?"
"Wenn du nicht aufpaßt, dann landest du in der nächstniedrigen Gewichtsklasse, und dann ist da nichts mit Heiko."
"Also dann, her mit den Pommes."
"Weißt du Heikos aktuelles Gewicht?"
"Nein, aber ich denke mal, so viel wie ich wird er schon wiegen."
"Frag ihn."
"Wie? Ich soll ihn anrufen und fragen?"
"Na klar. Warum denn nicht? Wir trainieren hier doch nicht wie die Bekloppten um dann in Leipzig auf der Waage festzustellen, daß dein Heiko plötzlich in einer anderen Gewichtsklasse ringt."
"Mein Heiko...", murmelte ich.
"Na du weißt schon, was ich meine."
Hinter uns ging die Tür auf: "Ihr sollt endlich wieder zum Training kommen, die anderen warten auf euch."
"Heaven can wait", summte ich.
Mahmout hat eine ganz spezielle Art, das Training zu machen. Es ist fast so, als wenn er einen hypnotisiert. Er zeigt, er erklärt und guckt einem die ganze Zeit dabei in die Augen. Ich wußte gar nicht, wohin ich zuerst gucken sollte, weil ich ja eigentlich dem Griff zugucken wollte. Ich weiß auch nicht, ob mir diese Art von Training besser gefällt oder mehr bringt, als das zum Beispiel mit Werner. Aber interessant ist es schon, auf wieviele unterschiedliche Arten man trainieren kann.
Im Trainingskampf habe ich heute gegen Florian gewonnen. Es geht total leicht. Ich weiß auch nicht wieso. Wenn ich ihn nicht kennen würde, würde ich sagen, daß er mich hat gewinnen lassen. Aber das hat er bestimmt nicht.
"Du kleine Ratte", zischte er mir scherzhaft zu, "ich werde dir deine Sondertrainings mit Nils verbieten. Du wirst zu gut."
"Zu gut kann man gar nicht werden. Außerdem gehen die Wettkämpfe ja bald wieder los."
"Und Leipzig."
"Ja, und Leipzig."
"Und? Was meinst du, wie du abschneidest?"
"Keine Ahnung, mal sehen."
"Tu doch nicht so unbeteiligt. Du trainierst ja schon wie ein Irrer dafür. Du willst doch garantiert gewinnen. Oder wenigstens auf dem Treppchen stehen."
"Wollen wir nicht alle gewinnen, beim Ringen?" Wieder mal so ein toller nichtssagender Satz. Aber Flo fiel nicht darauf rein: "Irgendwas muß doch da sein, daß du ausgerechnet für dieses Turnier so viel Ehrgeiz entwickelst. Was ist es? Warum trainierst du nicht so wild für unsere normalen Ligawettkämpfe? Das würde dem Verein mehr bringen."
"Vielleicht finde ich ja Ligakämpfe langweilig."
"Du bist ein ganz schlechter Lügner. Also was ist es?"
"Ach vergiß es, das ist viel zu kompliziert, um dir das zu erklären."
Ich wollte aufstehen, doch Flo beförderte mich mit einem Beinhaken wieder auf die Matte: "Stop, nicht abhauen! Also, was ist es? Hast du mit Nils gewettet, daß du gewinnst? Ist das so eine Art geheimer Vereinbarung? Wenn das Turnier hier stattfinden würde, würde ich ja fast sagen, daß du ein Mädchen beeindrucken willst. Aber in Leipzig? Kennst du da jemanden?"
Ich breitete die Arme aus und ließ mich nach hinten auf die Matte fallen. Ich schloß die Augen: "Was weiß denn ich. Und überhaupt bin ich nicht der Einzige, der nach Leipzig fährt. Leon macht auch mit. Fragst du den auch so aus?"
"Ich rede jetzt aber nicht über Leon, sondern über Tim."
"Aber Tim will nicht darüber reden."
Das war ein Fehler, das zu sagen, denn jetzt hakte er noch mehr nach.
"Also ist da was, über das du nicht reden willst."
Mir platzte der Kragen. Ich bekam echt zu viel. Ich stand auf, zog ihn am Arm und meinte: "Kommt mit nach draußen. Ich möchte dir was sagen."
