Mittwoch, 24. September 1997
24. September
"Und jetzt den Arm durchziehen und festhalten."
Mahmout hat eine ganz spezielle Art, das Training zu machen. Es ist fast so, als wenn er einen hypnotisiert. Er zeigt, er erklärt und guckt einem die ganze Zeit dabei in die Augen. Ich wußte gar nicht, wohin ich zuerst gucken sollte, weil ich ja eigentlich dem Griff zugucken wollte. Ich weiß auch nicht, ob mir diese Art von Training besser gefällt oder mehr bringt, als das zum Beispiel mit Werner. Aber interessant ist es schon, auf wieviele unterschiedliche Arten man trainieren kann.
Im Trainingskampf habe ich heute gegen Florian gewonnen. Es geht total leicht. Ich weiß auch nicht wieso. Wenn ich ihn nicht kennen würde, würde ich sagen, daß er mich hat gewinnen lassen. Aber das hat er bestimmt nicht.
"Du kleine Ratte", zischte er mir scherzhaft zu, "ich werde dir deine Sondertrainings mit Nils verbieten. Du wirst zu gut."
"Zu gut kann man gar nicht werden. Außerdem gehen die Wettkämpfe ja bald wieder los."
"Und Leipzig."
"Ja, und Leipzig."
"Und? Was meinst du, wie du abschneidest?"
"Keine Ahnung, mal sehen."
"Tu doch nicht so unbeteiligt. Du trainierst ja schon wie ein Irrer dafür. Du willst doch garantiert gewinnen. Oder wenigstens auf dem Treppchen stehen."
"Wollen wir nicht alle gewinnen, beim Ringen?" Wieder mal so ein toller nichtssagender Satz. Aber Flo fiel nicht darauf rein: "Irgendwas muß doch da sein, daß du ausgerechnet für dieses Turnier so viel Ehrgeiz entwickelst. Was ist es? Warum trainierst du nicht so wild für unsere normalen Ligawettkämpfe? Das würde dem Verein mehr bringen."
"Vielleicht finde ich ja Ligakämpfe langweilig."
"Du bist ein ganz schlechter Lügner. Also was ist es?"
"Ach vergiß es, das ist viel zu kompliziert, um dir das zu erklären."
Ich wollte aufstehen, doch Flo beförderte mich mit einem Beinhaken wieder auf die Matte: "Stop, nicht abhauen! Also, was ist es? Hast du mit Nils gewettet, daß du gewinnst? Ist das so eine Art geheimer Vereinbarung? Wenn das Turnier hier stattfinden würde, würde ich ja fast sagen, daß du ein Mädchen beeindrucken willst. Aber in Leipzig? Kennst du da jemanden?"
Ich breitete die Arme aus und ließ mich nach hinten auf die Matte fallen. Ich schloß die Augen: "Was weiß denn ich. Und überhaupt bin ich nicht der Einzige, der nach Leipzig fährt. Leon macht auch mit. Fragst du den auch so aus?"
"Ich rede jetzt aber nicht über Leon, sondern über Tim."
"Aber Tim will nicht darüber reden."
Das war ein Fehler, das zu sagen, denn jetzt hakte er noch mehr nach.
"Also ist da was, über das du nicht reden willst."
Mir platzte der Kragen. Ich bekam echt zu viel. Ich stand auf, zog ihn am Arm und meinte: "Kommt mit nach draußen. Ich möchte dir was sagen."
Flo guckte mich verwundert an, aber er ließ sich widerstandslos mit nach draußen ziehen. Nils guckte mich fragend an, ich zwinkerte ihm zu, daß er sich keine Gedanken machen braucht.
In der Umkleide fiel die Tür hinter uns ins Schloß. Florians Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
"Paß auf", begann ich, "wenn ich sage, ich möchte nicht darüber reden, bedeutet das: Ich möchte nicht darüber reden. Und du kannst fragen oder spekulieren oder sonstwas machen. Ich werde dir nichts sagen. Vielleicht erkläre ich es dir irgendwann. Vielleicht aber auch nicht. Aber akzeptiere verdammt noch mal, wenn ich sage, daß ich nicht darüber reden will."
Florian guckte mich ernst an. Ich weiß gar nicht, wann mich das letzte Mal jemand außer Nils oder Doris so ernst und tief angeguckt hat.
"Denkst du denn wirklich, die Welt besteht nur aus Feinden? Denkst du denn, alle Leute wollen dir was Schlechtes antun? Vielleicht gibt es ja mehr Leute, die dir helfen wollen, als du glaubst."
Ich schluckte. Was sollte denn das nun wieder?
"Was meinst du denn mit 'helfen'? Habe ich Probleme, oder was?"
"Keine Ahnung, das mußt du doch wissen."
