Dienstag, 29. Juli 1997

29. Juli

Es dauerte ein halbe Ewigkeit bis wir vom Flughafen beim Krankenhaus waren. Der Taxifahrer fluchte dauernd vor sich hin. Ich guckte aus dem Fenster. Außer einem endlosen Stau und jede Menge Autobahn war eine halbe Ewigkeit nichts zu sehen. Als wir dann endlich in der Klinik angekommen waren, wollten sie uns erst gar nicht durchlassen. So von wegen keine Besuchszeit und blaaaa. Mom hat aber ziemlichen Terz gemacht und endlich haben wir die richtige Station gefunden.
Phil war total überrascht: "Was macht ihr denn hier?"
Er hatte seinen ganzen linken Arm im Gips.
"Was machst DU hier?"
"Ich habe mir den Arm gebrochen, naja und noch die Hand und überhaupt."
"Was ist denn um Gottes Willen passiert? Und wieso bist du hier in Berlin und nicht in Lüneburg? Und warum hast du nicht angerufen?"
"Welche Frage darf ich denn zuerst beantworten", er grinste. Phil grinste, also konnte es ihm nicht so schlecht gehen.
"Wir sind nach Brandenburg geordert worden, Hohenschönwutzen oder wie das Kaff heißt. Sandsäcke und Strauchbündel transportieren und auf die Deiche stapeln. Ich war total müde und fertig und bin irgendwie bei der Rückfahrt vom Laster runtergefallen."
"So was Blödes", rutsche mir heraus, "man fällt doch nicht einfach so vom Laster."
"Und was ist jetzt genau gebrochen?" wollte Mom wissen
"Wohl mehrere Knochen im Ellenbogengelenk und einer von den Unterarmknochen ist gesplittert. Und zwei Knochen an der Hand. Ich habe gedacht, ich sterbe."
Ich verzog das Gesicht: "Und alles operiert?"
"Zum Teil, am Freitag wollen sie noch mal operieren."
Phil meinte aber, daß die Ärzte gesagt haben, daß alle wohl wieder recht gut zusammenwachsen wird. "Aber ringen werde ich wohl nie dürfen", lachte er.
"Schade, ich dachte, ich kriege doch noch einen Sparringspartner."
Mir fiel wirklich ein Stein vom Herzen. Die ganzen Stunden davor waren wirklich absolut schrecklich. Jetzt, wo ich weiß, was los ist, geht es mir besser. Ok, ich meine, das mit dem gebrochenen Arm und so ist ja schon schlimm genug, aber es ist wenigstens nichts was bleibt.

Als wir wieder draußen waren aus der Klinik, haben wir erst mal Dad zu Hause angerufen und ihm alles erzählt. Der hat uns sogar schon ein Hotel organisiert, weil so spät kein Flieger mehr zurück geht. Und so sind wir wieder eine halbe Ewigkeit durch die Stadt gegondelt. Und jetzt, jetzt sitze ich hier auf einem großen Platz an einem ziemlich schrägen Brunnen und schreibe. Schon komisch, wieder ein Platz und ein Brunnen. Wie in Bergbach. Ok, es ist kein Marktplatz und hier wuseln die Leute alle durcheinander. Es ist ein bißchen so wie auf dem Rathausplatz oder dem Gänsemarkt. Es ist warm und es ist eine gar nicht so schlechte Stimmung. Ich bin ein bißchen über den Platz getapert, Gedächtniskirche, jede Menge Leute, die einen malen oder zeichnen wollen, ein Mövenpick mit leckerem Eis und jede Menge niedlicher Skater. Noch arroganter als sonstwo. Aber es ist trotzdem schön wieder richtig Wirbel um mich herum zu haben, Durcheinander, Leben und ich mitten drin. Bergbach mit dieser Rentnerruhe. Und selbst Stuttgart ist hiergegen nichts. Zwei Mädchen sprechen mich an, ob ich weiß, wo man hier weggehen kann. Ich schüttele den Kopf, sage ihn, daß ich auch nicht von hier bin. Sie erzählen mir, daß sie aus Münster kommen. Wir unterhalten uns eine ganze Weile. Irgendwann tapern sie weiter. Plötzlich fällt mir Nils ein. Ich hatte ihn total vergessen. Suche eine Telefonzelle. Es ist schon spät, aber ich rufe ihn trotzdem an. Es ist schön, seine Stimme zu hören. Ich erzähle ihm, was passiert ist und daß ich morgen am Nachmittag wieder zurückkomme. Irgendwie wäre es schön, wenn er jetzt hier wäre. Es ist komisch. Obwohl ich hier nichts kenne, würde ich ihn einfach an die Hand nehmen und ihm alles zeigen. Mit ihm durch dieses merkwürdige Einkaufszentrum tapern, wo mindestens 10 Läden nebeneinander sind, die total coole Klamotten und Schuhe haben. Wir würden uns an den Brunnen setzen und den Skatern zuschauen und uns aussuchen, wen wir niedlich finden und nicht. Und dann? Ja, und dann? Dann würden wir nach Hause fahren. Zu unserem nach Hause, irgendwo hier in dieser Stadt, in einer dieser Nebenstraßen. Und wir haben eine Wohnung ganz für uns alleine, wo niemand uns stört, wo es allen Leuten, die drumherum wohnen total egal ist, wer wir sind und was wir machen. Und wenn wir Lust auf ein Eis haben und es ist Mitternacht, dann gehen wir einfach nur runter und holen uns eines. Ich glaube, ich weiß immer mehr was ich will. Ich will weg aus Bergbach! Das will ich eigentlich schon von dem ersten Augenblick an, wo ich angekommen bin. Ich will in eine große Stadt. Zurück nach Hamburg oder vielleicht hierher nach Berlin. Wo Leben ist, wo ich am Abend auf die Straße gehe und jede Menge ist los. Wenn ich hier wäre, dann würde ich mit Nils Hand in Hand durch die Gegend laufen und ich glaube, Nils würde es auch machen. Hier kennt uns niemand und auch wenn, es ist garantiert allen egal. Langsam werde ich müde. Ich werde jetzt zurück zum Hotel gehen und ein kleines Stück von der Atmosphäre hier mitnehmen.

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