Donnerstag, 8. Mai 1997
8. Mai
"Irgendwas ist mit dir."
Nils starrte mich durchdringend an. Ich hatte ihn zum allerersten Male in einem Trainingskampf richtig geschultert. Ich weiß nicht mehr wie, alles lief ganz automatisch.
"Wo du früher gezögert hast, machst du jetzt ganz automatisch das Richtige. Wo du früher unsicher warst, bist du auf einmal mit so einer Kraft dabei...was ist denn nur los mit dir?"
"Ich weiß es nicht. Vielleicht habt ihr mich ja einfach mit eurer Ringerei richtig angesteckt."
Nils schaute mich an. Es war ein anderer Blick als früher. Nicht mehr dieser Blick, in dem ich versinken kann aber auch nicht dieser kalte, stechende Blick. Es war ein fragender Blick, forschend und ich glaubte, er würde bis ins Innerste meines Gehirns, meiner Gedanken gehen.
"Was ist los mit dir?"
"Nils, ich weiß es nicht", antwortete ich schroff.
Er ließ nicht locker: "Du warst nicht nur in Düsseldorf, stimmt's? Du warst in Köln. Du warst in Köln bei diesem Heiko. Habe ich recht?"
Ich wußte, daß diese Frage kommen würde. Ich wußte, daß sie irgendwann kommen würde und ich habe es ja fast herbeigesehnt. Ich drehte mich um und ging in die Umkleide. Nils kam mir hinterher.
"Hast du Heiko getroffen, oder nicht?" Es war ein ganz simple Frage. Nicht aggressiv, nicht traurig...einfach nur eine Frage. Ich knallte die Tür von meinem Schrank zu und blickte ihn an. Schluß mit den Lügen, Schluß mit dem Theaterspielen.
"Ja, du hast recht. Ich habe Heiko getroffen."
Keine Reaktion, nichts, sein Blick blieb unbewegt. Nach einer halben Ewigkeit dreht er sich um und starrte an die Wand. "Bist du noch mein Freund?" fragte er.
Ich schluckte. Was für eine Frage.
"Nils, natürlich. Bitte, ich würde es dir so gerne erklären. Aber ich kann es nicht. Ich verstehe es selbst nicht."
Die Tür zur Halle ging auf. Dimitri stand da: "Macht jetzt jeder hier, was er will? Wir haben immer noch Training."
"Coach, bitte, lassen sie uns in Ruhe! Wir haben etwas zu besprechen!"
So hatte ich Nils noch nie mit Dimitri reden gehört. Der stutzte und verschwand.
Nils begann, sich anzuziehen. "Ich will raus hier. Laß uns gehen."
Wir fuhren los. Wir brauchten nichts zu sagen, wie durch Gedankenübertragung landeten wir beim Kochertalweg. Nils setzte sich auf die Wiese und blickte hinunter nach Bergbach.
"Nils, ich möchte, daß du weißt...", ich stockte, wußte nicht mehr weiter.
"Wieso Tim? Wieso?"
"Ich weiß es nicht. Ich verstehe es doch selbst nicht. Nils, bitte, ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich über alles. Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist."
Er schwieg. Ich hielt es nicht aus und umarmte ihn. Drückte ihn ganz fest. Er hatte Tränen in den Augen. "Was habe ich falsch gemacht?"
"Du hast nichts falsch gemacht", flüsterte ich in sein Ohr. "Es ist passiert. Einfach nur passiert."
Nils, mein Nils fing an zu schluchzen. Ich drückte ihn so fest wie es ging. Und ich fing auch an zu heulen. Was war das nur für eine verworrene Situation.
"Ich möchte, daß du weißt, daß ich dich liebe. Ich liebe dich, wirklich."
"Warum dieser Typ. Warum Heiko?"
"Ich weiß es nicht. Wenn ich es wüßte, wäre das vielleicht alles viel einfacher."
Nils schwieg. Ich wußte, was ihm im Kopf herum ging. Ich hatte tierische Angst davor, daß er mir diese eine Frage stellt. Die Frage, ob ich mit Heiko geschlafen habe. Ich wußte, ich könnte nicht mehr lügen. Ich wußte, daß ich ihm die Wahrheit sagen müßte. Aber aus irgendeinem Grund fragte er nicht. Er saß nur da und die Tränen liefen über seine Wangen: "Ich dachte, ich hätte endlich jemand gefunden, jemand, für den ich immer da sein kann, jemand den ich liebe und jemand, der mich auch liebt."
