Donnerstag, 26. Juni 1997
26. Juni
"Bist du wahnsinnig geworden?"
Flo und Mehmet rissen mich hoch und zerrten mich in eine Ecke. Wir hatten Trainingskämpfe und diesmal hatte Dimitri Nils und mich auf die Matte gestellt. Er selber war zum anderen Ende der Halle getapert, um etwas mit Werner zu bequatschen. Ich weiß nicht, was genau passierte. Ich spürte nur noch Haß in mir, jede Menge Haß und Energie. Nils landete auf dem Rücken und ich schlug auf ihn ein, ja ich prügelte tatsächlich auf ihn ein. Nicht lange. Einige Sekunden später hatten mich Flo und Mehmet überwältigt und hielten mich fest: "Was ist denn in dich gefahren? Tickst du jetzt völlig aus?"
Ich ließ mich zu Boden sinken und zitterte. Dimitri kam angelaufen: "Was ist denn hier passiert?"
Da sah ich Nils, wie er sich aufrappelte. Seine Nase blutete. "Nichts, ich bin unglücklich gefallen", sagte er und verschwand in der Umkleide. Dimitri warf mir einen prüfenden Blick zu. Ich saß da, in mich zusammengesunken. Alles was ich an Wut, an Energie hatte, war weg. "Bist du jetzt wieder vernünftig?" fragte Flo.
Ich nickte.
"Was ist denn los mit euch?"
"Nichts ist los, das ist eine Sache zwischen Nils und mir."
"Sag bloß, ihr habt euch beide in das gleiche Mädchen verguckt."
Ich verzog das Gesicht und guckte in eine andere Richtung. Oh, ihr Ahnungslosen, ihr seid zum Glück alle so blind!
"Kann man dich jetzt alleine lassen, ohne daß du wieder auf jemanden einprügelst?"
Ich nickte. Ich blieb sitzen. Ich blieb sitzen, als die anderen sich umziehen gingen, ich ging sitzen als die zweite Männer-Mannschaft ihr Training begann. Irgendwann trottete ich in die Umkleide. Was ist mit mir los? Plötzlich entwickele ich mich zum Schläger? Ich prügele auf Nils ein, Nils, den ich noch vor ein paar Tagen mit Küssen zudeckt hatte, Nils, den ich doch eigentlich über alles liebe und den ich dann doch wieder über alles hasse. Ich erkenne mich selbst nicht mehr.
Im Zeitlupentempo ziehe ich mich um. Wie in einem Film kommen mir Szenen aus dem letzten Jahr in Erinnerung. Nils, der mir nach dem ersten Training Mut machte weiterzumachen, seine Hand auf meiner Schulter, sein Blick, in dem ich versank. Die Umarmung, der Kuß nach dem ersten Sieg, die freudige Funkeln in seinen Augen. Alles schien so weit weg. So wie in einer anderen Welt, unwirklich.
Ich schwang mich auf's Rad und fuhr los. Nicht nach Hause, ich weiß auch nicht wieso. Fast automatisch fuhr ich zum Kochertalweg. Und erst zu spät sah ich, daß ER dort stand, daß ER auf mich wartete. Ich hätte noch umdrehen können, doch ich wollte nicht mehr, ich konnte nicht mehr. All meine Kraft war verschwunden. Ich stieg vom Rad. Nils' Nase und Oberlippe waren dick. Ich versuchte, etwas in seinem Gesicht zu lesen, doch es gelang mir nicht.
"Du kommst spät, aber ich wußte, daß du kommst."
"Ach ja? Und was soll das jetzt hier werden? Willst du mir jetzt ganz offiziell sagen, daß es aus ist? Tolle Gelegenheit, tolle Stelle. Wirklich, fast filmreif." Ich merkte, wie in mir wieder die Wut hochkochte.
"Du hörst mir jetzt zu. Und du hältst jetzt verdammt noch mal deinen Mund."
"Vielleicht habe ich aber gar keine Lust, dir zuzuhören. Vielleicht weiß ich ja schon ganz genau, was du sagen willst."
Nils griff nach meinem Handgelenk, dreht meinen Arm auf den Rücken und drückte mich ganz langsam zu Boden: "Ich habe gesagt, daß du jetzt zuhörst." Er drehte meinen Arm weiter auf den Rücken. Ein stechender Schmerz in meiner Schulter, Gras in meinem Gesicht.
"Du bist so ein verdammter ein Narr", seine Stimme war ganz dicht an meinem Ohr, "Tim Berger, du bist so ein verdammt arrogantes Arschloch..."
Ich sagte nichts. Ich konnte nichts sagen.
