Samstag, 1. März 1997
1. März
11:30
"Na du!" Nils lächelte. Nein er glühte vor Lächeln. Ich fiel noch im Flur über ihn her, bedeckte ihn mit Küssen. Das schönste Geburtstagsgeschenk von allen. Nils einfach nur im Arm halten und ihn küssen. Niemand da, der uns stören könnte. Ich merkte, wie ich geil wurde. "Dafür haben wir Zeit", flüsterte er in mein Ohr und zog mich ins Wohnzimmer. "Ich dachte, ich koche ein bißchen."
Nils und kochen. Das paßte irgendwie überhaupt nicht für mich zusammen.
"Was gibt es denn? Tiefkühlpizza?" spottete ich
Das hätte ich lieber nicht sagen sollen. Ich sah, wie seine Mundwinkel nach unten gingen. "Hey, das war doch nicht so gemeint", tröstete ich ihn. Er hatte den Tisch perfekt gedeckt. Mit einem großen weißen Tischtuch, mit Servietten, Weingläsern und jede Menge Kerzen. Überhaupt war die ganze Wohnung ein einziges Kerzenmeer. Alles erstrahlte in einem sanften Licht. Es war wie in einem Traum. Ich habe einen Freund. Ich sitze an einem weiß gedeckten Tisch. Nils gießt den Wein ein. Die Kerzen spiegeln sich im Rot des Chiantis. Dann verschwindet er in der Küche und kommt nach einer Weile wieder zurück. "Penne arrabiata", verkündet er geheimnisvoll und stellt mir einen großen Teller mit Nudeln und einer spannend aussehenden roten Soße hin. Spannend im wahrsten Sinne des Wortes. Die Soße schmeckte toll. Aber sie war zugleich höllisch scharf, so daß ich gar nicht hinterher kam mit dem Wein, um das brennende Gefühl in meinem Mund zu löschen. Aber es schmeckte wirklich super. Aber das war nicht alles, Nils meinte, die Hauptspeise würde erst noch kommen. Und er verschwand kurz in der Küche. Komisch, ich hatte bisher nur zwei Gläser Wein getrunken, aber mir trieselte es schon im Kopf. Dann kam er wieder rein: "Calamari livornese!"
"Gibs zu", flachste ich, "du hast in Wirklichkeit in einem Drei-Sterne-Restaurant dein Bogy gemacht."
Er grinste. Dieser Gang war Knoblauch pur. Aber es schmeckte einfach super. Ich war wirklich überrascht, das Nils so gut kochen konnte. Vor allem, wie hat er das so alles von der Zeit hinbekommen?
"Und jetzt noch der Nachtisch", sagte er, als ich meinen letzten Bissen runtergeschluckt hatte.
"Bist du wahnsinnig? Ich platze gleich!"
"Nix da!"
Er verschwand in der Küche. Weil ich es so von zu Hause gewöhnt war, wollte ich ihm beim Abräumen helfen, aber er warf mich gleich wieder aus der Küche raus: "Du hast Geburtstag, ab an die große Tafel!"
Also fügte ich mich, genoß das angenehm trieselige Gefühl in meinem Kopf. Ich brachte die einzelnen Möbelstücke in meinem Kopf in einer neue Ordnung bis Nils schließlich wieder hineinkam: "Und zum Nachtisch: Zabaione."
"Wenn das Dimitri wüßte."
"Scheiß drauf."
"Ich bin pappsatt!" sagte ich, nachdem ich den letzten Löffel geleert hatte. Wieso um alles in der Welt konnte Nils nur so gut kochen? Ich schaute ihn an, meinen Nils. Ich weiß nicht, woran es lag, vielleicht am Wein. Mir schossen die Tränen in die Augen. "Um Gottes Willen, was ist denn los?" fragte er besorgt.
"Es ist nichts", ich versuchte die Tränen zu unterdrücken, "es ist nur, weil ich dich so liebe."
Er nahm mich in den Arm und drückte mich. Ich fühlte mich so sicher. "Weißt du noch, was ich dir damals gesagt, habe im Oktober?"
"Ich nickte: "Von jetzt an beschütze ich dich, hast du gesagt."
Nils nickte: "Ich laß dich nie wieder los." Er hielt mich fest. Wir standen eine halbe Ewigkeit so. Irgendwann flüsterte er in mein Ohr: "Hey, gleich hat jemand Geburtstag."
Ich schielte zur Uhr, es waren tatsächlich nur noch ein paar Minuten.
"Moment", sagte er und verschwand. Als er wiederkam, zog er mich in Richtung seines Zimmers. Um Punkt zwölf durfte ich rein. Gleichzeitig ploppte der Korken einer Sektflasche. Sein Zimmer war ein Meer von Kerzen. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Schatz", flüsterte er zärtlich in mein Ohr. Ich war einfach nur sprachlos und hatte schon wieder Tränen in den Augen. Die Gläsern trafen sich, machten "Kling". Ich war siebzehn. Und ich war der glücklichste Mensch der Welt. In meinem Arm mein Schatz, mit dem längsten und schönsten Kuß der Welt. Ich schwebte und drückte ihn ganz fest. Ich weiß nicht, wie lange wir so dastanden. Irgendwann löste sich unsere Umarmung und er gab mir ein kleines Päckchen: "Für dich." Ich begann, es auszupacken. Als erstes kam ein kleiner Teddybär zum Vorschein. Ich mußte lachen. Irgendwann hatte ich ihm mal gesagt, daß ich kleine Bären total niedlich finde, und jetzt erst der Eisbär und dann der hier. Er ist wirklich süß. Was ist nur los mit mir. Ich fange an, zu heulen. Zu Heulen, wegen eines Stoffbärs? Das kann doch alles nicht wahr sein! Als nächstes packe ich eine CD aus und lege sie in den Player. Es ist seltsam, so eine Musik habe ich noch nie gehört, aber sie ist einfach nur schön: Brian Eno. Und als letztes ein großes Blatt Papier. Darauf ein Gedicht. Wenn ich nicht schon Tränen in den Augen gehabt hätte, dann wäre das spätestens der Augenblick gewesen, um loszuheulen. Plötzlich entdecke ich Seiten an Nils, die ich nie geahnt hätte. Ich umarme ihn, halte ihn einfach nur fest. Ich möchte diesen Moment ebenso festhalten wie Nils. Ich weiß, was auch passieren wird in meinem Leben, diesen Augenblick werde ich nie vergessen, genauso wie den Moment, wo er mich das erste Mal in den Arm genommen hatte. Wir fallen auf sein Bett. Sein Küsse sind so sanft und doch so leidenschaftlich. Alles ist an seinem Platz und so wie es richtig ist. Ich spüre seinen Atem, seine Haut. Ich blicke ihn an und bin so voll von Liebe. Es gibt nichts mehr, nur noch ihn. Ich weiß, daß ich nur noch ihn will, ihn fühlen will, ganz, in mir. Ich nehme seinen Schwanz und führe ihn an die Stelle. Seine fragenden Augen. Ja Nils, ich will es, ich will dich ganz spüren, ganz und gar. Und es geht, es geht, als wäre es die einfachste Sache der Welt. Nils' Gesicht glüht und er hat Tränen in den Augen. Genauso wie ich. Wir brauchen nichts zu sagen. Es ist ein schweigendes "Wir bleiben für immer zusammen". Und in dieser Nacht heute haben wir es uns versprochen.
Ich wachte auf, als mich Nils sanft auf die Stirn küßte: "Frühstück, du Geburtstagskind." Ich war totmüde und guckte auf die Uhr. Es war fünf. Fünf Uhr in der Frühe! Doch Nils kam mir zuvor: "Hast du nicht gesagt, daß du heute früh zu Hause sein mußt, wegen deinen Eltern?" Verdammt, das hatte ich total vergessen. Und Nils, mein Schatz, hatte daran gedacht. Wir frühstückten im Bett. Es war total schön, aber auch total unpraktisch. Im Fernsehen sieht so was immer total easy aus. Dann setzten wir das Bad beim Duschen unter Wasser ehe ich schließlich meine Sachen zusammensammelte. Ich wäre so gerne noch bei ihm geblieben. Aber ich hatte ja versprochen, daß ich zum Frühstück wieder zu Hause sein würde. Ein langer Kuß zum Abschied: "Wir sehen uns heute Abend."
Der Weg zurück nach Hause. Die Straßen menschenleer. Mein Kopf voll mit Nils. Und ich komme mir tatsächlich vor wie im Film. Die Szene, wo der Held plötzlich merkt, er ist ein anderer. Seit heute Nacht ist tatsächlich alles anders. Nicht, weil ich siebzehn geworden bin. Was sagt das schon? Nein, zum allerersten Mal in meinem Leben habe ich einem Menschen so tief vertraut. Dieses Gefühl, ich kann es gar nicht beschreiben. Nur noch Liebe in mir. Und trotzdem ist mir so, als würde ich auf einmal alles viel klarer sehen. Die Dinge um mich herum bekommen einen Sinn. Bin ich das, was man erwachsen nennt?
Leise schließe ich die Tür auf. Ich höre Mom im Eßzimmer wuseln. Lautlos husche ich die Treppe hinaus in mein Zimmer und lasse mich auf's Bett fallen. Nils, was hast du nur mit mir gemacht? Ich verstaue sein Gedicht sicher im Bisley, stelle den kleinen Teddy auf den Schreibtisch. Irgendwie muß ich kurz eingenickt sein, denn ich schrecke hoch, als es an meiner Tür klopft: "Tim! Aufwachen! Geburtstag!" Es ist Lisa, die hineinstürmt und strahlt. Ich hebe sie hoch und wirbele sie herum. Ihre kleinen Ärmchen drücken mich so fest sie können: "Alles Gute zum Geburtstag." Sie gibt mir ein großes Bild. Das soll wohl ich sein, der da auf einem Boot steht und winkt. Die Sonne lacht. Auf allen Bildern von Lisa lacht die Sonne. Es bekommt einen Ehrenplatz! Mom und Dad stehen in der Tür und lächeln. "Alles Gute zum Geburtstag", sagte Mom und drückte mich. Auch Dad wünscht mir alles Gute. Ganz genau so, wie er es immer getan hat. Ein fester Händedruck, eine kurze Umarmung. Wir gehen nach unten. Im Eßzimmer ein gedeckter Frühstückstisch mit Kerzen. Dad schleppt einen großen, in Geschenkpapier verpackten Karton hinein: "Von uns, zum Geburtstag", grinst er. Mom legt noch ein kleineres Paket obendrauf. Auspacken gibt es erst nach dem Frühstück. Eigentlich habe ich gar keinen Hunger. Kein Wunder, von Kurzem habe ich doch schon mal gefrühstückt. Dann geht es an's Auspacken. Ich dachte ich spinne. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet: ein neuer Computer. "Ich denke mal, den kannst du bestimmt gebrauchen, in der Schule und auch später", sagte Dad. Wow, ich war total überwältigt. "Er hat sogar eine ISDN-Karte drin. Aber frage mich nicht, wie das funktioniert, das habe ich absolut keine Ahnung." Verrückt. Ok, ich habe wirklich ein paar Mal geflucht, über den alten Computer, weil er bei den meisten Spielen so elendig langsam ist. Aber ich hätte ja nie damit gerechnet, daß ich einen Neuen bekomme. Wir tapern in mein Zimmer. Das Aufbauen des neuen Rechners wird echt zum Ereignis. Fehlt eigentlich nur noch das Fernsehen. Er läuft, und total schnell. Das ist schon ein total anderes Gefühl, wenn Windows innerhalb von kürzester Zeit hochbootet. Ich muß ihn nur noch richtig einrichten, aber das mache ich in Ruhe in der nächsten Woche. Außerdem muß ich die Online-Karte mit AOL installieren. Vielleicht kann mir ja Max dabei helfen. Uff, was für ein aufregender siebzehnter Geburtstag. Phil hat mir zwei CDs geschickt mit Live-Aufnahmen von Oasis, die ich noch gar nicht kannte. Schon spannend, wo er die nun wieder her hat.
23:56
Uff, was für ein Tag. Ich gehe ihn noch mal in Gedanken durch. So viel ist heute passiert. Und doch eigentlich gar nicht so viel. Doch, Nils und ich haben heute zum ersten Mal wirklich richtig miteinander geschlafen. Ich meine so ganz richtig. Nie hätte ich vorher gedacht, daß ich DAS mal machen würde. Aber es war so toll, ein großartiges Gefühl. Heute? Doch ja, irgendwann heute kurz nach Mitternacht ist es passiert.
