Samstag, 31. Januar 1998

31. Januar

"Meine Güte, was ist denn los mit dir? Vielleicht solltest öfters mal ein paar Wochen pausieren. Du ringst ja wie eine gesengte Sau."
"Was?"
"Ein paar Mal hatte ich ja echt Mitleid mit deinem Gegner."
Ich gebe zu, ich war gut. Nein, ich war nicht gut. Ich war aggressiv. Ich war wütend. Und wenn ich aggressiv bin, dann ringe ich ohne nachzudenken und so heftig, daß meine Gegner kaum eine Chance haben. Marcel war mitgekommen. Natürlich hat er nicht in der Mannschaft mitgerungen, aber er fuhr mit uns mit zum Wettkampf. Als ich ihn vor der Halle sah, kochte es in mir wieder hoch. Natürlich war Nils schon da und unterhielt sich mit ihm. Ich wollte eigentlich gar nicht zu den beiden hingehen, aber das ging natürlich nicht. Ok, so habe ich also wenigstens auch schon mal ein paar Sätze mit Marcel gesprochen. Was aber die Sache nicht leichter gemacht hat, denn er ist wirklich richtig cool.
Auf jeden Fall war ich dadurch wieder total schlecht drauf. Und es war meine Wut und meine Aggression, die dazu beigetragen hat, daß ich meinen Gegner nach zwei Minuten auf den Schultern hatte. Er tat mir auch nicht einmal leid. Im Gegenteil, ich war stolz auf mich. Und ich war stolz, daß ich gewonnen hatte, während Marcel mir zuguckte. Jetzt, wo ich das schreibe, wird mir klar, wie daneben das ist.
"Wenn du immer so ringst, dann fahren wir ja vielleicht zusammen nach Leipzig."
"Nach Leipzig?"
"Erzähle ich dir, wenn es so weit ist, ich muß jetzt erst mal auf die Matte."
Ich hatte noch genügend Adrenalin in mir, daß ich mutig wurde. Ich taperte zu Marcel auf die Tribüne.
"Na, wie sieht's aus? Meinst du, du schaffst es zu uns in die Mannschaft?"
"Ich weiß nicht. Außerdem habt ihr ja schon jemanden in der Gewichtsklasse, Kevin. Und der ist doch sehr gut."
"Ja, schon, aber..." Mir fiel irgendwie nichts ein. Ich saß da und mir fiel nichts ein, worüber ich mich mit Marcel unterhalten konnte. Es gibt nichts Schlimmeres als 10, 20, 30 Sekunden Schweigen, wenn man nicht weiß, was man sagen soll. Zum Glück kam Ina auf uns zu: "Nils hat gewonnen."
"Ja? Cool."
Na toll, ich hatte Nils' Kampf verpaßt. Ich ließ Ina und Marcel alleine. Sollten die sich doch beide amüsieren. Ich hatte mich schon genug blamiert.
Nils hatte sich irgendwie den Hals verdreht. Der Sanitäter ließ ihn die Finger bewegen und pieckste mit seinem Kugelschreiber auf jede einzelne Fingerspitze. "Alles ok", meinte er und packte Nils ein Coldpack in den Nacken.
"Was ist passiert?"
"Ich habe meinen Kopf nicht schnell genug rausbekommen und die Muskeln wahrscheinlich etwas überdehnt."
"Na super."
"Das wird schon wieder."
Jetzt habe ich einen lädierten Freund, der seinen Kopf nicht richtig drehen kann. Finde ich nicht besonders witzig.

Unsere Mannschaft hatte mal wieder gewonnen und entsprechend ausgelassen war die Rückfahrt. Sogar Nils mit seinem kaputten Hals grölte mit. Wir stiegen gemeinsam an unserer Kreuzung aus. Marcel saß zusammen mit Flo und Ina in der letzten Reihe des Busses. Sie schienen sich gut zu verstehen. Sehr gut. Sie winkten mir zum Abschied zu.
Es hatte geschneit. Bergbach lag unter einen Schneedecke, die alle Geräusche dämpfte.
"Alles klar mit deinem Hals?"
"Ja, das wird schon wieder, mach dir mal keine Sorgen."
Ich küßte ihn zum Abschied und dann stampfte ich durch den Schnee nach Hause. Es war eine total komische Stimmung. Der Schnee und das Licht ließen die gesamte Umgebung total unwirklich erscheinen. Mom und Dad zu Hause saßen vor dem Fernseher. "Na, wie war es?"
"Gewonnen, die Mannschaft und ich auch."
Mom schüttelte ungläubig den Kopf: "Dann scheint es ja wirklich dein Sport zu sein. Obwohl, ich ja eigentlich..."
Ich grinste, sie ist einfach unverbesserlich. Ich schaute zu Lisa ins Zimmer. Sie schlief friedlich. Ich taperte in mein Zimmer, warf mich aufs Bett. Schloß die Augen. Doch ich konnte nicht schlafen. Irgend etwas pochte ich meinem Kopf. Und es waren nicht die Kopfschmerzen von heute Morgen. Es waren Nils und Marcel. Verdammt noch mal, ich bin immer noch eifersüchtig. Warum denn? Verdammt noch mal wieso? Ich habe einen Freund. Wofür brauche ich diesen Marcel? Aber gleichzeitig denke ich: Wofür braucht denn dann Nils Marcel? Ich rufe Heiko an. Ich muß mit ihm reden. Er ist der Einzige, mit dem ich überhaupt darüber reden kann.

Doch ich kriege nur seine Mutter ans Telefon: "Nein, Heiko ist nicht da. Er ist gar nicht in Köln. Er ist an diesem Wochenende in Stuttgart."

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