Dienstag, 25. Juni 1996

25. Juni

"Tim, verdammt noch mal, wo bist du denn?"
Nils war verärgert. Ich war heute überhaupt nicht bei der Sache. Meine Gedanken, meine Gefühle gehen auf und ab wie ein Löwe in seinem Käfig. Überall sind Gitter. Bin ich an dem einen Ende, will ich zum anderen. Und eigentlich will ich ganz raus, doch ich kann nicht. "Was ist denn los mit dir?"
"Ich weiß nicht, ich bin nur etwas...etwas durch den Wind im Moment." Ich ließ mich auf die Matte fallen.
"Wieso? Was fehlt dir denn?"
"Sex", platzte es aus mir heraus. Shit, ich wäre am liebsten im Boden versunken.
Nils prustete los: "Da bist du nicht der Einzige." Lach du nur, dachte ich. Lach nur, wenn du wüßtest woran ich nachts denke, würdest du bestimmt nicht mehr lachen. "Weinst du immer noch dieser Stefanie hinterher? Komm, vergiß sie. Es gibt jede Menge anderer Mädchen."
Mein Gott, wie kann ein Mensch nur so blöd sein? Gibt es auf dieser Welt überhaupt IRGENDEINEN Menschen, der mich versteht? Ich sagte nichts, aber in meinen Gedanken antwortete ich: 'Vielleicht will ich ja gar kein Mädchen.' Doch ich schwieg und starrte an die Decke. Ich will weg, einfach nur irgendwo anders sein, wo mich niemand kennt.
"Tim!" Nils setzte sich auf meine Brust, griff mich an den Handgelenken und zog mir die Arme über den Kopf. "Verdammt noch mal, was ist los mit dir?" Ich sah seinen Schwanz vor meinem Gesicht aber es ließ mich kalt. Ich blickte ihm in die Augen. Doch es war nicht der Blick, bei dem ich sonst immer wegschmolz. Es war ein stechender Blick, von dem ich eine Gänsehaut bekam. Er kniff die Augen zusammen und sah plötzlich so unheimlich erwachsen aus: "Was ist los mit dir?" wiederholte er.
"Laß mich einfach in Ruhe, es geht schon."
"Irgendwas ist mit dir und ich will jetzt endlich wissen, warum du dich so affig hast!" schrie er. Sein Gesicht war nur noch Wut. 'So nicht, Nils', dachte ich und wunderte mich, wie ich mich nur in ihn vergucken konnte. Ich bäumte mich auf und schaffte es, ihn abzuwerfen. Ich sprang auf und ging ohne mich noch einmal umzudrehen zur Umkleide. "Ja, hau' nur ab und ersauf' in deinem Selbstmitleid", rief er mir hinterher und ich dachte die ganze Halle müßte es hören, "verpiß dich, so wie du immer abhaust, wenn du Schiß hast!"

Ich zog mich um und rannte aus der Halle. Es hatte geregnet und die Luft war schwül. Ich fuhr zum Kochertalweg, legte mich ins nasse Gras und heulte. Fast eine Stunde lag ich da und es begann schon dunkel zu werden als ich mich auf dem Heimweg machte. Mein Kopf ist leer. Zu Hause Mom: "Junge, wie siehst du denn aus?" "In den Regen gekommen." Ich gehe in mein Zimmer, lege mich nackt aufs Bett. Mein Kopf immer noch leer, weiß, wie die Decke an die ich starre.

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