Samstag, 3. Januar 1998
3. Januar
"Nun sei doch mal ehrlich. Wieso glaubst du, daß Hamburg irgendwie schwuler ist als Stuttgart?"
"Ich glaube doch nicht, daß Hamburg schwuler ist als Stuttgart. In Hamburg ist nur einfach mehr los. Es ist größer und überhaupt."
"Du willst wirklich wieder zurück, oder?"
"Ich weiß es nicht. Es ist für mich hier so, als wenn ich nach Hause komme. Nach Stuttgart, nach Bergbach, da gehöre ich nicht hin. Ich gehöre hier hin. Aber ich weiß auch, daß ich noch woanders hingehöre. Nämlich zu dir. Ich will dich nicht verlieren. Ich will dich nicht verlassen."
Nils guckte mich einfach nur an und dann lächelte er. Er nahm mich in den Arm und hielt mich fest.
"Was machen wir nur mit dir?", murmelte er.
"Keine Ahnung. Laß uns abwarten, was passiert. Einfach abwarten."
"Ist vielleicht wirklich das Beste."
"Weißt du was? Was hältst du davon, wenn wir im Sommer zur Loveparade nach Berlin fahren? Und zum CSD nach Hamburg?"
"CSD?"
"Christopher Street Day. Sag bloß, das kennst du nicht."
"Irgendwie kommt mir das bekannt vor."
"Jeez, dann laß dich überraschen."
"Wir können doch nicht immer wieder durch halb Deutschland gurken."
"Warum nicht? Wenn wir schon da unten im Ländle bleiben, können wir ja wenigstens mal ab und zu ausbrechen."
"Ich sehe schon, das heißt wieder jobben gehen."
"Im Leben gibt es nichts umsonst."
"Laß mich raten: Das kommt von deiner Mutter."
"Von meinem Dad. Ist ein alter hanseatischer Kaufmannsgrundsatz."
"Berlin. Na ich weiß nicht. Würdest du nach Berlin ziehen wollen?"
"Wenn nicht Hamburg, ja vielleicht dann Berlin."
"In Berlin gibt es doch auch nichts Gescheites zum Ringen. Kein Verein in der Bundesliga, alles nur viertklassig."
"Vielleicht sollte ich mir doch einen Freund mit einem anderen Sport suchen."
Ich glaube, Nils fand das gar nicht lustig. Aber vielleicht machen wir das ja wirklich. Vielleicht ja wenigstens mit der LP in Berlin. Das kann ich mir ganz witzig vorstellen. Und das mit dem CSD ist auch schon eine komische Sache. Auf einmal habe ich überhaupt keine Probleme, hier in Hamburg allen möglichen Leuten zu erzählen, daß ich schwul bin. Ok, vielleicht nicht gerade Oma. Aber den anderen Leuten, bei denen ist es mir total egal. Und ich glaube, ich hätte auch überhaupt kein Problem damit, hier bei CSD mitzulaufen. In Stuttgart wäre das schon was anderes. Ich weiß gar nicht, ob es da überhaupt einen CSD gibt. Wahrscheinlich nicht.
Morgen geht es zurück nach Bergbach. Und ich habe überhaupt keine Lust. Ich würde am liebsten mit Nils hier bleiben. Bei Oma im Haus. Wir könnten in dem großen Zimmer wohnen bleiben. Wir würden aufs GySue gehen, auch wenn wir dafür durch die halbe Stadt fahren müßten. Nach der Schule mit Tassi und Dommes im Flag Billard spielen, an der Alster sitzen, einfach nur in irgendwelche coolen Läden gehen, interessante Leute treffen, im Sommer an der Elbe langradeln, nach Sylt fahren, am Strand liegen, endlich irgendwann meinen Bootsführerschein machen. Nein, es geht zurück nach Bergbach. Da, wo die Zeit stillzustehen scheint. Aber irgendwie, ja, es geht auch zurück zu Doris, zu Flo, zu Lisa, zu Mom und Dad, zu Max und Kevin, zu Lena, zu Tobias und irgendwie, ja auch zu den anderen Jungs im Verein. Es ist verrückt. Ich bin noch gar nicht so lange dort, aber trotzdem gibt es bereits so viele Leute, die mir irgendwie wichtig sind.
