Mittwoch, 5. Juni 1996
5. Juni
»Hi, Tim, können wir mal miteinander reden?«
Boris ist in der großen Pause zu mir gekommen und hat mich angesprochen. Ich war völlig verdattert. Er wollte aber nicht in der Schule mit mir sprechen. Also haben wir uns am Nachmittag auf dem Marktplatz verabredet.
Er war schon komisch: Als er über den Platz lief, drehte er sich ständig um, so als wenn ihn jemand verfolgen würde.
»Hi!«
»Hi!«
Dann Schweigen. Na toll, das war ja ein tolles Gespräch. Er guckte sich immer noch um. Ich war kurz davor, ihn zu fragen, ob er von der CIA verfolgt wird. Als niemand in unserer Nähe war fragte er leise: »Bist du schwul?«
Meine Güte, was für eine bescheuerte Frage, dachte ich.
»Ja, ich glaube schon, und du?«
Er verzog das Gesicht: »Ja, ich fürchte auch.« Irgendwie fand ich die ganze Situation ziemlich lächerlich, doch ich versuchte, mich zu beherrschen. Dann begann er zu reden: »Niemand weiß, daß ich schwul bin. Und ich kenne auch keinen anderen Schwulen. Jedenfalls nicht richtig. Ich glaube, wenn das irgend jemand rausbekommt, bin ich geliefert.«
»Keine Angst, ich werde es schon nicht rausposaunen.«
Er schien erleichtert. »Weiß es bei dir jemand?«
»Nur eine sehr gute Freundin. Die erzählt es aber garantiert nicht weiter.«
»Hast du ihr etwa was von uns erzählt?«
»Von uns? Was hätte ich ihr denn von uns erzählen sollen? Denkst du, ich erzähle den Leuten meine Sexstories?«
»Nein, ich hoffe jedenfalls nicht.«
»Und überhaupt, was heißt denn von uns? O.k., wir haben ein bissele rumgemacht, aber das ist auch alles. Deswegen sind wir noch lange nicht verheiratet!« Langsam wurde ich sauer.
»Um Gottes Willen, schrei' doch nicht so.« Er blickte sich wieder um. »Du scheinst damit ziemlich locker umzugehen.«
»Womit?«
»Na, damit, daß du, na ja, daß du ...«, er stotterte, »daß du schwul bist.«
»Locker? Na, ich weiß nicht. Was findest du denn daran locker?«
»Na ja, so wie du darüber redest. Hast du es schon oft mit anderen Jungs gemacht?«
»Einige Male schon.« Mir fiel ein, daß ich gar nicht spontan sagen könnte, wie oft eigentlich. Ich muß das bei Gelegenheit mal aufschreiben.
»Und wo? Auch in der Schule?«
»Bin ich bekloppt? Nein, meistens im Schwimmbad.«
»Und wie machst du das da?«
»Na, in der Kabine.«
»Nein, ich meine, wie lernst du die Leute da kennen?«
Das schien ja in eine Fragestunde auszuarten. »Na ja, ich stehe halt unter der Dusche und gucke, wer guckt und wie er guckt und wohin er guckt. Ich meine, wenn er auch einen Ständer bekommt, ist es doch wohl ziemlich eindeutig, oder?«
»Ja.«
Schweigen, na toll. »Und wie lernst du deine Typen kennen?«
»Meistens auf der Klappe am Bahnhof«
»Wo?«
»Auf der Klappe am Bahnhof, meistens in Stuttgart oder Ulm, jedenfalls nicht hier.«
»Was ist denn die Klappe?«
»Mensch, das Klo!«
»Warum heißt denn das Klappe?«
»Was weiß ich. Vielleicht, weil die Türen da auf- und zuklappen? Ist doch egal.«
»Klo finde ich eigentlich voll eklig.«
»Na ja, im X1 ja wohl nicht.«
»Gemütlich war's nicht.«
»Ich würde es gerne mal mit einem Typen richtig lange im Bett machen.«
»Rat mal, wer noch.«
Er guckte mich an. »Hast du nicht mal Lust?«
Oh Shit, da hatte ich mich ja in was reingeritten. »Nein, jedenfalls nicht im Moment.«
»Gehst du eigentlich in die Szene?« Uff, Themawechsel. Noch mal Glück gehabt. »Welche Szene?«
»Ich meine die Szene, du weißt schon, Bars und Discos, wo nur Männer sind.«
»Nee, solche Läden kenne ich gar nicht.«
Tassilo hatte mir mal erzählt, daß er sich mit seinen Kumpels wohl aus Versehen in solch einen Laden verirrt hatte. Er fand die Leute da drin voll abgedreht, wie er sagte. Ich traute mich damals aber nicht zu fragen, wo der Laden war. Hätte ja auch bestimmt komisch ausgesehen.
»Es gibt ein paar in Stuttgart, aber ich gehe da auch nicht hin. Wenn mich jemand erkennt.« Ich überlege mir gerade, wie es wohl in solch einem Laden ist. Irgendwie ist es bestimmt spannend, ob da tatsächlich alle Typen schwul sind? Dann wieder Schweigen. Eigentlich ist er ja ganz nett. Nur so entsetzlich steif und uncool. Wir haben dann noch ein bißchen über die Schule gequatscht, und dann mußte er los. Zum Abschied hat er mich noch gebeten, ihn nicht in der Schule anzusprechen. Na toll, er ist wirklich absolut seltsam. Bevor ich ihn überhaupt fragen konnte, wieso denn nicht, war er schon weg. Meine Gü-te, wird man so, wenn man schwul ist und hier lebt? Werd ich mich in zwei, drei Jahren auch ständig umgucken, ob irgend jemand da ist, der mich beobachtet, mit wem ich mich unterhalte. Nein, bestimmt nicht. Der Typ ist einfach nur strange.