Flo guckte mich verwundert an, aber er ließ sich widerstandslos mit nach draußen ziehen. Nils guckte mich fragend an, ich zwinkerte ihm zu, daß er sich keine Gedanken machen braucht.
In der Umkleide fiel die Tür hinter uns ins Schloß. Florians Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
"Paß auf", begann ich, "wenn ich sage, ich möchte nicht darüber reden, bedeutet das: Ich möchte nicht darüber reden. Und du kannst fragen oder spekulieren oder sonstwas machen. Ich werde dir nichts sagen. Vielleicht erkläre ich es dir irgendwann. Vielleicht aber auch nicht. Aber akzeptiere verdammt noch mal, wenn ich sage, daß ich nicht darüber reden will."
Florian guckte mich ernst an. Ich weiß gar nicht, wann mich das letzte Mal jemand außer Nils oder Doris so ernst und tief angeguckt hat.
"Denkst du denn wirklich, die Welt besteht nur aus Feinden? Denkst du denn, alle Leute wollen dir was Schlechtes antun? Vielleicht gibt es ja mehr Leute, die dir helfen wollen, als du glaubst."
Ich schluckte. Was sollte denn das nun wieder?
"Was meinst du denn mit 'helfen'? Habe ich Probleme, oder was?"
"Keine Ahnung, das mußt du doch wissen."
Ich kriegte die Kurve. Ich bekam mit, wie Flo mich mit allen Tricks versuchte auszuhorchen. Immer ein Stück weiter, immer ein bißchen provozieren und die Antworten weiterspinnen. Ich erinnerte mich an einen Film, in dem ein gefangener amerikanischer Soldat beim Verhör immer nur seine Dienstnummer und seiner Einheit wiederholte. Auch noch nach Stunden Verhör, sagte er nichts weiter als seine Dienstnummer und seine Einheit.
"Ich fahre nach Leipzig und ich will so viel wie möglich Wettkämpfe gewinnen."
Flo gab auf.
"Das nächste Mal", meinte er im Hinausgehen, "versuche mal, mir nicht unbedingt eine Rippe brechen zu wollen."
Ich grinste: "Dann wehre dich nicht so heftig das nächste Mal."
Kaum war er draußen, kam Nils herein: "Was war denn los?"
"Nichts besonderes. Er wollte wissen, warum ich unbedingt nach Leipzig will und warum ich dafür trainiere."
"Und was hast du ihm gesagt?"
"Ich habe ihm gesagt, daß ich so viele Wettkämpfe wie möglich gewinnen will."
"Und das hat er dir abgenommen?"
"Keine Ahnung. Ist mir aber auch egal. Die Wahrheit konnte ich ihm ja schlecht sagen."
"Wann hast du eigentlich das letzte Mal dein Gewicht kontrolliert?"
"Schon 'ne Weile her."
Wir taperten zur Waage.
"Dachte ich mir es doch. Du wirst zu leicht."
"Wie? Ich werde zu leicht?"
"Wenn du nicht aufpaßt, dann landest du in der nächstniedrigen Gewichtsklasse, und dann ist da nichts mit Heiko."
"Also dann, her mit den Pommes."
"Weißt du Heikos aktuelles Gewicht?"
"Nein, aber ich denke mal, so viel wie ich wird er schon wiegen."
"Frag ihn."
"Wie? Ich soll ihn anrufen und fragen?"
"Na klar. Warum denn nicht? Wir trainieren hier doch nicht wie die Bekloppten um dann in Leipzig auf der Waage festzustellen, daß dein Heiko plötzlich in einer anderen Gewichtsklasse ringt."
"Mein Heiko...", murmelte ich.
"Na du weißt schon, was ich meine."
Hinter uns ging die Tür auf: "Ihr sollt endlich wieder zum Training kommen, die anderen warten auf euch."
"Heaven can wait", summte ich.
Dienstag, 23. September 1997
23. September
"Du wirst seltsam. Nein, du BIST seltsam, durchgedreht oder was weiß
ich. Ich verstehe dich nicht und ich verstehe Nils auch nicht. Was MACHT
ihr zwei da?"
"Meine Güte, das ist die beste Lösung."
"Die beste Lösung? Habt ihr eigentlich einen Funken Verantwortungsbewußtsein?"
