Samstag, 27. April 1996

27. April

10:10
»Und du willst wirklich nicht mitkommen?«
Ich schüttelte den Kopf. Mom und Dad sind mit Lisa schon ganz früh nach Stuttgart zum Einkaufen gefahren. Ich will lieber hier bleiben und einfach mal nichts machen.


12:30
Ich versuche ein wenig Ordnung in meinen Kopf zu bekommen. Vielleicht geht es einfacher, wenn ich es aufschreibe:
Also, ich bin schwul, ich bin mir ziemlich sicher.
Warum bin ich schwul? Shit, ich weiß es nicht.
Und warum ausgerechnet ich?
Warum nicht Phil, Tobias oder Nils? Ich weiß es nicht.
Was ich weiß ist, daß ich auf andere Jungs abfahre. Wenn ich mir vorstelle, jemanden zu lieben, ist es ein anderer Junge, auch beim Sex.
Aber wie geht es denn weiter?
Eigentlich möchte ich einen Freund haben, zum Lieben, zum Knuddeln, zum Reden. Aber wie finde ich den? Hier ist es noch viel schlimmer als am GySue. Den einzigen anderen Schwulen, den ich hier kenne, der traut sich nicht mal mit mir zu reden, ganz abgesehen davon, daß er auch überhaupt nicht niedlich ist.
Warum ist denn das alles so schwer?
Warum habe ich das denn nur so schwer?

Und was passiert eigentlich, wenn ich tatsächlich jemanden finde? Phil hat seine Freundinnen immer ganz selbstverständlich zu Hause präsentiert. Das kann ich garantiert nicht machen. Ich glaube, Mom und Dad würden ausrasten. Also muß ich warten, bis ich eine eigene Wohnung habe? Shit, so viele Fragezeichen, irgendwie ist mein ganzes Leben ein einziges Fragezeichen. Ich glaube, ich gehe etwas spazieren.


16:40
Ich habe auf dem Weg geträumt, wie schön es wäre, mit einem Jungen durch die Gegend zu laufen, zu lachen, auf der Wiese zu liegen, ihm alles zu erzählen. Es war alles so real, die Sonne, das Gras. Es war fast so, als müßte ich nur die Hand ausstrecken, um ihn zu berühren. Irgendwie geben mir diese Träume Kraft. Ich habe gerade zurückgeblättert, ja, wie ist es mit meiner Inventur? Mir geht es eigentlich schon nicht schlecht, aber dann doch wieder, ich weiß es nicht. Viel klarer ist mir das alles noch nicht. Vielleicht denke ich ja auch zu viel nach.

Gerade hat Florian angerufen und mich für nächsten Freitag zur Party eingeladen. Ich hab zugesagt. Vielleicht frage ich ja Doris, ob sie mitkommt. Ich höre unseren Wagen in der Einfahrt.

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