Und dann Geburtstagsfeier. Oma hatte angerufen, natürlich auch Phil, Max, Florian, Benji und sogar Tobias. Und dann die Geschenke: Ein neuer Computer, ein total cooles Levis-Shirt, ein tolles Buch über Architektur. Von Doris ein geheimnisvolles Video, was ich mir alleine oder mit Nils angucken soll (das machen wir gemeinsam), wie sie mir zuflüsterte. Und Nils brachte tatsächlich noch ein Geschenk mit: "Winning Wrestling Moves". "Damit du mal ein paar mehr Griffe lernst, als den Halbnelson", grinste er. Es war schon komisch heute Abend. Erst kam Doris und Mom hatte die ganze Zeit über totale Schwierigkeiten, sie nicht zu siezen. Doris und ich guckten uns immer an und waren kurz davor, loszuprusten.
Dann kam Nils. Ich weiß ja nicht, was ihn geritten hat, aber er hatte allen Ernstes ein Jacket an. Das war dann wirklich zuviel für Doris und mich und wir mußten nur noch lachen. Sogar Mom meinte: "So förmlich geht es bei uns ja nun wirklich nicht zu." Ich schmeiß mich weg: Nils im Jacket! "Ich dachte ihr seid so vornehm", zischte er mir in der Diele zu. Ich kniff ihm in den Hintern als Antwort. Das lag am Rotwein, den ich schon vorher getrunken hatte. Aber das gemeinsame Abendessen verlief tatsächlich ohne Probleme. Dad und Doris verstanden sich fabelhaft und unterhielten sich über so weltbewegende Themen wie Umweltschutz und soziale Verantwortung. Es ist seltsam, ich hätte nie gedacht, daß Dad sich über solche Dinge tatsächlich Gedanken gemacht hätte. Aber die beiden schienen wirklich eine ganze Menge Gemeinsamkeiten zu entdecken. Nils und ich grinsten uns verstohlen an, wenn niemand uns beobachtete. Ansonsten hatte er heftig mit den diversen Fischsorten zu kämpfen. "Sie essen wohl hier nicht oft, Fisch, oder? Oh, Entschuldigung, ich meinte natürlich 'du'." Es gibt Momente, bei denen ich mich am liebsten zur Adoption freigeben würde. Dabei hatte Mom das wahrscheinlich gar nicht so arrogant gemeint, wie es geklungen hatte. Aber Nils war einfach göttlich in seiner Reaktion: "Nein, das ist ja auch ein langer Weg von der Küste bis hierher. Wir sind eher für die urigen, bodenständigen Dinge." Woff, das saß! Das Wort 'bodenständig' hatte ich bisher kaum wahrgenommen. Nein, aber alles in allem war es wirklich ok. Wir unterhielten uns prächtig und irgendwann taperten Nils und Doris in mein Zimmer. Nicht ohne, daß Doris vorher Lisa eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen mußte.
"Deine Eltern sind gar nicht so übel", meinte Nils
"Naja geht so. Weißt du, daß du mir gefehlt hast?"
"Das will ich doch hoffen", er gab mir einen raschen Kuß auf den Mund, gerade in dem Moment, als Doris reinkam.
"Ihr werdet leichtsinnig, ihr Zwei", sagte sie und grinste.
Ich zuckte mit den Schultern und ließ mich aufs Bett fallen: "Was soll ich machen, ich habe den liebsten Jungen der Welt. Und wer weiß, vielleicht werde ich sogar schwanger."
"Tim!" Nils' gespielte Strenge brachte mich für einen Moment aus dem Gleichgewicht. Ich blickte zu Doris, die etwas verwirrt aussah. "Oh nein, ihr Männer seid doch ale gleich", lachte sie schließlich.
Es war einfach nur schön. Da saßen die beiden Menschen, die mir im Moment, außer meiner Familie vielleicht, am meisten bedeuteten. Und wir blödelten einfach nur rum. Irgendwann meinte Doris dann, sie müßte mal so langsam ihren Vater anrufen, damit der sie abholt. Das war echt blöde, aber es ging ja nicht anders. Ich glaube Dad hatte auch schon zu viel getrunken, um jetzt in der Nacht durch die halbe Ostalb zu gurken. Naja, und weil es sich anbot, ist Nils gleich mitgefahren. So ein Mist. Ich hätte ihn ja so gerne noch bei mir gehabt. Aber was hätte ich denn sagen sollen? Das ist MEIN FREUND und er bleibt jetzt über Nacht? Das wäre ja der krönende Abschluß des Geburtstages gewesen. Aber es war doch toll. Gerade eben hat Nils noch mal angerufen und mir eine 'Gute Nacht' gewünscht. Ich liebe dich!
"Na du!" Nils lächelte. Nein er glühte vor Lächeln. Ich fiel noch im Flur über ihn her, bedeckte ihn mit Küssen. Das schönste Geburtstagsgeschenk von allen. Nils einfach nur im Arm halten und ihn küssen. Niemand da, der uns stören könnte. Ich merkte, wie ich geil wurde. "Dafür haben wir Zeit", flüsterte er in mein Ohr und zog mich ins Wohnzimmer. "Ich dachte, ich koche ein bißchen."
Nils und kochen. Das paßte irgendwie überhaupt nicht für mich zusammen.
"Was gibt es denn? Tiefkühlpizza?" spottete ich
Das hätte ich lieber nicht sagen sollen. Ich sah, wie seine Mundwinkel nach unten gingen. "Hey, das war doch nicht so gemeint", tröstete ich ihn. Er hatte den Tisch perfekt gedeckt. Mit einem großen weißen Tischtuch, mit Servietten, Weingläsern und jede Menge Kerzen. Überhaupt war die ganze Wohnung ein einziges Kerzenmeer. Alles erstrahlte in einem sanften Licht. Es war wie in einem Traum. Ich habe einen Freund. Ich sitze an einem weiß gedeckten Tisch. Nils gießt den Wein ein. Die Kerzen spiegeln sich im Rot des Chiantis. Dann verschwindet er in der Küche und kommt nach einer Weile wieder zurück. "Penne arrabiata", verkündet er geheimnisvoll und stellt mir einen großen Teller mit Nudeln und einer spannend aussehenden roten Soße hin. Spannend im wahrsten Sinne des Wortes. Die Soße schmeckte toll. Aber sie war zugleich höllisch scharf, so daß ich gar nicht hinterher kam mit dem Wein, um das brennende Gefühl in meinem Mund zu löschen. Aber es schmeckte wirklich super. Aber das war nicht alles, Nils meinte, die Hauptspeise würde erst noch kommen. Und er verschwand kurz in der Küche. Komisch, ich hatte bisher nur zwei Gläser Wein getrunken, aber mir trieselte es schon im Kopf. Dann kam er wieder rein: "Calamari livornese!"
"Gibs zu", flachste ich, "du hast in Wirklichkeit in einem Drei-Sterne-Restaurant dein Bogy gemacht."
Er grinste. Dieser Gang war Knoblauch pur. Aber es schmeckte einfach super. Ich war wirklich überrascht, das Nils so gut kochen konnte. Vor allem, wie hat er das so alles von der Zeit hinbekommen?
"Und jetzt noch der Nachtisch", sagte er, als ich meinen letzten Bissen runtergeschluckt hatte.
"Bist du wahnsinnig? Ich platze gleich!"
"Nix da!"
Er verschwand in der Küche. Weil ich es so von zu Hause gewöhnt war, wollte ich ihm beim Abräumen helfen, aber er warf mich gleich wieder aus der Küche raus: "Du hast Geburtstag, ab an die große Tafel!"
Also fügte ich mich, genoß das angenehm trieselige Gefühl in meinem Kopf. Ich brachte die einzelnen Möbelstücke in meinem Kopf in einer neue Ordnung bis Nils schließlich wieder hineinkam: "Und zum Nachtisch: Zabaione."
"Wenn das Dimitri wüßte."
"Scheiß drauf."
"Ich bin pappsatt!" sagte ich, nachdem ich den letzten Löffel geleert hatte. Wieso um alles in der Welt konnte Nils nur so gut kochen? Ich schaute ihn an, meinen Nils. Ich weiß nicht, woran es lag, vielleicht am Wein. Mir schossen die Tränen in die Augen. "Um Gottes Willen, was ist denn los?" fragte er besorgt.
"Es ist nichts", ich versuchte die Tränen zu unterdrücken, "es ist nur, weil ich dich so liebe."
Er nahm mich in den Arm und drückte mich. Ich fühlte mich so sicher. "Weißt du noch, was ich dir damals gesagt, habe im Oktober?"
"Ich nickte: "Von jetzt an beschütze ich dich, hast du gesagt."
Nils nickte: "Ich laß dich nie wieder los." Er hielt mich fest. Wir standen eine halbe Ewigkeit so. Irgendwann flüsterte er in mein Ohr: "Hey, gleich hat jemand Geburtstag."
