Freitag, 17. Oktober 1997

17. Oktober

"Mach bitte weiter. Mir zuliebe."
Es war Nils, der plötzlich in der Tür stand. Nils, der dann doch nicht beim Training war. Nils, der plötzlich in meinem Zimmer war, so selbstverständlich wie nur irgendwas. Nils, der die Tür hinter sich abschloß, mich in den Arm nahm und einfach nur festhielt. Es war Nils, der die ganze Nacht bei mir blieb. Wir lagen einfach nur nebeneinander im Bett, Klamotten angezogen. Doch er hielt mich fest. Er hielt mich fest. Sagte nichts und fragte nichts. Irgendwann gegen Morgen, als ich aufwachte stand er am Fenster und blickte hinaus.
"Habe ich dich zum zweiten Mal verloren?"
"Nein. Das hast du nicht."
Wir schwiegen.
"Willst du wirklich mit dem Ringen aufhören?"
"Ja." Ich war selber total übergerascht, wie automatisch, wie selbstverständlich das aus mir herauskam.
Nils schaute mich an und zum ersten Mal seit langer Zeit sah ich, daß er richtig traurig war: "Warum Tim? Warum verdammt? Hat dich diese kleine Schlampe so verhext? Einmal Heiko besiegen und das war's jetzt?"
"Vielleicht war's das ja. Vielleicht war es genau das, was ich für mich brauchte. Für mich. Verstehst du. ICH wollte es, ICH brauchte es. Ich ganz allein. Es geht nicht darum, daß du stolz bist, oder Dimi oder Werner oder Mahmout. ICH werde diesen Augenblick nicht vergessen, in dem ICH gewonnen habe."
"Na klar...DU, DU, DU. Es gibt nur Tim und dann an zweiter Stelle Tim, dann kommt eine ganze Weile nichts mehr und dann kommt Tim."
"Du bist echt ungerecht."
"Ich bin nicht ungerecht. Ich bin nur ehrlich. Von mir aus kannst du hundertmal mit diesem bornierten Typen rummachen und dir das Hirn rausficken. Aber komme endlich mal runter von deinem Egotrip. Tim, Tim, Tim. Mehr gibt es in deinem Leben wohl nicht!"

Ich saß da und konnte nichts sagen. Was war auf einmal mit Nils los? Er benutzte Wörter, die ich sonst kaum von ihm höre. Ich wollte nicht darüber diskutieren. Ich wollte das nicht auf diese billige Lösung bringen. Na klar, ich bin wieder an allem schuld. Schuld woran überhaupt? Mir geht es nur im Moment nicht gut. Ja und? Es wäre so schön gewesen, wenn Nils einfach nur dagewesen wäre und nichts gesagt hätte. Einfach nur da sein. Statt dessen muß er diese bescheuerte Diskussion um das Ringen und um Heiko wieder anfangen. Ich legte mich ins Bett und vergrub mein Gesicht in den Kissen. Für einen Moment wünschte ich mich wieder ganz weit weg. Aber diesmal viel weiter als sonst. Und ganz allein, niemand da, kein Nils, kein Heiko, niemand. Nur ich ganz allein. Dann spürte ich Nils' Hand in meiner. Ein sanfter Kuß berührte meinen Nacken. "Hör nicht auf mit dem Ringen. Bitte nicht. Mach weiter. Mir zuliebe."
Und ich weiß, ich kann nichts dagegen sagen.

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