Montag, 17. Juni 1996

17. Juni

15:05
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Ich habe Doris heute von Stefanie erzählt, und sie hat voll hysterisch reagiert: »Wie kannst du nur dieses arme Mädchen so hinters Licht führen?« Ich verstand überhaupt nicht, was sie meint. »Aber sie hat mich angerufen und sich mit mir verabredet, sie hat angefangen mit dem Rumknutschen.«
»Dazu gehören immer noch zwei. Warum hast du dich denn überhaupt mit ihr verabredet?«
Damit stapfte sie wütend weg und war für den Rest des Tages nicht mehr ansprechbar. Ich habe sie ein paarmal in der Stunde versucht anzuquatschen, aber sie hat nur das Gesicht verzogen und woanders hingeguckt. Ich verstehe das echt nicht. Ich meine, was kann ich denn nun dafür, daß diese Ziege plötzlich so hysterisch reagiert. Es war doch wirklich so, daß mich angerufen hat. Ich wäre doch nie auf die Idee gekommen, irgendwas mit ihr zu machen, wenn sie nicht angefangen hätte. Und Doris' Reaktion verstehe ich nun auch nicht. Was ist denn plötzlich mit den Leuten allen los? Ich überlege, ob ich Doris noch mal anrufen soll. Aber so, wie sie vorhin war, will sie bestimmt nicht mit mir reden. Ist doch alles irgendwie Scheiße!


22:10
»Coach, können sie nicht mal Tim für das Regioturnier aufstellen?« Ich dachte, ich höre nicht richtig. Ich starrte erst Nils und dann Dimitri an. Zum Glück schüttelte er nur den Kopf: »Das ist zu früh. Nach den Ferien. Nicht früher.« Nils grinste frech.
»Bist du völlig verblödet?« schrie ich ihn an, »ich kann meine Sachen sehr gut selbst regeln!« Nils grinste immer noch: »Anscheinend nicht, jetzt weißt du wenigstens, worauf du hinarbeiten kannst.« Ich war stinksauer. Was bildet dieser Idiot sich eigentlich ein, hier irgendwelche Entscheidungen für mich zu treffen? Was mich am meisten aufregte, war, daß Nils das auch noch lustig fand. Dann bin ich irgendwie ausgerastet und ging auf ihn zu. Er konnte gerade noch aufstehen, aber da war ich schon bei ihm. Ich erwischte seinen rechten Arm, schaffte es, hinter ihn zu kommen, hob ihn aus und beförderte ihn auf die Matte. Tja, Nils, danke, daß wir das beim letzten Mal so gut geübt haben. Mit einem Nelson schulterte ich ihn und guckte in sein völlig erstauntes Gesicht. »Nicht schlecht«, pustete er, »gar nicht schlecht. Aber ich glaube, du kannst wieder von mir runtergehen. So auf Dauer bist du ein bissele schwer.« Als ich mich wieder hochgerappelt hatte, stand Dimitri plötzlich vor mir: »Was soll denn das? Wenn du dich prügeln willst, dann kannst du woanders hingehen. Hier wird nur gekämpft, wenn ich das sage. Ab!« Er zeigte in Richtung Umkleide: »Für dich ist heute das Training zu Ende.«

Ich merkte, wie ich einen knallroten Kopf bekam. Ich guckte nicht nach links oder rechts und verschwand in der Umkleide. Scheiße, ich glaube wirklich, jetzt sind alle Leute völlig abgedreht. Nils kam rein und baute sich vor mir auf: »Du warst gut, Kleiner.« Er lachte, und seine Augen leuchteten. Von einer Sekunde auf die andere war meine Laune wieder o.k. »Du warst sogar sehr gut. Du hast zwar das Überraschungsmoment ausgenutzt, aber was soll’s.«
»Ich war stinksauer auf dich, und vielleicht bin ich es noch.«
Nils legte seine Hände auf meine Schultern: »Das habe ich gemerkt. Aber wenn du wütend bist, machst du Fehler. Gut, vielleicht gerade eben nicht. Aber irgendwann. Wenn du wütend auf deinen Gegner bist, mußt du höllisch aufpassen. Entweder machst du Fehler oder wirst unfair.«
»Schon klar. Ist mit dir alles o.k.?«
»Mit mir? Mich haut so schnell nichts um. Und was die andere Sache betrifft ...«
Komisch, noch vor fünf Minuten hätte ich ihn angebrüllt, aber so wie er da vor mir stand, sagte ich nur noch leise: »Ich mag es nun mal nicht, wenn jemand glaubt, über mich bestimmen zu müssen.«

Er guckte mich an. Dieser Blick! Ich werde noch mal wahnsinnig. Ich versinke in seinen Augen! Ich liebe diese Momente, und gleichzeitig habe ich Angst davor. »Manche Leute«, sagte er, ohne den Blick zu lösen, »muß man eben zu ihrem Glück zwingen.« Dann schlug er mir leicht auf den Kopf und meinte: »Komm, machen wir Schluß für heute. Wir wär's mit Burger?«
»Und dein Training?«
»Ach, was soll's, Dimitri wird zwar toben, aber das ist mir egal. Bis zum nächsten Mal hat er's vergessen.«
»Meinst du?«
»Na klar, und deine Sache auch.«
Wir taperten zu McDonald's, und Nils fragte nach Stefanie.
»Vergiß es«, antwortete ich.
»Wieso? Was ist denn passiert?«
»Nichts ist passiert, das ist es ja gerade.«
»Laß mich raten, entweder wollte sie nicht, oder sie hatte ihre Tage.«
»Das erste.«
Nils' Stimme schraubte sich drei Oktaven höher: »Ach du, das ist mir ja viel zu früh. Wir kennen uns doch gar nicht richtig. Ich will einen Jungen erst mal richtig kennenlernen, bevor ich etwas mit ihm mache.«
Ich prustete so heftig los, daß ich mich fast verschluckte. »So etwa, nur daß sie angefangen hat, und als es dann ein bissele weiter ging, ist sie plötzlich ausgerastet.«
Nils grinste: »That's the way it is, boy. Vergiß sie einfach.«
»Das hab ich schon. Was ist denn mit deinem Mädel?« Mir fällt auf, daß ich ihren Namen vergessen hatte.
»Finito.« Er schien nicht sonderlich traurig darüber zu sein.
»Und wieso?«
Er zuckte mit den Schultern: »Was weiß ich, ich fand's einfach langweilig mit ihr.
Außerdem sind ihre Freundinnen total bescheuert.«
»Und jetzt?«
»Jetzt geht's auf zur nächsten Runde«, sagte er und ging zur Theke, um sich noch eine
Portion Pommes zu holen. Ich weiß nicht, ob er das mit nächster Runde meinte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen