Dienstag, 19. März 1996

19. März

»Und, wie gefällt dir Bergbach?« fragte mich Tobias nach der Schule am Fahrradständer. Ich schaute auf und blickte direkt in seine strahlenden Augen. »Echt uncool, absolut tote Hose.« Tobias schien persönlich beleidigt zu sein. »Soll ich dir ein bissele was zeigen?« Wir verabredeten uns für den Nachmittag zu einer Stadttour – noch eine. Ich habe ihm nicht gesagt, daß ich das ganze schon mal mit Doris gemacht hatte. Tobias ist echt niedlich. Ist er vielleicht...? Kann sein. Als wir uns am Brunnen trafen, freute er sich richtig und sagte: »Du bist ja wirklich gekommen.«
»Warum denn nicht?«
»Na, ich dachte, du als obercooler Großstädter...«
Ich schüttelte den Kopf. Er zeigte mir ganz andere Sachen, die Altstadt, die römischen Ruinenreste. Tobias redet nicht so viel wie Doris, aber wenn er redet höre ich ihm gerne zu. Irgendwann standen wir vor einem kleinen Fachwerkhaus. »Magst du noch mit raufkommen?«
»Na klar.«
Tobias' Zimmer ist klein, überall Bücherregale, an einer Wand ein Klavier. Ich verkniff mir die Frage, ob er die ganzen Bücher gelesen hat. »Was willst du für Musik hören?«
»Irgendwas, ist mir egal, was du so hörst«
»Das gefällt dir bestimmt nicht.«
»Doch, mach doch einfach.« Großer Fehler, denn es war irgendwas Klassisches, Tobias meinte, es wäre Brahms. Ich fand es einfach nur schrecklich.
»Und?«
»Nicht schlecht«, log ich. Klassik kannte ich ja von Mom und Dad, aber das war wirklich etwas heavy.
»Was hörst du denn so? Bestimmt Hip Hop und House und so was.«
»Ach, eigentlich alles, was es so gibt«, ich wollte bloß nix Falsches sagen. Tobias setzte sich auf sein Bett. Oje, ich stellte mir vor, was wäre, wenn er sich jetzt einfach sein T-Shirt ausziehen und hinlegen würde. O.k., er legte sich hin, und ich guckte wie festgenagelt auf das kleine Stück Bauch, was zwischen T-Shirt und Jeans freilag. »Alles mögliche«, stotterte ich und riß mich wieder los. Tobias stand auf und fragte mich, ob ich was essen wollte. Natürlich sagte ich ihm nicht, was ich eigentlich viel lieber wollte, und wir verdrückten ein paar Brote. Tobias' Mutter kam. Sie erzählte mir, daß sie als junges Mädchen für zwei Jahre in HH gewohnt hatte, und ich mußte ihr haarklein berichten, wie es denn da jetzt aussieht. Ab und zu guckte ich zu Tobias rüber, der gelangweilt mit der Eistee-Büchse spielte und mit den Augen rollte.
»Schön, daß Tobias jetzt einen Freund gefunden hat«, hörte ich sie plötzlich sagen. Hä? Wie jetzt? Ich war völlig verwirrt.
»Mutti, also hör mal...«, begann er. Ich grinste. »Ist ja schon gut«, sagte sie. Tobias und ich sahen uns an und mußten lachen. Wahrscheinlich dachten wir genau das gleiche in dem Moment. Als ich nach Hause fuhr, versuchte ich irgendwie Ordnung in meinen Kopf zu bekommen. Schön, daß du gekommen bist, hatte er gesagt. Wie er so auf seinem Bett lag. Schön, daß Tobias einen Freund gefunden hat. Es paßt irgendwie zusammen, glaube ich. Diese Nacht wird eine Tobias-Nacht. Shit, ich glaube, ich bin verliebt.

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