Freitag, 6. Juni 1997

6. Juni

"Am Samstag X1? Wir sind ja sowieso in Stuttgart", meinte Flo.
Ganz automatisch blickte ich zu Nils. Der nickte: "Warum eigentlich nicht?"
"Oder doch lieber Tofa?"
"Ach nee, nicht schon wieder Bauerntrampel-Tanz."
Nils prustete los. Ich glaube, irgendwann werden wir mal nach Hamburg fahren und ich werde ihn ins Maze mitnehmen.
Mein Versuch, endlich mal Doris dazu zu überreden, mit ins X1 zu kommen scheiterte kläglich. Sie lehnte es kategorisch ab und meinte, daß sie erstens Lena nicht permanent bei ihrer Mutter abgegeben könne und daß ihr solche Läden zweitens sowieso nicht gefallen. Na gut, dann eben nicht. Den Rest des Schultages verbrachten wir mit der reichlich nutzlosen Diskussion um die Aufgaben der Matheklausur. Ich fand sie ja ehrlich gesagt nicht so schlimm, aber alle anderen waren wohl nur noch am Abkotzen.

Nils am Abend bei mir:
"Ich denke mal, Dimitri läßt dich nächste Woche wieder mitkämpfen."
"Wenn ich es mir recht überlege, bin ich nicht sonderlich scharf darauf. Das heißt, ich habe es nicht sonderlich eilig."
"Das glaube ich dir sogar. Aber daraus wird nichts. Wenn du weiter kommen willst, mußt du Wettkämpfe machen. Nur trainieren bringt gar nichts."
"Ja, ist ja schon gut. Ich sag' ja schon nix mehr."
Wir lagen auf dem Boden, Nils hatte seinen Kopf auf meine Brust gelegt und die Augen geschlossen. Ich hatte es mir angewöhnt, die Tür abzuschließen, wenn er da war, damit nicht Lisa plötzlich ins Zimmer gestürmt kommen kann. Wenn Mon oder Dad kommen, hört man das ja immer vorher, aber Lisa ist so flink und leise, schwupps steht sie in der Tür. Wir lagen einfach nur da und träumten. Ich frieselte durch Nils' Haare und küßte ihn auf die Stirn: "Weißt du, daß wir verdammt viel Glück haben?" flüsterte ich.
"Ich weiß. Ich weiß es und ich finde es toll."
Dann schwiegen wir wieder für eine halbe Ewigkeit. Es reichte, daß er da war. Es reichte, seine Nähe zu spüren, zu fühlen, wie er atmet. Es ist so ein total sicheres Gefühl, sicher und zufrieden.
Als er schließlich gehen mußte, habe ich ihn noch bis zu unserer Kreuzung gebracht. Zufrieden und glücklich bin ich und doch merke ich, daß mir etwas fehlt. Mich nervt diese Ungerechtigkeit. Wenn er ein Mädel wäre, wäre es überhaupt kein Problem, daß er über Nacht bei mir bleibt. Und nur weil wir schwul sind, müssen wir uns verstecken, müssen uns blöde Ausreden einfallen lassen, wenn wir mal bei dem Anderen pennen wollen, müssen Türen abschließen, leise sein, jede noch so kleine Zärtlichkeit vermeiden, wenn jemand dabei ist. Das ist es, was nicht mehr so zum Glücklichsein paßt. Auf der anderen Seite haben wir natürlich schon Glück, daß wir uns überhaupt gefunden haben.

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