Samstag, 7. Dezember 1996

7. Dezember

"Du machst dich langsam."
Ich saß ihn der Kabine und war fertig. Mein Knie tat höllisch weh, aber ich hatte gewonnen. Ich weiß gar nicht mehr, ob es daran lag, daß ich so gut war oder ob mein Gegner nur einfach so schlecht war. Jedenfalls bin ich mit einem klaren Punktvorteil von der Matte gegangen. Oder besser gehumpelt. Ich hatte mein Knie unter meinem Gegner eingeklemmt und versucht mich zu drehen, was natürlich höllisch weh tat. In den ersten Minuten nach dem Kampf fiel es mir gar nicht auf, aber dann wurde es immer dicker und ich humpelte in die Umkleide. Nils kam hinterher und klopfte mir auf die Schulter. Als sich die Tür hinter uns schloß, gab er mir einen hastigen Kuß: "Als Vorschuß, für den Sieger", strahlte er. Ich war glücklich. Nicht nur weil ich gewonnen hatte, sondern auch weil er glücklich war. Weil er sich freute. Ich legte mich auf die Bank und er packte ein nasses Handtuch auf mein Knie. "Meinst du, du schaffst es bis nach Hause?"
"Nein, ich bleibe hier liegen. Und du mußt mindestens dreimal am Tag vorbeikommen und mir etwas zu essen bringen."
"Spinner."
Ich schloß die Augen. Obwohl mein Knie brannte und pochte und ich mir wie zerschlagen vorkam, ging es mir gut. Es war einer jener Augenblicke, von denen ich mir immer wünsche, daß sie nie vorbeigehen. Zur Siegerehrung war ich wieder halbwegs fit, so daß ich in die Halle humpeln konnte. Das größte Problem war aber tatsächlich der Weg zu Nils nach Hause. Ich biß die Zähne zusammen. Was hätte ich auch anderes machen sollen? Ok, ich hätte Dad anrufen können, der hätte mich bestimmt abgeholt. Aber erstens hätte es dann jede Menge dummer Fragen zu Hause gegeben, so von wegen, wie denn das passieren konnte und daß Ringen ja sowieso kein Sport für mich wäre und so weiter. Und außerdem hätte ich dann erklären müssen, warum ich dann noch mit diesem dicken Knie zu Nils wollte. Nein, da war es dann doch besser, tapfer neben Nils her zu humpeln und auf jede besorgte Nachfrage mit einem heldenhaften "Es geht schon" zu antworten. Endlich waren wir bei ihm und ich ließ mich auf sein Bett fallen. Ich weiß nicht wieso, aber mir tat nicht nur mein Knie sondern jeder einzelne Knochen im Körper weh. Oder war es jeder Muskel? Ich weiß es nicht. Aber Nils war total niedlich. Er war total lieb und schleppte alles ran, was er glaubte, daß es mir gut tun würde. Irgendwann hielt ich ihn einfach fest und meinte, er soll doch einfach nur da bleiben. Wir lagen eine halbe Ewigkeit nebeneinander und guckten uns in die Augen. Es war einfach nur toll. Es glühte in mir und ich begann zu schweben. Ich kann es gar nicht beschreiben, ich war eine Schale, die so voller Liebe war, daß sie überlief. Nils küßte mich. Sanft, ganz zärtlich. Dann glitt seine Hand unter mein Sweatshirt. Als ich begann, ihn zu streicheln, nahm er sachte meine Hand weg: "Heute läßt du dich einfach nur mal verwöhnen und machst gar nichts", flüsterte er. Ich gehorchte. Und landete im siebenten Himmel. Ich hätte nie geglaubt, daß ich solche Gefühle überhaupt empfinden kann. Es war wie ein totaler Rausch aber ganz ohne irgendwelchen Alk oder so. Und ich glaube, daß das der längste Orgasmus war, den ich je hatte. Es schien gar nicht mehr aufzuhören.

Ich blickte in Nils' glückliches Gesicht. Ich war immer noch außer Atem. Ich wollte ihm so viel sagen. Doch eigentlich hätte ich das gar nicht in Worte fassen können. Also schwieg ich. statt dessen küßte er mich sanft. Wir lagen so eine halbe Ewigkeit nebeneinander, bis er plötzlich aufschreckte: "Wie spät ist es?"
"Kurz nach elf."
"Shit, dann kommen meine Eltern bestimmt bald."
Nils half mir ins Bad. Ich war so wackelig, daß ich es nicht mal in die Dusche schaffte. Mit Mühe gelang es mir, mich anzuziehen. Zum Glück hatte Nils die rettende Idee: "Ich frage meine Mutter nachher, ob sie dich nach Hause bringt." Ich nickte. Mir war alles recht, solange ich nicht den Weg nach Hause humpeln mußte. Als wir den Wagen auf der Auffahrt hörten, gab es unseren Gute-Nacht-Abschiedskuß. Ich wollte ihn gar nicht mehr loslassen.
Zum Glück war es überhaupt kein Problem, daß seine Mutter mich nach Hause brachte. Sie meinte zwar auch so was wie "Ihr Jungs werdet euch noch mal alle das Genick beim Sport brechen" aber es klang eher wie ein Scherz. Nils und ich guckten uns an und beschlossen insgeheim, daß wir das sicherlich nicht machen werden. Dann guckten wir schnell wieder nach vorne, denn seine Mutter musterte uns sowieso schon permanent im Rückspiegel.
Ich schaffte es, mit einem Bein die Treppe hoch zu hüpfen und ließ mich auf's Bett fallen. Ein kurzes Telefonat mit Nils zum Gutenachtsagen. Kurz das Tagebuch für heute schreiben und dann nur noch träumen.

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