"Du lebst wohl nur in deiner eigenen Welt."
Ich verstand nicht, was er meinte. Irgendwann ließ er los und ich konnte mich aufrappeln.
"Können wir jetzt endlich miteinander reden?"
Ich nickte. Kam mir auf einmal vor wie ein kleines Kind.
"Tim, warum gehst du mir seit Freitag aus dem Weg? Warum rastest du so aus? Denkst du etwa, da ist etwas zwischen Sarah und mir?"
Aha, Sarah heißt sie also.
"Warum gehst du heimlich weg, ohne mir was zu sagen? Warum gehst du heimlich mit einem Mädchen weg? Ist das jetzt deine Art von Rache für die Sache mit Heiko?"
"Ich gehe nicht heimlich weg. Ich hab einfach Lust gehabt, an dem Abend wegzugehen. Und Sarah habe ich erst in der Tofa kennengelernt."
"Und? Was läuft zwischen euch?"
"Es läuft gar nichts. Du kapierst echt nichts. Da läuft überhaupt nichts. Wir haben einfach zusammen gequatscht, das ist alles."
Ich wollte ihm glauben, verdammt noch mal, ich wollte ihm so gerne glauben.
"Warum hast du mich so behandelt am Freitag vor der Tofa?"
"Schließlich hast DU mir eine Szene gemacht. Was hätte ich denn machen sollen? Dich in den Arm nehmen? Mensch, werd' doch mal wach! Wir sind hier in Bergbach. Hier kennt jeder jeden. Und du kommst wie Rambo in den Laden reingerannt und machst mir eine Szene, die alle mitkriegen."
"Da hat niemand was mitgekriegt."
"Hast du mich vielleicht gefragt, als du dich mit Robert in Stuttgart getroffen hast? Hast du mich vielleicht vorher gefragt, als du mit Heiko rumgemacht hast? Hast du mich vielleicht gefragt, als du extra wegen Heiko nach Köln gefahren bist?"
"Das ist etwas total anderes."
"Das ist überhaupt nichts anderes! Was denkst du denn wer du bist? Du darfst hier alles machen, dich treffen mit wem und wann du willst, rummachen mit wem du willst. Und wenn ich einmal, EINMAL alleine weggehe, dann kommt Tim reingerauscht und macht einen riesigen Aufstand und schlägt mich dann auch noch fast zusammen."
"Sag mir, daß da nichts ist mit Sarah. Sag' es mir."
Nils blickte mir in die Augen: "Da ist nichts, da war nichts und da ist nichts."
Und ich glaubte ihm. Ja, ich wußte, daß er die Wahrheit sagte. Ich wollte ihn in den Arm nehemen: "Nils, ich..."
Er ging einen Schritt zurück: "Nein Tim, so nicht. Du glaubst doch wohl nicht, daß jetzt alles wieder so ist, als wäre nichts passiert."
Ich schaute ihn verwirrt an: "Was meinst du?"
"Ich habe dich geliebt Tim, wirklich, ich habe dich geliebt. Ich habe dir die Sache mit Heiko verziehen, obwohl mir das so wehgetan hat. Tim mault rum, Tim rastet aus. Das alles habe ich dir verziehen, denn ich habe dich geliebt. Aber jetzt, jetzt bist du einfach zu weit gegangen."
Mir wurde schwindelig: "Was willst du damit sagen?" fragte ich heiser.
"Ich will damit sagen, daß wir uns für eine Weile nicht mehr treffen sollten. Die ganze Sache, das mit dem Schwulsein ist schon schwierig genug für mich. Und wenn dann da noch jemand ist, der auf mich einprügelt, nur weil ich mal einen Abend alleine weggehe..."
"Nils, bitte...", ich griff nach seiner Hand. Er zog sie weg.
"Nein Tim, laß es! Vielleicht überlegst du dir wirklich mal, was du da so machst."
Und er stand auf und fuhr los. Einfach so. Er verschwand in der Dunkelheit und ich saß da. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich halbwegs begriffen hatte, was passiert war. Was hatte er getan? Was hatte ICH getan? Wie betäubt nahm ich mein Rad und schob es vor mir her. In meinem Kopf wirbelten alle möglichen Sachen durcheinander. Nichts ergab einen Sinn. Nils, so erwachsen, so überheblich. Und ich stehe da wie der absolute Depp. Nein, ich BIN der absolute Depp. Jemand der alles immer nur kaputt macht. Es ist aus. Es ist tatsächlich aus und ich bin merkwürdig ruhig. Doch, es tut mir weh. Aber ich heule nicht. Es gibt nichts mehr, worüber ich heulen könnte. Alles habe ich schon in der letzten Woche durchgemacht. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr schreiben für heute.