Ich schielte zur Uhr, es waren tatsächlich nur noch ein paar Minuten.
"Moment", sagte er und verschwand. Als er wiederkam, zog er mich in Richtung seines Zimmers. Um Punkt zwölf durfte ich rein. Gleichzeitig ploppte der Korken einer Sektflasche. Sein Zimmer war ein Meer von Kerzen. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Schatz", flüsterte er zärtlich in mein Ohr. Ich war einfach nur sprachlos und hatte schon wieder Tränen in den Augen. Die Gläsern trafen sich, machten "Kling". Ich war siebzehn. Und ich war der glücklichste Mensch der Welt. In meinem Arm mein Schatz, mit dem längsten und schönsten Kuß der Welt. Ich schwebte und drückte ihn ganz fest. Ich weiß nicht, wie lange wir so dastanden. Irgendwann löste sich unsere Umarmung und er gab mir ein kleines Päckchen: "Für dich." Ich begann, es auszupacken. Als erstes kam ein kleiner Teddybär zum Vorschein. Ich mußte lachen. Irgendwann hatte ich ihm mal gesagt, daß ich kleine Bären total niedlich finde, und jetzt erst der Eisbär und dann der hier. Er ist wirklich süß. Was ist nur los mit mir. Ich fange an, zu heulen. Zu Heulen, wegen eines Stoffbärs? Das kann doch alles nicht wahr sein! Als nächstes packe ich eine CD aus und lege sie in den Player. Es ist seltsam, so eine Musik habe ich noch nie gehört, aber sie ist einfach nur schön: Brian Eno. Und als letztes ein großes Blatt Papier. Darauf ein Gedicht. Wenn ich nicht schon Tränen in den Augen gehabt hätte, dann wäre das spätestens der Augenblick gewesen, um loszuheulen. Plötzlich entdecke ich Seiten an Nils, die ich nie geahnt hätte. Ich umarme ihn, halte ihn einfach nur fest. Ich möchte diesen Moment ebenso festhalten wie Nils. Ich weiß, was auch passieren wird in meinem Leben, diesen Augenblick werde ich nie vergessen, genauso wie den Moment, wo er mich das erste Mal in den Arm genommen hatte. Wir fallen auf sein Bett. Sein Küsse sind so sanft und doch so leidenschaftlich. Alles ist an seinem Platz und so wie es richtig ist. Ich spüre seinen Atem, seine Haut. Ich blicke ihn an und bin so voll von Liebe. Es gibt nichts mehr, nur noch ihn. Ich weiß, daß ich nur noch ihn will, ihn fühlen will, ganz, in mir. Ich nehme seinen Schwanz und führe ihn an die Stelle. Seine fragenden Augen. Ja Nils, ich will es, ich will dich ganz spüren, ganz und gar. Und es geht, es geht, als wäre es die einfachste Sache der Welt. Nils' Gesicht glüht und er hat Tränen in den Augen. Genauso wie ich. Wir brauchen nichts zu sagen. Es ist ein schweigendes "Wir bleiben für immer zusammen". Und in dieser Nacht heute haben wir es uns versprochen.
Ich wachte auf, als mich Nils sanft auf die Stirn küßte: "Frühstück, du Geburtstagskind." Ich war totmüde und guckte auf die Uhr. Es war fünf. Fünf Uhr in der Frühe! Doch Nils kam mir zuvor: "Hast du nicht gesagt, daß du heute früh zu Hause sein mußt, wegen deinen Eltern?" Verdammt, das hatte ich total vergessen. Und Nils, mein Schatz, hatte daran gedacht. Wir frühstückten im Bett. Es war total schön, aber auch total unpraktisch. Im Fernsehen sieht so was immer total easy aus. Dann setzten wir das Bad beim Duschen unter Wasser ehe ich schließlich meine Sachen zusammensammelte. Ich wäre so gerne noch bei ihm geblieben. Aber ich hatte ja versprochen, daß ich zum Frühstück wieder zu Hause sein würde. Ein langer Kuß zum Abschied: "Wir sehen uns heute Abend."
Der Weg zurück nach Hause. Die Straßen menschenleer. Mein Kopf voll mit Nils. Und ich komme mir tatsächlich vor wie im Film. Die Szene, wo der Held plötzlich merkt, er ist ein anderer. Seit heute Nacht ist tatsächlich alles anders. Nicht, weil ich siebzehn geworden bin. Was sagt das schon? Nein, zum allerersten Mal in meinem Leben habe ich einem Menschen so tief vertraut. Dieses Gefühl, ich kann es gar nicht beschreiben. Nur noch Liebe in mir. Und trotzdem ist mir so, als würde ich auf einmal alles viel klarer sehen. Die Dinge um mich herum bekommen einen Sinn. Bin ich das, was man erwachsen nennt?
Leise schließe ich die Tür auf. Ich höre Mom im Eßzimmer wuseln. Lautlos husche ich die Treppe hinaus in mein Zimmer und lasse mich auf's Bett fallen. Nils, was hast du nur mit mir gemacht? Ich verstaue sein Gedicht sicher im Bisley, stelle den kleinen Teddy auf den Schreibtisch. Irgendwie muß ich kurz eingenickt sein, denn ich schrecke hoch, als es an meiner Tür klopft: "Tim! Aufwachen! Geburtstag!" Es ist Lisa, die hineinstürmt und strahlt. Ich hebe sie hoch und wirbele sie herum. Ihre kleinen Ärmchen drücken mich so fest sie können: "Alles Gute zum Geburtstag." Sie gibt mir ein großes Bild. Das soll wohl ich sein, der da auf einem Boot steht und winkt. Die Sonne lacht. Auf allen Bildern von Lisa lacht die Sonne. Es bekommt einen Ehrenplatz! Mom und Dad stehen in der Tür und lächeln. "Alles Gute zum Geburtstag", sagte Mom und drückte mich. Auch Dad wünscht mir alles Gute. Ganz genau so, wie er es immer getan hat. Ein fester Händedruck, eine kurze Umarmung. Wir gehen nach unten. Im Eßzimmer ein gedeckter Frühstückstisch mit Kerzen. Dad schleppt einen großen, in Geschenkpapier verpackten Karton hinein: "Von uns, zum Geburtstag", grinst er. Mom legt noch ein kleineres Paket obendrauf. Auspacken gibt es erst nach dem Frühstück. Eigentlich habe ich gar keinen Hunger. Kein Wunder, von Kurzem habe ich doch schon mal gefrühstückt. Dann geht es an's Auspacken. Ich dachte ich spinne. Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet: ein neuer Computer. "Ich denke mal, den kannst du bestimmt gebrauchen, in der Schule und auch später", sagte Dad. Wow, ich war total überwältigt. "Er hat sogar eine ISDN-Karte drin. Aber frage mich nicht, wie das funktioniert, das habe ich absolut keine Ahnung." Verrückt. Ok, ich habe wirklich ein paar Mal geflucht, über den alten Computer, weil er bei den meisten Spielen so elendig langsam ist. Aber ich hätte ja nie damit gerechnet, daß ich einen Neuen bekomme. Wir tapern in mein Zimmer. Das Aufbauen des neuen Rechners wird echt zum Ereignis. Fehlt eigentlich nur noch das Fernsehen. Er läuft, und total schnell. Das ist schon ein total anderes Gefühl, wenn Windows innerhalb von kürzester Zeit hochbootet. Ich muß ihn nur noch richtig einrichten, aber das mache ich in Ruhe in der nächsten Woche. Außerdem muß ich die Online-Karte mit AOL installieren. Vielleicht kann mir ja Max dabei helfen. Uff, was für ein aufregender siebzehnter Geburtstag. Phil hat mir zwei CDs geschickt mit Live-Aufnahmen von Oasis, die ich noch gar nicht kannte. Schon spannend, wo er die nun wieder her hat.
23:56
Uff, was für ein Tag. Ich gehe ihn noch mal in Gedanken durch. So viel ist heute passiert. Und doch eigentlich gar nicht so viel. Doch, Nils und ich haben heute zum ersten Mal wirklich richtig miteinander geschlafen. Ich meine so ganz richtig. Nie hätte ich vorher gedacht, daß ich DAS mal machen würde. Aber es war so toll, ein großartiges Gefühl. Heute? Doch ja, irgendwann heute kurz nach Mitternacht ist es passiert.
