Montag, 2. Februar 1998

2. Februar

Nils ist mit seinen Gedanken nur noch bei seinem Leipzig-Wochenende. Es kennt kein anderes Thema mehr. Ich habe irgendwann aufgehört, ihm zuzuhören. Ich wollte auch nichts dazu sagen. Denn ich wußte, daß ich wieder irgend etwas Falsches gesagt hätte. Das ganze Training über war Nils mit Werner auf der Nachbarmatte beschäftigt. Wahrscheinlich zeigte er ihm die letzten Tips und Tricks, damit er in Leipzig möglichst gut dasteht. Super ganz toll. Und ich war natürlich immer noch sauer. So sauer, daß ich Flo wohl beim Training ziemlich dolle zusammengefaltet habe und er irgendwann meinte, ich soll nicht so aggressiv ringen.
"Hast du Streß mit Nils?"
"Wieso?"
"Ach komm, da stimmt doch irgendwas nicht. Du bist total aggressiv drauf und ich bin sicher, da ist was zwischen dir und Nils. Was ist denn los?"
"Das verstehst du nicht."
"Super, danke. Vielen Dank. Ich bin ja blöd. Ich bin ja nur ein blöder Stino."
"Du verstehst es nicht, weil ich es selber ja nicht mal verstehe."
Ich stand auf und ließ ihn sitzen. Ich weiß, es war total daneben. Aber was sollte ich ihm denn noch sagen? Ich stand auf und ging rüber zu Marcel und Kevin. Ich ging rüber und auf dem Weg sah ich aus den Augenwinkeln, daß Nils mich beobachtete. Er sah genau, wo ich hinging. Soll er es sehen. Genau.
"Na wie läuft's?" hörte ich mich fragen.
"Nicht so gut", meinte Marcel. "Ich bin zu langsam und mir fehlt Technik."
"Wollen wir mal eine Runde? Ich bin leichter als du, vielleicht geht es dann etwas einfacher."
Ich wunderte mich selbst über mich. Marcel nickte und ich glaube Kevin war ganz froh, daß ich ihn von einem "low impact wrestler" befreit hatte. Wieder sah ich aus den Augenwinkeln, wie Nils zwar mit Werner trainierte aber auch gleichzeitig zu mir rüberguckte. Ja, guck nur. Ich ringe jetzt mit Marcel. Fahr du ruhig nach Leipzig. Ich ringe mit Marcel.
Und das war gar nicht einfach. Ich habe den Fehler gemacht und ihn am Anfang unterschätzt. Er ist größer und schwerer als ich und da habe ich echt Schwierigkeiten mit meiner Technik gegen anzukommen. Ich habe es geschafft. Aber es war schwer. Vor allem war aber auch meine Aggression weg. Das heißt, die war noch da. Aber ich konnte sie nicht bei Marcel auslassen.

Das Training war zu Ende. Doch Nils blieb noch. Trainierte weiter mit Werner. Ich guckte zu ihm rüber und machte unsere Handbewegegung fürs "gehen". Er zeigte auf Werner und mir war klar, daß er bleibt. Und ich gebe zu, es war mir auch ganz recht. Ich glaube, ich hätte echt Probleme gehabt, heute mit ihm zusammen zu sein. In meinem Kopf dreht sich noch immer alles. Es gibt Sekunden, wo ich denke, ich werde verrückt. Dann gibt es Momente wo ich mir sage, ich rede mir da einfach Probleme ein, die gar nicht da sind. Und einen Augenblick später werde ich so wütend, daß ich am liebsten alles zerschlagen möchte, was ich in die Finger bekomme.

Zum Glück kam ich auf die Idee, noch bei Lisa ins Zimmer zu schauen und ihr etwas zum einschlafen vorzulesen. Total seltsam. Aber es wirkte echt. Nils, Marcel und Heiko verschwanden für eine Weile aus meinem Kopf. Ich las Lisa eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht vor und es war so etwas wie heile Welt in diesem Raum. Es schien, als wenn alle Probleme, jeder Ärger draußen geblieben war.

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