Samstag, 21. Juni 1997

"Was machst DU denn hier?" Nils starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an.
"Das gleiche könnte ich dich fragen!"
"Fängst du jetzt an, mir nachzuspionieren?"
"Fängst DU jetzt an, mich anzulügen?"
Es war eine total abartige Situation. Wir beide standen am Rande der Tanzfläche und brüllten uns an. Ich weiß nicht, ob es die Wut in mir war oder einfach die Lautstärke der Musik.
"Ich lüge dich nicht an. Verdammt noch mal, reg' dich ab."
Ich zog ihn raus und seltsamerweise ließ er es ohne Widerstand geschehen. Es hatte begonnen zu nieseln.
"Kannst du mir mal bitte sagen, was das soll?" fragte ich. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, doch meine Stimme zitterte.
"Was soll was?"
"Du weißt ganz genau, was ich meine." Der Türsteher schaute uns schief an, aber das war mir egal. "Du sagst mir, daß du heute in Familie machen mußt und dann gehst du heimlich weg."
"Ich gehe nicht heimlich weg. Aber ich gehe weg, wenn es mir paßt. Und ich gehe auch alleine weg, wenn es mir paßt. Ganz genau wie du."
Ich stand da, sprachlos. Was sollte ich sagen? Alles kam mir in diesem Augenblick so seltsam und unwirklich vor. Was ist denn los? Noch gestern haben wir einen wunderschönen Abend miteinander verbracht und plötzlich stehe ich im Regen vor der Tofa, mache Nils eine Szene und der ist auf einmal meilenweit weg.
"Nils bitte...", ich legte meine Hand auf seine Schulter.
"Faß mich nicht hier nicht so an!" fauchte er. "Sollen hier etwa alle mitkriegen, daß du schwul bist?"
"Daß ICH schwul bin?" ich mußte mich so zusammenreissen, nicht laut zu schreien, "daß WIR schwul sind! Hast du da was vergessen?"

In dem Augenblick tauchte ein Mädel auf, das ich nicht kannte und das sich wie selbstverständlich an Nils' Hals hängte. Mir wurde schwindelig, schwarz vor Augen. "Ach hier draußen bist du", flötete sie. Nur noch für einen Augenblick sah ich Nils' Augen, dann dreht ich mich um und rannte los. Ich glaube, wenn ich nur eine Sekunde länger gewartet hätte, dann hätte ich ihm in die Fresse geschlagen. Dieses verdammte Schwein! Dieses Arschloch! Er betrügt mich mit irgendeinem dahergelaufenen Mädchen! Das kann doch nicht wahr sein! Ich bin gelaufen, gerannt. Die ganze Strecke von der Tofa zurück bis nach Bergbach rein. Jeder Schritt hämmerte in meinem Kopf: 'Nils, Nils, ich liebe dich, warum tust du mir das an?' Meine Lungen brannten, ich lief weiter, ich knickte mit dem Fuß um, ich rannte weiter. Der Regen peitschte in mein Gesicht. Ich fühlte nichts mehr. Was hatte ich gemacht? Was hatte ich gesagt? Wieso war er von einem auf den anderen Tag wie ausgewechselt? Warum ist das kein böser Traum, aus dem ich einfach nur aufzuwachen brauche? Ich komme am Jet vorbei, erstehe eine Flasche Korn und laufe weiter, laufe vorbei an unserer Kreuzung und schreie, schreie meine Wut heraus, meine Schmerzen, meinen Haß. Doch niemand hört mich. Den Hügel hoch. Zu Hause angekommen schließe ich mich in mein Zimmer ein. Was ist passiert? Was ist los? Alles ist aus! Ich versuche, alles aufzuschreiben. Ich kann nicht mehr. Ich mache den Korn auf und fange an, ihn auszutrinken. Ich will nicht mehr! Ich will nicht mehr weiterleben!

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