Samstag, 20. Dezember 1997

20. Dezember

Irgendwie war das ein ziemlich blöder Tag. Nils und ich wollten ja heute Vormittag nach Stuttgart fahren, um unsere Weihnachtseinkäufe zu machen. Das haben wir auch gemacht. Ja, und Heiko wollte natürlich auch nach Stuttgart. Und so kam es, daß wir alle zusammen gefahren sind. Nils und ich hatten uns auf dem Bahnhof verabredet und als er sah, daß ich mit Heiko im Schlepptau ankam, sah ich ganz genau, was er dachte.
Mehr als ein "Hi" brachten wir alle Drei nicht raus. Es war eine absolute Scheiß-Situation. Die ganze Bahnfahrt nach Stuttgart redeten wir alle kein Wort, nicht mal Heiko sagte was. Ich glaube, ich habe mich noch nie so unwohl gefühlt. Ankunft in Stuttgart, endlich.
"Bis heute Abend irgendwann bei dir." Heiko verschwand im Gewühl.
"Das mußte ja nun nicht sein, daß er mitkommt."
"Was sollte ich denn machen? Ich habe doch gesagt, daß er hier was vorhat. Hätte ich ihm sagen sollen, fahr mit dem Bus, oder per Anhalter, oder einen Zug später?"
"Ich mag ihn nicht."
"Ja, ich weiß. Dann wärst du gestern wahrscheinlich sowieso nicht mitgekommen. Wir waren noch im Havanna."
"Nein, ganz bestimmt nicht. Es ist ok, wenn ihr was zusammen macht, wen er hier ist. Nur ich muß ja nicht unbedingt dabei sein. Da chille ich lieber."
"Wo hast du denn gestern gechilled?"
"Na, zu Hause."
"Du warst gestern abend nicht zu Hause. Ich habe angerufen."
"Ach so, du meinst später am Abend? Da war ich bei Kevin, Bier trinken, quatschen, wir haben ein paar Videogames gespielt."

Ich hatte schlechte Laune. Die schweigende Zugfahrt hatte mich doch ziemlich mitgenommen. Ich wollte die ganze Einkaufsarie so schnell wie möglich hinter mich bringen und düste von Laden zu Laden, während sich Nils endlos ausmehrte. Irgendwann hatten wir richtig Zoff und schrien uns mitten in der Fußgängerzone an. Das ging so fünf Minuten bis wir plötzlich aufhörten. Einfach nur so. Gleichzeitig, von einer Sekunde auf die andere wurde uns beiden klar, wie bekloppt das ist, was wir da gerade abziehen. Wir einigten uns darauf, daß jeder für sich shoppen geht und daß wir uns in zwei Stunden im Café treffen. Ich war irgendwie erleichtert, schaffte meine Tour in einer Stunde, zum Glück war auch das Ringerbuch für Nils schon da. Am Schloßplatz holte ich mir erstmal einen Glühwein, stand da, schaute auf die vorbeihuschenden Leute und schüttelte innerlich den Kopf. Ein Wahnsinn das alles, dachte ich. Und damit meinte ich nicht so sehr den Weihnachtsstreß, sondern die Sache mit Heiko, Nils und mir. Was mache ich eigentlich? Was mache ich mit Nils? Was tue ich Nils an? Was tue ich Heiko an? Nein, falsch! Absolut daneben! Ich tue Heiko nichts an. Niemand kann Heiko was antun, Heiko tut anderen was an. Ich versuchte wieder einmal, Ordnung in meine Gedanken zu bringen, als mich jemand von hinten antippte: "Unsere kleine, treulose Jungschwuppe."
Robert, der hatte mir gerade noch gefehlt.
"Fleißig am Weihnachtseinkäufe machen?" Blöde Frage. Denkt er, ich habe die Einkaufstüten einfach nur als Dekoration dabei?
"Ja. Ist ja zum Glück nur einmal im Jahr."
"Und schon was erreicht mit Zivildienst?"
"Ja, nein, na auf jeden Fall weiß ich jetzt mehr Bescheid."
Mir war nach einem zweiten Glühwein. Ich verbrannte mir die Lippe.
"Warum bist du so komisch?"
"Bin ich komisch? Ich bin nicht komisch. Ich bin nicht mal witzig."
"Ok, nicht komisch, seltsam. So fahrig, durch den Wind. Der wievielte Glühwein ist das denn?"
"Der zweite. Ich bin nicht besoffen. Der ganze Trubel hier nervt nur tierisch ab."
"Wollen wir uns irgendwo in ein Café setzen? Ins Dorian?"
"Da treffe ich mich mit Nils in einer Stunde."
"Ja und?"
Nein, nicht jetzt auch noch Robert und Nils. "Bitte, echt, ich will einfach alleine sein, mit Nils alleine sein. Ok? Ich rufe dich an." Ich schüttete den Rest des Glühweins in mich hinein. Jetzt hatte ich mir auch noch den Magen verbrannt. Ich bin ein Arsch. Robert konnte nun wirklich nichts dafür und es tat mir auch echt leid, wie ich ihn behandelt habe. So ein Scheiß. Ich nehme mir vor, daß ich ihn in den nächsten Tagen anrufe und ihm alles erzähle.

Endlich raus aus dem Trubel. Der Glühwein zeigt doch seine Wirkung. Mir ist warm, ich werde angenehm müde und etwas trieselig. Beschließe, daß jetzt ein warmer Kakao genau das ist, was in meine Stimmung paßt. Und ich muß irgendwie dann tatsächlich weggenickt sein. Ich wache auf, als mich Nils sanft auf die Stirn küßte: "Scheint ja doch eine anstrengende Einkaufstour gewesen zu sein, wenn du jetzt hier schon einpennst. Oder war die Nacht so heftig?" Kein Ärger, kein Maulen, ich blicke in Nils' strahlende, fröhliche Augen. Das ist wieder mein Nils, so wie ich ihn kenne. Wir lachen, blödeln. Es ist alles wieder so, wie es sein muß. Auf der Rückfahrt penne ich wieder ein, irgendwie war die letzte Nacht dann doch zu kurz.
"Was machen wir denn heute Abend? Willst du vielleicht doch noch weiterpennen?", fragte er, als wir aus dem Zug stiegen.
"Eigentlich nicht, irgendwie bin ich jetzt wieder ganz munter."
"Was ist mit Heiko?"
"Ich weiß nicht, er meint, er wird so gegen acht wieder hier eintrudeln."
"Wie ist es denn mit Tofa heute Abend? Vielleicht will Heiko ja mitkommen."
Ich guckte ihn an. Was hatte er gerade gesagt? Plötzlich war er wie ausgewechselt. Nils schlägt vor, daß wir drei zusammen in die Tofa gehen? Was soll das denn? Ich überlegte. Irgendwie schien mir die Idee aber gar nicht so blöd zu sein. In der Tofa muß man nicht viel reden, man kann einfach Party machen. Aber ich wundere mich, daß Nils von einer Stunde auf die andere wie ausgewechselt ist. Wieso macht ihm das jetzt auf einmal nichts mehr aus, mit Heiko zusammen wegzugehen? Manche Sachen verstehe ich echt nicht.

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