Freitag, 30. Mai 1997

30. Mai

"Und du meinst, die Sache ist nun ok?" Doris' Stimme klang skeptisch
"Himmel noch mal ja. Ich hoffe es. Ich hoffe es es wirklich. Mehr kann ich dazu nicht sagen."
"Ich glaube, du hast wirklich mehr Glück als Verstand."
Was das nun wieder sollte.
"Sag mal, habt ihr zwei nicht Lust heute Nachmittag mit nach Stuttgart zu kommen? Ich treffe mich da mit Tara einer guten Freundin, die hier mal auf unsere Schule gegangen ist. Wir könnten Eis essen, uns auf den Schloßplatz in die Sonne legen und Leute erschrecken."
"Wieso denkst du denn, daß ich Leute erschrecken, nur weil ich auf dem Schloßplatz liege?"
"Du nicht, aber Tara."
"Aha", mir schwante fürchterliches.

Ich rief Nils an und fragte ihn, ob er Lust hätte. Und er fand die Idee ganz witzig. Ich glaube, wir beide waren ganz froh, daß wir diesen ersten Tag nicht alleine mit uns verbringen mußten. Und so tuckerten wir also mit dem Zug in richtung Stuttgart. Doris war einfach genial. Sie schaffte es, eine total lockere Stimmung zu zaubern und Nils und ich waren nur noch am kichern.

Dann sind wir erst mal wie die Bekloppten durch halb Stuttgart gerannt, weil Doris natürlich die genaue Adresse verbusselt hatte und sich nur noch dunkel an ihren letzten Besuch erinnert hat. Naja, jedenfalls haben wir dann nach einer halben Ewigkeit dieses Haus un der Ludwigstraße gefunden. Wobei Haus eigentlich total zu viel gesagt ist. So was kenne ich eigentlich nur noch aus alten Fernsehbildern aus der Hafenstraße oder aus Berlin. Naja, und dementsprechend war auch Tara. Daß sich manche Sachen aber auch so bewahrheiten müssen. Ich meine, als ich das Haus gesehen habe, wußte ich ganz genau, wie Tara aussehen wird...und was war, na klar! Aber trotzdem war sie total nett und witzig. Irgendwie total logisch, daß sie sich mit Doris gut versteht. Aber die Wohnung in der sie wohnt sieht wirklich total versifft aus. Nils und ich guckten uns an und wußten nicht so recht, ob wir grinsen oder das Gesicht verziehen sollten. Zum Glück blieben wir nicht lange da und taperten los um die Innenstadt unsicher zu machen. Tara erzählte Stories, wie sie bei ihrem HL-Markt um die Ecke permanent Joghurt schon im Laden aufißt ohne ihn zu bezahlen. Aber sie brachte das so locker rüber, daß Nils und ich nach kurzer Zeit anfingen, darüber zu lachen. Jedenfalls nahmen wir jede zweite Eisdiele mit und als wir endlich am Schloßplatz waren, blieb uns gar nichts anderes übrig, als uns hinzusetzen, so pappsatt waren wir. Doris knipste unaufhörlich mit ihrer Ritsch-Ratsch-Kamera herum und wir genossen die Sonne. Zu gerne hätte ich meinen Kopf einfach so auf Nils' Brust gelegt, ihn gespürt. Aber das ging natürlich nicht, um uns herum tobte das Leben. Irgendwann zottelten die beiden Mädels los zum Klamotten-Einkaufen und Nils und ich baumelten mit den Füßen im Brunnen.
"Weiß sie Bescheid?" fragte er.
"Wer? Tara? Keine Ahnung."
"Es ist komisch", meinte er, "ich glaube, es würde mir nichts ausmachen. Im Gegenteil, ich würde das sogar gut finden, weil, dann müßte man nicht so aufpassen und Theater spielen."
Ich guckte ihn an, wahrscheinlich mit großen Augen. Was hatte er da gerade gesagt? War das MEIN Nils, der das gesagt hatte?
"Meinst du, daß wir irgendwann, einfach so Hand in Hand durch die Gegend laufen können?"
"Ich weiß es nicht. Ich glaube in Bergbach bestimmt nicht. Und wenn ích mir das hier so angucke...hier laufen die Typen auch nicht Hand in Hand durch die Gegend. Aber eigentlich ist das auch egal. Solange wir uns nicht total verstecken müssen."
"Ist das in Hamburg anders?"
"Keine Ahnung. Du bist doch mein erster Freund. Vielleicht ist es da nicht ganz so spießig wie hier. Aber ich würde mich das am Gysue auch nicht trauen."
Ich merkte, wie er ganz leicht nach meiner Hand griff und sie drückte. Wir schauten uns an und brauchten nichts zu sagen. Nils, es ist MEIN Nils.
Nach einer halben Ewigkeit kamen die Mädels zurück. Als sie anfingen, uns die Klamotten, die sie erstanden hatten, zu präsentieren, haben wir allerdings sehr schnell abgewunken. Frauen haben schon einen seltsamen Geschmack.
Irgendwann machten wir uns dann wieder auf in Richtung Bahnhof und fuhren zurück nach Hause.
"Pennst du morgen nach dem Wettkampf bei mir? Meine Eltern sind weg." fragte Nils.
Ich merkte, wie mein Herz wieder aufging. "Jaaaa, nichts lieber als das." Und ich nahm ihn in den Arm, drückte ihn ganz fest und küßte ihn. Es war mir egal, ob uns jemand an der Kreuzung sah.

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