Sonntag, 28. September 1997
28. September
"Was ist denn los mit dir? Du rennst ja rum wie ein Tiger im Käfig."
"So komme ich mir auch vor. Ich bin total aufgeregt. So aufgeregt war ich noch nicht mal vor meinem ersten Kampf."
"Wieso das denn? Mensch, schau dir die Hilfsbremser doch mal an, die schaffen wir ohne Probleme."
"Mag ja sein, aber ich habe echt so was wie Lampenfieber."
Ich konnte es mir ja selber nicht erklären. Vielleicht war das alles schon irgendein Vorzeichen für Leipzig. Vielleicht habe ich jetzt auf einmal so viel Ehrgeiz, daß ich Angst davor habe zu verlieren.
Ich verlor nicht. Als ich auf der Matte stand lief eigentlich alles ganz automatisch an. Beinangriff, mein so oft geübter Beinangriff, total perfekt. Ich gewann sogar mit Schultersieg schon in der zweiten Minute. Als ich in meine Ecke kam, meinte Nils: "Na siehst du. Geht doch. Für alles andere hätte ich dich auch geprügelt."
Ich glaubte ihm aufs Wort.
Auch die anderen Jungs gewannen haushoch und sogar Leon schaffte einen Zu-Null-Punktsieg.
"Trainierst du heimlich?", wollte ich wissen.
"Ich?" Er guckte mich verwundert an, dann grinste er: "Ich heiße doch nicht Tim."
Na toll, anscheinend gelte ich jetzt hier so als der heimliche Special-Trainierer.
"Kennst du irgend jemand von deinen Gegnern in Leipzig?"
"Nein, ich weiß gar nicht, wer da so alles hinfährt in meiner Gewichtsklasse."
"Na, wird schon. Wenn du da auch so gut bist, holst du bestimmt einen Pokal für Bergbach."
Borrh, was erzählte ich denn da für einen Unsinn? Bin ich etwa der Trainer, der die Leute motivieren muß? Ich klinge ja fast schon so wie Nils. Das muß ich mir schnellstens wieder abgewöhnen.
Nach dem Wettkampf war allgemeines Besäufnis bei Silvio angesagt. Aber Nils, Flo, Leon und ich beschlossen, daß es spannender wäre, sich in der Tofa zu besaufen als bei Silvio und seinem grenzdebilen Bruder.
Wir waren dann auch in der Tofa, nur getrunken haben wir fast nichts. Irgendwie waren wir alle eher in der Stimmung zu tanzen, und so hüpften wir wie blöde auf der Tanzfläche herum bis wir irgendwann total fertig den Rückweg antraten.
Das ist auch gar nicht so schlecht, wenn man wenig trinkt und ziemlich früh zu Hause ist. Man ist am nächsten Morgen nicht so vermufft. Ich guckte mich intensiv im Spiegel an. Irgendwie habe ich mir einen riesigen blauen Fleck an der Schulter zugezogen. Komisch, ich weiß nicht mal mehr woher. Gestern beim Wettkampf? Oder schon vom Training? Es ist eine merkwürdige Sache. Ich bin fast ein wenig stolz darauf. Dieser blaue Fleck gehört zu diesem Sport, er ist ein Zeichen dafür, daß ich tatsächlich arbeite. Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Hat sich nicht Doris mal über ein blaues Auge von Nils lustig gemacht? Aber es ist vielleicht etwas dran: die Schmerzen, die Muskelkater, die blauen Flecken. Alle bei uns ertragen das nicht nur, sie tragen das alles wirklich so wie kleine Orden, so als Zeichen dafür, daß sie anders sind, daß sie etwas machen, daß sie und ihren Körper herausfordert und das ist der Preis, den man dafür zahlen muß. Und das zeigt man auch. Oh mein Gott, was schreibe ich denn für einen Schwulst hier. Ich glaube, wenn ich das in ein paar Jahren wieder lese, dann glaube ich, daß ich geistig umnachtet gewesen sein muß. Egal, wie auch immer. Ich schmiere da jedenfalls keine Heparin-Salbe rauf und basta.