"Nils, daran hat sich nichts geändert. Das mit Heiko, das ist...das geht vorbei." Warum hatte ich nicht ‚das ist vorbei' gesagt?
Er drehte sich zu mir und schaute mich an. Langsam strich er mir über das Gesicht: "Ich will dich nicht verlieren."
"Du verlierst mich nicht. Du hast mich nie verloren."
"Und trotzdem bist du zu Heiko gefahren."
Ich seufzte. Ich kriegte keinen klaren Gedanken mehr zusammen. Ich wollte so viel sagen und doch war mein Kopf leer.
Plötzlich stand Nils auf: "Ich brauche etwas Zeit für mich. Wir sehen uns morgen." Er drückte mich kurz zum Abschied, schwang sich auf sein Rad und verschwand.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort noch gesessen habe. Ich weiß eigentlich gar nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin. Jetzt sitze ich hier zu Haue, höre mindestens zum dreißigsten Mal dieses schrecklich traurige REM-Stück und bekomme doch nichts auf die Reihe. Ich weine nicht mehr. Meine Augen sind leer. Und ich verstehe nichts mehr, mein Kopf ist leer. Ich versuche Heiko mit aller Gewalt aus meinem Gehirn zu bekommen, doch je mehr ich es versuche, desto mehr Details kommen mir in Erinnerung. Nils, mein Nils verschwindet dann immer mehr in einem dichten Nebel am Horizont. Ich halte meine Hand über die Kerze, hoffe, daß mich der Schmerz wieder zu Verstand bringt. Irgendwann ziehe ich die Hand weg. Der Schmerz ist da, doch er verblaßt ganz schnell und die gleichen Gedanken wie vorher sind da. Ich gehe runter in die Küche. Mom und Dad sitzen im Wohnzimmer. Sie wissen nicht, wie es mir geht. Sie sollen es nicht wissen. Ich nehme die kleine Flasche Rum, die im Backfach steht und schmuggele sie in mein Zimmer. Ich merke, wie er beginnt zu wirken. Und ich merke wie mir alles immer mehr egal wird.
Nils starrte mich durchdringend an. Ich hatte ihn zum allerersten Male in einem Trainingskampf richtig geschultert. Ich weiß nicht mehr wie, alles lief ganz automatisch.
"Wo du früher gezögert hast, machst du jetzt ganz automatisch das Richtige. Wo du früher unsicher warst, bist du auf einmal mit so einer Kraft dabei...was ist denn nur los mit dir?"
"Ich weiß es nicht. Vielleicht habt ihr mich ja einfach mit eurer Ringerei richtig angesteckt."
Nils schaute mich an. Es war ein anderer Blick als früher. Nicht mehr dieser Blick, in dem ich versinken kann aber auch nicht dieser kalte, stechende Blick. Es war ein fragender Blick, forschend und ich glaubte, er würde bis ins Innerste meines Gehirns, meiner Gedanken gehen.
"Was ist los mit dir?"
"Nils, ich weiß es nicht", antwortete ich schroff.
Er ließ nicht locker: "Du warst nicht nur in Düsseldorf, stimmt's? Du warst in Köln. Du warst in Köln bei diesem Heiko. Habe ich recht?"
Ich wußte, daß diese Frage kommen würde. Ich wußte, daß sie irgendwann kommen würde und ich habe es ja fast herbeigesehnt. Ich drehte mich um und ging in die Umkleide. Nils kam mir hinterher.
"Hast du Heiko getroffen, oder nicht?" Es war ein ganz simple Frage. Nicht aggressiv, nicht traurig...einfach nur eine Frage. Ich knallte die Tür von meinem Schrank zu und blickte ihn an. Schluß mit den Lügen, Schluß mit dem Theaterspielen.
"Ja, du hast recht. Ich habe Heiko getroffen."
Keine Reaktion, nichts, sein Blick blieb unbewegt. Nach einer halben Ewigkeit dreht er sich um und starrte an die Wand. "Bist du noch mein Freund?" fragte er.
Ich schluckte. Was für eine Frage.
"Nils, natürlich. Bitte, ich würde es dir so gerne erklären. Aber ich kann es nicht. Ich verstehe es selbst nicht."
