Samstag, 17. Mai 1997

17. Mai

"Hast du von Tobias gehört?"
Es war halb acht Uhr morgens und Doris klang total aufgeregt. Es dauerte einen Augenblick bis ich halbwegs klar denken konnte: "Nein, was ist denn mit ihm?"
"Er ist in der Klinik in Stuttgart."
"Und wieso?"
"Ich weiß es nicht. Meine Mutter hat gestern zufällig seine Mutter am Bahnhof getroffen und sie haben nur ganz kurz miteinander geredet."
"Ja und was HAT er nun?"
"Ich weiß es nicht. Ich dachte du wüßtest etwas. Schließlich seid ihr ja befreundet oder ward es mal."
"Ich weiß es nicht. Ich versuche es aber mal rauszubekommen."
Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Tobias. Tobi, in den ich doch mal so verknallt war. Was ist mit ihm? So ein Mist. Ich war wirklich so total mit meinen Sachen beschäftigt, daß ich mich schon gar nicht mehr daran erinnern kann, wann ich das letzte Mal länger mit ihm geredet hätte. Ich versuchte, bei ihm zu Hause anzurufen, aber es ging niemand ans Telefon. Ich taperte runter zum Frühstück und fragte Mom und Dad, was man machen könnte, um rauszukriegen, in welchem Krankenhaus er denn ist.
"Also, wenn er in Stuttgart ist, dann muß es ja wohl was Ernstes sein. Also nichts mit Marienhospital oder so. Versuche doch mal in der Uniklinik anzurufen."
Ich hing eine halbe Ewigkeit in der Warteschleife, dann landete ich endlich irgendwo in der Telefonzentrale. "Zimmer zwölf, auf der Onkologie." Er hatte kein Telefon dort. Ich legte auf. Schlug nach, was Onkologie heißt und bekam einen riesigen Schreck. Das ist tatsächlich irgendwas mit Krebs. Ich dachte ja wirklich zuerst, daß er vielleicht irgendwas mit dem Blinddarm hat, oder vom Rad gefallen wäre oder so was. Ich versuchte noch mal seine Mutter anzurufen, aber es ging immer noch niemand an's Telefon.
"Er liegt auf der Krebsstation", sagte ich
Mom und Dad schauten mich ernst an: "Weißt du, was er hat?"
"Nein, er hat da kein Telefon und seine Mutter meldet sich auch nicht."
Es war ein stiller Vormittag. Irgendwann rief ich Nils an und erzählte ihm, was ich erfahren hatte. Ich hörte, wie er am anderen Ende der Leitung schluckte. Dann rief ich Doris an. Wir verabredeten uns, daß wir morgen nach Stuttgart fahren und versuchen wollen, ihn zu besuchen. Dad hat sich angeboten, uns hinzufahren und ich glaube, daß werde ich auch machen.

Nils kam vor dem Turnier vorbei und wollte mich abholen. Ich sagte ihm, daß ich nicht in der Stimmung bin, um zuzuschauen. Er nickte. Ich saß den ganzen Nachmittag in meinem Zimmer, guckte aus dem Fenster und dachte darüber nach, wann ich wirklich das letzte Mal längere Zeit mit Tobias geredet hatte. Ich habe mein altes Tagebuch vorgekramt. Oh Gott, was war ich damals in ihn verknallt, verliebt, was weiß ich. Und jetzt? Ich merke, wie ich durch den Wind bin, seit ich weiß, daß er Krebs hat. Aber was hat er genau? Etwas Bösärtiges oder was, was man operieren kann?

Telefon! Nils ist dran. Er fragt, ob er vorbeikommen kann. Ich freue mich darauf, ihn zu sehen. Einfach darüber, daß er vorbeikommt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen