Samstag, 23. März 1996
23. März
»Soll ich dich nicht wenigstens abholen?«
»Ma, bitte! Ich fahre mit dem Rad hin, das ist überhaupt kein Problem. Außerdem weiß ich gar nicht, wie lange das heute abend dauert.«
»Aber du hast gesagt, der Seehof liegt ziemlich weit draußen, und du kennst dich doch auch noch nicht so gut aus hier, stell dir mal vor, du verfährst dich.«
»Erstens kommt Tobias aus meiner Klasse mit, der kennt sich hier aus, und so weit ist es ja nun auch nicht, jedenfalls nicht so weit wie von Ohlstedt nach Wedel.«
Mom mußte lachen. Sie wußte genau, worauf ich anspielte, und die Diskussion war zu Ende. Sie wünschte mir viel Spaß, aber natürlich nicht ohne mir ihr obligatorisches »Paß auf, und komm' nicht zu spät!« hinterherzurufen.
Uff, ich war draußen und fuhr zu Tobi. Der maulte, weil er plötzlich doch nicht mitkommen wollte. Wir diskutierten tatsächlich eine halbe Stunde lang und ich war kurz davor, ihn einfach stehenzulassen. Schließlich kam er doch mit und wir fuhren in Richtung Kocherseetal. Tobi redete kaum, und wenn, war er nur total kurz angebunden. Ich versuchte, ihn nach allen möglichen Leuten auszufragen, die vielleicht kommen würden, aber meistens zuckte er nur mit den Schultern. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich hielt an. »Paß mal auf«, sagte ich. »Wenn du absolut keinen Bock hast, dann fahr' zurück. Ich habe jedenfalls keine Lust, daß du mich den ganzen Abend vollmaulst mit deiner Stink-Laune.« Ich erschrak selbst, wie laut ich auf einmal geworden bin.
»Das verstehst du nicht.«
»Ach ja?«
»Tim, das hat nichts mit dir zu tun, o.k.? Ich bin bloß im Moment nicht so gut drauf.«
»Was ist denn los?« Ich suchte in seinem Gesicht nach Antworten, doch er schaute weg.
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Nicht? Komm, ich dachte, wir sind Freunde.«
»Freunde?« Seine Stimme wurde schärfer. »Wie lange kennen wir uns schon? Hä? Du scheinst ja sehr schnell Freundschaften zu schließen. Aber bei mir geht das ein bissele langsamer.«
Ich war völlig verwirrt: »Äh, ich dachte nur... ich kann dir irgendwie helfen.«
Wir sahen uns eine halbe Ewigkeit an. Dann lächelte er: »Tut mir leid, war nicht so gemeint. Komm, heute abend gibt's Fun bei unserer Öko-Trine. Los, wer zuerst am Bahnübergang ist.« Er raste los, und ich hatte Mühe hinterherzukommen. Plötzlich war er wie ausgewechselt und redete wie ein Wasserfall. Doch was eigentlich mit ihm los war, sagte er nicht.
»Hallo, schön, daß ihr da seid.« Doris schob uns ins Haus. Es waren so etwa zwanzig Leute da. Aus unserer Klasse aber nur Sophie und Maria, aber wenigsten kannte ich ein paar andere vom Sehen aus unserer Schule. Tobi wich die erste Zeit überhaupt nicht von meiner Seite, aber das war gut so. Es gab kein Bier, nur Rotwein, der mich ziemlich wirr machte. Wir spielten ein paar Runden DSA, quatschten, es war eine voll gute Stimmung, obwohl die meisten Leute die totalen Ökos waren.
