Mittwoch, 13. August 1997

13. August

"T'as une amie?"
"Non."
"Toi?" Jean drehte sich zu Nils.
"Non."
"Non? Pourquoi pas?"
Nils und ich guckten uns an. Was sollten wir einem 16jährigen korsischen Typen sagen? Daß wir schwul sind, daß wir keine Freundinnen brauchen? Wie sollte ich das mit meinem Französisch erklären?
Ich zuckte einfach mit den Schultern.
"Ici, 'y a b'coup d'filles, chicas, tu comprends?"
Jean sprach ein entsetzliches Französisch, ich glaube, bei uns würde man prollig dazu sagen. Wir hatten echt Probleme, mehr als ein, zwei Worte pro Satz zu verstehen. Aber das war wahrscheinlich auch kein Verlust, vermutlich sagte er auch nicht mehr.
Wir waren wieder nach Bastia getrampt und lagen auf den Felsen unterhalb der Zitadelle. Ein paar Einheimische waren auch da und es war eigentlich ganz witzig, jedenfalls, so weit wir sie verstanden haben. Nils und ich grinsten uns an und fragten uns, ob wir Jean niedlich finden, und was wir mit ihm anstellen würden, wenn er mit uns mitkommen würde. Zum Glück verstand er nicht, worüber wir redeten. 
"T'as dit quoi?"
"Pas de chose importante. Just kidding."
Unsere Mischung aus Englisch und Französisch war berüchtigt, weil die Franzosen kein Englisch konnten. Jedenfalls nicht das Englisch, was wir redeten. Was schon sehr seltsam war.
Es ist wirklich eine spannende Location. Es sind nur Einheimische da und man kann super gut ins Meer springen. Aber nicht so wie die Einheimischen. Die trauen sich wirklich, vom oberen Rand der Felsen, oder noch irrer, vom Wall, runter ins Meer zu springen. Nils wollte es auch versuchen, aber er hat es dann doch zum Glück gelassen, als er gesehen hat, wie hoch das ist. Ich weiß nicht, ob ich Jean und die anderen Jungs darum beneiden soll, daß sie so cool sind und sich das trauen. Aber wahrscheinlich haben sie ihr ganzes Leben bisher auch nichts anderes gemacht, als nur da runter zu springen.

"Kannst du dir vorstellen, daß wir beide es mal zusammen mit einem anderen Typen machen?"
"Du meinst einen Dreier?"
Wir waren auf dem Rückweg. Und als Nils mit dem Thema anfing, betete ich, daß der LKW-Fahrer, der uns zur Kreuzung der Nationalstraße mitnahm, kein Deutsch verstand.
"Ich weiß nicht, wie kommst du denn da drauf?"
"Findest du Jean niedlich?"
"Ja niedlich schon, aber mehr auch nicht."
"Nein, sei doch mal ehrlich. Was wäre wenn er jetzt mitgekommen wäre und er Lust hätte, was mit uns anzustellen?"
"Was soll denn diese Frage?" Ich schaute ihn verwundert an. Was war denn plötzlich mit ihm los?
"Also?"
Der LKW bremste: "Nous voilà!"
"Also?" Nils war wieder mal unerbittlich.
"Ich weiß es nicht. Ich weiß es echt nicht. Vielleicht würde ich gucken, was du dazu sagst."
"Oh?" Nils schaute mich verwundert an.
"Was WÜRDEST DU denn dazu sagen?" Ich nutzte Nils' Verwirrung für meine Gegenfrage.
"In dem konkreten Fall Jean?"
"Ja."
"Ich würde sagen, laß es uns einfach mal ausprobieren."
Ich blieb stehen. Ich war baff. Nils, mein Nils sagte so etwas. Ich war nicht verärgert, nicht enttäuscht. Nur einfach verwundert. Ich habe noch nie über so eine Sache nachgedacht. Immer wenn ich daran gedacht habe, Sex mit jemandem zu haben, dann allein mit dieser Person. Und jetzt sagt Nils so etwas. Nils!!!
"Habe ich dich jetzt verwirrt?" fragte er.
"Verwirrt ist gar nichts. Ich bin total überrascht."
Nils grinste. Mir kamen die Jungs in den Kopf, die, mit denen ich bisher was gehabt habe. Vor allem Heiko und Maik. Die, mit denen ich Nils betrogen habe. Ich glaube, wenn ich mit einem anderen Jungen rummachen würde, während Nils dabei ist, würde ich immer das Gefühl haben, ihn zu betrügen.
"Test bestanden!"
"Wie?"
"Ich wollte mal sehen, wie du reagierst."
"Wie? Wie ich reagiere?"
"Ob du dir das vorstellen kannst."
"Willst du etwa sagen, daß du mich verarscht hast?" Ich ging scherzhaft drohend auf ihn zu.
"Naja, sagen wir mal so, ich hab es nicht ernst gemeint."
"Du Arsch!", rief ich und jagte ihn lachend die gesamte Strecke bis zum Feriendorf, bis zu unserem Bungalow. Er konnte nicht rein, weil ich den Schlüssel hatte.
An der Tür nagelte ich ihn fest und bedeckte ihn mit Küssen: "Du verrücktes kleines Miststück."
"Du glaubst doch nicht wirklich, daß ich dich mit jemandem teilen will?", japste er.

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