Sonntag, 9. März 1997
9. März
"Bleibt der Junge zum Mittag?"
Es gibt Situation in denen möchte ich mich selbst am liebsten zur Adoption freigeben. 'Der Junge' hat sie gesagt. Ich könnte schreien, Haareraufen oder was weiß ich sonst noch alles. Aber nein. Ich bleibe ruhig und schüttele den Kopf. Aber der Reihe nach. Nils kam. Mein Nils. Ich weiß nicht woher, aber er hatte allen Ernstes eine Flasche Champagner dabei. Die präsentierte er auch noch ganz easy meinen Parents als ich ihn reinließ. "Wir begiessen heute Tims Sieg" meinte er fröhlich. "Oh, du hattest heute einen Wettkampf? Du hast gar nichts erzählt", Dad guckte mich vorwurfsvoll an.
"Och, es war nicht besonderes", warf ich ein. Mom sagte lieber erst gar nichts. Wir gingen hoch in mein Zimmer.
"Bist du völlig durchgedreht", zischte ich Nils an, nachdem die Tür hinter uns zu war.
"Wieso? Glaubst du, deine Eltern wissen nicht, daß du Alk trinkst? Wo lebst du denn?"
"Schon, ach was weiß ich." Es war mir irgendwie peinlich, Nils meine Eltern zu präsentieren. Ich weiß gar nicht wieso. Nicht daß es irgendetwas geben würde, wofür ich mich schämen müßte. Nicht daß ich Angst hätte, Nils könnte sich total daneben benehmen. Aber irgendwie ist es komisch. Ich drehte den Schlüssel um. "Damit Lisa nicht plötzlich reinstürmt", meinte ich. "Und wer holt jetzt die Gläser?" "Brauchen wir die?" Ich nahm ihm die Flasche aus der Hand und begann, ihn zu küssen. Frisch geduscht roch er noch besser als sonst schon. Ich weiß nicht, wie lange wir so da standen. Irgendwann griff Nils nach der Flasche und pfriemelte den Korken auf. "Auf unseren Champ!" Es war ein total toller Champagner, aber ich merkte, wie er sofort in den Kopf ging. Ich war wieder einmal überrascht, wie sehr sich Nils über meinen Sieg freute. Ganz so, als wäre ich sein persönliches Ziehkind. Naja, was soll's.
Wir pflanzten uns auf mein Bett und warfen das Video von Doris rein. Ok, ich gebe zu, daß ich den Film nicht ganz so dolle finde. 'Coming Out' heißt er und handelt irgendwie von einem Lehrer, der ziemlich spät merkt, daß er schwul ist und sich mehr oder weniger in einen total häßlichen Jungen verknallt. Doris hatte noch ein Zettel reingepackt, auf dem Stand, daß dieser Film wohl genau am 9. November 1989 Premiere in Ost-Berlin hatte. Insgesamt fand ich den Film dann auch ziemlich traurig, weil er auch gar keinen richtigen Schluß hatte. Aber trotzdem saßen Nils und ich Hand in Hand und guckten ihn bis zum Ende. Die Flasche wechselte zwischen uns hin und her.
"Deine Doris ist schon irgendwie ganz ok", meinte er. "Meine Doris, naja..." Ich glaube ich war schon zu betrunken, um überhaupt irgendwas Vernünftiges zu antworten. Zu allem Übel holte ich noch den Rest der Bailey's-Flasche aus dem Schrank, die wir auch noch austranken. Das heißt, wir fingen damit an. Irgendwann kullerte Nils von meinem Bett auf den Boden. Was ich ziemlich lustig fand. Eigentlich wollte ich ihn ja zurück auf mein Bett heben, aber das schaffte ich dann auch nicht mehr und pennte tatsächlich ein. Irgendwann gegen sechs Uhr früh wachte ich auf, mit einem total trockenen Mund und bekam einen riesigen Schreck. Aber eigentlich bestand dazu kein Grund. Nils lag vor meinem Bett auf dem Boden und schlief seelig vor sich hin. Wie er so da lag hätte ich ihn am liebsten sofort ausgezogen und ihn ins Bett gelegt. Aber ich beherrschte mich. Ich deckte ihn zu, taperte ins Bad und trank den halben Wasserhahn leer, so einen tierischen Durst hatte ich. Ich versuchte, einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen, aber es ging nicht. Na und, dachte ich mir. Liegt Nils halt in meinem Zimmer und pennt. Was soll's.
Ich schloß die Tür wieder ab, küßte ihn sanft auf seinen Nacken und packte mich wieder ins Bett. Ich wachte auf, als mich Nils sanft auf die Stirn küßte. Shit, es war schon zehn Uhr morgens.
"Gib's zu, da war was drin im Champagner", meinte ich. "Wir hätten die Flasche Bailey's nimmer trinken dürfen", grinste Nils.
"Wie kommst du denn jetzt hier raus?"
"Wie raus?"
"Na ich meine, meine Eltern sitzen doch unten."
"Ja und, meine Güte. Ist denn das das erste Mal, das irgendjemand bei dir übernachtet?"
"Nein, natürlich nicht, aber..." Er hatte ja recht. Wie oft hatte Tassi schon bei mir gepennt, wenn es zu spät geworden war. Aber das war etwas anderes. Tassi war und ist nicht schwul. Tassi war nie mein Lover. Shit, was machte ich mir überhaupt für seltsame Gedanken? Ich taperte nach unten in die Küche und fing an, Tee zu kochen, als Mom mich fragte, ob Nils eben noch zum Mittag blieben würde. "Bestimmt nicht", antwortete ich einsilbig. Nils grinste nur, als ich ihm das erzählte. Nach einem langen Kuß zur Verabschiedung taperten wir schließlich nach unten und Nils verabschiedete sich. Nun sitze ich hier und erst so langsam wird mir klar, was eigentlich passiert ist. Das heißt, eigentlich ist ja gar nix passiert. Überhaupt nichts. Nicht mal, wenn jemand von meiner Family reingekommen wäre, hätten sie irgendwas bemerken können. Außer daß wir vielleicht zu viel Alk intus hätten. Na ok, das ist aber auch alles. Aber langsam stelle ich inzwischen fest, daß das mit dem vielen Alk echt daneben ist. Weil ich eben überhaupt keine Kontrolle mehr darüber habe, was passiert. Das hätte ganz leicht vorkommen können, daß wir miteinander im Bett gelegen hätten und wenn dann jemand reingekommen wäre....nicht auszudenken.
Gerade habe ich Doris angerufen und mich artig für das Video bedankt. Sie hat natürlich gefragt, wie ich es gefunden habe. Meinen Kommentar 'reichlich ostig' fand sie wohl nicht sonderlich amüsant. "Du mußt mal überlegen, unter welchen Bedingungen und in welcher Zeit, der Film gedreht wurde", dozierte sie. Ok, sie hat ja recht und ich finde es ja auch ganz toll, daß sie diesen Film extra für mich aufgenommen hatte. Vielleicht sollte ich einfach mal in Zukunft ein bißchen vorsichtiger sein mit den Sachen, die ich sage.
Es gibt Situation in denen möchte ich mich selbst am liebsten zur Adoption freigeben. 'Der Junge' hat sie gesagt. Ich könnte schreien, Haareraufen oder was weiß ich sonst noch alles. Aber nein. Ich bleibe ruhig und schüttele den Kopf. Aber der Reihe nach. Nils kam. Mein Nils. Ich weiß nicht woher, aber er hatte allen Ernstes eine Flasche Champagner dabei. Die präsentierte er auch noch ganz easy meinen Parents als ich ihn reinließ. "Wir begiessen heute Tims Sieg" meinte er fröhlich. "Oh, du hattest heute einen Wettkampf? Du hast gar nichts erzählt", Dad guckte mich vorwurfsvoll an.
"Och, es war nicht besonderes", warf ich ein. Mom sagte lieber erst gar nichts. Wir gingen hoch in mein Zimmer.
"Bist du völlig durchgedreht", zischte ich Nils an, nachdem die Tür hinter uns zu war.
"Wieso? Glaubst du, deine Eltern wissen nicht, daß du Alk trinkst? Wo lebst du denn?"
"Schon, ach was weiß ich." Es war mir irgendwie peinlich, Nils meine Eltern zu präsentieren. Ich weiß gar nicht wieso. Nicht daß es irgendetwas geben würde, wofür ich mich schämen müßte. Nicht daß ich Angst hätte, Nils könnte sich total daneben benehmen. Aber irgendwie ist es komisch. Ich drehte den Schlüssel um. "Damit Lisa nicht plötzlich reinstürmt", meinte ich. "Und wer holt jetzt die Gläser?" "Brauchen wir die?" Ich nahm ihm die Flasche aus der Hand und begann, ihn zu küssen. Frisch geduscht roch er noch besser als sonst schon. Ich weiß nicht, wie lange wir so da standen. Irgendwann griff Nils nach der Flasche und pfriemelte den Korken auf. "Auf unseren Champ!" Es war ein total toller Champagner, aber ich merkte, wie er sofort in den Kopf ging. Ich war wieder einmal überrascht, wie sehr sich Nils über meinen Sieg freute. Ganz so, als wäre ich sein persönliches Ziehkind. Naja, was soll's.
