Mittwoch, 28. Mai 1997

28. Mai

"Hey Tim, cool, daß du anrufst." Heikos Stimme klang fröhlich. Mit seinem leichten kölnischen Akzent wirkte er immer ein wenig so, als würde er eine Karnevalsrede halten. "Wie geht's dir?"
"Beschissen und das ist auch der Grund warum ich dich anrufe."
Schweigen, dann ganz und gar nicht mehr fröhlich: "Was ist los?"
"Heiko, ich habe mich verknallt, ja ich habe mich ganz und gar, total verknallt. Und zwar in dich!" Ich hörte, wie er am anderen Ende etwas sagen wollte, aber ich kam ihm zuvor: "Erzähle mir nicht, daß das Wahnsinn ist. Das weiß ich selber. Ich bin nicht blöd, ich weiß sehr genau, daß du einen Freund hast, daß du ewig weit weg wohnst, daß es nie etwas wird mit uns. Aber ich halte es einfach nicht mehr aus, damit rumzulaufen, ohne es dir wenigstens gesagt zu haben."
Schweigen, dann: "Und jetzt?"
Ich wurde seltsamerweise wütend. Konnte er mir nicht wenigstens ein bißchen entgegenkommen? "Jetzt Heiko, sage mir, daß du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Ich will bloß nicht diesen bekloppten Satz hören 'Laß uns doch einfach gute Freunde bleiben', weil genau das kann ich nicht gebrauchen, daran bin ich in den letzten Wochen fast irre geworden. Heiko, es wird am besten sein, wenn wir uns nicht mehr sehen, nicht mehr telefonieren uns nicht mehr schreiben."
"Hast du eigentlich nichts gemerkt? Hast du ÜBERHAUPT NICHTS mitbekommen?"
Ich war verwirrt: "Was mitbekommen?"
"Du hast recht Tim, ich liebe dich nicht. Aber du bist trotzdem viel mehr für mich, als nur einfach so ein guter Freund und Kumpel. Ich weiß nicht WAS es ist. Aber du bedeutest mir sehr viel. Und ich will nicht, daß es so endet. Ich will dich nicht verlieren, auch wenn es wahrscheinlich nie etwas mit uns wird."
In meinem Kopf drehte sich alles. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser Situation.
"Heiko, ich gehe kaputt dabei."
"Du wirst nicht kaputt gehen. Weil du erstens selber genau weißt, daß es mit uns nicht klappen kann. Das hast du selbst vorhin gesagt. Aber du weißt jetzt auch, daß du mir eben nicht völlig egal bist. Und ich weiß jetzt, was du denkst und fühlst. Du brauchst nicht mehr Theater zu spielen."
Was war auf einmal mit ihm los? Warum erschien er mir auf einmal so altklug und weise. Ich hörte seine Worte und wurde auf einmal spürte ich, wie meine alte Stärke wiederkam. Er hatte recht. Auf eine merkwürdige Weise fühlte ich mich frei. Frei, daß er jetzt Bescheid wußte. Auch wenn ich verwundert war, daß er so total anders reagiert hatte, als ich es angenommen habe.
"Bist du noch dran, Tim?"
"Ja."
"Denkst du denn, ich habe es nicht gemerkt? Spätestens als du in Köln warst, habe ich es mitbekommen."
"Und warum hast du nichts gesagt? Warum hast du mich so zappeln lassen?"
"Was hätte ich denn sagen sollen? Daß ich glaube, daß du in mich verknallt bist?"
"Vielleicht ja. Das hätte vieles leichter gemacht."
"Leichter? Oh ja, für dich vielleicht."
Ich schwieg wieder. Er hatte ja so recht.
Heiko fuhr fort: "Und ich garantiere dir, wenn du dich nicht in den nächsten Wochen bei mir meldest, werde ich bei dir anrufen. Ich lasse dich nicht einfach so davonkommen. Ich mache es dir nicht so leicht, wie du es gerne hättest. Kein Heiko mehr? Das hast du dir vielleicht so gedacht. Da mußt du durch, und ich wahrscheinlich auch."
"Warum machst du das?"
"Weil ich es hasse, wenn man vor Dingen so einfach wegläuft."
"Ich laufe nicht weg. Ich ziehe nur einen Schlußstrich."
"Oh, toll, du bist ja so ein cooler Typ. Einen Schlußstrich willst du ziehen? Das ist doch so was von bekloppt mein Lieber. Du läufst davon. Du rennst weg. Vor deinen Gefühlen, vor den Gefühlen von anderen. Rennst du eigentlich auch weg, wenn dir ein Gegner auf der Matte gegenübersteht?"
"Was soll das denn jetzt?"
"Du weißt ganz genau, was ich sagen will."
Warum habe ich ihm das nicht alles gesagt, als er mir gegenüber saß in Köln? Nun hing ich am Telefon und hatte nichts als seine Stimme, ich konnte nichts sehen, seine Augen nicht, sein Gesicht nicht. Ich versuchte wieder die Initiative zu ergreifen: "Ok, ich denke, ich habe gesagt, was Sache ist. Du weißt jetzt Bescheid und wenn du damit umgehen kannst ist es in Ordnung. Ich konnte das Ganze nur nicht mehr mit mir herumtragen."
"Bist du in Leipzig dabei?"
"Fängst du jetzt auch schon damit an? Das weiß ich doch jetzt noch nicht."
"Ich würde mich freuen. Auch wenn wir da vielleicht gegeneinander antreten."
"Nicht, wenn wir in einer anderen Gewichtsklasse sind."
"Ich kenne dich zwar noch nicht sehr lange. Aber so gut kenne ich dich dann doch, daß du garantiert nicht in einer anderen Klasse sein wirst."