Aber es ist wirklich seltsam. Warum bin ich mir nicht so darüber klargeworden, daß ich schwul bin, als ich hier noch gewohnt habe? Ok, ich bin älter geworden. Vielleicht auch wirklich ein bissele selbstbewußter. Aber es wäre alles vielleicht viel einfacher gewesen, wenn ich mir schon hier darüber im Klaren gewesen wäre. Hier bin ich und ich habe überhaupt kein Problem, mit meinem Freund Hand in Hand über den Rathausmarkt zu tapern. Das würde ich nie auf der Königstraße machen. Verdammt, warum eigentlich nicht? Verdammt noch mal. Irgendwie habe ich absolut keinen Bock mehr darauf, mich immer zu verstecken, immer nur zu lügen, Theater zu spielen. Nur weil ich einen Jungen liebe muß ich alle Leute, die halbe, nein fast die ganze Welt anlügen, Versteck spielen. DAS ist doch nicht normal!
Nils und Phil reparieren die Regenrinne am Schuppen. Und ich stehe wieder am Fenster und schaue Nils zu. Irgendwie bin ich stolz darauf, einen Freund zu haben. Nils zu haben. Einen Freund, der wahrscheinlich genauso kompliziert ist wie ich. Heute Abend werden wir nicht weggehen, obwohl Samstag ist. Wir werden alle am Kamin sitzen, einfach nur so, Klönsnack. Das Feuer wird knistern, Phil und ich werden uns angucken und daran denken, wie ich als kleines Kind einfach mal so einen Holzscheit aus dem Feuer gezogen habe und ihn durch das Zimmer tragen wollte: Natürlich so glühend wie er war. Die Story kommt so ziemlich bei jeder Familenfeier auf den Tisch. Und ich werde Nils angucken, wir werden uns in die Augen blicken und nichts sagen. Weil wir genau wissen, was wir fühlen.
"Ich glaube doch nicht, daß Hamburg schwuler ist als Stuttgart. In Hamburg ist nur einfach mehr los. Es ist größer und überhaupt."
"Du willst wirklich wieder zurück, oder?"
"Ich weiß es nicht. Es ist für mich hier so, als wenn ich nach Hause komme. Nach Stuttgart, nach Bergbach, da gehöre ich nicht hin. Ich gehöre hier hin. Aber ich weiß auch, daß ich noch woanders hingehöre. Nämlich zu dir. Ich will dich nicht verlieren. Ich will dich nicht verlassen."
Nils guckte mich einfach nur an und dann lächelte er. Er nahm mich in den Arm und hielt mich fest.
"Was machen wir nur mit dir?", murmelte er.
"Keine Ahnung. Laß uns abwarten, was passiert. Einfach abwarten."
"Ist vielleicht wirklich das Beste."
"Weißt du was? Was hältst du davon, wenn wir im Sommer zur Loveparade nach Berlin fahren? Und zum CSD nach Hamburg?"
"CSD?"
"Christopher Street Day. Sag bloß, das kennst du nicht."
"Irgendwie kommt mir das bekannt vor."
"Jeez, dann laß dich überraschen."
"Wir können doch nicht immer wieder durch halb Deutschland gurken."
"Warum nicht? Wenn wir schon da unten im Ländle bleiben, können wir ja wenigstens mal ab und zu ausbrechen."
"Ich sehe schon, das heißt wieder jobben gehen."
"Im Leben gibt es nichts umsonst."
"Laß mich raten: Das kommt von deiner Mutter."
"Von meinem Dad. Ist ein alter hanseatischer Kaufmannsgrundsatz."
"Berlin. Na ich weiß nicht. Würdest du nach Berlin ziehen wollen?"
"Wenn nicht Hamburg, ja vielleicht dann Berlin."
