Freitag, 22. August 1997
22. August
"Nicht, daß ich meinen einen Sohn aus dem Krankenhaus hole und der andere eingeliefert wird."
"Nein, mach dir keine Sorgen. Das ist nur der Muskelkater von gestern."
Wenn das Muskelkater ist, dann ist der reif für das Guinness-Buch der Rekorde. Meine Arme, meine Brust, alles ist übersät mit blauen Flecken. Ich habe versucht, so tapfer wie möglich zu sein. Jedenfalls bis Dad und Lisa abgefahren sind. Danach bin ich in die Küche gekrochen und habe ein paar Paracetamol-Tabletten in mich reingestopft. Ich habe wirklich Angst, daß etwas gebrochen ist. Aber was? Mir tut wirklich ALLES weh. So schlimm war es ja nicht mal nach meinem allerersten Training. Ich ließ mich auf einen Liegestuhl im Garten fallen und schloß die Augen. 'Ich höre auf', hörte ich mich murmeln, 'ich höre einfach auf mit diesem bekloppten Sport.' Bin ich denn wirklich schon so gehirngewaschen? Mir tut alles weh, ich habe jede Menge blauer Flecken, ich weiß nicht, ob ich mir irgendwas gebrochen habe - also WAS SOLL DAS? Ich könnte die Nachmittage mit so viel anderen Sachen verbringen, als in dieser stinkigen Halle. Die Samstage anders als auf diesen bekloppten Turnieren mit spießiger Bratwurst, selbstgebackenem Kuchen und plörrigem Apfelsaft aus Pappbechern. Ich könnte mit Nils...mit Nils? Ich sitze in der Falle. Ich sitze echt in der Falle! Nils würde das nie mitmachen. Niemals! Er würde es ja nicht mal verstehen, wenn ich aufhöre. Er selber würde nie aufhören. Verdammt. Was wäre, wenn er sich entscheiden müßte? Zwischen mir und dem Ringen? Was soll diese Frage? Ich kenne die Antwort und diese Antwort macht mir Angst und macht mich traurig. Nils würde alles, aber wirklich ALLES für sein Ringen opfern. Ich sitze in der Falle. In einer Falle, in die ich selber getapert bin. Und trotzdem. Ich werde aufhören. Ich muß aufhören. Ich will aufhören.
Mein Telefon klingelt oben in meinem Zimmer. Ich lasse es klingeln. Ehe ich nach oben gekrochen bin, hat es sowieso aufgehört. Ich schließe die Augen. Versuche mir vorzustellen, wie Nils darauf reagiert, wenn ich ihm sage, daß ich aufhöre zu ringen. Das Telefon klingelt wieder. Irgendwann muß ich eingeschlafen sein. Ich wache auf, weil mich jemand an der Nase kitzelt.
"Nils!"
"Wie geht's dir?"
"Was machst du denn hier?"
"Du bist nicht ans Telefon gegangen, da habe ich mir Sorgen gemacht. Außerdem wollte ich dir dein Fahrrad vorbeibringen."
Da stand er, mein Nils, ich sah ihn nur im Gegenlicht, aber er sah so niedlich aus. Normalerweise finde ich kurze Hosen albern. Aber Nils sah einfach nur geil da drin aus.
"Wie geht's dir?" fragte er noch mal.
"Beschissen."
"Tut dir immer noch was weh?"
"Mir tut nicht nur 'was' weh, mir tut ALLES weh!"
Er griff meine Hand: "Es tut mir leid."
Ich nickte. Sollte er ruhig leiden, das geschieht ihm ganz recht. Soll er ruhig ein schlechtes Gewissen haben. Er ging ins Haus, um was zu trinken zu holen. Ich versuchte aufzustehen und es ging erstaunlich gut. Ich weiß nicht, ob die Schmerzen durch die Tabletten weg waren oder weil Nils da war.
Nils kam zurück: "Hey, du kannst ja wenigstens wieder stehen."
Ich mußte lachen. Ich sah seine strahlenden Augen. Ich sah Nils, der doch so stolz war, daß er es geschafft hatte, daß ich in seiner Mannschaft bin. Der alles daran setzte, daß ich den nächsten Wettkampf gewinne. Ich schaffte es einfach nicht, ihm zu sagen, daß ich aufhören will.
"Heute abend Tofa?"
"Tofa oder Sex?"
"Tofa UND Sex?"
"Sex in der Tofa?"
"Oder mit dem Mofa in die Tofa?"
Richtig doll lachen konnte ich noch nicht, dafür tat mir mein Brustkorb noch zu weh, aber es wurde wirklich immer besser. Ich konnte schon wieder aufrecht stehen.
"Wie hast du das eigentlich ausgehalten, bevor wir uns kennengelernt haben?"
"Erinnere mich nicht daran. Es war schrecklich. Ich bin immer fast geplatzt."
"Oller Spinner."
"Nein echt. Ach, das verstehst du nicht."
"Hast du nie gelernt, dich zu beherrschen?"
"Bin ich katholisch, oder was?"
"Was habe ich mir da nur angelacht?"
"Angelacht? Angelacht?", ich ging scherzhaft drohend auf ihn zu, "Darf ich dich nur mal vorsichtig daran erinnern, daß DU mich auf Sylt durch das halbe Zimmer gewirbelt hast?"
"Nachdem DU mir eine filmreife Szene hingelegt hast."
"Der eine ist eben beim Ringen Spitze, der andere eben beim Sex."
"Heißt das etwa...?" Nils' Gesicht wurde düster.
Shit, mir wurde klar, was ich da gesagt hatte. Ich griff nach seiner Hand: "Hey, so habe ich das nicht gemeint. Echt nicht."
"Du bist manchmal unmöglich." Er drückte meine Hand.
"Ich weiß. Sorry."
"Aber vielleicht liebe ich dich ja gerade deshalb. Weil du so verrückt bist."
Ich grinste, ließ mich auf die Liege fallen und schloß die Augen. "Gib doch zu, ich bin unwiderstehlich."
"Manchmal eher unausstehlich."
Irgendwas tropfte auf meine Brust. Nils kippte die Wasserflasche über mir aus: "Damit du nicht vor lauter Eingebildetsein einen Hitzschlag bekommst."
"Gib zu, daß du mich nur mit nassem T-Shirt sehen willst."
Nils seufzte: "Typisch Tim. Naja, vielleicht lerne ich ja auch von dir irgendwann."
Ich blinzelte und grinste.
"Ich habe Hunger."
"Dann müssen wir was kochen."
"Ich kann mich nicht bewegen", protestierte ich.
"Dann mußt du eben hungern."
"Ich dachte, du fährst zum Donald und holst was, damit dein Freund nicht verhungert."
"Zum Donald? Bist narrisch? Viel zu viel Fett."
"Waaas? Jetzt auf einmal?"
"Du sollst doch nicht zunehmen."
"Jetzt ist aber Schluß!" Ich war selber übergerascht von meinem Ton. "Ich trainiere hier echt so, daß ich schon kotzen muß, mir tut jeder Knochen weh, ich habe überall blaue Flecken, man kann jede von meinen Rippen sehen und DU willst mir auch noch vorschreiben, was ich essen darf? Ich hätte nicht übel Lust, das alles einfach hinzuschmeißen."
"Psst." Nils hielt seine Hand vor meinen Mund. "Beruhige dich doch. Das war ein Scherz. Verstehst du, ein Scheherz!"
Ich kam mir albern vor. Auf der anderen Seite bin ich aber auch der Meinung, daß ich Recht habe.
"Ok, wie ist es mit Pizza? Ich habe auf Burger einfach keine Lust."
"Pizza ist auch fein."
Nils düste los. Was für eine verrückte Geschichte das ist mit ihm. So eine wahnsinnig tolle, verrückte Geschichte.
"Nein, mach dir keine Sorgen. Das ist nur der Muskelkater von gestern."
Wenn das Muskelkater ist, dann ist der reif für das Guinness-Buch der Rekorde. Meine Arme, meine Brust, alles ist übersät mit blauen Flecken. Ich habe versucht, so tapfer wie möglich zu sein. Jedenfalls bis Dad und Lisa abgefahren sind. Danach bin ich in die Küche gekrochen und habe ein paar Paracetamol-Tabletten in mich reingestopft. Ich habe wirklich Angst, daß etwas gebrochen ist. Aber was? Mir tut wirklich ALLES weh. So schlimm war es ja nicht mal nach meinem allerersten Training. Ich ließ mich auf einen Liegestuhl im Garten fallen und schloß die Augen. 'Ich höre auf', hörte ich mich murmeln, 'ich höre einfach auf mit diesem bekloppten Sport.' Bin ich denn wirklich schon so gehirngewaschen? Mir tut alles weh, ich habe jede Menge blauer Flecken, ich weiß nicht, ob ich mir irgendwas gebrochen habe - also WAS SOLL DAS? Ich könnte die Nachmittage mit so viel anderen Sachen verbringen, als in dieser stinkigen Halle. Die Samstage anders als auf diesen bekloppten Turnieren mit spießiger Bratwurst, selbstgebackenem Kuchen und plörrigem Apfelsaft aus Pappbechern. Ich könnte mit Nils...mit Nils? Ich sitze in der Falle. Ich sitze echt in der Falle! Nils würde das nie mitmachen. Niemals! Er würde es ja nicht mal verstehen, wenn ich aufhöre. Er selber würde nie aufhören. Verdammt. Was wäre, wenn er sich entscheiden müßte? Zwischen mir und dem Ringen? Was soll diese Frage? Ich kenne die Antwort und diese Antwort macht mir Angst und macht mich traurig. Nils würde alles, aber wirklich ALLES für sein Ringen opfern. Ich sitze in der Falle. In einer Falle, in die ich selber getapert bin. Und trotzdem. Ich werde aufhören. Ich muß aufhören. Ich will aufhören.
Mein Telefon klingelt oben in meinem Zimmer. Ich lasse es klingeln. Ehe ich nach oben gekrochen bin, hat es sowieso aufgehört. Ich schließe die Augen. Versuche mir vorzustellen, wie Nils darauf reagiert, wenn ich ihm sage, daß ich aufhöre zu ringen. Das Telefon klingelt wieder. Irgendwann muß ich eingeschlafen sein. Ich wache auf, weil mich jemand an der Nase kitzelt.
"Nils!"
"Wie geht's dir?"
"Was machst du denn hier?"
"Du bist nicht ans Telefon gegangen, da habe ich mir Sorgen gemacht. Außerdem wollte ich dir dein Fahrrad vorbeibringen."
Da stand er, mein Nils, ich sah ihn nur im Gegenlicht, aber er sah so niedlich aus. Normalerweise finde ich kurze Hosen albern. Aber Nils sah einfach nur geil da drin aus.
"Wie geht's dir?" fragte er noch mal.
"Beschissen."
"Tut dir immer noch was weh?"
"Mir tut nicht nur 'was' weh, mir tut ALLES weh!"
Er griff meine Hand: "Es tut mir leid."
Ich nickte. Sollte er ruhig leiden, das geschieht ihm ganz recht. Soll er ruhig ein schlechtes Gewissen haben. Er ging ins Haus, um was zu trinken zu holen. Ich versuchte aufzustehen und es ging erstaunlich gut. Ich weiß nicht, ob die Schmerzen durch die Tabletten weg waren oder weil Nils da war.
Nils kam zurück: "Hey, du kannst ja wenigstens wieder stehen."
Ich mußte lachen. Ich sah seine strahlenden Augen. Ich sah Nils, der doch so stolz war, daß er es geschafft hatte, daß ich in seiner Mannschaft bin. Der alles daran setzte, daß ich den nächsten Wettkampf gewinne. Ich schaffte es einfach nicht, ihm zu sagen, daß ich aufhören will.
"Heute abend Tofa?"
"Tofa oder Sex?"
"Tofa UND Sex?"
"Sex in der Tofa?"
"Oder mit dem Mofa in die Tofa?"
Richtig doll lachen konnte ich noch nicht, dafür tat mir mein Brustkorb noch zu weh, aber es wurde wirklich immer besser. Ich konnte schon wieder aufrecht stehen.
"Wie hast du das eigentlich ausgehalten, bevor wir uns kennengelernt haben?"
"Erinnere mich nicht daran. Es war schrecklich. Ich bin immer fast geplatzt."
"Oller Spinner."
"Nein echt. Ach, das verstehst du nicht."
"Hast du nie gelernt, dich zu beherrschen?"
"Bin ich katholisch, oder was?"
"Was habe ich mir da nur angelacht?"
"Angelacht? Angelacht?", ich ging scherzhaft drohend auf ihn zu, "Darf ich dich nur mal vorsichtig daran erinnern, daß DU mich auf Sylt durch das halbe Zimmer gewirbelt hast?"
"Nachdem DU mir eine filmreife Szene hingelegt hast."
"Der eine ist eben beim Ringen Spitze, der andere eben beim Sex."
"Heißt das etwa...?" Nils' Gesicht wurde düster.
Shit, mir wurde klar, was ich da gesagt hatte. Ich griff nach seiner Hand: "Hey, so habe ich das nicht gemeint. Echt nicht."
"Du bist manchmal unmöglich." Er drückte meine Hand.
"Ich weiß. Sorry."
"Aber vielleicht liebe ich dich ja gerade deshalb. Weil du so verrückt bist."
Ich grinste, ließ mich auf die Liege fallen und schloß die Augen. "Gib doch zu, ich bin unwiderstehlich."
"Manchmal eher unausstehlich."
Irgendwas tropfte auf meine Brust. Nils kippte die Wasserflasche über mir aus: "Damit du nicht vor lauter Eingebildetsein einen Hitzschlag bekommst."
"Gib zu, daß du mich nur mit nassem T-Shirt sehen willst."
Nils seufzte: "Typisch Tim. Naja, vielleicht lerne ich ja auch von dir irgendwann."
Ich blinzelte und grinste.
"Ich habe Hunger."
"Dann müssen wir was kochen."
"Ich kann mich nicht bewegen", protestierte ich.
"Dann mußt du eben hungern."
"Ich dachte, du fährst zum Donald und holst was, damit dein Freund nicht verhungert."
"Zum Donald? Bist narrisch? Viel zu viel Fett."
"Waaas? Jetzt auf einmal?"
"Du sollst doch nicht zunehmen."
"Jetzt ist aber Schluß!" Ich war selber übergerascht von meinem Ton. "Ich trainiere hier echt so, daß ich schon kotzen muß, mir tut jeder Knochen weh, ich habe überall blaue Flecken, man kann jede von meinen Rippen sehen und DU willst mir auch noch vorschreiben, was ich essen darf? Ich hätte nicht übel Lust, das alles einfach hinzuschmeißen."
"Psst." Nils hielt seine Hand vor meinen Mund. "Beruhige dich doch. Das war ein Scherz. Verstehst du, ein Scheherz!"
Ich kam mir albern vor. Auf der anderen Seite bin ich aber auch der Meinung, daß ich Recht habe.
"Ok, wie ist es mit Pizza? Ich habe auf Burger einfach keine Lust."
"Pizza ist auch fein."
Nils düste los. Was für eine verrückte Geschichte das ist mit ihm. So eine wahnsinnig tolle, verrückte Geschichte.
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