Flo und Mehmet rissen mich hoch und zerrten mich in eine Ecke. Wir hatten Trainingskämpfe und diesmal hatte Dimitri Nils und mich auf die Matte gestellt. Er selber war zum anderen Ende der Halle getapert, um etwas mit Werner zu bequatschen. Ich weiß nicht, was genau passierte. Ich spürte nur noch Haß in mir, jede Menge Haß und Energie. Nils landete auf dem Rücken und ich schlug auf ihn ein, ja ich prügelte tatsächlich auf ihn ein. Nicht lange. Einige Sekunden später hatten mich Flo und Mehmet überwältigt und hielten mich fest: "Was ist denn in dich gefahren? Tickst du jetzt völlig aus?"
Ich ließ mich zu Boden sinken und zitterte. Dimitri kam angelaufen: "Was ist denn hier passiert?"
Da sah ich Nils, wie er sich aufrappelte. Seine Nase blutete. "Nichts, ich bin unglücklich gefallen", sagte er und verschwand in der Umkleide. Dimitri warf mir einen prüfenden Blick zu. Ich saß da, in mich zusammengesunken. Alles was ich an Wut, an Energie hatte, war weg. "Bist du jetzt wieder vernünftig?" fragte Flo.
Ich nickte.
"Was ist denn los mit euch?"
"Nichts ist los, das ist eine Sache zwischen Nils und mir."
"Sag bloß, ihr habt euch beide in das gleiche Mädchen verguckt."
Ich verzog das Gesicht und guckte in eine andere Richtung. Oh, ihr Ahnungslosen, ihr seid zum Glück alle so blind!
"Kann man dich jetzt alleine lassen, ohne daß du wieder auf jemanden einprügelst?"
Ich nickte. Ich blieb sitzen. Ich blieb sitzen, als die anderen sich umziehen gingen, ich ging sitzen als die zweite Männer-Mannschaft ihr Training begann. Irgendwann trottete ich in die Umkleide. Was ist mit mir los? Plötzlich entwickele ich mich zum Schläger? Ich prügele auf Nils ein, Nils, den ich noch vor ein paar Tagen mit Küssen zudeckt hatte, Nils, den ich doch eigentlich über alles liebe und den ich dann doch wieder über alles hasse. Ich erkenne mich selbst nicht mehr.
Im Zeitlupentempo ziehe ich mich um. Wie in einem Film kommen mir Szenen aus dem letzten Jahr in Erinnerung. Nils, der mir nach dem ersten Training Mut machte weiterzumachen, seine Hand auf meiner Schulter, sein Blick, in dem ich versank. Die Umarmung, der Kuß nach dem ersten Sieg, die freudige Funkeln in seinen Augen. Alles schien so weit weg. So wie in einer anderen Welt, unwirklich.
Ich schwang mich auf's Rad und fuhr los. Nicht nach Hause, ich weiß auch nicht wieso. Fast automatisch fuhr ich zum Kochertalweg. Und erst zu spät sah ich, daß ER dort stand, daß ER auf mich wartete. Ich hätte noch umdrehen können, doch ich wollte nicht mehr, ich konnte nicht mehr. All meine Kraft war verschwunden. Ich stieg vom Rad. Nils' Nase und Oberlippe waren dick. Ich versuchte, etwas in seinem Gesicht zu lesen, doch es gelang mir nicht.
"Du kommst spät, aber ich wußte, daß du kommst."
"Ach ja? Und was soll das jetzt hier werden? Willst du mir jetzt ganz offiziell sagen, daß es aus ist? Tolle Gelegenheit, tolle Stelle. Wirklich, fast filmreif." Ich merkte, wie in mir wieder die Wut hochkochte.
"Du hörst mir jetzt zu. Und du hältst jetzt verdammt noch mal deinen Mund."
"Vielleicht habe ich aber gar keine Lust, dir zuzuhören. Vielleicht weiß ich ja schon ganz genau, was du sagen willst."
Nils griff nach meinem Handgelenk, dreht meinen Arm auf den Rücken und drückte mich ganz langsam zu Boden: "Ich habe gesagt, daß du jetzt zuhörst." Er drehte meinen Arm weiter auf den Rücken. Ein stechender Schmerz in meiner Schulter, Gras in meinem Gesicht.
"Du bist so ein verdammter ein Narr", seine Stimme war ganz dicht an meinem Ohr, "Tim Berger, du bist so ein verdammt arrogantes Arschloch..."
Ich sagte nichts. Ich konnte nichts sagen.
"Du lebst wohl nur in deiner eigenen Welt."
