Sonntag, 7. September 1997

7. September

Ich wachte auf, weil mir mein Arm weh tat. Er lag unter Nils' Kopf und ich zog ihn langsam hervor. Leise ging ich zum Fenster. Dieser merkwürdige Traum. Mein Kopf tut mir weh und ich versuche Ordnung hineinzubekommen. Unter dem Fenster vor mir eine weite Grasfläche, dahinter der Rötenberg. Irgendwo dort hinten der Kochertalweg. Ich sah Doris' Vater über den Hof gehen. Er nickte mir zu. Ein Bauernhof ist eine komische Einrichtung.
"Komm wieder ins Bett", murmelte Nils.
Ich gehorchte und kuschelte mich an ihn.
"Wie spät ist es?"
"Sechs Uhr."
"Mitten in der Nacht."
Wir schliefen wieder ein. Irgendwann klopfte es an der Tür. "Los ihr beiden, wollt ihr nicht irgendwann aufstehen?"
Ich krabbelte wieder aus dem Bett und machte die Tür auf. Doris stand da grinsend mit einer lachenden Lena auf dem Arm. "Gut geschlafen?"
"Ich glaube ja."
"Ihr wollt doch bestimmt frühstücken, oder?"
Ich blickte mich zu Nils um, der sich in den Kissen vergrub.
"Ja, ich denke schon", meinte ich.
Ein lustiges Frühstück. Ein morgenmuffelnder Nils. Dann der Weg zurück.
"Wie geht's dir?" wollte ich wissen.
"Eigentlich ganz gut."
"Eigentlich?"
"Nein, mir geht es schon ganz gut. Ich bin nur noch ein bißchen bedruselt von gestern. Das mit dem Himbeerschnaps war dann doch etwas viel."
"Stimmt, du hast jede Menge lustiger Sachen erzählt."
"Was habe ich erzählt?"
"Keine Ahnung. Ich war ja selber besoffen."
"Quatsch. Also WAS habe ich erzählt?"
"Nichts, das war ein Scherz."
"Aber weißt du, daß du richtig süß warst? Ich meine, es hat dir nichts ausgemacht, in einem Bett mit mir zu schlafen."
"Wieso? Wir haben doch schon oft genug in einem Bett gepennt."
"Ja. Aber wir waren nicht irgendwo zu Hause, sondern bei Doris. Bei Doris zu Hause. Ein paar Türen weiter haben sie und Clemens gepennt. Und noch ein paar Zimmer weiter ihre Eltern. Und du, du hast kein Problem damit gehabt."
"Aha, und hätte ich eines haben sollen?"
"Nein, verdammt noch mal nein. Verstehst du denn nicht, was ich dir sagen will? Ich finde es ja eben gut, daß du damit kein Problem gehabt hast."
"Aha."
Es gibt Situationen, in denen würde ich Nils am liebsten eine runterhauen und ihn stehenlassen. Dieses war so eine Situation. So einfach nur ein trockenes 'Aha'. Das war alles. Schweigend radelten wir weiter. Irgendwann trennten sich unsere Wege. Es war sehr seltsam. Noch vor zwei Stunden war ich ihm so nah. Hatten wir zusammen gekuschelt. Hatte er gesagt, daß ich zurückkommen soll, zu ihm in dieses winzige Bett. Und plötzlich wurden wir mit jedem Meter sprachloser. "Bis später", war alles, was wir zum Abschied herausbrachten. Ich weiß nicht, was plötzlich los war. Auf einmal schien alles so bleiern und schwer. In der Diele klebte ein Zettel: 'Sind in Ulm und kommen gegen Abend wieder. Diätessen ist im Kühlschrank.'
Diätessen. Ich weiß nicht, ob es Moms seltsame Art von Humor war. Aber es war gegrillte Pute. Nur hatte ich überhaupt keinen Hunger. Ich taperte unter die Dusche. Doch ich drehte das Wasser nicht auf. Mein Arm roch nach Nils. Ich wollte diesen Geruch behalten. Verdammt. Ich wollte nicht nur diesen Geruch haben. Ich rief Nils an: "Komm vorbei. Meine Eltern sind weg. Ich will dich sehen."
"Was ist denn passiert?"
"Nichts ist passiert. Ich habe einfach Sehnsucht nach dir."
"Sehnsucht klingt ja so dramatisch."
"Du bist manchmal echt ein Arsch." Ich legte auf. Total sauer. Was war denn plötzlich mit ihm los? Ich lief durchs Haus und wußte doch gar nicht, was ich eigentlich suchte. Ich ärgerte mich und ich weiß nicht über wen ich mich mehr ärgerte. Über Nils oder über mich? Was sollte denn dieses blöde Verhalten von ihm? Und warum hatte ich aufgelegt?

Es klingelt. Ich gucke raus. Nils! Mein Nils steht vor der Tür!

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