Verantwortungsbewußtsein. Doris redete von Verantwortungsbewußtsein? Setzt ein Kind in ihrem Alter in die Welt und redet von Verantwortungsbewußtsein. Mir fiel nichts anderes ein als zu antworten: "Du bist spießig."
"Wieso bin ich spießig, wenn ich dem Menschen, den ich liebe, treu bin? Körperlich und seelisch."
"In nomine patris und Amen. Mensch Doris, vielleicht liegt es ja einfach daran, daß wir beide festgestellt haben, daß es anders nicht funktioniert."
"Vielleicht habt ihr es nur nicht richtig probiert. Vielleicht WOLLTET ihr es nie richtig probieren."
Doris machte es mir nicht gerade einfacher. Die Sache ist doch schon so heftig genug. Kann sie nicht einfach den Mund halten, wenn sie mich nicht schon unterstützen kann? Aber nein, sie muß natürlich rumlamentieren.
"Das geht nicht gut. Das kann gar nicht gutgehen."
"Vielen Dank für deine aufbauenden Worte."
"Was erwartest du denn? Hinterher kommst du doch eh wieder an, um dich auszuheulen, wenn es schief geht. Da kann ich dir auch gleich sagen, was ich davon halte."
"Ja, das habe ich ja nun gehört und jetzt ist gut."
Doris schüttelte den Kopf und zottelte in ihren Kursraum. Na toll. Jetzt, wo ich wirklich ein bißchen Unterstützung gebrauchen könnte, da versteht sie mich nicht. Ok, ich verstehe es ja selber auch nicht richtig. Ich weiß nur, daß es irgendwie weitergehen muß und es ist bestimmt besser so als anders.
Es ist aber schon seltsam. Nils und ich scheinen wirklich in einer neuen Phase zu sein. Bisher war alles irgendwie neu und unsicher. Und jetzt kommt mir alles auf eine schöne Art vertraut und angenehm vor. Und ich habe den Eindruck, daß sich selbst Nils' Trainingsanweisungen geändert haben. Nicht daß er nicht genauso unerbittlich wäre, aber irgendwie, irgendwie kommt es anders rüber. Heute war wieder ALBA-Training dran. Das sind so Sachen, wo ich echt am liebsten alles hinwerfen würde. Sieben Sätze, ich frage mich echt, wer sich so was ausdenkt. Aber ich mache mit, sitze hinterher in der Sauna und wieder dreht sich alles in mir.
"Und? Wie fühlst du dich."
"Wie soll ich mich denn fühlen?"
"Na gut, hoffe ich."
"Gut ist anders. Aber ich gebe zu, mir geht es auch nicht richtig schlecht."
Nils grinste und fuhr mit seinem Zeigefinger meinen Rücken hinunter. Ich zitterte und bekam eine angenehme Gänsehaut: "Hör auf, ich krieg' gleich einen Ständer."
"Ich verstehe das echt nicht. Kannst du denn immer und überall?"
"Ich glaube, mit dir schon. Ich weiß es doch auch nicht. Ich bin halt so."
"Vielleicht liebe ich dich ja gerade deshalb."
"Meine Güte, das ist die beste Lösung."
"Die beste Lösung? Habt ihr eigentlich einen Funken Verantwortungsbewußtsein?"
Verantwortungsbewußtsein. Doris redete von Verantwortungsbewußtsein? Setzt ein Kind in ihrem Alter in die Welt und redet von Verantwortungsbewußtsein. Mir fiel nichts anderes ein als zu antworten: "Du bist spießig."
"Wieso bin ich spießig, wenn ich dem Menschen, den ich liebe, treu bin? Körperlich und seelisch."
"In nomine patris und Amen. Mensch Doris, vielleicht liegt es ja einfach daran, daß wir beide festgestellt haben, daß es anders nicht funktioniert."
"Vielleicht habt ihr es nur nicht richtig probiert. Vielleicht WOLLTET ihr es nie richtig probieren."
Doris machte es mir nicht gerade einfacher. Die Sache ist doch schon so heftig genug. Kann sie nicht einfach den Mund halten, wenn sie mich nicht schon unterstützen kann? Aber nein, sie muß natürlich rumlamentieren.
"Das geht nicht gut. Das kann gar nicht gutgehen."
"Vielen Dank für deine aufbauenden Worte."