Es ist merkwürdig. Nils, Heiko, alle gehen davon aus, daß dieser Wettkampf in Lepizig so eine große Bedeutung für mich hat. Ok, ich gebe zu, in meinem Kopf geistert es tatsächlich noch rum, daß ich gegen Heiko gewinne. Ich weiß nicht wieso. Doch, ich weiß es. Es ist tatsächlich so, daß ich ihn beeindrucken will damit. Absolut bekloppt, ich weiß. Aber es ist so ein komischer Ehrgeiz da, daß das vielleicht noch so ein Stück Anerkennung ist, die ich von ihm bekommen kann. So ein Schwachsinn. Es gibt genügend andere Gegner, gegen die ich gewinnen müßte...aber nein, es muß Heiko sein.
"Ok, ich werde nach Leipzig gehen, wenn ich in den Kader von unserem Verein komme. Und vielleicht landen wir ja bei der Auslosung tatsächlich auf der gleichen Matte. Aber frage mich nicht, wie es mir dann geht. Ob ich gewinnen will oder nicht."
"Du wirst gewinnen wollen und ich werde auch gewinnen wollen. Also bereite dich schon mal gut vor."
Ich mußte lachen. Was war das für ein seltsames Telefongespräch? Ich hatte Heiko erzählt, daß ich in in verknallt bin, und er hatte nicht den Hörer aufgeknallt, er hatte nicht gesagt, daß er das völlig daneben findet. Ok, er hat auch nicht gesagt, daß es ihm genauso geht. Der Abschied war merkwürdig. Es war eigentlich gar kein richtiger Abschied. Einfach so kamen wir bei zu dem Ergebnis, ja, jetzt wäre so alles gesagt, was man für heute sagen könnte und wir sagten Tschüß und das war es.

Und mir geht es erstaunlich gut. Nicht, daß ich jubelnd in der Gegend herumspringen würde. Aber dieser Druck ist weg, tatsächlich so, als wäre mir ein Stein vom Herzen gefallen. Er weiß es endlich und ich bin seltsam erleichtert.

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