Wir pflanzten uns auf mein Bett und warfen das Video von Doris rein. Ok, ich gebe zu, daß ich den Film nicht ganz so dolle finde. 'Coming Out' heißt er und handelt irgendwie von einem Lehrer, der ziemlich spät merkt, daß er schwul ist und sich mehr oder weniger in einen total häßlichen Jungen verknallt. Doris hatte noch ein Zettel reingepackt, auf dem Stand, daß dieser Film wohl genau am 9. November 1989 Premiere in Ost-Berlin hatte. Insgesamt fand ich den Film dann auch ziemlich traurig, weil er auch gar keinen richtigen Schluß hatte. Aber trotzdem saßen Nils und ich Hand in Hand und guckten ihn bis zum Ende. Die Flasche wechselte zwischen uns hin und her.
"Deine Doris ist schon irgendwie ganz ok", meinte er. "Meine Doris, naja..." Ich glaube ich war schon zu betrunken, um überhaupt irgendwas Vernünftiges zu antworten. Zu allem Übel holte ich noch den Rest der Bailey's-Flasche aus dem Schrank, die wir auch noch austranken. Das heißt, wir fingen damit an. Irgendwann kullerte Nils von meinem Bett auf den Boden. Was ich ziemlich lustig fand. Eigentlich wollte ich ihn ja zurück auf mein Bett heben, aber das schaffte ich dann auch nicht mehr und pennte tatsächlich ein. Irgendwann gegen sechs Uhr früh wachte ich auf, mit einem total trockenen Mund und bekam einen riesigen Schreck. Aber eigentlich bestand dazu kein Grund. Nils lag vor meinem Bett auf dem Boden und schlief seelig vor sich hin. Wie er so da lag hätte ich ihn am liebsten sofort ausgezogen und ihn ins Bett gelegt. Aber ich beherrschte mich. Ich deckte ihn zu, taperte ins Bad und trank den halben Wasserhahn leer, so einen tierischen Durst hatte ich. Ich versuchte, einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen, aber es ging nicht. Na und, dachte ich mir. Liegt Nils halt in meinem Zimmer und pennt. Was soll's.
Ich schloß die Tür wieder ab, küßte ihn sanft auf seinen Nacken und packte mich wieder ins Bett. Ich wachte auf, als mich Nils sanft auf die Stirn küßte. Shit, es war schon zehn Uhr morgens.
"Gib's zu, da war was drin im Champagner", meinte ich. "Wir hätten die Flasche Bailey's nimmer trinken dürfen", grinste Nils.
"Wie kommst du denn jetzt hier raus?"
"Wie raus?"
"Na ich meine, meine Eltern sitzen doch unten."
"Ja und, meine Güte. Ist denn das das erste Mal, das irgendjemand bei dir übernachtet?"
"Nein, natürlich nicht, aber..." Er hatte ja recht. Wie oft hatte Tassi schon bei mir gepennt, wenn es zu spät geworden war. Aber das war etwas anderes. Tassi war und ist nicht schwul. Tassi war nie mein Lover. Shit, was machte ich mir überhaupt für seltsame Gedanken? Ich taperte nach unten in die Küche und fing an, Tee zu kochen, als Mom mich fragte, ob Nils eben noch zum Mittag blieben würde. "Bestimmt nicht", antwortete ich einsilbig. Nils grinste nur, als ich ihm das erzählte. Nach einem langen Kuß zur Verabschiedung taperten wir schließlich nach unten und Nils verabschiedete sich. Nun sitze ich hier und erst so langsam wird mir klar, was eigentlich passiert ist. Das heißt, eigentlich ist ja gar nix passiert. Überhaupt nichts. Nicht mal, wenn jemand von meiner Family reingekommen wäre, hätten sie irgendwas bemerken können. Außer daß wir vielleicht zu viel Alk intus hätten. Na ok, das ist aber auch alles. Aber langsam stelle ich inzwischen fest, daß das mit dem vielen Alk echt daneben ist. Weil ich eben überhaupt keine Kontrolle mehr darüber habe, was passiert. Das hätte ganz leicht vorkommen können, daß wir miteinander im Bett gelegen hätten und wenn dann jemand reingekommen wäre....nicht auszudenken.
Gerade habe ich Doris angerufen und mich artig für das Video bedankt. Sie hat natürlich gefragt, wie ich es gefunden habe. Meinen Kommentar 'reichlich ostig' fand sie wohl nicht sonderlich amüsant. "Du mußt mal überlegen, unter welchen Bedingungen und in welcher Zeit, der Film gedreht wurde", dozierte sie. Ok, sie hat ja recht und ich finde es ja auch ganz toll, daß sie diesen Film extra für mich aufgenommen hatte. Vielleicht sollte ich einfach mal in Zukunft ein bißchen vorsichtiger sein mit den Sachen, die ich sage.
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