Boris ist in der großen Pause zu mir gekommen und hat mich angesprochen. Ich war völlig verdattert. Er wollte aber nicht in der Schule mit mir sprechen. Also haben wir uns am Nachmittag auf dem Marktplatz verabredet.
Er war schon komisch: Als er über den Platz lief, drehte er sich ständig um, so als wenn ihn jemand verfolgen würde.
»Hi!«
»Hi!«
Dann Schweigen. Na toll, das war ja ein tolles Gespräch. Er guckte sich immer noch um. Ich war kurz davor, ihn zu fragen, ob er von der CIA verfolgt wird. Als niemand in unserer Nähe war fragte er leise: »Bist du schwul?«
Meine Güte, was für eine bescheuerte Frage, dachte ich.
»Ja, ich glaube schon, und du?«
Er verzog das Gesicht: »Ja, ich fürchte auch.« Irgendwie fand ich die ganze Situation ziemlich lächerlich, doch ich versuchte, mich zu beherrschen. Dann begann er zu reden: »Niemand weiß, daß ich schwul bin. Und ich kenne auch keinen anderen Schwulen. Jedenfalls nicht richtig. Ich glaube, wenn das irgend jemand rausbekommt, bin ich geliefert.«
»Keine Angst, ich werde es schon nicht rausposaunen.«
Er schien erleichtert. »Weiß es bei dir jemand?«
»Nur eine sehr gute Freundin. Die erzählt es aber garantiert nicht weiter.«
»Hast du ihr etwa was von uns erzählt?«
»Von uns? Was hätte ich ihr denn von uns erzählen sollen? Denkst du, ich erzähle den Leuten meine Sexstories?«
»Nein, ich hoffe jedenfalls nicht.«
»Und überhaupt, was heißt denn von uns? O.k., wir haben ein bissele rumgemacht, aber das ist auch alles. Deswegen sind wir noch lange nicht verheiratet!« Langsam wurde ich sauer.
»Um Gottes Willen, schrei' doch nicht so.« Er blickte sich wieder um. »Du scheinst damit ziemlich locker umzugehen.«
»Womit?«
»Na, damit, daß du, na ja, daß du ...«, er stotterte, »daß du schwul bist.«
»Locker? Na, ich weiß nicht. Was findest du denn daran locker?«
»Na ja, so wie du darüber redest. Hast du es schon oft mit anderen Jungs gemacht?«
»Einige Male schon.« Mir fiel ein, daß ich gar nicht spontan sagen könnte, wie oft eigentlich. Ich muß das bei Gelegenheit mal aufschreiben.
»Und wo? Auch in der Schule?«
»Bin ich bekloppt? Nein, meistens im Schwimmbad.«
»Und wie machst du das da?«
»Na, in der Kabine.«
»Nein, ich meine, wie lernst du die Leute da kennen?«
Das schien ja in eine Fragestunde auszuarten. »Na ja, ich stehe halt unter der Dusche und gucke, wer guckt und wie er guckt und wohin er guckt. Ich meine, wenn er auch einen Ständer bekommt, ist es doch wohl ziemlich eindeutig, oder?«
»Ja.«
Schweigen, na toll. »Und wie lernst du deine Typen kennen?«
»Meistens auf der Klappe am Bahnhof«
»Wo?«
»Auf der Klappe am Bahnhof, meistens in Stuttgart oder Ulm, jedenfalls nicht hier.«
»Was ist denn die Klappe?«
»Mensch, das Klo!«
»Warum heißt denn das Klappe?«
»Was weiß ich. Vielleicht, weil die Türen da auf- und zuklappen? Ist doch egal.«
»Klo finde ich eigentlich voll eklig.«
»Na ja, im X1 ja wohl nicht.«
»Gemütlich war's nicht.«
»Ich würde es gerne mal mit einem Typen richtig lange im Bett machen.«
»Rat mal, wer noch.«
Er guckte mich an. »Hast du nicht mal Lust?«
Oh Shit, da hatte ich mich ja in was reingeritten. »Nein, jedenfalls nicht im Moment.«
»Gehst du eigentlich in die Szene?« Uff, Themawechsel. Noch mal Glück gehabt. »Welche Szene?«
»Ich meine die Szene, du weißt schon, Bars und Discos, wo nur Männer sind.«
»Nee, solche Läden kenne ich gar nicht.«
Tassilo hatte mir mal erzählt, daß er sich mit seinen Kumpels wohl aus Versehen in solch einen Laden verirrt hatte. Er fand die Leute da drin voll abgedreht, wie er sagte. Ich traute mich damals aber nicht zu fragen, wo der Laden war. Hätte ja auch bestimmt komisch ausgesehen.
»Es gibt ein paar in Stuttgart, aber ich gehe da auch nicht hin. Wenn mich jemand erkennt.« Ich überlege mir gerade, wie es wohl in solch einem Laden ist. Irgendwie ist es bestimmt spannend, ob da tatsächlich alle Typen schwul sind? Dann wieder Schweigen. Eigentlich ist er ja ganz nett. Nur so entsetzlich steif und uncool. Wir haben dann noch ein bißchen über die Schule gequatscht, und dann mußte er los. Zum Abschied hat er mich noch gebeten, ihn nicht in der Schule anzusprechen. Na toll, er ist wirklich absolut seltsam. Bevor ich ihn überhaupt fragen konnte, wieso denn nicht, war er schon weg. Meine Gü-te, wird man so, wenn man schwul ist und hier lebt? Werd ich mich in zwei, drei Jahren auch ständig umgucken, ob irgend jemand da ist, der mich beobachtet, mit wem ich mich unterhalte. Nein, bestimmt nicht. Der Typ ist einfach nur strange.
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