Samstag, 19. April 1997

19. April

"Ich bin in einer schwulen Jugendgruppe in Köln."
Ich muß wohl wie ein Fisch mit offenem Mund dagestanden haben, denn Heiko fragte, ob ich ihn verstanden hätte. Ich nickte nur noch. Das war nicht fair. Das war absolut nicht fair. Da stand dieser Typ, dieser absolut süße und niedliche Typ und erzählte mir, daß er in einer schwulen Jugendgruppe wäre. Einfach so, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Ich konnte das nicht glauben! Mein Hals wurde trocken, ich konnte nichts sagen.
"Hast du etwa was gegen Schwule?" fragte er.
"Nein", brachte ich gerade noch hervor. Mehr schaffte ich nicht. Kein "Ich bin auch schwul", kein "Und das hier ist mein Freund."
"Na, ich geh mal ein paar Frikadellen holen", sagte er und zottelte von dannen. In meinem Kopf drehte sich alles und das lag nun wirklich nicht am Bier. Wettkampffrei. Eine kleine Party im Vereinsheim. Fleischer Schipple hatte Frikadellen und Würstchen spendiert. Das Bier tauchte wie immer auf wundersame Weise auf. Schließlich kam Heiko zurück. Wir redeten, wir redeten und redeten. Ich bekomme gar nicht mehr zusammen, worüber wir alles geredet haben. Ab und zu warf ich einen Blick zu Nils. Der zwinkerte mir zu und unterhielt sich weiter mit allen möglichen Leuten. Jedenfalls war er nicht eifersüchtig. Und ich quatschte mit Heiko. Zwischendurch trafen sich unsere Blicke und wir schauten uns direkt in die Augen.
"Ziemlich warm und verraucht hier", sagte er nach einer Weile, "ich verstehe gar nicht, wie Sportler zu viel qualmen können. Laß uns doch ein bißchen raus gehen."
Ich nickte. Draußen war es angenehm. Ich sog die frische Luft in meine Lungen. Ich versuchte einen Moment lang, das, was passieren würde aus meinem Kopf zu verscheuchen. Nein, in dem Augenblick, als wir uns in die Augen gesehen hatten und rausgingen war alles eigentlich schon klar. Es war wie ein Film, von dem man schon vorher genau weiß, wie er weitergeht. Und ich konnte nichts dagegen machen, es passierte einfach. Ich spürte seinen Arm um meiner Hüfte, mekrte, wie er mich zu sich zog, spürte seinen Körper, wie er sich an meinen drückte. "Na, ist es das, was du willst?"
Verdammt, normalerweise wäre ich bei einem solchen Satz im Viereck gesprungen, aber beim ihm, bei Heiko, schmolz ich nur dahin. Ich spürte seinen Schwanz und ich merkte, wie seine Hand in meiner Hose verschwand. Es ging schnell, so schnell, daß ich gar nicht mehr zusammenbekomme, was eigentlich im Einzelnen passiert ist. Ich weiß nur noch, daß er jedesmal, wenn ich ihn küssen wollte er den Kopf weggedreht hat. Und dann explodierte ich. Es war einfach geil. Total außer Atem hing ich in seinen Armen. Heiko lächelte mich an: "Alles ok?"
Ich brachte nur ein Nicken hervor.
"Na dann", sagte er grinsend und ging wieder in Richtung Vereinsheim.
Es dauerte eine Weile bis ich mich berappelt hatte. Was war passiert? Was hatten wir gemacht? Was hatte ICH gemacht? Verdammt noch mal, was ist los mit mir? Mein Kopf ist total in Unordnung. Ich bin immer noch total aufgedreht, könnte wahrscheinlich stundenlang durch die Gegend rennen und wäre immer noch munter. Ich schwebe. Das ist es. Ich schwebe auf einer seltsamen Wolke. Als ich wieder reinkam saß Heiko mit den anderen Jungs aus Köln zusammen. Er zwinkerte mir zu. Ich hatte Mühe, mich zusammenzureissen. Ich guckte mich um, entdeckte Nils und setzte mich zu ihm.
"Was ist denn mit dir los?" fragte er.
"Wieso?"
"Du strahlst ja so."
"Echt? Das liegt bestimmt am Bier." Ich kam mir so schäbig vor. Aber was um alles in der Welt sollte ich denn machen?
"Wollen wir ein bißchen ruasgehen? Hier drinnen krieg ich echt noch zu viel. Fehlt eigentlich nur noch Max, der rumkifft."
Ich nickte und plötzlich stand ich schon wieder draußen.
"Laß uns ein bißchen laufen, ok?" Ich wollte um alles in der Welt, daß wir jetzt nicht auch noch anfingen hier rumzumachen. Wir gingen in Richtung Römerpark. Irgendwann, ganz automatisch griff ich nach seiner Hand. Ich drückte sie, drückte sie. Warm und weich. Ich drückte sie ganz fest. Er ließ los, drehte sich zu mir und legte seine Arme um meine Hüften: "Hey, was ist los mit dir?"
Ich schaute ihn an, blickte in seine Augen. Diese Augen, die immer noch dieses Feuer versprühten, in die ich früher so oft eingetaucht war. Es waren die gleichen Augen, der gleiche Blick. Nur ich, ich konnte nicht mehr eintauchen. Plötzlich hatte ich Tränen in den Augen. Ich weiß nicht mehr wieso. War es, weil ich mich schämte? War es, weil ich wirklich so total woanders war? Ich drückte ihn ganz fest an mich. Ich wollte es ihm sagen, in dieser Sekunde wollte ich es ihm sagen. Ich wollte ihn nicht noch einmal belügen oder was verschwiegen, wie damals das mit Maik. Er strich mir über den Kopf. Wie einem kleinen Kind und auf einmal konnte ich nichts mehr sagen. Ich war wie ein kleines Kind. Ich ließ mich von ihm festhalten während mir die Tränen über das Gesicht liefen. Was ist das, was ist das um alles in der Welt nur für eine Sache, die hier im Moment abgeht?
"Ich bin bei dir", flüsterte er ganz sanft in mein Ohr. "Ich bin immer bei dir, hörst du?"
Ich nickte. Was sollte ich tun. Ich konnte ihn nicht so vor den Kopf stoßen und es ihm sagen. Ich konnte es nicht. Verdammt, ich bin so feige!

Wir gingen in Richtung nach Hause. Arm in Arm. Plötzlich war uns alles egal. Ob uns jemand sah. Es sah uns niemand. Zum Abschied sah mir Nils lange in die Augen. "Ich weiß nicht, was mit dir ist", sagte er und seine Stimme klang total sanft, "aber ich möchte daß du weißt, daß ich da bin."
Statt einer Antwort drückte ich ihn ganz fest.

Jetzt sitze ich hier und in meinem Kopf ist eine riesige Unordnung. Meine Gedanken kreisen die ganze Zeit nur noch um Heiko. Was ist denn das, was mich an ihm so fesselt? Wenn ich ganz ehrlich bin, war der Sex geil aber ich habe mit Nils schon viel geileren Sex gehabt. Ok, er sieht niedlich aus, wirklich total süß. Aber das tut Nils doch auch. Wir haben uns lange unterhalten, zusammen gelacht, uns total gut verstanden. Aber verdammt, das ist doch alles das, was ich auch mit Nils habe. Was ist es denn dann? Ich weiß es nicht.  

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