Donnerstag, 11. Dezember 1997

11. Dezember

"Er ist immer noch in der Klinik, in Heidelberg. Ich kann aber nicht die ganze Zeit bei ihm bleiben. Ich habe keinen Urlaub mehr. Ich hoffe ja, daß er wenigstens zu Weihnachten rauskommt."
Ich hatte bei Tobias zu Hause angerufen aber nur seine Mutter erwischt. Shit. Dann ist er immer noch in der Klinik in Heidelberg. Irgendwie glaube ich, müßte ich ihn mal besuchen. Das ist nur so verdammt weit weg. Ich frage mal Nils, vielleicht können wir ja am Sonntag oder so hinfahren.

Jonas hat mir eine Adresse von einem Beratungsbüro in Stuttgart mitgebracht.
"Wir haben ja bis jetzt nicht viel Zeit gehabt, miteinander zu reden."
"Ja, stimmt."
"Den Freitag gut verdaut?"
"Na klar, was denkst du denn? So was haut mich nicht so schnell um."
"Du hattest aber ganz schön einen im Tee."
"Und du nicht?"
"Na ich konnte wenigstens noch mit dem Auto fahren."
"Das glaubst du. Wenn dich die Bullen erwischt hätten, dann wär's das gewesen mit dem Führerschein."
"Was soll's. Die kontrollieren sowieso nur samstags."
"Hast du deinem Freund von Freitag erzählt?"
Das klang so merkwürdig, wenn er 'dein Freund' sagte: "Mein Freund heißt Nils, also bitte. Ja natürlich habe ich ihm davon erzählt."
"Ich glaube, er hat was gegen mich. Er guckt mich so finster an."
"Wieso sollte er was gegen dich haben?"
"Keine Ahnung. Vielleicht ist er ja eifersüchtig."
"Eifersüchtig? Auf was denn. Quark, das bildest du dir nur ein."
"Vielleicht. Da kommt er übrigens. Ich glaub ich werde mich mal verdrücken."
Jonas verschwand. Auftritt Nils: "Was wollte er denn?"
"Nichts, wir haben uns nur kurz unterhalten. Über letzten Freitag. Und er wollte wissen, ob du was gegen ihn hast."
"Ob ich was gegen ihn habe?"
"Er meint, du guckst ihn immer so böse an."
"Soll ich ihn die ganze Zeit angrinsen?"
"Er hat mir eine Adresse von einer Anti-Wehrdienst-Ini in Stuttgart gegeben. Ich fahre da morgen mal hin und höre mal, was die so zu sagen haben."
"Na toll."
"Was, na toll?"
"Schon mal wieder den ganzen Tag verplant."
"Hey, ich dachte, du kommst mit? Das ist doch für dich genauso wichtig."
"Also nicht nur den Tag verplant, sondern mich auch noch."
Ich guckte ihn an. In diesem Moment war ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einmal so richtig sauer auf ihn. Ich meine, geärgert habe ich mich oft über ihn. Aber in diesem Moment war ich nur noch sauer und wütend, so daß ich ihm am liebsten eine runtergehauen hätte. Was bildet er sich eigentlich ein? Was zickt er so rum? Wenn ich ihm schon keine runterhauen konnte und wollte, so hätte ich ihn einfach stehenlassen können. Aber selbst das konnte ich nicht. Statt dessen schaute ich ihn nur an. Ich schaute ihn an und auf einmal tat er mir leid. Ich weiß auch nicht wieso. Ich weiß nicht, wie lange wir da so standen. Plötzlich sagte er: "Es tut mir leid. Ich weiß, daß ich manchmal ein Arsch bin."
Ich konnte nicht mehr böse auf ihn sein. Ich wollte auch nicht mehr böse auf ihn sein.
"Kommst du mit?"
Er nickte: "Vielleicht gehen wir ja hinterher in eines deiner tollen schwulen Cafés?"
"In eines meiner Cafés?" Ich mußte lachen. Es ist schön, daß wir aus solchen Sachen wieder so heraus kommen.
"Sag mal, wenn wir schon bei durch die Gegend fahren sind. Tobias und Heidelberg."
"Ist der immer noch da?"
"Ja, ich habe heute früh mit seiner Mutter telefoniert."
"Du meinst, wir sollten ihn mal besuchen?"
"Wäre ja vielleicht ganz nett, oder? Das ist bloß elendig weit weg. Bestimmt 200 Kilometer oder so."
"Pff. Hast du mal nach den Zügen geschaut?"
"Nein, bis jetzt noch nicht. Ich wollte erst mal hören, was du dazu sagst."
Na das paßte ja. Nils muß sich ja irgendwie verarscht vorkommen.
"Geht ja eigentlich nur irgendein Sonntag, oder?"
"Ich denke auch. Was anderes geht eh nicht, mit dem Zug dauert das bestimmt drei Stunden."
"Ok, du erkundigst dich nach dem Zug und ich komme mit. Ok?"
"Super Arbeitsteilung. Wenn wir Doris mitnehmen dann können wir ja schon fast als Kleinfamilie fahren."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen