Montag, 5. Mai 1997

5. Mai

"Düsseldorf liegt in der Nähe von Köln!"
Ich war noch nicht mal ganz die Treppe unten, da rief mir Doris schon entgegen. Sie stand da wie ein kleiner dicker Racheengel, die Hände in die Hüften gestemmt und blickte mich wütend an. Ich drehte mich um, ob jemand hinter mir war. Niemand. Dann setzte ich mich. Ich setzte mich einfach auf die Treppe und schaute über sie hinweg zur Viereckschanze.
"So leicht, mein Lieber, kommst du mir nicht davon." Sie stieg die Stufen zu mir hoch. Wahrscheinlich wollte sie mir eine Riesenszene machen. Aber sie hielt inne als sie die Tränen in meinen Augen sah.
"Du warst in KÖLN, du warst bei Heiko!" Keine Frage, eine Feststellung.
Ich brauchte nich zu antworten, sie sah mich nur an und wußte es.
"Verdammt noch mal Tim, wache doch endlich auf! Der Typ wohnt hunderte Kilometer weit weg."

Der Morgen hatte eigentlich so gut begonnen. Der ganze gestrige Abend eigentlich auch schon. Dad und ich waren ohne Probleme und Staus schnell wieder zu Hause angekommen. Ich hatte den angeblichen Freundschaftskampf mit ein paar Details ausgeschmückt und damit war das Thema erledigt. Zu Hause habe ich sogar noch Nils angerufen und Bescheid gesagt, daß ich gut wieder zurückgekommen bin. Er hat sich gefreut, mich zu hören. Ich habe gut geschlafen, gefrühstückt, alles war easy, leicht. Bis zu dem Moment, als Doris unten an der "Himmelsleiter" stand und mir diesen Satz entgegenrief.
Ich fing an zu heulen. Es brach wieder aus mir heraus, ich konnte nichts dagegen tun. Doris setzte sich neben mich, nahm mich in den Arm und hielt mich ganz fest. Nach einer Weile fragte sie: "Hast du es ihm wenigstens gesagt?"
Ich schüttelte den Kopf: "Ich wollte, ich wollte es ihm sagen. Ich habe es nicht geschafft. Aber was hätte es auch gebracht?"
"Daß du endlich weißt woran du bist. Glaubst du, er empfindet etwas für dich?"
"Er hat einen Freund, also, was soll er für mich empfinden?"
"Männer!" stieß sie seufzend hervor "Also ich halte mal fest: Er hat einen Freund, wohnt in Köln und läßt Sprüche ab wie 'Dich hatte ich doch schon mal.' Vergiß ihn! Aber GANZ SCHNELL! Man müßte dich prügeln für jeden einzigen Gedanken, den du an ihn verschwendest."
"Er ist nicht so. Er ist, er ist ganz anders...", was machte ich da eigentlich? Ich versuchte, Heiko zu verteidigen.
"Hoffentlich passiert mir nie, nie, nie so was."
"Ich wünsche es dir jedenfalls nicht."
"Und wie soll das weitergehen?"
Statt einer Antwort schüttelte ich den Kopf: "Es wird gar nicht weitergehen. Nichts aus Ende, vorbei. Ich muß sehen, wie ich da durchkomme."
Doris musterte mich: "Dich hat es wirklich erwischt, ganz heftig, glaube ich."
Ich nickte.
"Nils kommt", sie stieß mich in die Seite. Nils kam die Treppe hinauf.
"Na ihr zwei...was tuschelt ihr denn?"
"Frauengespräche", meinte Doris.
"Hi du", Nils buffte mich, dann stutzte er, "was ist denn mit deinen Augen los, die sind ja ganz rot."
"Nichts", beeilte ich mich zu erklären, "ein bissele Heuschnupfen."
"Du hast Heuschnupfen? Das ist mir ja ganz neu."
Ich atmete tief durch: "Du weißt eben immer noch nicht alles von mir."
Die erste Stunde wurde eingeläutet. Nils ging nach unten: "Kommt ihr zwei vielleicht endlich mit?"
"Ich nicht", meinte Doris, "ich habe nur meine Krankschreibung im Sekretariat abgegeben. Ich darf noch ein bissele schwänzen."
"Beneidenswert", knirschte Nils.
Doris sah mich an: "Wie viele Lügen eigentlich noch? Jetzt fange ich auch schon an. Bitte, paß auf. Nils liebte dich wirklich und ich weiß, daß du ihn auch liebst. Also bitte, sei vernünftig."
Sie drückte mich zum Abschied ganz fest und ich taperte nach unten.

Nils hatte sich mit zwei kurzen Sätzen zu meinem Wochenendtrip zufrieden gegeben. Das Stichwort 'Familiensache' reichte aus. Das Training war heute total easy. So kam es mir vor. Ich hatte jede Menge Energie und Kraft. Ich könnte jetzt immer noch hin und herhibbeln, es ist schon verrückt.

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