Montag, 15. September 1997

15. September

"Und? Wie sind deine Kurse?"
"Ganz ok, eigentlich alle so, wie ich es erwartet habe. Leclerq in Französisch. Kenne ich zwar noch nicht, aber einfach mal sehen. Und bei dir?"
"Auch alles ok. Nur leider haben wir kaum Kurse zusammen."
"Das ist echt blöd, aber du..." Ich war kurz davor ihm Vorwürfe zu machen, daß er so komische Kombinationen hatte, aber was sollte das? Schließlich war das ja sein Ding. "Ach vergiß es", sagte ich. "Ein paar Sachen haben wir ja zusammen und außerdem sehen wir uns ja in den Pausen und überhaupt."
"Na ihr zweis", Doris kam an.
"'Zweis' ist ja ein tolles Wort. Vielleicht ist die Oberstufe ja doch noch nichts für dich."
"Ja, ja, lästere mal nur. Was macht ihr denn noch mit dem angebrochenen Vormittag?"
"Keine Ahnung." Ich guckte Nils an, aber der zuckte auch nur mit den Schultern. Toll, super. Uns fiel einfach nichts besseres ein, als daß wir uns auf die große Treppe setzten und dumm in der Gegend rumblödelten.
"Was macht man eigentlich mit Bio als Leistungskurs?"
"Wie? Was macht man? Da regt mich ja allein schon die Frage auf."
"Ich meine, was kommt danach?"
"So was beklopptes. Das weiß ich doch jetzt noch nicht. Ich habe das genommen, weil es mich interessiert. Was machst DU denn mit Mathe und Französisch?"
"Vielleicht werde ich ja französischer Mathematiker."
"Wahnsinnig spannend."
Nils schwieg.
"Was ist los mit dir?", buffte ihn Doris an.
"Nichts. Ich bin einfach nur nicht so gut drauf."
Ich guckte ihn fragend an: "Was ist denn?"
"Wollt ihr lieber alleine sein, ihr zwei?"
"Nein, ist schon ok. Ich glaube, ich gehe noch eine bissele nach Hause. Wir sehen uns nachher beim Training."
Und noch ehe ich irgendwas sagen konnte, stand er auf und taperte los.
"Was hat er denn?", wollte Doris wissen.
"Keine Ahnung. Echt nicht. Vielleicht sollte ich hinterhergehen."
Doris hielt mich fest. "Laß ihn. Vielleicht hat er einfach nur einen schlechten Tag oder so. Manchmal braucht man einfach Zeit für sich alleine. Was macht eigentlich dein Training wegen diesem komischen Turnier?"
"Es geht so voran. Inzwischen finde ich die ganze Sache ja selber reichlich affig."
"Die Zeit heilt alle Wunden."
"Waaaahnsinn! Schreibst du nebenher Kalendersprüche? Oder arbeitest bei Doktor Sommer?"
"Mensch Tim, nun werde doch nicht gleich wieder aggressiv."
"Ich will nicht mehr darüber reden."
"Du bist seltsam. Wirklich, du bist echt seltsam."
"Ja und? Dann bin ich eben seltsam. Ich muß da durch und das ganz alleine. Bitte, ich will dich nicht ärgern. Aber es hilft mir wirklich nicht mehr, wenn ich darüber rede."
Doris seufzte. "Männer. Und dann will er auch noch mit ihm ringen. Wer soll denn das verstehen?"
"Hörst du jetzt auf!"
Doris schwieg. Dann drückte sie mich. "Ich will doch nur, daß es dir gut geht. Einfach nur gut."
Ich guckte sie an. Die Gute.

Ich taperte nach Hause. Packte meine Trainingstasche. Es war komisch, ich wollte Nils anrufen, daß wir zusammen gehen, aber ich traute mich nicht. Er war so seltsam heute nach der Schule. So nachdenklich habe ich ihn schon lange nicht mehr erlebt. Ich glaube schon, daß es besser ist, wenn ich ihn in Ruhe lasse. Vielleicht braucht er wirklich ein paar Momente für sich.

Training. Und Nils ist immer noch seltsam. Irgendwie. Ich kann es gar nicht so richtig beschreiben. Wir reden wie immer, und trotzdem ist da was anders. Ich kann es nicht beschreiben. Es ist wie eine unsichtbare Wand. Ich würde sie so gerne durchbrechen, aber ich weiß ja nicht mal, was da ist. Vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein.

Ein neuer Trainer. Wir kriegen einen neuen Trainer. Nein, wir haben einen neuen Trainer. Dimitri hat ihn heute vorgestellt: Mahmout oder so ähnlich. Er ist wohl Iraner und sieht gar nicht so schlecht aus, finde ich. Jedenfalls hat er gleich das Training mit uns gemacht und es ging ganz gut. Mich würde ja wirklich mal interessieren, warum Dimitri nicht mehr weitermacht. Aber selbst Nils weiß nichts Genaues. Er meint nur, daß es wohl irgendwas mit seinem Rücken zu tun hat. Na gut. Einfach mal gucken, wie Mahmout das jetzt macht.

Heimweg mit Nils. Wir reden über Dimitri, über Mahmout, über's Training, über die Schule. Ich versuche, alles so normal wie möglich zu sehen. Aber es geht nicht. Der Abschied. Er ist doch eigentlich wie immer. Ein langer Kuß, seine Nähe, sein Geruch. Und trotzdem bin ich nachdenklich. Ich glaube, ich werde langsam merkwürdig. Ich will ihn anrufen. Ihm einfach gute Nacht sagen, seine Stimme hören. Vielleicht fragen, was los ist. Ich lege nach der ersten Nummer wieder auf. Morgen, morgen wird alles anders. Morgen wird mein Nils so sein wie immer. Oder ich werde ihn fragen, was los ist.

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