Sonntag, 14. September 1997

14. September

"Take me in your arms and hold me close", summte Nils beim Einschlafen. Wir werden mutig. Oder leichtsinnig. Ich weiß nicht was. Nils hat bei mir gepennt. Keine Erklärung für Mom und Dad. Nils ist einfach da, bleibt da. Mom und Dad gehen irgendwann schlafen, wissen wahrscheinlich nicht, ob Nils noch da ist oder nicht. Es ist mir egal. Ich frage niemanden um Erlaubnis. Schließe die Tür ab und wir sind da. Sind uns selbst genug. Es ist mir so selbstverständlich. Wir liegen einfach nur nebeneinander und kuscheln. Es ist so schön, ihn neben mir zu spüren. Seine Wärme, seinen Atem. Mir fiel dieses "Du redest im Schlaf" ein. Nils redet nie im Schlaf. Jedenfalls ist es mir bis jetzt nicht aufgefallen.
Es war ein schöner, ruhiger Abend. Nils wollte zwar, daß wir uns noch mal das Video von Heiko anguckten, doch ich meinte, daß ich dazu nun garantiert keine Lust hätte. Nicht schon wieder Heiko in meinem Zimmer, zusammen mit Nils. Also zappten wir uns durchs Fernsehprogramm, hörten Musik und blödelten rum. Waren ein wenig im Internet, fanden irgendwelche Pornobildern von Typen mit riesigen Schwänzen und beschlossen gemeinsam, daß wir das total häßlich fanden. Dann saßen wir eine halbe Ewigkeit am Fenster, guckten in die Nacht, zählten Sterne, bis wir anfingen zu frieren und uns schließlich ins Bett kuschelten: "Take me in your arms and hold me close."
Am Morgen dann doch ein wenig mulmiges Gefühl, weil niemand wußte, daß Nils da geblieben war. Er huschte aus dem Haus. Ich vergrabe mein Gesicht im Kissen. Sein Geruch. Es ist, als wenn er noch da ist: Take me in your arms and hold me close

"Trainiert dich Nils jetzt für dieses Turnier in Leipzig?"
"Ja, wenigstens zum Teil."
Dad runzelte die Stirn: "Wieviele Trainer braucht man denn so als Ringer?"
"Ich weiß es doch auch nicht. Irgendwie scheinen alle Leute scharf drauf zu sein, mich so zu trainieren, daß ich gewinne."
"Ist das nicht das Ziel, zu gewinnen?"
"Ja schon..."
Ich guckte in Phils unverschämt grinsendes Gesicht und warf ein Brötchen nach ihm.
"Mein lieber Herr Sohn, an diesem Tisch wird nicht mit Lebensmitteln geworfen. Was soll denn Lisa denken?"
Lisa war allerdings damit beschäftigt, lustige Marmeladenmuster auf ihrem Teller zu erzeugen: Marmeladenbäume, Marmeladensonnen.

"Ist das nicht eine blöde Situation?" Phil machte die Tür hinter sich zu. "Diese Heimlichtuerei."
"Was meinst du?"
"Na du und Nils. Ich nehme an, er war heute Nacht hier. Oder?"
"Ja, war er. Glaubst du, Mom und Dad haben was mitgekriegt?"
"Ich glaube nicht. Aber ich weiß nicht, ob das auf Dauer gut gehen kann."
"Was sollen wir denn machen? Warten, bis wir wieder mal in den Urlaub zusammen fahren können?"
Phil zuckte mit den Schultern: "Was weiß ich denn. Ich bin nun bestimmt nicht der Richtige, den du da fragen kannst."

Der Nachmittag war Familiennachmittag. Ausflug zum Sieverssee. Die letzten kleinen Segelboote wurden an Land gezogen und auf Anhänger geladen. Ich weiß, was das immer früher für ein Act war, wenn Opa sein Boot ins Winterquartier brachte. Und dann ging es erst richtig los, das Abspachteln, das Antifouling-Streichen. Hier ist alles eine Nummer kleiner, nicht eine Nummer, drei Nummern.
"Warum segelst du nicht?", fragte Mom, "das ist doch wenigstens ein schöner Sport."
"Ja, vor allem im Winter," murmelte ich.

Wieder zu Hause. Ich hatte ja so ein klein wenig gehofft, daß Nils was auf den Anrufbeantworter gesprochen hat. Aber hat er nicht. Na gut. Ich bin auch müde. Und morgen geht es los mit der Oberstufe, Kurssystem. Ich kuschele mich ins Bett. Nils' Geruch ist immer noch da: Take me in your arms and hold me close.

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