»Was, du warst noch nie auf einem Bauernhof?« Doris schaute mich ganz erstaunt an. Oh Shit, was hatte ich gesagt? Ich stand wieder mal da wie der totale Depp. Ich versuchte, die Situation irgendwie zu retten: »Nö, so was haben wir in Hamburg nicht«, lachte ich. »Na dann komm mit, ich zeige dir den Hof.« Ich suchte Tobi. Der saß mit einer Gruppe von Leuten zusammen und hörte bei irgendwas sehr interessiert zu. Doris schleppte mich durch mehrere Ställe mit Kühen, Schweinen und Ziegen. Es stank fürchterlich, und die meisten Viecher schliefen sowieso. Ich war froh, als ich wieder an der frischen Luft war. Jetzt wußte ich also alles über ökologischen Landbau und artgerechte Tierhaltung.
»Ich bin beeindruckt.«
»Stadtkind«, lachte Doris. Ich zuckte nur mit den Schultern. »Na ja, wenn du mal in Hamburg bist, zeig' ich dir eine richtige Stadt und einen richtigen Hafen.«
»Abgemacht.« Sie lächelte. Ich fand sie total nett, und irgendwie hätte ich sie beinahe sogar fast in den Arm genommen. »Na komm«, sagte sie, »lassen wir deinen Tobias nicht so lange warten.«
»Wie?« stotterte ich. Aber sie zwinkerte mir nur kurz zu und ging ins Haus. Ich versuchte, den Sinn in ihren Worten zu finden, doch sie verschwand im Klo, und ich setzte mich zu den anderen. Tobi hatte vom Erzählen ganz rote Wangen bekommen und lachte mich an: »Na, alles klar?«
»Logo, ich weiß jetzt alles über Kühe und Schweine und überhaupt.« Wir tranken noch mehr Wein, und ich wäre beinahe in einer Ecke eingeschlafen, hätte Tobi mich nicht irgendwann gefragt, ob wir nicht fahren wollten. Es war schon nach eins, Mom würde sich bestimmt wieder Sorgen machen. Doris schlug vor, daß wir über Nacht bleiben könnten, aber ich lehnte ab. Als wir draußen waren, atmete ich mehrmals die kalte Luft und versuchte meinen Kopf wieder freizubekommen. »Kannst du noch fahren?«
»Na klar.«
»Dann laß uns über den Kochertalweg zurückfahren, das geht doch bestimmt schneller.«
»Ohoo, durch den Wald, über'n Berg.«
Wir düsten los. Ich hasse Berge, und ich hasse Berge, wenn es dunkel ist und ich zu viel Alk intus habe. Ein paar Mal habe ich mich fast langgelegt. Irgendwann waren wir an der Stelle, an der ich mit Doris schon mal war.
»Pause!« ordnete ich an. Stille, und überall waren Sterne. »Uuuhh, wie romantisch! Woher kennst du überhaupt den Kochertalweg?« wollte Tobi wissen. »Ich war schon mal mit Doris hier, als sie mir die Umgebung von Bergbach gezeigt hat.«
»Ahaaaa, ich verstehe.« Er grinste zweideutig. »Quatsch, nee, vergiß es. Doris ist wirklich ganz nett, aber sie überhaupt nicht mein Typ.«
»Ach komm, gib's zu, du bist verknallt in sie.«
»Das stimmt nicht! Ich bin nicht in sie verknallt, sondern ...«, ich biß mir auf die Zunge, dieser Scheiß-Wein.
»Sondern?« Tobi flüsterte und blickte mich forschend an. Das ist die Gelegenheit. Ich könnte ihn in die Arme nehmen, ihn küssen, ihn spüren, einfach nur festhalten. Oh, was bin ich für ein Idiot! Ich wollte es ihm sagen, doch irgendwas hielt mich zurück, ich hatte keinen Mut. Statt dessen murmelte ich nur: »Dafür kennen wir uns noch nicht lange genug«, schwang mich auf mein Rad und fuhr wieder los. Den Rest des Wegs redeten wir nur über irgendwelche unwichtigen Sachen und blödelten rum. Ein kurzer Abschied, und nun liege ich hier und könnte mich ohrfeigen für meine Feigheit. Er sah echt so niedlich aus, wie er da stand und mich so lieb anguckte. Warum habe ich es ihm nicht gesagt? Ich weiß es nicht. Shit, was für ein Tag!