Und dann Geburtstagsfeier. Oma hatte angerufen, natürlich auch Phil, Max, Florian, Benji und sogar Tobias. Und dann die Geschenke: Ein neuer Computer, ein total cooles Levis-Shirt, ein tolles Buch über Architektur. Von Doris ein geheimnisvolles Video, was ich mir alleine oder mit Nils angucken soll (das machen wir gemeinsam), wie sie mir zuflüsterte. Und Nils brachte tatsächlich noch ein Geschenk mit: "Winning Wrestling Moves". "Damit du mal ein paar mehr Griffe lernst, als den Halbnelson", grinste er. Es war schon komisch heute Abend. Erst kam Doris und Mom hatte die ganze Zeit über totale Schwierigkeiten, sie nicht zu siezen. Doris und ich guckten uns immer an und waren kurz davor, loszuprusten.
Dann kam Nils. Ich weiß ja nicht, was ihn geritten hat, aber er hatte allen Ernstes ein Jacket an. Das war dann wirklich zuviel für Doris und mich und wir mußten nur noch lachen. Sogar Mom meinte: "So förmlich geht es bei uns ja nun wirklich nicht zu." Ich schmeiß mich weg: Nils im Jacket! "Ich dachte ihr seid so vornehm", zischte er mir in der Diele zu. Ich kniff ihm in den Hintern als Antwort. Das lag am Rotwein, den ich schon vorher getrunken hatte. Aber das gemeinsame Abendessen verlief tatsächlich ohne Probleme. Dad und Doris verstanden sich fabelhaft und unterhielten sich über so weltbewegende Themen wie Umweltschutz und soziale Verantwortung. Es ist seltsam, ich hätte nie gedacht, daß Dad sich über solche Dinge tatsächlich Gedanken gemacht hätte. Aber die beiden schienen wirklich eine ganze Menge Gemeinsamkeiten zu entdecken. Nils und ich grinsten uns verstohlen an, wenn niemand uns beobachtete. Ansonsten hatte er heftig mit den diversen Fischsorten zu kämpfen. "Sie essen wohl hier nicht oft, Fisch, oder? Oh, Entschuldigung, ich meinte natürlich 'du'." Es gibt Momente, bei denen ich mich am liebsten zur Adoption freigeben würde. Dabei hatte Mom das wahrscheinlich gar nicht so arrogant gemeint, wie es geklungen hatte. Aber Nils war einfach göttlich in seiner Reaktion: "Nein, das ist ja auch ein langer Weg von der Küste bis hierher. Wir sind eher für die urigen, bodenständigen Dinge." Woff, das saß! Das Wort 'bodenständig' hatte ich bisher kaum wahrgenommen. Nein, aber alles in allem war es wirklich ok. Wir unterhielten uns prächtig und irgendwann taperten Nils und Doris in mein Zimmer. Nicht ohne, daß Doris vorher Lisa eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen mußte.
"Deine Eltern sind gar nicht so übel", meinte Nils
"Naja geht so. Weißt du, daß du mir gefehlt hast?"
"Das will ich doch hoffen", er gab mir einen raschen Kuß auf den Mund, gerade in dem Moment, als Doris reinkam.
"Ihr werdet leichtsinnig, ihr Zwei", sagte sie und grinste.
Ich zuckte mit den Schultern und ließ mich aufs Bett fallen: "Was soll ich machen, ich habe den liebsten Jungen der Welt. Und wer weiß, vielleicht werde ich sogar schwanger."
"Tim!" Nils' gespielte Strenge brachte mich für einen Moment aus dem Gleichgewicht. Ich blickte zu Doris, die etwas verwirrt aussah. "Oh nein, ihr Männer seid doch ale gleich", lachte sie schließlich.
Es war einfach nur schön. Da saßen die beiden Menschen, die mir im Moment, außer meiner Familie vielleicht, am meisten bedeuteten. Und wir blödelten einfach nur rum. Irgendwann meinte Doris dann, sie müßte mal so langsam ihren Vater anrufen, damit der sie abholt. Das war echt blöde, aber es ging ja nicht anders. Ich glaube Dad hatte auch schon zu viel getrunken, um jetzt in der Nacht durch die halbe Ostalb zu gurken. Naja, und weil es sich anbot, ist Nils gleich mitgefahren. So ein Mist. Ich hätte ihn ja so gerne noch bei mir gehabt. Aber was hätte ich denn sagen sollen? Das ist MEIN FREUND und er bleibt jetzt über Nacht? Das wäre ja der krönende Abschluß des Geburtstages gewesen. Aber es war doch toll. Gerade eben hat Nils noch mal angerufen und mir eine 'Gute Nacht' gewünscht. Ich liebe dich!
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