Ich kriegte die Kurve. Ich bekam mit, wie Flo mich mit allen Tricks versuchte auszuhorchen. Immer ein Stück weiter, immer ein bißchen provozieren und die Antworten weiterspinnen. Ich erinnerte mich an einen Film, in dem ein gefangener amerikanischer Soldat beim Verhör immer nur seine Dienstnummer und seiner Einheit wiederholte. Auch noch nach Stunden Verhör, sagte er nichts weiter als seine Dienstnummer und seine Einheit.
"Ich fahre nach Leipzig und ich will so viel wie möglich Wettkämpfe gewinnen."
Flo gab auf.
"Das nächste Mal", meinte er im Hinausgehen, "versuche mal, mir nicht unbedingt eine Rippe brechen zu wollen."
Ich grinste: "Dann wehre dich nicht so heftig das nächste Mal."
Kaum war er draußen, kam Nils herein: "Was war denn los?"
"Nichts besonderes. Er wollte wissen, warum ich unbedingt nach Leipzig will und warum ich dafür trainiere."
"Und was hast du ihm gesagt?"
"Ich habe ihm gesagt, daß ich so viele Wettkämpfe wie möglich gewinnen will."
"Und das hat er dir abgenommen?"
"Keine Ahnung. Ist mir aber auch egal. Die Wahrheit konnte ich ihm ja schlecht sagen."
"Wann hast du eigentlich das letzte Mal dein Gewicht kontrolliert?"
"Schon 'ne Weile her."
Wir taperten zur Waage.
"Dachte ich mir es doch. Du wirst zu leicht."
"Wie? Ich werde zu leicht?"
"Wenn du nicht aufpaßt, dann landest du in der nächstniedrigen Gewichtsklasse, und dann ist da nichts mit Heiko."
"Also dann, her mit den Pommes."
"Weißt du Heikos aktuelles Gewicht?"
"Nein, aber ich denke mal, so viel wie ich wird er schon wiegen."
"Frag ihn."
"Wie? Ich soll ihn anrufen und fragen?"
"Na klar. Warum denn nicht? Wir trainieren hier doch nicht wie die Bekloppten um dann in Leipzig auf der Waage festzustellen, daß dein Heiko plötzlich in einer anderen Gewichtsklasse ringt."
"Mein Heiko...", murmelte ich.
"Na du weißt schon, was ich meine."
Hinter uns ging die Tür auf: "Ihr sollt endlich wieder zum Training kommen, die anderen warten auf euch."
"Heaven can wait", summte ich.
Mahmout hat eine ganz spezielle Art, das Training zu machen. Es ist fast so, als wenn er einen hypnotisiert. Er zeigt, er erklärt und guckt einem die ganze Zeit dabei in die Augen. Ich wußte gar nicht, wohin ich zuerst gucken sollte, weil ich ja eigentlich dem Griff zugucken wollte. Ich weiß auch nicht, ob mir diese Art von Training besser gefällt oder mehr bringt, als das zum Beispiel mit Werner. Aber interessant ist es schon, auf wieviele unterschiedliche Arten man trainieren kann.
Im Trainingskampf habe ich heute gegen Florian gewonnen. Es geht total leicht. Ich weiß auch nicht wieso. Wenn ich ihn nicht kennen würde, würde ich sagen, daß er mich hat gewinnen lassen. Aber das hat er bestimmt nicht.
"Du kleine Ratte", zischte er mir scherzhaft zu, "ich werde dir deine Sondertrainings mit Nils verbieten. Du wirst zu gut."
"Zu gut kann man gar nicht werden. Außerdem gehen die Wettkämpfe ja bald wieder los."
"Und Leipzig."
"Ja, und Leipzig."
"Und? Was meinst du, wie du abschneidest?"
"Keine Ahnung, mal sehen."
"Tu doch nicht so unbeteiligt. Du trainierst ja schon wie ein Irrer dafür. Du willst doch garantiert gewinnen. Oder wenigstens auf dem Treppchen stehen."
"Wollen wir nicht alle gewinnen, beim Ringen?" Wieder mal so ein toller nichtssagender Satz. Aber Flo fiel nicht darauf rein: "Irgendwas muß doch da sein, daß du ausgerechnet für dieses Turnier so viel Ehrgeiz entwickelst. Was ist es? Warum trainierst du nicht so wild für unsere normalen Ligawettkämpfe? Das würde dem Verein mehr bringen."
"Vielleicht finde ich ja Ligakämpfe langweilig."
"Du bist ein ganz schlechter Lügner. Also was ist es?"
"Ach vergiß es, das ist viel zu kompliziert, um dir das zu erklären."