Ein gemeinsamer Nachmittag mit Nils.
"Wir haben gestern gar nicht darüber reden können, weil immer jemand dabei war. Habe ich mich sehr daneben benommen am Freitag? Warst du sehr sauer auf mich?"
"Nö, nicht mehr als sonst", meinte ich lachend.
"Arsch. Ich hab' es echt nicht so gemeint. Ich wollte es einfach nur mal wissen."
"Ist schon ok."
"Weißt du, daß du dich ziemlich verändert hast in der letzten Zeit?"
"Verändert? Wieso?"
"Nicht 'wieso' sondern 'inwiefern'!"
"Bitte jetzt du nicht auch noch, man sollte dir den Umgang mit Flo verbieten! Also, inwiefern habe ich mich verändert?"
"Du tickst nicht mehr so schnell aus. Früher bist du bei jeder Kleinigkeit ausgerastet. Aber inzwischen glaube ich, daß dich kaum noch was aufregt."
"Ist mir noch gar nicht aufgefallen."
"Ist aber so."
"Hmm, und was ist dir lieber?"
"Lieber, lieber. Mir ist alles lieb, wenn nur Tim draufsteht und drinsteckt."
"Nur wo Tim draufsteht, ist auch Tim drin."
Wir mußten lachen, als uns klar wurde, WAS ich da eben gesagt hatte.
"Weißt du, daß du gestern richtig gut gerungen hast? Ich meine das ehrlich. Richtig konzentriert, schnell und richtig gut in der Technik."
"Danke. Und das, wo ich so aufgeregt war."
Ein Lob von Nils. Und das im Zusammenhang mit dem Ringen. Das baute mich auf. Das baut mich wirklich auf. Mehr als alle Schinderei beim Training, mehr als jeder Punkt beim Wettkampf.
Es wird zunehmend schneller dunkel und vor allem kalt. Wir saßen da an "unserer" Stelle, kuschelten uns aneinander und froren wie blöd. Aber wir wollten einfach nicht aufstehen. Es war zu schön, den anderen zu spüren, seine Nähe, seine Wärme, seinen Atem. Es ist schön so. Schön so, wie es ist.
"So komme ich mir auch vor. Ich bin total aufgeregt. So aufgeregt war ich noch nicht mal vor meinem ersten Kampf."
"Wieso das denn? Mensch, schau dir die Hilfsbremser doch mal an, die schaffen wir ohne Probleme."
"Mag ja sein, aber ich habe echt so was wie Lampenfieber."
Ich konnte es mir ja selber nicht erklären. Vielleicht war das alles schon irgendein Vorzeichen für Leipzig. Vielleicht habe ich jetzt auf einmal so viel Ehrgeiz, daß ich Angst davor habe zu verlieren.
Ich verlor nicht. Als ich auf der Matte stand lief eigentlich alles ganz automatisch an. Beinangriff, mein so oft geübter Beinangriff, total perfekt. Ich gewann sogar mit Schultersieg schon in der zweiten Minute. Als ich in meine Ecke kam, meinte Nils: "Na siehst du. Geht doch. Für alles andere hätte ich dich auch geprügelt."
Ich glaubte ihm aufs Wort.
Auch die anderen Jungs gewannen haushoch und sogar Leon schaffte einen Zu-Null-Punktsieg.
"Trainierst du heimlich?", wollte ich wissen.
"Ich?" Er guckte mich verwundert an, dann grinste er: "Ich heiße doch nicht Tim."
Na toll, anscheinend gelte ich jetzt hier so als der heimliche Special-Trainierer.
"Kennst du irgend jemand von deinen Gegnern in Leipzig?"
"Nein, ich weiß gar nicht, wer da so alles hinfährt in meiner Gewichtsklasse."
"Na, wird schon. Wenn du da auch so gut bist, holst du bestimmt einen Pokal für Bergbach."
Borrh, was erzählte ich denn da für einen Unsinn? Bin ich etwa der Trainer, der die Leute motivieren muß? Ich klinge ja fast schon so wie Nils. Das muß ich mir schnellstens wieder abgewöhnen.
