Dienstag, 28. Oktober 1997

28. Oktober

"Wir haben uns überlegt, daß Clemens schon nächste Woche hier einzieht."
"Und warum räumt ER dann nicht die Sachen hier rum?"
Ich hatte meine Frage nicht ernst gemeint aber Doris guckte mich für einen Augenblick total verwirrt an.
"Außerdem ist das praktisch, dann kann er auch mal babysitten."
"Ja, das kommt davon, wenn man Kinder macht."
"Was soll denn das heißen? DU kannst doch da gar nicht mitreden. Ihr Schwule drückt euch sowieso davor."
"So ein Scheiß, wer drückt sich denn vor was? Nur weil ich keine Kinder will? Jeez, ich meine, wer Kinder will, soll sie kriegen. Aber wer keine will, der kriegt eben keine. Als wenn alles nur davon abhängt, Kinder zu kriegen."
Doris lachte: "Mein Gott, du läßt dich aber auch leicht provozieren. Ist ja gut."
Na toll, war ich ja wieder mal voll in ihre Falle getapert.
"Wie geht's mit dir und Nils? Wie war euer Einjähriges?"
"Schön, einfach nur schön."
Ich erzählte ihr vom Wochenende. Sie fand die Idee mit dem Fernsehturm total gut.
"Du bist ja doch nicht so unromantisch, wie ich gedacht habe."
Schon komisch, daß sich Doris darüber Gedanken macht, ob ich romantisch bin oder nicht. Aber was soll das auch? Soll ich von irgendwelchen kitschigen Sonnenuntergängen träumen? Irgendwie reicht es mir schon, wenn Nils und ich einfach nur zusammen sind, alleine sind.

"Nun streng dich doch mal ein bißchen an."
"Ich habe heute den halben Tag Möbel bei Doris durch die Gegend geschleppt, ich bin fertig."
"Ja, ja. Schwach bist du geworden seit Leipzig, einfach nur schwach."
"Ich habe einfach keine Lust auf Krafttraining heute."
"Ich irgendwie auch nicht."
DAS war aber schon erstaunlich, daß Nils mal keine Lust auf Training hatte. Also haben wir beschlossen, zu McDonald's zu gehen und statt Gewichte zu stemmen uns den Bauch vollzuschlagen.
"Noch ein Milkshake?"
"Börps, lieber nicht."
"Sag mal, was ist denn eigentlich mit den Weihnachtsferien in diesem Jahr und Sylvester?"
"Wieso? Was soll damit sein?"
"Bist du wieder mit deiner Family beim Skifahren?"
"Ich glaube schon. Wieso fragst du?"
"Ach nichts. Kam mir gerade so in den Kopf."
Irgendwie war ich enttäuscht, daß wir wieder zu der Zeit nicht zusammen sein können. Nils guckte mich an: "Komm doch einfach mit?"
Wie? hatte er mir vorgeschlagen, daß ich mitkommen soll, wenn er mit seinen Eltern in den Skiurlaub fährt?
"Ich kann nicht skifahren."
"Das kann man lernen. Selbst du."
"Ich hasse Schnee und ich hasse Berge und ich glaube, daß ich die Kombination aus beiden auch nicht besonders cool finden würde. Das ist doch ziemlich daneben: Da fährt man erst mit dem Lift den Berg hoch um dann wie ein Besengter wieder runterzufahren. Nee, also ich glaube das ist echt nichts für mich."
"Du bist unmöglich."
"Vor allem, wie willst du denn deinen Eltern beibringen, daß dein schwuler Freund mitfährt?"
"Na SO werde ich ihnen das bestimmt nicht sagen."
Ich würde gerne mit Nils zusammen verreisen, vielleicht würde ich mich ja sogar breitschlagen lassen, das mit dem Skifahren zu probieren. Aber mit seinen Eltern zusammen zwei Wochen, das würde ich garantiert nicht packen. Zwei Wochen lang irgendeine Rolle zu spielen und mich immer nur verstellen, aufpassen, daß niemand etwas mitkriegt.
"Also was willst du? Soll ich hier bleiben, nur weil du nicht Skifahren willst und nicht mit meinen Eltern in den Urlaub fahren willst?"
Ich gebe zu, ich weiß gar nicht, was ich will. Doch. Eigentlich würde ich am liebsten mit Nils irgendwohin fahren, ganz alleine, wo es warm ist. Irgendwo an einen Strand. So wie auf Korsika oder so. Aber das ist natürlich nicht möglich. Wo sollen wir das Geld für so einen Urlaub auftreiben?
"Ich weiß ja auch noch nicht, was ich mache. Ich wollte ja einfach nur mal fragen."
"Fahrt ihr denn nicht nach Hamburg zu deiner Oma?"
"Ich weiß es echt nicht. Kann schon sein."
"Na siehst du. Du fährst nach Hamburg und ich fahre nach Saalbach."
"Du kannst ja mitkommen, nach Hamburg. Dann siehst du endlich mal, wo ich herkomme."
"Wie willst du das deinen Eltern beibringen, daß dein schwuler Freund mitkommt?" fragte er jetzt lachend.
"Du Arsch."
Aber irgendwie finde ich den Gedanken interessant, wenn Nils und ich zusammen mal nach Hamburg fahren würden.

Als wir rauskamen, hatte es angefangen zu regnen. Es ist kalt. Kein Herbst mehr. Es ist Winter.

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