Freitag, 2. Mai 1997

2. Mai

"Na dann los", sagte Dad und ließ den Wagen unsere Straße runterrollen. Eine ganz witzige Sache, wir wetteten immer, wie weit der Wagen ohne Gasgeben rollen würde. Meistens schafften wir es vorbei an meiner Schule, runter bis zum Bäcker. Dann abbiegen, Richtung Stuttgart und Autobahn, vorbei an "unserer" Kreuzung, vorbei an unserer Trainingshalle. Ich sitze hinten und wir sind auf dem Weg nach Düsseldorf, oder nach Köln oder sonstwohin. Ich bin immer noch wirr im Kopf von der letzten Nacht mit Nils. Und ich frage mich gerade, was ich eigentlich in diesem Auto mache. Ich habe gerade in der letzten Nacht mit meinem Freund geschlafen. Also richtig geschlafen. Und ich glaube mehr als vorher, daß wir ganz richtig zusammengehören. Und trotzdem sitze ich in diesem Auto und fahre mit meinem Dad nach Köln. Warum? Was will ich da? Will ich Heiko so haben, wie ich Nils habe? Will ich ihn einfach nur wiedersehen? Was will ich denn, verdammt noch mal? Ich weiß es nicht. Ich habe Angst, daß es wehtut.

Ein paar Stunden später sitze ich bei McDo. Dad hat mich in der Innenstadt von Köln abgesetzt und wird mich am Sonntag Nachmittag wieder hier abholen. Er hat mir viel Glück für das Turnier gewünscht. Ich fühle mich mies, warum nur lüge ich alle Leute an? Auf der anderen Seite, was habe ich denn für eine Alternative? Es sind noch drei Stunden hin, bis sich diese Gruppe trifft und je näher die Zeit kommt, desto abartiger finde ich die ganze Sache. WAS MACHE ICH HIER EIGENTLICH? Ich fahre quer durch die halbe Republik, um einen Jungen wiederzusehen, der gar nichts von mir will, der mir an den Kopf geworfen hat "Dich hatte ich doch schon mal". WAS ERWARTE ICH DENN? Ich komme immer mehr zu dem Entschluß, daß ich total bekloppt bin. Vor allem, WENN er kommt, WENN ich ihn treffe, WENN wir wenigstens miteinander reden, WAS DANN? Ich glaube so viele Fragezeichen hatte ich noch nie in meinem Leben auf einmal. Am liebsten würde ich gleich wieder zurückfahren. Zurück zu Nils, meinem Nils, ihm alles erzählen, ihn um Verzeihung bitten und mich einfach in seinen Armen ausweinen. Ich mache nichts dergleichen. statt dessen sitze ich hier, süffele den was weiß ich wievielten Milch-Shake. Neben mir wuselt die Welt, ich nehme alles nur unscharf wahr. Die Sachen rauschen an mir vorüber. Ja, der Platz neben mir ist noch frei, nein ich komme nich aus Köln, nein ich weiß nicht, wo der und der Laden ist. Ich hole den Stadtplan raus, den ich mir noch rasch gekauft habe und suche wenigstens mal die Jugendherberge raus. Ich bete, daß die dort wenigstens ein Bett frei haben. Was soll ich denn machen wenn nicht? Soll ich unter einer Brücke pennen? Dieses ganze Unternehmen ist so bescheuert und daneben, daß ich mich selber ohrfeigen könnte. Was Nils wohl gerade macht? Wie schön könnte ich jetzt mit ihm am Kochertalweg sitzen, einfach nur dasitzen, auf Bergbach runtergucken und träumen. Ich glaube, ich werde noch wahnsinnig!

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