Samstag, 1. Februar 1997

1. Februar

"Eine Rolle, eine Rolle!" Nils' Stimme drang wie durch Watte an mein Ohr. Dabei hatte alles doch so leicht begonnen. Ein Heimkampf. Kein nerviges Busgefahre, keine fremden Hallen mit muffigen Umkleiden. Nein, unsere große Halle, alles vertraut. Heimvorteil sicherer Boden. Und der Junge, gegen den ich kämpfte sollte doch auch kein Problem sein. Gut einen Kopf kleiner als ich, so daß ich mich wunderte, daß er überhaupt in der gleichen Gewichtsklasse antrat. Es ging auch alles ganz gut, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich irgendeinen dummen Fehler gemacht haben mußte, und er es schaffte, mich auszuheben und punktemäßig gleichzog. Auf einmal hatte ich überhaupt keine Lust mehr zu kämpfen. Alles kam mir so total albern und lächerlich vor. Ich war zwar wieder in der Oberlage aber wußte nicht, was ich machen sollte. Von irgendwoher hörte ich Nils' Stimme. Eine Rolle. Und sie klappte sogar. Punkte für mich. Sie klappte sogar ein zweites Mal. Keine Punkte mehr. Aber das hatte meinen Gegner offenbar demoralisiert. Ich schaffte es, ihn nach vorne überzukippen. Noch ein Punkt. Bis zum Schlußpfiff passierte dann nichts mehr, aber ich hate wenigstens knapp gewonnen. Handshake. Für einen kurzen Augenblick sah ich ihn die Augen des Jungen und stellte mit Erschrecken fest, daß er total niedlich aussah. Zum Glück hatte ich das vorher nicht bemerkt. Ich glaube, ich hätte haushoch verloren. Nils erwartete mich in meiner Ecke. Immer öfter saß er und nicht Dimitri da, wenn ich auf der Matte war. Ganz so, als wäre er mein persönlicher Coach. Ich finde das zwar etwas affig, aber was soll's. Wenn ich sehe, wie seine Augen strahlen, wenn ich gewonnen habe, bin ich auch glücklich. Es ist komisch. Ich freue mich gar nicht so sehr über meinen Sieg, oder daß wir Punkte gemacht haben. Ich freue mich viel mehr darüber, daß Nils sich freut. Es ist schon merkwürdig.
Nach dem Wettkampf gingen wir zu ihm nach Hause. Seine Eltern machten einen Fondue-Party mit zwei verschiedenen Arten von Fondues und hatten jede Menge Bekannte eingeladen. "Da kannst du ohne Probleme mit dazu kommen", hatte Nils gesagt. Und so war es dann auch. Es war ein total lustiger Abend. Ich beneide ihn fast ein bißchen, wie locker und easy drauf seine Eltern sind. Es ist alles nicht so verkopfert und vornehm wie bei uns. Einfach irgendwie uriger, direkter. Ach ja, ich weiß, wie es heißt, nicht so hanseatisch, wie bei uns zu Hause. Naja, aber letztlich wissen auch seine Eltern nicht, was mit ihrem Sohn ist. Ab und zu verschwanden wir in sein Zimmer und tauschten heiße Küssse aus. Es war, als würden wir auftanken für die nächste Runde. Für die nächste Runde Normalsein in dieser so verlogenen Welt.

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