Sonntag, 7. Dezember 1997

7. Dezember

"Na und, was ist denn schon dabei?"
"Was dabei ist? Du hast noch nie geraucht."
Nils stand vor der Halle und rauchte eine Zigarette.
"Wieso rauchst du überhaupt. Ich meine, seit wann, und wieso?"
"Meine Güte, Tim, nun mach doch nicht so einen Aufstand, wenn ich mal EINE Zigarette rauche."
Ich fand das total daneben. Aber auf der anderen Seite wollte ich mich auch nicht so sehr aufregen. Vielleicht sehe ich das ja wirklich so eng. Aber es ist schon reichlich strange. Aber wenn ich so einen Terz mache, stehe ich wieder als der Doofie da.
"Und, wo warst DU gestern Abend?" Nils zog an seiner Zigarette, was total affig aussah.
"Wie kommst du da drauf, daß ich weg war?"
"Weil ich dich kenne, kleiner Tim", er drehte sich zu mir, sein Atem roch nach Rauch. "Wenn du weggehen willst, gehst du weg. Egal, ob ich da bin, mitkomme oder nicht. Du machst eben was DU willst." Da war kein Vorwurf in seiner Stimme. Es klang einfach wie eine nicht veränderbare Tatsache.
"Ich war in der Alten Schmiede und hinterher noch in der Tofa."
Schweigen. Bestimmt fünf Minuten lang. Ich weiß auch nicht, warum ich nicht von mir heraus mehr erzählte. Ich weiß es nicht.
"Alleine?"
"Nein."
"Muß ich dir jetzt jeden Buchstaben einzeln aus der Nase ziehen?"
"Verdammt noch mal, warum warst DU nicht da gestern Abend. Ich wollte mit DIR weggehen. Ich wollte mit DIR zusammen sein."
"Also? Mit wem warst du weg? Warum machst du denn so ein Geheimnis da draus?"
"Es ist kein Geheimnis. Ich war mit Jonas da."
"Warum mit ihm?"
Diese Frage fand ich nun total überraschend. Es dauerte einen Augenblick, bevor ich antworten konnte.
"Warum nicht mit ihm? Ich meine, nur weil er schwul ist... Es ist nichts gewesen, echt nicht. Wir haben einfach nur gequatscht und ich habe wie bekloppt in der Tofa getanzt. Ich habe sogar noch Flo mit seinem neuen Mädel getroffen."
"Also hat Flo dich zusammen mit Jonas gesehen?"
"Ja doch, aber verdammt noch mal, das heißt doch noch lange nicht, daß nur weil ich mit einem Schwulen zusammen in der Tofa bin, jeder gleich von mir denkt, von UNS denkt, das ich, daß WIR beide schwul sind."
Nils schwieg, zündete sich noch eine Zigarette an.
"Nils verdammt noch mal. Hör doch endlich mal auf mit deinem Verfolgungswahn. Denkst du denn, ich mache mir keine Gedanken? Denkst du denn, ich würde das toll finden, wenn alle Leute um uns herum wissen, daß ich, daß WIR schwul sind? Aber ich kriege ja echt noch Paras, wenn ich jedes Wort, jedes Gespräch auf dreimal rumdrehe. Mit wem darf ich reden, mit wem nicht mehr. Von wem könnte man denken, wenn ich mich mit dem unterhalte, daß ich schwul bin?"
Ich merkte, wie die Kälte in mir aufstieg. Die Kälte und die Müdigkeit. Zu wenig Schlaf, der Wettkampf, zu viele Gedanken. Ich nahm ihn einfach in den Armen, drückte ihn an mich. Es war mir egal, wie sehr er nach Rauch stank, es war mir egal, ob jemand aus der Halle herauskommen könnte.
"Ich bin doch bei dir, ich bin immer bei dir und wir werden immer zusammen sein."
"Ich weiß", flüsterte er in mein Ohr, "und dafür liebe ich dich."
Er schob seine Hand unter mein Kapuzenshirt, kalte Finger auf meiner Brust. Es dauert eine Ewigkeit, bis sie warm sind. Von weitem sehe ich Scheinwerfer auf die Halle zukommen. Ich erkenne unseren BMW. Wir holen unsere Klamotten. Im Wagen ist es mollig warm.
"Und? Habt ihr heute mal wieder gewonnen?", will Dad wissen.
"Ja, haushoch und Tim hat sogar einen Schultersieg gemacht."
"Respekt." Ich bezweifele, daß Dad den Unterschied zwischen Schulter- und Punktsieg kennt, aber das ist auch egal. Die Schäbische Alb zieht am Fenster vorbei. "Tim hat gewonnen", murmelte Nils, ganz dicht an meinem Ohr. Das Autoradio summte leise vor sich hin. Ich spüre die Müdigkeit in mir aufsteigen. Mir fallen die Augen zu. Nils' drückt sein Knie gegen meines. Ich spüre seinen Atem an meinem Hals, seine Hand in meiner, versteckt und trotzdem da. Wir fahren und könnten so um die halbe Welt fahren.

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