Dienstag, 16. September 1997

16. September

"Können wir heute reden?"
"Wir reden doch die ganze Zeit."
"Tim, ich meine ernsthaft reden. Laß uns irgendwo treffen und reden, in alles Ruhe."
"Was ist denn los?"
"Um vier, um vier am Zollmuseum, ok?"
Ich konnte nichts mehr sagen, denn er verschwand in der Klasse und es gongte. Um vier am Zollmuseum. Wieso da? Wieso nicht am Kochertalweg? Was will er mit mir besprechen? Verdammt noch mal, was ist los? Ich bekam nichts mehr mit von den Stunden. Das erste Mal Französisch-LK und alles rauschte an mir vorbei. In der Pause suchte ich Nils. Dieses bekloppte Kurssystem, das bringt alles durcheinander. Ich renne durch die halbe Schule, finde ihn nicht. Treffe auf Doris, frage sie, ob sie ihn gesehen hat. Die guckt mich nur fragend an: "Wieso? Was ist los?"
"Irgendwas, irgendwas ist los, ich weiß nicht was."
Ich merke, wie die Panik in mir aufsteigt. Hat Nils wieder seinen Rappel gekriegt? Ist er wieder so weit, daß er sagt, er packt das nicht mit dem Schwulsein? Verdammt noch mal, wie schafft es ein Mensch, sich in einem Schulgebäude unsichtbar zu machen? Am Ende der Schule stand Doris vor der Tür: "Und? Was ist denn nun?"
"Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Wir treffen uns in zwei Stunden. Er will mit mir reden."
"Und worüber?"
"Keine Ahnung. Das ist es ja. Er ist seit gestern so komisch. Irgendwas ist da. Ich weiß nicht was. Und ich habe Angst. Verdammt noch mal, ich habe so eine Angst."
Doris guckte mich an. "Was meinst du denn?"
"Ich weiß es doch nicht. Ich glaube, er hat wieder Probleme damit, daß er schwul ist. Daß wir zusammen sind. Irgendwas in der Richtung."
"Ruf mich an, ok? Wenn du zurück bist und reden willst oder kannst, rufe mich an, bitte. Oder komme vorbei."
Ich hörte sie wie durch Watte hindurch, aber ich schaffte es doch noch, ihre Hand zu drücken. Zu Hause. Zum Glück ist Phil nicht da. Ich renne in mein Zimmer und laufe auf und ab. Ich gucke auf die Uhr. Noch 90 Minuten. Verdammt, was kommt, was passiert denn jetzt? Vielleicht ist es ja irgendwas albernes, was, was überhaupt nicht der Rede wert ist. Aber warum war er dann so komisch? Warum macht er so ein mysteriöses Treffen? Ich merke, wie die Panik in mir hochsteigt. Ich kriege keine klaren Gedanken mehr zustande. Ich werde nicht mit dem Rad hinfahren. Ich laufe hin. Ich renne!

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