»Ma, bitte! Ich fahre mit dem Rad hin, das ist überhaupt kein Problem. Außerdem weiß ich gar nicht, wie lange das heute abend dauert.«
»Aber du hast gesagt, der Seehof liegt ziemlich weit draußen, und du kennst dich doch auch noch nicht so gut aus hier, stell dir mal vor, du verfährst dich.«
»Erstens kommt Tobias aus meiner Klasse mit, der kennt sich hier aus, und so weit ist es ja nun auch nicht, jedenfalls nicht so weit wie von Ohlstedt nach Wedel.«
Mom mußte lachen. Sie wußte genau, worauf ich anspielte, und die Diskussion war zu Ende. Sie wünschte mir viel Spaß, aber natürlich nicht ohne mir ihr obligatorisches »Paß auf, und komm' nicht zu spät!« hinterherzurufen.
Uff, ich war draußen und fuhr zu Tobi. Der maulte, weil er plötzlich doch nicht mitkommen wollte. Wir diskutierten tatsächlich eine halbe Stunde lang und ich war kurz davor, ihn einfach stehenzulassen. Schließlich kam er doch mit und wir fuhren in Richtung Kocherseetal. Tobi redete kaum, und wenn, war er nur total kurz angebunden. Ich versuchte, ihn nach allen möglichen Leuten auszufragen, die vielleicht kommen würden, aber meistens zuckte er nur mit den Schultern. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich hielt an. »Paß mal auf«, sagte ich. »Wenn du absolut keinen Bock hast, dann fahr' zurück. Ich habe jedenfalls keine Lust, daß du mich den ganzen Abend vollmaulst mit deiner Stink-Laune.« Ich erschrak selbst, wie laut ich auf einmal geworden bin.
»Das verstehst du nicht.«
»Ach ja?«
»Tim, das hat nichts mit dir zu tun, o.k.? Ich bin bloß im Moment nicht so gut drauf.«
»Was ist denn los?« Ich suchte in seinem Gesicht nach Antworten, doch er schaute weg.
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Nicht? Komm, ich dachte, wir sind Freunde.«
»Freunde?« Seine Stimme wurde schärfer. »Wie lange kennen wir uns schon? Hä? Du scheinst ja sehr schnell Freundschaften zu schließen. Aber bei mir geht das ein bissele langsamer.«
Ich war völlig verwirrt: »Äh, ich dachte nur... ich kann dir irgendwie helfen.«
Wir sahen uns eine halbe Ewigkeit an. Dann lächelte er: »Tut mir leid, war nicht so gemeint. Komm, heute abend gibt's Fun bei unserer Öko-Trine. Los, wer zuerst am Bahnübergang ist.« Er raste los, und ich hatte Mühe hinterherzukommen. Plötzlich war er wie ausgewechselt und redete wie ein Wasserfall. Doch was eigentlich mit ihm los war, sagte er nicht.
»Hallo, schön, daß ihr da seid.« Doris schob uns ins Haus. Es waren so etwa zwanzig Leute da. Aus unserer Klasse aber nur Sophie und Maria, aber wenigsten kannte ich ein paar andere vom Sehen aus unserer Schule. Tobi wich die erste Zeit überhaupt nicht von meiner Seite, aber das war gut so. Es gab kein Bier, nur Rotwein, der mich ziemlich wirr machte. Wir spielten ein paar Runden DSA, quatschten, es war eine voll gute Stimmung, obwohl die meisten Leute die totalen Ökos waren.
»Was, du warst noch nie auf einem Bauernhof?« Doris schaute mich ganz erstaunt an. Oh Shit, was hatte ich gesagt? Ich stand wieder mal da wie der totale Depp. Ich versuchte, die Situation irgendwie zu retten: »Nö, so was haben wir in Hamburg nicht«, lachte ich. »Na dann komm mit, ich zeige dir den Hof.« Ich suchte Tobi. Der saß mit einer Gruppe von Leuten zusammen und hörte bei irgendwas sehr interessiert zu. Doris schleppte mich durch mehrere Ställe mit Kühen, Schweinen und Ziegen. Es stank fürchterlich, und die meisten Viecher schliefen sowieso. Ich war froh, als ich wieder an der frischen Luft war. Jetzt wußte ich also alles über ökologischen Landbau und artgerechte Tierhaltung.