"Was erwartest du denn? Hinterher kommst du doch eh wieder an, um dich auszuheulen, wenn es schief geht. Da kann ich dir auch gleich sagen, was ich davon halte."
"Ja, das habe ich ja nun gehört und jetzt ist gut."
Doris schüttelte den Kopf und zottelte in ihren Kursraum. Na toll. Jetzt, wo ich wirklich ein bißchen Unterstützung gebrauchen könnte, da versteht sie mich nicht. Ok, ich verstehe es ja selber auch nicht richtig. Ich weiß nur, daß es irgendwie weitergehen muß und es ist bestimmt besser so als anders.
Es ist aber schon seltsam. Nils und ich scheinen wirklich in einer neuen Phase zu sein. Bisher war alles irgendwie neu und unsicher. Und jetzt kommt mir alles auf eine schöne Art vertraut und angenehm vor. Und ich habe den Eindruck, daß sich selbst Nils' Trainingsanweisungen geändert haben. Nicht daß er nicht genauso unerbittlich wäre, aber irgendwie, irgendwie kommt es anders rüber. Heute war wieder ALBA-Training dran. Das sind so Sachen, wo ich echt am liebsten alles hinwerfen würde. Sieben Sätze, ich frage mich echt, wer sich so was ausdenkt. Aber ich mache mit, sitze hinterher in der Sauna und wieder dreht sich alles in mir.
"Und? Wie fühlst du dich."
"Wie soll ich mich denn fühlen?"
"Na gut, hoffe ich."
"Gut ist anders. Aber ich gebe zu, mir geht es auch nicht richtig schlecht."
Nils grinste und fuhr mit seinem Zeigefinger meinen Rücken hinunter. Ich zitterte und bekam eine angenehme Gänsehaut: "Hör auf, ich krieg' gleich einen Ständer."
"Ich verstehe das echt nicht. Kannst du denn immer und überall?"
"Ich glaube, mit dir schon. Ich weiß es doch auch nicht. Ich bin halt so."
"Vielleicht liebe ich dich ja gerade deshalb."
Montag, 22. September 1997
22. September
"Wir haben gestern überhaupt nicht darüber reden können. Was ist denn nun mit dir und Nils."
"Ich habe ihm verziehen", antwortete ich und mir war klar, daß das irgendwie reichlich daneben klang.
Das hatte Doris auch so empfunden: "Der große Tim hat seinem Freund gnädig vergeben. Ganz toll."
"Du bist unmöglich."
"Ich bin nicht unmöglich. Ich sage, was ich denke."
"Und was denkst du?"
"Das, was ich dir schon neulich gesagt habe. Daß ich den Eindruck habe, daß dir das ganz recht kommt."
"Du siehst das alles viel zu sehr schwarz-weiß." Ich war richtig stolz auf mich, so einen nichtssagenden Satz hervorgebracht zu haben.
"Wenn ich es nicht besser wüßte, dann würde ich sagen, daß du ein Einzelkind bist. Du biegst dir die Welt und die Menschen so zurecht, wie du sie haben willst."
Ich weiß nicht, warum Doris immer wieder an mir rumnörgeln muß.
"Um ehrlich zu sein, wir sind noch zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen. Wir wissen noch nicht, wie wir jetzt weitermachen. Wir wissen eigentlich nur, daß wir weitermachen."
"Na, da ist doch schon mal etwas."
Mein Blick fiel auf den kleinen Eisbär: "Ich denke, das ist schon eine ganze Menge."
Es schien eine halbe Ewigkeit her zu sein, daß Nils und ich uns das letzte Mal am Kochertalweg getroffen hatten. Und es war tatsächlich so, als wenn wir beide ein Stück mehr erwachsen geworden waren. Es fehlte etwas, etwas von dieser Leichtigkeit, von der Unkompliziertheit. Ich wußte, was ich sagen wollte, und ich sagte es. Ich war selbst übergerascht, daß ich es schaffte, das alles so herauszubringen: "Ich liebe dich Nils, ich denke, das brauche ich dir nicht mehr zu sagen, das weißt du. Und ich will dich nicht verlieren. Ich möchte, daß wir so lange es geht zusammenbleiben. Ich will auch niemanden anderes lieben. Aber ich kann dir nicht versprechen, daß es nicht passiert, daß ich nicht doch mal mit jemanden anderen Sex habe. Das hat dann nichts damit zu tun, daß ich dich nicht liebe. Ich kann es dir nicht erklären. Das heißt jetzt wirklich nicht, daß ich mit jedem Typen, den ich treffen, was haben will. Ich will nur sagen, daß ich es nicht ausschließen kann und will, das mal irgendwann was passiert. Und so lange wirklich keine Liebe dabei ist, ist es ok, denke ich."
