Samstag, 29. Juni 1996

29. Juni

"Kommst du heute mit ins X1?"
Gerade hat Max angerufen. Aber ich hab gesagt, daß ich dieses Wochenende schon verplant habe. Was nicht stimmt. Aber ich habe einfach keine Lust wegzugehen. Beim Abendbrot gab es mal wieder eine völlig strange Diskussion. Mom fragte, wie es denn meiner kleinen Freundin geht. Ich wußte erst gar nicht, was sie meinte, aber sie redete tatsächlich von Doris. Klein! Ich mußte fast lachen. "Sie ist nicht meine Freundin. Das heißt nicht so, wie du vielleicht denkst."
"Sondern?"
"Wir verstehen uns einfach nur gut, reden jede Menge miteinander. Das ist alles."
"Andere Jungs in deinem Alter haben alle schon eine kleine Freundin."
"So ein Schwachsinn."
"Rede nicht so mit mir. Ich bin immer noch deine Mutter."
"Naja, was soll denn das? Wenn es Zeit ist, dann erfährst du es noch früh genug." Ich war richtig stolz auf meine Doppeldeutigkeit. Mom verzog das Gesicht: "Der Herr will sich wohl erst seine Traumfrau backen." Das war mir einfach zu viel. Ich stand auf und ging in mein Zimmer. Ich hörte noch, wie Dad sagte: "Anne, laß den Jungen doch." Den Rest der Unterhaltung bekam ich nicht mehr mit. Ich legte mich auf's Bett und setzte mir die Kopfhörer auf. Warum können mich alle nicht einfach in Ruhe lassen, wenn sie mir schon nicht helfen? Plötzlich stand Dad im Zimmer. "Ich habe geklopft, aber du hast nicht geantwortet."
"Schon ok."
"Tim, du kannst nicht einfach aufstehen und verschwinden, nur wenn dir etwas nicht paßt."
"Ich habe echt keinen Bock, auf so eine Diskussion wie eben."
"Du mußt deine Mutter verstehen."
"Warum muß ICH eigentlich immer alle Leute verstehen? Wer versteht mich denn?"
"Vielleicht willst du ja gar nicht, daß man dich versteht?"
"Was meinst du damit?"
"Ich will damit sagen, daß ich glaube, daß viel mehr in dir vorgeht, als du nach außen zeigst."
"Da hast du verdammt noch mal recht. Aber wen interessiert das schon."
"Vielleicht mehr Menschen, als du glaubst. Wir sind schließlich deine Eltern."
Ich guckte ihn an. Ich weiß gar nicht, wann ich ihn das letzte Mal so intensiv gesehen habe. "Ich will nur, daß du weißt, daß wir für dich da sind, wenn du uns brauchst." Oh Shit, es wäre die Möglichkeit gewesen, es ihm zu sagen. Das weiß ich jetzt, wo er wieder raus ist. Statt dessen nickte ich nur. Was um alles in der Welt meint er? Was weiß er? Gerade war Ruhe in meinem Kopf und schon ist wieder alles durcheinander. Ich versuche Doris anzurufen. Sie ist nicht da, sagt ihre Mutter. Nein, sie braucht nichts ausrichten. Ich werde einfach schlafen gehen.

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