Mittwoch, 30. Juli 1997
30. Juli
"Schön, daß du wieder da bist", Nils nahm mich in den Arm, "wie geht es Phil?"
"Na, wie es einem eben geht mit gebrochenem Arm und Hand."
"Und? Wird er wieder heil?"
"Ich hoffe, doch es sieht gar nicht so schlecht aus."
"Ist er bei Seller auf der Station?"
"Bei wem?" "Bei Seller. Der Doktor von unserer Nationalmannschaft."
"Keine Ahnung."
"Wäre ja schon ein Zufall."
"Komm, laß uns noch ein Eis essen fahren."
"Dann müssen wir uns aber beeilen. Das Venezia macht um 10 zu."
"Na dann...wer zuerst am Venezia ist."
Situationen kann man nicht wiederholen. Ich saß am Marktbrunnen und löffelte ein Rieseneis in mich hinein. Neben mir Nils. Es war warm und eigentlich schön. Eigentlich war alles perfekt. Aber ich konnte Nils eben nicht in den Arm nehmen und ihn küssen. Wir saßen hier, mitten in Bergbach, aßen unser Eis und alles war tot um uns herum. Das Venezia und das Carpaccio hatten zu und aus den Schubarth-Stuben kamen die letzten Gäste. Mir war, als wenn gleich jemand die Lichter ausschalten würde. Gestern hatte ich um diese Zeit jede Menge Leben um mich herum.
"Nils, ich will weg hier. Ich will weg aus Bergbach."
"Wer will das nicht?"
"Nils ich meine das ernst. Ich will hier raus. Spätestens nach dem Abi haue ich hier ab."
"Das Thema hatten wir doch schon mal."
"Ja, aber es ist mir gestern wieder so hochgekommen. Ich werde hier noch wahnsinnig."
"Na toll, und was ist mit mir?"
"Du kommst mit. Wir gehen irgendwohin, irgendwohin in einer große Stadt. Nach Hamburg, nach Berlin, vielleicht auch ganz woanders hin, nach London, nach Paris. Nur weg, raus aus diesem Kaff!"
"Tim, ich gehe hier nicht weg. Und wenn, dann gehe ich bestimmt nicht nach Hamburg, Berlin, Paris oder London. Gibt es dort etwa halbwegs gute Ringervereine?"
"Was weiß denn ich. Das ist doch auch völlig egal."
"Das ist nicht egal. Ich will irgendwann mal in der Bundesliga mitmachen."
"Das ist doch nicht dein Ernst. Du willst hier bleiben, nur um in der Bundesliga zu ringen? Was ist denn das für ein Blödsinn?"
"Hier oder in Goldbach, oder in Schorndorf, oder sonstwo, wo sich die Gelegenheit bietet. Wieso ist das Blödsinn? Wieso ist das alles, was du möchtest so unheimlich toll und das Einzige, was richtig ist? Warum zählt das nicht, was ich will?"
"Schau dich doch mal um. Dieses Dorf ist tot! Es ist halb elf und niemand ist auf der Straße! Nils, selbst in Stuttgart ist mehr los als hier."
"Vielleicht will ich ja gar nicht mehr. Vielleicht reicht mir ja einfach das, was ich habe." Er drückte meine Hand. "Vielleicht reichst du mir ja."
Ich wußte für einen Moment nicht, was ich sagen sollte. Mir gingen so viele Dinge auf einmal durch den Kopf. Wenn er die Wahl hätte, die Wahl zwischen mir und seinem Ringen: was würde passieren? Ich will nicht darüber nachdenken, denn ich glaube ich habe Angst vor der Entscheidung, wie sie auch ausgeht.
"Stuttgart, ist Stuttgart ok?"
"Tim, du redest fast so, als wenn du morgen losziehen willst und eine Wohnung für uns suchst."
"Wer weiß. Ich will hier nur weg. Es ist wie bei Asterix und Obelix, mir fällt nicht die Decke, mir fällt der Himmel auf den Kopf. Mich kotzt das hier wirklich alles an, einmal über den Markplatz gegangen und halb Bergbach getroffen, die halbe Schule, die halbe Lehrerschaft, den halben Verein."
"Ist denn das alles so schlimm? Sind denn diese Leute so schlimm?
"Das frage ich dich. Ist es so schlimm, wenn diese Leute mitkriegen, daß wir schwul sind? Wenn DIESE Leute sehen, wenn wir Arm in Arm durch die Fußgängerzone laufen? Sage mir, daß dir das alles nichts ausmacht und ich bleibe die nächsten zehn Jahre hier in Bergbach."
"Was soll denn das? Was redest du denn für einen Unsinn? Willst du alles kaputt machen? Mußt du alle unbedingt provozieren?"
"Ich will nichts kaputt machen. Ich will niemand provozieren. Genau deshalb will ich aber hier weg. Ich will dich verdammt noch mal umarmen dürfen, wo und wann ich will, ich will dich küssen dürfen, wo und wann ich es will."
Plötzlich, ganz plötzlich spürte ich seine Lippen auf meinen. Ein langer Kuß. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Er sah mich an: "Ich liebe dich", flüsterte er. "Hier oder sonstwo. Es ist doch völlig egal, wo wir sind. Wir haben uns."
Nils hat mich geküßt. Mitten auf dem Marktplatz in Bergbach sitzen zwei Jungs und küssen sich. Und es interessiert niemanden. Ok, weil niemand da ist. Aber damit hätte ich NIE gerechnet, daß er das macht. Und ich bin jetzt noch total durch den Wind.