Nils schwieg. Dann sagte er: "Wow." Einfach nur: "Wow." Dann nahm er mich in den Arm. "Gilt das für uns beide?"
"Ich denke mal, das wäre nur fair, oder?"
"Ok, dann laß es uns probieren. Denn ich liebe dich mindestens genauso. Und ich will dich nicht verlieren."
Wir küßten uns und alles war wieder wie früher. Auch wenn Nils hinterher meinte: "Vielleicht solltest du dich mal etwas öfters rasieren, du fängst an zu kratzen."
Ich grinste: "Das ist halt so, wenn man erwachsen wird."
"Ich habe ihm verziehen", antwortete ich und mir war klar, daß das irgendwie reichlich daneben klang.
Das hatte Doris auch so empfunden: "Der große Tim hat seinem Freund gnädig vergeben. Ganz toll."
"Du bist unmöglich."
"Ich bin nicht unmöglich. Ich sage, was ich denke."
"Und was denkst du?"
"Das, was ich dir schon neulich gesagt habe. Daß ich den Eindruck habe, daß dir das ganz recht kommt."
"Du siehst das alles viel zu sehr schwarz-weiß." Ich war richtig stolz auf mich, so einen nichtssagenden Satz hervorgebracht zu haben.
"Wenn ich es nicht besser wüßte, dann würde ich sagen, daß du ein Einzelkind bist. Du biegst dir die Welt und die Menschen so zurecht, wie du sie haben willst."
Ich weiß nicht, warum Doris immer wieder an mir rumnörgeln muß.
"Um ehrlich zu sein, wir sind noch zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen. Wir wissen noch nicht, wie wir jetzt weitermachen. Wir wissen eigentlich nur, daß wir weitermachen."
"Na, da ist doch schon mal etwas."
Mein Blick fiel auf den kleinen Eisbär: "Ich denke, das ist schon eine ganze Menge."
Es schien eine halbe Ewigkeit her zu sein, daß Nils und ich uns das letzte Mal am Kochertalweg getroffen hatten. Und es war tatsächlich so, als wenn wir beide ein Stück mehr erwachsen geworden waren. Es fehlte etwas, etwas von dieser Leichtigkeit, von der Unkompliziertheit. Ich wußte, was ich sagen wollte, und ich sagte es. Ich war selbst übergerascht, daß ich es schaffte, das alles so herauszubringen: "Ich liebe dich Nils, ich denke, das brauche ich dir nicht mehr zu sagen, das weißt du. Und ich will dich nicht verlieren. Ich möchte, daß wir so lange es geht zusammenbleiben. Ich will auch niemanden anderes lieben. Aber ich kann dir nicht versprechen, daß es nicht passiert, daß ich nicht doch mal mit jemanden anderen Sex habe. Das hat dann nichts damit zu tun, daß ich dich nicht liebe. Ich kann es dir nicht erklären. Das heißt jetzt wirklich nicht, daß ich mit jedem Typen, den ich treffen, was haben will. Ich will nur sagen, daß ich es nicht ausschließen kann und will, das mal irgendwann was passiert. Und so lange wirklich keine Liebe dabei ist, ist es ok, denke ich."
Nils schwieg. Dann sagte er: "Wow." Einfach nur: "Wow." Dann nahm er mich in den Arm. "Gilt das für uns beide?"
"Ich denke mal, das wäre nur fair, oder?"
"Ok, dann laß es uns probieren. Denn ich liebe dich mindestens genauso. Und ich will dich nicht verlieren."
Wir küßten uns und alles war wieder wie früher. Auch wenn Nils hinterher meinte: "Vielleicht solltest du dich mal etwas öfters rasieren, du fängst an zu kratzen."
Ich grinste: "Das ist halt so, wenn man erwachsen wird."
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