Samstag, 22. Februar 1997

22. Februar

"Warum willst du denn hier rein?"
"Weil es regnet und ich mich irgendwo einfach nur mal hinsetzen will."
Das stimmte zwar auch, aber der eigentliche Grund, warum ich ausgerechnet in diesen Laden wollte, war ein anderer. Wir waren eine halbe Ewigkeit durch die Innenstadt von Stuttgart getapert, haben ein paar Klamotten gekauft und waren irgendwann zufällig an diesem Café vorbeigekommen. Schon von weitem war mir die Regenbogenfahne aufgefallen, die draußen hing. Ich glaube Boris hat mir irgendwann mal erzählt, daß das das Erkennungszeichen von schwulen Läden ist. Ich war neugierig. Von draußen sah er genau so aus, wie jeder andere Laden und so weit wie man hineingucken konnte auch. Ich weiß nicht, wieso ich plötzlich so übermütig wurde und unbedingt rein wollte. Mein Herz klopfte wie wild, doch meine Neugier war größer.
Wir traten ein. Spontan fiel mir mein erster Besuch in dem schwulen Pornoladen ein. Doch zum Glück war das hier etwas ganz anderes: Ein Café, das sehr ähnlich aussah, wie vorne in der Tofa, ein ganz normaler Laden. Wir steuerten einen Tisch im hinteren Drittel an und setzten uns. So weit so gut. Dann rauschte der Kellner an und ich wäre am liebsten unter den Tisch verkrochen. Eine blondgefärbter Typ der so tuntig sprach als wäre er die absolute Witznummer. Ich glaube ich wurde knallrot als er "uns zwei Hübsche" fragte, was wir denn trinken wollen. Nils rollte mit den Augen und blickte sich um. "Hier sind ja nur Typen drin", flüsterte er mir zu, als hätte er Angst, uns würde jemand hören.
"Ja", war meine einsilbige Antwort. Ich wußte nicht so recht, wohin ich gucken sollte.
"Und die da hinten, küssen sich sogar!" Nils starrte mit offenem Mund zu einem Pärchen, das am anderen Ende des Raumes saß. "Sag mal, sind das hier alles, alles - Schwule?"
"Sieht so aus. Das scheint ein schwules Café zu sein."
"Ein schwules Café? So was gibt es?" Er flüsterte immer noch, so als würden wir einen Bankraub planen. Dann kam wieder der Kellner angewackelt und brachte uns unseren Kaffee. Mit einem "Zum Wohl und viel Spaß", rauschte er von dannen. Kaum war er weg, brach Nils in einen Lachanfall aus und ich konnte nicht anders und mußte mitlachen. Wir bekicherten uns so, daß alle anderen Leute in dem Laden zu uns rüberguckten. Wahrscheinlich hielten sie uns einfach nur für zwei bekloppte Hetero-Jungs. Plötzlich hielt er inne: "Mein Gott, wenn wir auch so werden."
"Das glaube ich nicht. So was ist bestimmt angeboren."
"Du kennst, den Laden." Das war mehr eine Feststellung als eine Frage.
"Nein, ich war noch nie hier. Wirklich nicht. Ich, ich, nun ja, ich habe halt nur die Regenbogen-Fahne draußen gesehen."
"Und was hat das zu bedeuten?"
"Daß das ein schwuler Laden ist."
"Echt?"
Ich nickte.
"Du hättest es mir vorher sagen können."
Ich nickte wieder. Er hatte recht. Ich hatte ihn ziemlich überrumpelt. Aber ich war doch irgendwie froh, daß alles bisher so glimpflich abgegangen war. Wir quatschten eine halbe Ewigkeit und nach einer Weile hörten wir auch auf zu flüstern und sprachen ganz normal. Es schien alle ganz normal, als würden wir in der Tofa oder sonstwo sitzen. Der tuntige Kellner war unwichtig geworden und ich fühlte mich so sicher, daß ich Nils irgendwann einfach küßte. Wir küßten uns. In einem öffentlichen Kaffee, wo es alle sehen konnten. Ok, das ist vielleicht nicht so eine tolle Leistung, weil wahrscheinlich alle Leute um uns herum auch schwul waren. Aber in dem Moment kribbelte es schon ganz doll in meinem Bauch. Und Nils, vor allem Nils schien es nichts auszumachen. Irgendwann gingen wir. Es hatte aufgehört zu regnen und wir sogen die frische Abendluft ein.
"Hat gar nicht wehgetan, oder?"
Nils grinste. Wir taperten in Richtung X1. Doch dann die große Enttäuschung. "Geschlossen bis auf Weiteres", verkündete ein durchnäßter Zettel am Eingang. Wir guckten uns an. "Keine Ahnung", zuckte Nils mit den Schultern. Da standen wir nun und wußten nicht, was wir machen sollten. Schließlich entschlossen wir uns dazu, zurück nach Bergbach zu fahren. Obwohl nicht viel passiert war an diesem Tag, waren wir doch seltsamerweise müde. Wir hatten Glück, daß wir am Bahnhof gleich einen Zug erwischten. Wir ließen uns auf die Sitze fallen. Kaum war der Schaffner vorbei, fiel mir wieder das "Na ihr zwei Hübschen" ein und ich mußte losgackern. Nils gackerte mit und irgendwie lagen wir uns plötzlich in den Armen. Wir saßen ganz allein in dem Wagen und Nils küßte mich. Diesmal hatte ich schon Angst, daß jemand kommen könnte, doch Nils schien es nichts auszumachen. Nicht genug damit, daß er mich küßte, nein irgendwann griff er mir tatsächlich an die Hose und begann meinen Schwanz zu reiben. Ich bekam einen Heidenschreck und wollte etwas sagen. Doch er küßte mich und es war gleichzeitig so toll, daß ich ihn machen ließ. In den Momenten dachte ich an gar nichts mehr, ich schwebte einfach davon. Nils küßte mein Stöhnen weg. Ganz außer Atem sah ich ihn an, sein Gesicht glühte wie meines. "Du bist verrückt", sagte ich kopfschüttelnd und lächelte doch dabei
"Nicht mehr verrückt als du."

Der Zug bremste. Ein letzter Kuß, ein Händedrücken und wir standen auf dem Bahnsteig in Bergbach. Den ganzen Weg bis zu unserer Kreuzung sagten wir nichts, wahrscheinlich schwebte jeder von uns auf seiner eigenen Wolke. Dann der Abschied. Mein Herz ist so voll von Liebe, ich möchte ihn für immer festhalten und nie mehr loslassen. Wenn ich daran denke, was wir gemacht haben, dann wird mir ganz komisch. Wenn jemand in den Wagen gekommen wäre...nein, nicht daran denken, nur daran denken, wie schön es war. Wie schön es immer ist mit Nils.

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