Montag, 24. Juni 1996

24. Juni

"Nein, zu so was würde ich nie im Leben gehen", sagte Boris. Ich habe mich nach der Schule mit ihm am Kochertalweg verabredet. Ich finde seine Heimlichtuerei ("Hoffentlich sieht uns hier niemand zusammen") wirklich affig. Ich meine, ich will ja auch nicht, daß irgend jemand mitkriegt, daß ich schwul bin, aber er hat ja nun wirklich den absoluten Verfolgungswahn. Naja, jedenfalls hab ich ihn gefragt, was er von dieser schwulen Jugendgruppe hält.
"Willst du da etwa hingehen?" fragte er.
"Ich glaube nicht. Aber ich dachte, du weißt, wie es da so abläuft."
Er schüttelte den Kopf. "Weißt du", begann er plötzlich, "ich finde das voll daneben." Ich wußte nicht, was er meint: "Was denn?"
"Wir sind wahrscheinlich die beiden einzigen Schwulen hier auf der Schule. Und dann haben wir uns, was ja nun schon Zufall genug ist, auch noch getroffen."
Ich verstand immer noch nur Bahnhof.
"Warum sind wir eigentlich nicht zusammen?"
Ach du Scheiße, jetzt kam das. Was sollte ich denn jetzt sagen? Daß ich ihn alles andere als spannend finde? Daß mich seine Art, aus jedem Gespräch einen geheimen Agentenaustausch zu machen, abnervt? "Es hat einfach nicht Klick gemacht, bei mir, das ist es."
"Ach, glaubst du, daß du in der Situation auch noch wählerisch sein kannst?" Verdammt, das habe ich doch schon mal gehört.
"Sorry, aber du bist einfach nicht mein Typ."
"Ach ja? Auf dem Klo warst du aber schon geil drauf."
"Das ist was anderes. Sex zu haben ist eine Sache. Aber mit jemandem zusammen sein, da muß es halt bei mir Klick machen."
"Dann laß uns wenigstens Sex zusammen haben." Ich war völlig baff, wie direkt er auf einmal war.
"Was denn, etwa hier in den Büschen?"
"Warum nicht?" Er meinte es ernst. Er meinte es wirklich ernst! Und ich? Ich bekam einen Ständer. So eine Scheiße. Zum Glück schaltete sich mein Kopf wieder ein: "Du spinnst wohl, wenn jemand vorbei kommt." Diesmal war ich derjenige, der sich umguckte. "Ach, fick dich doch selber!" schrie er mich an. "Du bist wirklich nichts weiter als ein kleiner arroganter Wichser!" Dann schwang er sich auf sein Rad und verschwand. Hilfe, ich fahre Achterbahn! Bin ich im falschen Film? Aber warum wurde ich plötzlich geil auf ihn? Warum hab ich es dann doch nicht gemacht? In meinem Kopf geht wieder alles durcheinander. Den ganzen Weg zurück habe ich hin und her überlegt aber ich bekam das alles nicht auf die Reihe.

Selbst das Training hat mich nicht richtig ablenken können. Ich war mit meinem Kopf ganz woanders, ich weiß nur nicht wo. Nils lästerte rum, ich wäre verliebt, aber das war mir egal. Nein, ich bin nicht verliebt. Jedenfalls nicht in DIESEN Kerl. Aber was ich wirklich so seltsam finde, ist, warum ich trotzdem geil geworden bin. Verdammt noch mal ja, ich hätte es am liebsten sofort mit ihm getrieben. Das mit den Leuten, die vorbeikommen können, wäre mir völlig wurscht gewesen. Das habe ich eh nur gesagt, um ihn zu ärgern. Und jetzt ärgere ich mich, daß ich diese Gelegenheit verpaßt habe. Aber wenn ich das jetzt so schreibe, glaube ich, ich weiß es. Wenn wir es gemacht hätten, hätte er bestimmt von da an, mehr gewollt als nur Sex. Und das will ich nun aber wirklich nicht mit ihm. Also einen Typen für Sex und einen Typen für alles andere? Nein, das kann auch irgendwie nicht das richtige sein. Shit, ich weiß es nicht.

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