"In Berlin gibt es doch auch nichts Gescheites zum Ringen. Kein Verein in der Bundesliga, alles nur viertklassig."
"Vielleicht sollte ich mir doch einen Freund mit einem anderen Sport suchen."
Ich glaube, Nils fand das gar nicht lustig. Aber vielleicht machen wir das ja wirklich. Vielleicht ja wenigstens mit der LP in Berlin. Das kann ich mir ganz witzig vorstellen. Und das mit dem CSD ist auch schon eine komische Sache. Auf einmal habe ich überhaupt keine Probleme, hier in Hamburg allen möglichen Leuten zu erzählen, daß ich schwul bin. Ok, vielleicht nicht gerade Oma. Aber den anderen Leuten, bei denen ist es mir total egal. Und ich glaube, ich hätte auch überhaupt kein Problem damit, hier bei CSD mitzulaufen. In Stuttgart wäre das schon was anderes. Ich weiß gar nicht, ob es da überhaupt einen CSD gibt. Wahrscheinlich nicht.
Morgen geht es zurück nach Bergbach. Und ich habe überhaupt keine Lust. Ich würde am liebsten mit Nils hier bleiben. Bei Oma im Haus. Wir könnten in dem großen Zimmer wohnen bleiben. Wir würden aufs GySue gehen, auch wenn wir dafür durch die halbe Stadt fahren müßten. Nach der Schule mit Tassi und Dommes im Flag Billard spielen, an der Alster sitzen, einfach nur in irgendwelche coolen Läden gehen, interessante Leute treffen, im Sommer an der Elbe langradeln, nach Sylt fahren, am Strand liegen, endlich irgendwann meinen Bootsführerschein machen. Nein, es geht zurück nach Bergbach. Da, wo die Zeit stillzustehen scheint. Aber irgendwie, ja, es geht auch zurück zu Doris, zu Flo, zu Lisa, zu Mom und Dad, zu Max und Kevin, zu Lena, zu Tobias und irgendwie, ja auch zu den anderen Jungs im Verein. Es ist verrückt. Ich bin noch gar nicht so lange dort, aber trotzdem gibt es bereits so viele Leute, die mir irgendwie wichtig sind.
Aber es ist wirklich seltsam. Warum bin ich mir nicht so darüber klargeworden, daß ich schwul bin, als ich hier noch gewohnt habe? Ok, ich bin älter geworden. Vielleicht auch wirklich ein bissele selbstbewußter. Aber es wäre alles vielleicht viel einfacher gewesen, wenn ich mir schon hier darüber im Klaren gewesen wäre. Hier bin ich und ich habe überhaupt kein Problem, mit meinem Freund Hand in Hand über den Rathausmarkt zu tapern. Das würde ich nie auf der Königstraße machen. Verdammt, warum eigentlich nicht? Verdammt noch mal. Irgendwie habe ich absolut keinen Bock mehr darauf, mich immer zu verstecken, immer nur zu lügen, Theater zu spielen. Nur weil ich einen Jungen liebe muß ich alle Leute, die halbe, nein fast die ganze Welt anlügen, Versteck spielen. DAS ist doch nicht normal!
Nils und Phil reparieren die Regenrinne am Schuppen. Und ich stehe wieder am Fenster und schaue Nils zu. Irgendwie bin ich stolz darauf, einen Freund zu haben. Nils zu haben. Einen Freund, der wahrscheinlich genauso kompliziert ist wie ich. Heute Abend werden wir nicht weggehen, obwohl Samstag ist. Wir werden alle am Kamin sitzen, einfach nur so, Klönsnack. Das Feuer wird knistern, Phil und ich werden uns angucken und daran denken, wie ich als kleines Kind einfach mal so einen Holzscheit aus dem Feuer gezogen habe und ihn durch das Zimmer tragen wollte: Natürlich so glühend wie er war. Die Story kommt so ziemlich bei jeder Familenfeier auf den Tisch. Und ich werde Nils angucken, wir werden uns in die Augen blicken und nichts sagen. Weil wir genau wissen, was wir fühlen.
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