Ich wollte aufstehen, doch Flo beförderte mich mit einem Beinhaken wieder auf die Matte: "Stop, nicht abhauen! Also, was ist es? Hast du mit Nils gewettet, daß du gewinnst? Ist das so eine Art geheimer Vereinbarung? Wenn das Turnier hier stattfinden würde, würde ich ja fast sagen, daß du ein Mädchen beeindrucken willst. Aber in Leipzig? Kennst du da jemanden?"
Ich breitete die Arme aus und ließ mich nach hinten auf die Matte fallen. Ich schloß die Augen: "Was weiß denn ich. Und überhaupt bin ich nicht der Einzige, der nach Leipzig fährt. Leon macht auch mit. Fragst du den auch so aus?"
"Ich rede jetzt aber nicht über Leon, sondern über Tim."
"Aber Tim will nicht darüber reden."
Das war ein Fehler, das zu sagen, denn jetzt hakte er noch mehr nach.
"Also ist da was, über das du nicht reden willst."
Mir platzte der Kragen. Ich bekam echt zu viel. Ich stand auf, zog ihn am Arm und meinte: "Kommt mit nach draußen. Ich möchte dir was sagen."
Flo guckte mich verwundert an, aber er ließ sich widerstandslos mit nach draußen ziehen. Nils guckte mich fragend an, ich zwinkerte ihm zu, daß er sich keine Gedanken machen braucht.
In der Umkleide fiel die Tür hinter uns ins Schloß. Florians Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
"Paß auf", begann ich, "wenn ich sage, ich möchte nicht darüber reden, bedeutet das: Ich möchte nicht darüber reden. Und du kannst fragen oder spekulieren oder sonstwas machen. Ich werde dir nichts sagen. Vielleicht erkläre ich es dir irgendwann. Vielleicht aber auch nicht. Aber akzeptiere verdammt noch mal, wenn ich sage, daß ich nicht darüber reden will."
Florian guckte mich ernst an. Ich weiß gar nicht, wann mich das letzte Mal jemand außer Nils oder Doris so ernst und tief angeguckt hat.
"Denkst du denn wirklich, die Welt besteht nur aus Feinden? Denkst du denn, alle Leute wollen dir was Schlechtes antun? Vielleicht gibt es ja mehr Leute, die dir helfen wollen, als du glaubst."
Ich schluckte. Was sollte denn das nun wieder?
"Was meinst du denn mit 'helfen'? Habe ich Probleme, oder was?"
"Keine Ahnung, das mußt du doch wissen."
Ich kriegte die Kurve. Ich bekam mit, wie Flo mich mit allen Tricks versuchte auszuhorchen. Immer ein Stück weiter, immer ein bißchen provozieren und die Antworten weiterspinnen. Ich erinnerte mich an einen Film, in dem ein gefangener amerikanischer Soldat beim Verhör immer nur seine Dienstnummer und seiner Einheit wiederholte. Auch noch nach Stunden Verhör, sagte er nichts weiter als seine Dienstnummer und seine Einheit.
"Ich fahre nach Leipzig und ich will so viel wie möglich Wettkämpfe gewinnen."
Flo gab auf.
"Das nächste Mal", meinte er im Hinausgehen, "versuche mal, mir nicht unbedingt eine Rippe brechen zu wollen."
Ich grinste: "Dann wehre dich nicht so heftig das nächste Mal."
Kaum war er draußen, kam Nils herein: "Was war denn los?"
"Nichts besonderes. Er wollte wissen, warum ich unbedingt nach Leipzig will und warum ich dafür trainiere."
"Und was hast du ihm gesagt?"
"Ich habe ihm gesagt, daß ich so viele Wettkämpfe wie möglich gewinnen will."
"Und das hat er dir abgenommen?"
"Keine Ahnung. Ist mir aber auch egal. Die Wahrheit konnte ich ihm ja schlecht sagen."
"Wann hast du eigentlich das letzte Mal dein Gewicht kontrolliert?"
"Schon 'ne Weile her."
Wir taperten zur Waage.
"Dachte ich mir es doch. Du wirst zu leicht."
"Wie? Ich werde zu leicht?"
"Wenn du nicht aufpaßt, dann landest du in der nächstniedrigen Gewichtsklasse, und dann ist da nichts mit Heiko."
"Also dann, her mit den Pommes."
"Weißt du Heikos aktuelles Gewicht?"
"Nein, aber ich denke mal, so viel wie ich wird er schon wiegen."
"Frag ihn."
"Wie? Ich soll ihn anrufen und fragen?"
"Na klar. Warum denn nicht? Wir trainieren hier doch nicht wie die Bekloppten um dann in Leipzig auf der Waage festzustellen, daß dein Heiko plötzlich in einer anderen Gewichtsklasse ringt."
"Mein Heiko...", murmelte ich.
"Na du weißt schon, was ich meine."
Hinter uns ging die Tür auf: "Ihr sollt endlich wieder zum Training kommen, die anderen warten auf euch."
"Heaven can wait", summte ich.
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