"Na, wie es einem eben geht mit gebrochenem Arm und Hand."
"Und? Wird er wieder heil?"
"Ich hoffe, doch es sieht gar nicht so schlecht aus."
"Ist er bei Seller auf der Station?"
"Bei wem?" "Bei Seller. Der Doktor von unserer Nationalmannschaft."
"Keine Ahnung."
"Wäre ja schon ein Zufall."
"Komm, laß uns noch ein Eis essen fahren."
"Dann müssen wir uns aber beeilen. Das Venezia macht um 10 zu."
"Na dann...wer zuerst am Venezia ist."
Situationen kann man nicht wiederholen. Ich saß am Marktbrunnen und löffelte ein Rieseneis in mich hinein. Neben mir Nils. Es war warm und eigentlich schön. Eigentlich war alles perfekt. Aber ich konnte Nils eben nicht in den Arm nehmen und ihn küssen. Wir saßen hier, mitten in Bergbach, aßen unser Eis und alles war tot um uns herum. Das Venezia und das Carpaccio hatten zu und aus den Schubarth-Stuben kamen die letzten Gäste. Mir war, als wenn gleich jemand die Lichter ausschalten würde. Gestern hatte ich um diese Zeit jede Menge Leben um mich herum.
"Nils, ich will weg hier. Ich will weg aus Bergbach."
"Wer will das nicht?"
"Nils ich meine das ernst. Ich will hier raus. Spätestens nach dem Abi haue ich hier ab."
"Das Thema hatten wir doch schon mal."
"Ja, aber es ist mir gestern wieder so hochgekommen. Ich werde hier noch wahnsinnig."
"Na toll, und was ist mit mir?"
"Du kommst mit. Wir gehen irgendwohin, irgendwohin in einer große Stadt. Nach Hamburg, nach Berlin, vielleicht auch ganz woanders hin, nach London, nach Paris. Nur weg, raus aus diesem Kaff!"
"Tim, ich gehe hier nicht weg. Und wenn, dann gehe ich bestimmt nicht nach Hamburg, Berlin, Paris oder London. Gibt es dort etwa halbwegs gute Ringervereine?"
"Was weiß denn ich. Das ist doch auch völlig egal."
"Das ist nicht egal. Ich will irgendwann mal in der Bundesliga mitmachen."
"Das ist doch nicht dein Ernst. Du willst hier bleiben, nur um in der Bundesliga zu ringen? Was ist denn das für ein Blödsinn?"
"Hier oder in Goldbach, oder in Schorndorf, oder sonstwo, wo sich die Gelegenheit bietet. Wieso ist das Blödsinn? Wieso ist das alles, was du möchtest so unheimlich toll und das Einzige, was richtig ist? Warum zählt das nicht, was ich will?"
"Schau dich doch mal um. Dieses Dorf ist tot! Es ist halb elf und niemand ist auf der Straße! Nils, selbst in Stuttgart ist mehr los als hier."
"Vielleicht will ich ja gar nicht mehr. Vielleicht reicht mir ja einfach das, was ich habe." Er drückte meine Hand. "Vielleicht reichst du mir ja."
Ich wußte für einen Moment nicht, was ich sagen sollte. Mir gingen so viele Dinge auf einmal durch den Kopf. Wenn er die Wahl hätte, die Wahl zwischen mir und seinem Ringen: was würde passieren? Ich will nicht darüber nachdenken, denn ich glaube ich habe Angst vor der Entscheidung, wie sie auch ausgeht.
"Stuttgart, ist Stuttgart ok?"
"Tim, du redest fast so, als wenn du morgen losziehen willst und eine Wohnung für uns suchst."
"Wer weiß. Ich will hier nur weg. Es ist wie bei Asterix und Obelix, mir fällt nicht die Decke, mir fällt der Himmel auf den Kopf. Mich kotzt das hier wirklich alles an, einmal über den Markplatz gegangen und halb Bergbach getroffen, die halbe Schule, die halbe Lehrerschaft, den halben Verein."
"Ist denn das alles so schlimm? Sind denn diese Leute so schlimm?
"Das frage ich dich. Ist es so schlimm, wenn diese Leute mitkriegen, daß wir schwul sind? Wenn DIESE Leute sehen, wenn wir Arm in Arm durch die Fußgängerzone laufen? Sage mir, daß dir das alles nichts ausmacht und ich bleibe die nächsten zehn Jahre hier in Bergbach."
"Was soll denn das? Was redest du denn für einen Unsinn? Willst du alles kaputt machen? Mußt du alle unbedingt provozieren?"
"Ich will nichts kaputt machen. Ich will niemand provozieren. Genau deshalb will ich aber hier weg. Ich will dich verdammt noch mal umarmen dürfen, wo und wann ich will, ich will dich küssen dürfen, wo und wann ich es will."
Plötzlich, ganz plötzlich spürte ich seine Lippen auf meinen. Ein langer Kuß. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Er sah mich an: "Ich liebe dich", flüsterte er. "Hier oder sonstwo. Es ist doch völlig egal, wo wir sind. Wir haben uns."
Nils hat mich geküßt. Mitten auf dem Marktplatz in Bergbach sitzen zwei Jungs und küssen sich. Und es interessiert niemanden. Ok, weil niemand da ist. Aber damit hätte ich NIE gerechnet, daß er das macht. Und ich bin jetzt noch total durch den Wind.
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