Montag, 1. September 1997

1. September

"Hör auf zu grinsen. Ich finde das gar nicht lustig."
"Ich schon. Endlich hast du auch mal ein paar blaue Flecke. Und das, obwohl das letzte Training doch gar nicht sooo schlimm war."
"Ich mache dir gleich ein schlimmes Training", meinte Nils und zog mir die Beine weg. Damit hatte ich nicht gerechnet und ich landete schmerzhaft auf der Matte.
"Schlecht, ganz schlechte Reaktion. Du bist viel zu langsam."
Nils lag auf mir drauf und ich bekam fast keine Luft mehr.
"Und jetzt?"
"Jetzt gehst du bitte runter von mir und läßt mich wieder atmen."
"Nix da, du mußt schon sehen, wie du da wieder herauskommst."
Ich dachte, ich spinne. Was sollte das denn nun wieder? Ich bäumte mich mit aller Kraft auf und schaffte es tatsächlich in die Bank zu kommen. Aber Nils ließ nicht locker. Das machte mich wütend, ich wollte nicht klein beigeben. Und er schaffte es wirklich nicht, mich zu schultern, immer kam ich irgendwie raus. Ich hatte total jedes Zeitgefühl verloren. Irgendwann waren wir beide so fertig, daß wir uns nur anguckten, nickten und losließen. Eine halbe Stunde hatte dieser Kampf gedauert.
"Du bist zwar langsam, aber trotzdem richtig gut, echt richtig gut."
Ich grinste. Und wenn es nur dazu gut ist, Nils diesen einen Satz zu entlocken, das ist die Anstrengerei wert.
"Keine neuen Griffe. Bis Leipzig trainieren wir fünf Grundgriffe, Schnelligkeit und Kraft. Mehr nicht. Keine neuen Techniken. Ich glaube, was dir an Technik fehlt, kriegen wir sowieso nicht so schnell in dich rein. Aber wenn du schneller wirst und mehr Kraft hast, kannst du das vielleicht ausgleichen."
"Wie soll ich in sechs Wochen mehr Kraft kriegen? Und vor allem, wie soll ich schneller werden?"
"Das laß mal meine Sorge sein. Ab sofort ist jeden Freitag Extratraining für dich."
"Wie bitte?"
"Ich habe dir gesagt, daß ich dich fit mache für Leipzig. Und das mache ich."
"Nils, bitte."
Er sagte nichts, er guckte mich nur an. Es war ein merkwürdiger Blick, durchdringend und gleichzeitig so ernsthaft, kein Widerspruch. Es ist nicht nur Nils' Ehrgeiz, daß ich einfach nur gewinne. Es ist Nils' Ehrgeiz, daß ich auch gegen Heiko gewinne. Und ich werde den Verdacht nicht los, daß es in Wirklichkeit Nils ist, der gegen Heiko kämpft. Ein Kampf gegen Heiko um mich, durch mich. Verdammt, was soll denn das alles? Ich bin kurz davor, das alles abzusagen. Doch ich weiß, daß ich das nicht kann. Da muß ich durch und ich will es auch. Aber bei dem Gefühl, was vielleicht auch für Nils dahinter steckt, wird mir total mulmig.
Ich konnte seinem Blick nicht standhalten und senkte den Kopf.
"Wir verstehen uns, oder?"
Ich nickte nur. Gut, mein Ziel heißt Leipzig. Mein Ziel heißt Gewinnen. Mein Ziel heißt Heiko.

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