Ich verstand nicht, was er meinte. Irgendwann ließ er los und ich konnte mich aufrappeln.
"Können wir jetzt endlich miteinander reden?"
Ich nickte. Kam mir auf einmal vor wie ein kleines Kind.
"Tim, warum gehst du mir seit Freitag aus dem Weg? Warum rastest du so aus? Denkst du etwa, da ist etwas zwischen Sarah und mir?"
Aha, Sarah heißt sie also.
"Warum gehst du heimlich weg, ohne mir was zu sagen? Warum gehst du heimlich mit einem Mädchen weg? Ist das jetzt deine Art von Rache für die Sache mit Heiko?"
"Ich gehe nicht heimlich weg. Ich hab einfach Lust gehabt, an dem Abend wegzugehen. Und Sarah habe ich erst in der Tofa kennengelernt."
"Und? Was läuft zwischen euch?"
"Es läuft gar nichts. Du kapierst echt nichts. Da läuft überhaupt nichts. Wir haben einfach zusammen gequatscht, das ist alles."
Ich wollte ihm glauben, verdammt noch mal, ich wollte ihm so gerne glauben.
"Warum hast du mich so behandelt am Freitag vor der Tofa?"
"Schließlich hast DU mir eine Szene gemacht. Was hätte ich denn machen sollen? Dich in den Arm nehmen? Mensch, werd' doch mal wach! Wir sind hier in Bergbach. Hier kennt jeder jeden. Und du kommst wie Rambo in den Laden reingerannt und machst mir eine Szene, die alle mitkriegen."
"Da hat niemand was mitgekriegt."
"Hast du mich vielleicht gefragt, als du dich mit Robert in Stuttgart getroffen hast? Hast du mich vielleicht vorher gefragt, als du mit Heiko rumgemacht hast? Hast du mich vielleicht gefragt, als du extra wegen Heiko nach Köln gefahren bist?"
"Das ist etwas total anderes."
"Das ist überhaupt nichts anderes! Was denkst du denn wer du bist? Du darfst hier alles machen, dich treffen mit wem und wann du willst, rummachen mit wem du willst. Und wenn ich einmal, EINMAL alleine weggehe, dann kommt Tim reingerauscht und macht einen riesigen Aufstand und schlägt mich dann auch noch fast zusammen."
"Sag mir, daß da nichts ist mit Sarah. Sag' es mir."
Nils blickte mir in die Augen: "Da ist nichts, da war nichts und da ist nichts."
Und ich glaubte ihm. Ja, ich wußte, daß er die Wahrheit sagte. Ich wollte ihn in den Arm nehemen: "Nils, ich..."
Er ging einen Schritt zurück: "Nein Tim, so nicht. Du glaubst doch wohl nicht, daß jetzt alles wieder so ist, als wäre nichts passiert."
Ich schaute ihn verwirrt an: "Was meinst du?"
"Ich habe dich geliebt Tim, wirklich, ich habe dich geliebt. Ich habe dir die Sache mit Heiko verziehen, obwohl mir das so wehgetan hat. Tim mault rum, Tim rastet aus. Das alles habe ich dir verziehen, denn ich habe dich geliebt. Aber jetzt, jetzt bist du einfach zu weit gegangen."
Mir wurde schwindelig: "Was willst du damit sagen?" fragte ich heiser.
"Ich will damit sagen, daß wir uns für eine Weile nicht mehr treffen sollten. Die ganze Sache, das mit dem Schwulsein ist schon schwierig genug für mich. Und wenn dann da noch jemand ist, der auf mich einprügelt, nur weil ich mal einen Abend alleine weggehe..."
"Nils, bitte...", ich griff nach seiner Hand. Er zog sie weg.
"Nein Tim, laß es! Vielleicht überlegst du dir wirklich mal, was du da so machst."
Und er stand auf und fuhr los. Einfach so. Er verschwand in der Dunkelheit und ich saß da. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich halbwegs begriffen hatte, was passiert war. Was hatte er getan? Was hatte ICH getan? Wie betäubt nahm ich mein Rad und schob es vor mir her. In meinem Kopf wirbelten alle möglichen Sachen durcheinander. Nichts ergab einen Sinn. Nils, so erwachsen, so überheblich. Und ich stehe da wie der absolute Depp. Nein, ich BIN der absolute Depp. Jemand der alles immer nur kaputt macht. Es ist aus. Es ist tatsächlich aus und ich bin merkwürdig ruhig. Doch, es tut mir weh. Aber ich heule nicht. Es gibt nichts mehr, worüber ich heulen könnte. Alles habe ich schon in der letzten Woche durchgemacht. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr schreiben für heute.
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