Sonntag, 12. Oktober 1997

12. Oktober

Mir geht so viel durch den Kopf. Irgendwann bin ich doch eingeschlafen und aufgewacht, als Nils mich sanft auf die Stirn küßte und so etwas wie "Aufstehen" flüsterte. Wir waren allein im Zimmer, Leon wahrscheinlich unter der Dusche.
"Du bist wohl ziemlich spät zurückgekommen?"
Kein Vorwurf, einfach nur ein Feststellung.
Ich nickte. Konnte ihm nicht in die Augen sehen.
"Na, ich hoffe ihr habt Spaß gehabt."
Da schaute ich hoch, blickte in seine Augen und wollte etwas sagen. Doch es ging nicht. Noch eine Frage. Frag' bitte, flehte ich ihn stumm an. Ich hätte es ihm gesagt. Ich WOLLTE es ihm sagen, doch er fragte nicht. Ich weiß nicht, ob es ihm egal war, oder ob er das Thema absichtlich nicht ansprach. Jedenfalls war er den ganzen Morgen, den ganzen Tag über so wie immer. Einfach nur Nils. Ich sah Heiko noch einmal beim Frühstück. Wir lächelten uns über die endlosen Tischreihen an. Ich wäre am liebsten zu ihm rübergerannt, hätte ihn in den Arm genommen und einfach mitgeschleift.
Der Abschied war auch wieder typisch Heiko-like: "Na dann, vielleicht sehen wir uns ja mal." Dann drehte er sich um und war verschwunden, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Und ich, ich mußte tatsächlich mit den Tränen kämpfen.

Die Fahrt zurück war nicht sonderlich spannend. Nils und Leon redeten die meiste Zeit, während ich ab und zu wegnickte. Mein kleines verrücktes Leben. Ich habe einen Freund und ich habe irgendwo jemanden, der etwas ist, für den ich kein Wort finden kann. Ich hatte Heiko besiegt, aber komischerweise war es mehr der sportliche Erfolg, der mir etwas bedeutete. Es war nicht mehr dieses Besiegenwollen der eigenen Hilflosigkeit. Heiko und ich hatten eine der schönsten und geilsten Nächte zusammen verbracht und ich freue mich, daß ich es "geschafft" hatte. Ich freue mich, daß Heiko, diese Nacht mit MIR verbringen wollte. Ich freue mich, daß ich vielleicht doch irgendeine Rolle in seinem Leben spiele.

Dad holte uns in Stuttgart vom Zug ab. Hier war ich also wieder und während wir in Richtung Bergbach düsten, wunderte ich mich, daß die Landschaft, daß alles wieder so aussah wie vorher. Wir setzen Leon ab und Dad bringt Nils nach Hause. Ich steige mit aus, sage Dad, er soll schon vorfahren, ich komme zu Fuß nach. Das Schöne an Dad ist, daß er nie dumme Fragen stellt. Nils und ich stehen uns schweigend gegenüber. Dann plötzlich: "Du hast mir die Frage von vorhin noch nicht beantwortet. Hast du deinen Spaß gehabt?"
Ich nicke und versuche, meine Tränen runterzuschlucken. Er nimmt mich in den Arm und drückt mich ganz fest: "Es ist ok, mein kleiner Tim. Es ist doch ok."
Mein kleines verrücktes Leben.

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