Nach dem Wettkampf war allgemeines Besäufnis bei Silvio angesagt. Aber Nils, Flo, Leon und ich beschlossen, daß es spannender wäre, sich in der Tofa zu besaufen als bei Silvio und seinem grenzdebilen Bruder.
Wir waren dann auch in der Tofa, nur getrunken haben wir fast nichts. Irgendwie waren wir alle eher in der Stimmung zu tanzen, und so hüpften wir wie blöde auf der Tanzfläche herum bis wir irgendwann total fertig den Rückweg antraten.
Das ist auch gar nicht so schlecht, wenn man wenig trinkt und ziemlich früh zu Hause ist. Man ist am nächsten Morgen nicht so vermufft. Ich guckte mich intensiv im Spiegel an. Irgendwie habe ich mir einen riesigen blauen Fleck an der Schulter zugezogen. Komisch, ich weiß nicht mal mehr woher. Gestern beim Wettkampf? Oder schon vom Training? Es ist eine merkwürdige Sache. Ich bin fast ein wenig stolz darauf. Dieser blaue Fleck gehört zu diesem Sport, er ist ein Zeichen dafür, daß ich tatsächlich arbeite. Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Hat sich nicht Doris mal über ein blaues Auge von Nils lustig gemacht? Aber es ist vielleicht etwas dran: die Schmerzen, die Muskelkater, die blauen Flecken. Alle bei uns ertragen das nicht nur, sie tragen das alles wirklich so wie kleine Orden, so als Zeichen dafür, daß sie anders sind, daß sie etwas machen, daß sie und ihren Körper herausfordert und das ist der Preis, den man dafür zahlen muß. Und das zeigt man auch. Oh mein Gott, was schreibe ich denn für einen Schwulst hier. Ich glaube, wenn ich das in ein paar Jahren wieder lese, dann glaube ich, daß ich geistig umnachtet gewesen sein muß. Egal, wie auch immer. Ich schmiere da jedenfalls keine Heparin-Salbe rauf und basta.
Ein gemeinsamer Nachmittag mit Nils.
"Wir haben gestern gar nicht darüber reden können, weil immer jemand dabei war. Habe ich mich sehr daneben benommen am Freitag? Warst du sehr sauer auf mich?"
"Nö, nicht mehr als sonst", meinte ich lachend.
"Arsch. Ich hab' es echt nicht so gemeint. Ich wollte es einfach nur mal wissen."
"Ist schon ok."
"Weißt du, daß du dich ziemlich verändert hast in der letzten Zeit?"
"Verändert? Wieso?"
"Nicht 'wieso' sondern 'inwiefern'!"
"Bitte jetzt du nicht auch noch, man sollte dir den Umgang mit Flo verbieten! Also, inwiefern habe ich mich verändert?"
"Du tickst nicht mehr so schnell aus. Früher bist du bei jeder Kleinigkeit ausgerastet. Aber inzwischen glaube ich, daß dich kaum noch was aufregt."
"Ist mir noch gar nicht aufgefallen."
"Ist aber so."
"Hmm, und was ist dir lieber?"
"Lieber, lieber. Mir ist alles lieb, wenn nur Tim draufsteht und drinsteckt."
"Nur wo Tim draufsteht, ist auch Tim drin."
Wir mußten lachen, als uns klar wurde, WAS ich da eben gesagt hatte.
"Weißt du, daß du gestern richtig gut gerungen hast? Ich meine das ehrlich. Richtig konzentriert, schnell und richtig gut in der Technik."
"Danke. Und das, wo ich so aufgeregt war."
Ein Lob von Nils. Und das im Zusammenhang mit dem Ringen. Das baute mich auf. Das baut mich wirklich auf. Mehr als alle Schinderei beim Training, mehr als jeder Punkt beim Wettkampf.
Es wird zunehmend schneller dunkel und vor allem kalt. Wir saßen da an "unserer" Stelle, kuschelten uns aneinander und froren wie blöd. Aber wir wollten einfach nicht aufstehen. Es war zu schön, den anderen zu spüren, seine Nähe, seine Wärme, seinen Atem. Es ist schön so. Schön so, wie es ist.
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