»Ich bin beeindruckt.«
»Stadtkind«, lachte Doris. Ich zuckte nur mit den Schultern. »Na ja, wenn du mal in Hamburg bist, zeig' ich dir eine richtige Stadt und einen richtigen Hafen.«
»Abgemacht.« Sie lächelte. Ich fand sie total nett, und irgendwie hätte ich sie beinahe sogar fast in den Arm genommen. »Na komm«, sagte sie, »lassen wir deinen Tobias nicht so lange warten.«
»Wie?« stotterte ich. Aber sie zwinkerte mir nur kurz zu und ging ins Haus. Ich versuchte, den Sinn in ihren Worten zu finden, doch sie verschwand im Klo, und ich setzte mich zu den anderen. Tobi hatte vom Erzählen ganz rote Wangen bekommen und lachte mich an: »Na, alles klar?«
»Logo, ich weiß jetzt alles über Kühe und Schweine und überhaupt.« Wir tranken noch mehr Wein, und ich wäre beinahe in einer Ecke eingeschlafen, hätte Tobi mich nicht irgendwann gefragt, ob wir nicht fahren wollten. Es war schon nach eins, Mom würde sich bestimmt wieder Sorgen machen. Doris schlug vor, daß wir über Nacht bleiben könnten, aber ich lehnte ab. Als wir draußen waren, atmete ich mehrmals die kalte Luft und versuchte meinen Kopf wieder freizubekommen. »Kannst du noch fahren?«
»Na klar.«
»Dann laß uns über den Kochertalweg zurückfahren, das geht doch bestimmt schneller.«
»Ohoo, durch den Wald, über'n Berg.«
Wir düsten los. Ich hasse Berge, und ich hasse Berge, wenn es dunkel ist und ich zu viel Alk intus habe. Ein paar Mal habe ich mich fast langgelegt. Irgendwann waren wir an der Stelle, an der ich mit Doris schon mal war.
»Pause!« ordnete ich an. Stille, und überall waren Sterne. »Uuuhh, wie romantisch! Woher kennst du überhaupt den Kochertalweg?« wollte Tobi wissen. »Ich war schon mal mit Doris hier, als sie mir die Umgebung von Bergbach gezeigt hat.«
»Ahaaaa, ich verstehe.« Er grinste zweideutig. »Quatsch, nee, vergiß es. Doris ist wirklich ganz nett, aber sie überhaupt nicht mein Typ.«
»Ach komm, gib's zu, du bist verknallt in sie.«
»Das stimmt nicht! Ich bin nicht in sie verknallt, sondern ...«, ich biß mir auf die Zunge, dieser Scheiß-Wein.
»Sondern?« Tobi flüsterte und blickte mich forschend an. Das ist die Gelegenheit. Ich könnte ihn in die Arme nehmen, ihn küssen, ihn spüren, einfach nur festhalten. Oh, was bin ich für ein Idiot! Ich wollte es ihm sagen, doch irgendwas hielt mich zurück, ich hatte keinen Mut. Statt dessen murmelte ich nur: »Dafür kennen wir uns noch nicht lange genug«, schwang mich auf mein Rad und fuhr wieder los. Den Rest des Wegs redeten wir nur über irgendwelche unwichtigen Sachen und blödelten rum. Ein kurzer Abschied, und nun liege ich hier und könnte mich ohrfeigen für meine Feigheit. Er sah echt so niedlich aus, wie er da stand und mich so lieb anguckte. Warum habe ich es ihm nicht gesagt? Ich weiß es nicht. Shit, was für ein Tag!
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