Samstag, 14. Februar 1998

14. Februar

"Warum machst du das alles nur so kompliziert?"
Ich dachte, ich höre nicht richtig.
"Was mache ich denn kompliziert?" Ich versuchte ruhig zu bleiben.
"Du machst aus allem immer einen totalen Aufstand. Ich fahre nach Leipzig, du bist sauer. Jemand macht einen dummen Spruch und du wirfst deinen Gegner durch die halbe Halle."
Ich schwieg und wusste nicht, was ich sagen sollte. Vielleicht hatte er ja irgendwo auch ein bisschen recht, aber nein, so stimmte das doch alles nicht. Ich guckte runter ins Tal. Es war saukalt und eine saublöde Idee von Nils, sich hier oben zu treffen. Ich versuchte, das Ganze auszudröseln, eines nach dem anderen. Ich erklärte ihm, warum ich wegen Leipzig so sauer war. Dass es nicht deswegen war, weil er mit anderen Jungs zusammen war und auch nicht deswegen, weil es um seine Zukunft als Ringer ging.
"Ich komme in deiner Zukunft nicht vor", sagte ich und versuchte, ihm in die Augen zu gucken.
Jetzt schwieg Nils und ich glaubte, dass er zum ersten Mal verstand, wo das Problem liegt.
"Natürlich bist du da, ich meine, auch in Zukunft, aber..."
Und wieder hatte ich dieses seltsame Gefühl. Was ist, wenn Nils sich irgendwann einmal entscheiden muss? Wird er sich für mich, für UNS entscheiden? Und ich habe die totale Panik, dass er das nicht machen wird. Er wird sich immer für das Ringen entscheiden, er wird sich immer dafür entscheiden niemandem zu sagen, dass er schwul ist, er wird sich immer dafür entscheiden, sich zu verstecken.
Und dann guckte ich ihn wieder an, meinen Nils. Mein Nils, der gar nicht mehr nur stark war, mein Nils, der mir immer öfter so klein und so schwach vorkam. Ich konnte nicht anders und nahm ihn in den Arm und drückte ihn.
"Ich will doch nur, dass wir zusammen sind, dass wir zusammen bleiben", flüsterte ich und hielt ihn fest. "Ich will, dass wir füreinander da sind."
"Das sind wir doch."
"Das sind wir nicht." Ich löste meine Umarmung und schaute ihm in die Augen. "Ich habe dich gebraucht. Als die Sache mit Silvio und Kevin war, habe ich dich gebraucht. Und du warst nicht da. Du bist weggelaufen. Und der Einzige, der da war und mir geholfen hat war Florian, der war da als du weggelaufen bist. "
"Ich bin nicht..."
"Nils, bitte...!" Ich klang plötzlich wie mein Vater: "Du bist weggelaufen, weil du nicht wusstest, was du machen solltest."
Er schwieg und biss sich auf die Unterlippe. Ich hatte recht gehabt. Er hatte wirklich Angst, Angst, dass wenn er zu mir steht, er in diese ganze Sache mit Silvio mit reingezogen wird. Und dann sagte ich etwas total verrücktes. Ich weiß nicht wieso. Vielleicht, weil ich nur noch ihn sah, vielleicht weil er nie wieder dieser große, starke, tolle Nils sein würde, der er immer für mich war, vielleicht, weil ich ihn plötzlich sah wie er wirklich war. Ich nahm seinen Kopf in meine Hände, küsste ihn und sagte: "Wenn du willst, wird es niemand erfahren. Wir bleiben für uns, wir passen aus, niemand braucht es zu wissen, dass wir zusammen sind, niemand wird wissen, dass wir schwul sind."
Was hatte ich da gesagt? Aber vielleicht war es ja die einzige Möglichkeit, Nils davon zu überzeugen, dass wir zusammen gehören. Ihm zu zeigen, dass ich ihn liebe. Und ich meine es wirklich ernst. So lange, wie wir zusammen sind, ist alles gut.
Und plötzlich fing er an zu weinen. Die Tränen liefen über sein Gesicht. Ich küsste sie weg. "Warum ist das alles so schwer?" fragte er.
"Wenn wir zusammen sind, ist es nicht mehr so schwer", war das einzige was mir einfiel.
Nils schwieg. Eine halbe Ewigkeit schwieg er. Es war mittlerweile dunkel geworden und noch kälter. Ich zitterte.
"Lass uns irgendwohin gehen, wo es warm ist", schlug er vor. Ich nickte nur noch, so kalt war mir.

"Ein Glühwein? Jetzt. Im Februar."
"Warum nicht?"
"Weihnachten ist vorbei."
Wir waren schweigend zurück nach Bergbach getapert und waren schließlich im Melody gelandet. Ich brauchte irgendwas, was mich wieder ins Leben zurück holte. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so gefroren hatte. Aber es gab tatsächlich Glühwein.
"Was passiert, wenn die mich tatsächlich irgendwo wollen, wo du nicht hin willst? Schifferstadt oder Köllerbach?"
Ich schüttelte den Kopf: "Ich weiß es nicht. Vielleicht wollen sie dich ja in Luckenwalde haben, das ist doch in der Nähe von Berlin. Oder vielleicht auch hier."
Nils zuckte mit den Schultern: "Ich weiß es nicht."
"Wir reden drüber, wenn es so weit ist. Ok? Aber wir reden drüber. Zusammen!" Ich hatte keine Frage gestellt, ich hatte einfach gesagt, was wir machen werden.
Nils guckte mir lange in die Augen, dann sah er sich um und plötzlich küsste er mich. Nils küsste mich in der Öffentlichkeit. Und auch wenn uns niemand sah wurde mir heiß und kalt.

"Wir sehen uns morgen, ok?"
"Ok."
Der Abschied an unserer Kreuzung ist immer so schön und gleichzeitig so grausam.

Jetzt sitze ich in meinem Zimmer. Gehe jedes Wort, jeden Blick, jeden Kuss noch einmal in Gedanken durch. Ich weiss, dass Nils DER ist, den ich liebe, den ich immer lieben werde. Ich hätte ihn jetzt so gerne bei mir. Neben mir. Einfach nur wissen, dass er da ist.

Aber ich weiss, er ist da!



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