Die Tür zur Halle ging auf. Dimitri stand da: "Macht jetzt jeder hier, was er will? Wir haben immer noch Training."
"Coach, bitte, lassen sie uns in Ruhe! Wir haben etwas zu besprechen!"
So hatte ich Nils noch nie mit Dimitri reden gehört. Der stutzte und verschwand.
Nils begann, sich anzuziehen. "Ich will raus hier. Laß uns gehen."
Wir fuhren los. Wir brauchten nichts zu sagen, wie durch Gedankenübertragung landeten wir beim Kochertalweg. Nils setzte sich auf die Wiese und blickte hinunter nach Bergbach.
"Nils, ich möchte, daß du weißt...", ich stockte, wußte nicht mehr weiter.
"Wieso Tim? Wieso?"
"Ich weiß es nicht. Ich verstehe es doch selbst nicht. Nils, bitte, ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich über alles. Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist."
Er schwieg. Ich hielt es nicht aus und umarmte ihn. Drückte ihn ganz fest. Er hatte Tränen in den Augen. "Was habe ich falsch gemacht?"
"Du hast nichts falsch gemacht", flüsterte ich in sein Ohr. "Es ist passiert. Einfach nur passiert."
Nils, mein Nils fing an zu schluchzen. Ich drückte ihn so fest wie es ging. Und ich fing auch an zu heulen. Was war das nur für eine verworrene Situation.
"Ich möchte, daß du weißt, daß ich dich liebe. Ich liebe dich, wirklich."
"Warum dieser Typ. Warum Heiko?"
"Ich weiß es nicht. Wenn ich es wüßte, wäre das vielleicht alles viel einfacher."
Nils schwieg. Ich wußte, was ihm im Kopf herum ging. Ich hatte tierische Angst davor, daß er mir diese eine Frage stellt. Die Frage, ob ich mit Heiko geschlafen habe. Ich wußte, ich könnte nicht mehr lügen. Ich wußte, daß ich ihm die Wahrheit sagen müßte. Aber aus irgendeinem Grund fragte er nicht. Er saß nur da und die Tränen liefen über seine Wangen: "Ich dachte, ich hätte endlich jemand gefunden, jemand, für den ich immer da sein kann, jemand den ich liebe und jemand, der mich auch liebt."
"Nils, daran hat sich nichts geändert. Das mit Heiko, das ist...das geht vorbei." Warum hatte ich nicht ‚das ist vorbei' gesagt?
Er drehte sich zu mir und schaute mich an. Langsam strich er mir über das Gesicht: "Ich will dich nicht verlieren."
"Du verlierst mich nicht. Du hast mich nie verloren."
"Und trotzdem bist du zu Heiko gefahren."
Ich seufzte. Ich kriegte keinen klaren Gedanken mehr zusammen. Ich wollte so viel sagen und doch war mein Kopf leer.
Plötzlich stand Nils auf: "Ich brauche etwas Zeit für mich. Wir sehen uns morgen." Er drückte mich kurz zum Abschied, schwang sich auf sein Rad und verschwand.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort noch gesessen habe. Ich weiß eigentlich gar nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin. Jetzt sitze ich hier zu Haue, höre mindestens zum dreißigsten Mal dieses schrecklich traurige REM-Stück und bekomme doch nichts auf die Reihe. Ich weine nicht mehr. Meine Augen sind leer. Und ich verstehe nichts mehr, mein Kopf ist leer. Ich versuche Heiko mit aller Gewalt aus meinem Gehirn zu bekommen, doch je mehr ich es versuche, desto mehr Details kommen mir in Erinnerung. Nils, mein Nils verschwindet dann immer mehr in einem dichten Nebel am Horizont. Ich halte meine Hand über die Kerze, hoffe, daß mich der Schmerz wieder zu Verstand bringt. Irgendwann ziehe ich die Hand weg. Der Schmerz ist da, doch er verblaßt ganz schnell und die gleichen Gedanken wie vorher sind da. Ich gehe runter in die Küche. Mom und Dad sitzen im Wohnzimmer. Sie wissen nicht, wie es mir geht. Sie sollen es nicht wissen. Ich nehme die kleine Flasche Rum, die im Backfach steht und schmuggele sie in mein Zimmer. Ich merke, wie er beginnt zu wirken. Und ich merke wie mir alles immer mehr egal wird.
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