Sonntag, 23. November 1997

"Ich dachte, du bist besser."
"Ach ja? Na toll, fang du auch noch damit an."
"Was ist denn los mit dir?"
"Nichts. Wieso?"
"Du bist so empfindlich. Ich meine doch nur, daß ich dich schon mal besser ringen gesehen habe."
"Ja, mag ja sein."
"Was ist denn los? Krank? Verletzt?" Benji war aber auch so was von neugierig. Natürlich hatte ich verloren, nach einer halben Minute lag ich auf dem Rücken. Keine Chance gegen ihn. Und hinterher mußte ich mir dann noch dieses Verhör gefallen lassen.
"Na, vielleicht hast du ja nur ein kleines Formtief. Willst du ein paar Extra-Trainingsstunden?"
"Nee, laß mal. Ich glaub', das bringt im Moment nichts."
Ich schielte rüber zu Nils, der gerade auf der Matte war. Es sah ziemlich easy aus, was er da so machte. Zum Glück kam jemand von Benjis Freunden an und ich war erlöst. Mein Kopf war wieder ganz woanders. Ich komme mir in letzter Zeit immer mehr vor, als wenn ich einen Film sehe. Irgendwie sehe ich von außen einen Film, alles passiert um mich rum und ich bin gar nicht dabei. Ich bin nur ein Beobachter. Und trotzdem ist es ein Film, wo ich die Hauptrolle spiele. Die ganze Welt um mich rum ist irgendwie nicht meine Welt. Alles dreht sich nur um Sachen, die mich nicht interessieren. Darum, wer mit welchem Mädel geht, wer mit welchem Mädel geschlafen hat, wie man sie am besten rumkriegt. Und ich, ich stehe irgendwie mit Nils ganz weit draußen. Wir gehören nicht dazu. Wir gehören nicht zu dieser Welt. Was natürlich bekloppt ist. Aber es ist schon irgendwie so.
Nils kommt von seinem Kampf von der Matte. Er hat haushoch gewonnen.
"Jetzt ist Schluß mit der Schlamperei", meinte er, noch ehe er sich seinen Kapuzenpulli übergezogen hatte. "Ab nächster Woche gibt es wieder Sondertraining."
"Ach ja? Na wenn du meinst."
Ich denke mal, daß Benji in seinem Verein so was ist wie Nils bei uns. Deshalb sagte ich lieber gar nichts. Was soll das auch? Wenigstens gab es unser tolles großes Pizza-Essen hinterher und ich habe mir mal wieder richtig den Bauch vollgeschlagen. Dabei ging es mir nach dem ganzen Bier von der Tofa-Session gar nicht so schlecht wie ich eigentlich gedacht hatte.

Nils hat wieder bei mir gepennt. Ich weiß gar nicht, was Mom und Dad denken. Naja, sie werden denken, daß wir irgendwelche bekloppten Videos sehen, Bier trinken und fertig. Glaube ich jedenfalls. Es ist schön, wenn er da ist. Obwohl wir diesmal nicht miteinander geschlafen haben. Irgendwie trauen wir uns das nicht, wenn noch jemand im Haus ist. Aber ist einfach auch nur schön, ihn neben mir im Arm zu haben. Seinen Atem, einfach nur ihn zu spüren.
"Nächste Woche", murmelte er beim Einschlafen, "nächste Woche geht es wieder los mit Sondertraining."
"Ja", flüsterte ich in sein Ohr, "nächste Woche."

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